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08.08.2023

Impfstoff-Kandidat gegen Epstein-Barr-Virus in Mäusen getestet

     

  • Impfstoffkandidat gegen Epstein-Barr-Virus (EBV) zeigt im Mausmodell umfangreiche Immunantwort
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  • Impfstoff aktiviert beide Arme der Immunantwort: Antikörperproduktion und T-Zellen
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  • unabhängige Experten halten die Ergebnisse für relevant und ordnen sie in größeren Kontext der Impfstoffentwicklung gegen EBV ein
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Ein neuer Proteinimpfstoff löst in Mäusen eine umfangreiche Immunantwort gegen das Epstein-Barr-Virus (EBV) aus. Die zugehörige Studie wurde im Fachjournal „Nature Communications“ veröffentlicht (siehe Primärquelle). Die australische Forschungsgruppe um Rajiv Khanna präsentiert umfangreiche Daten aus Blutproben von an den Menschen angepassten Mäusen – zur humoralen Antwort, also zu gebildeten Antikörpern, und zur zellulären Antwort durch spezifische T-Zellen. Letztere sind der ausschlaggebende Teil der natürlichen Immunantwort auf eine Infektion mit dem Virus aus der Herpesfamilie. Allerdings untersuchte sie nicht, wie wirkungsvoll die Impfung vor einer EBV-Infektion schützen kann.

Der getestete Impfstoff besteht aus drei Komponenten: aus einem bereits vielfach untersuchten Oberflächenprotein von EBV bezeichnet als gp350 und einem Komplex aus 20 verschiedenen Virusabschnitten, die von T-Zellen des Immunsystems erkannt werden können. Der dritte Bestandteil ist ein Adjuvans, umgangssprachlich auch Wirkverstärker, namens AMP-CpG. Es soll dafür sorgen, die Impfstoffbestandteile besser in die Lymphknoten zu transportieren, damit sie vom Immunsystem effizienter erkannt werden können.

Nicht zuletzt seit einer sehr großen Studie zu Multipler Sklerose (MS) als Folgeerkrankung einer EBV-Infektion im vergangenen Jahr erfährt die Suche nach einem Impfstoff größere Aufmerksamkeit [I]. Da sich ein Großteil der Weltbevölkerung im Laufe des Lebens mit dem Herpes-Virus infiziert, könnte ein wirksamer Impfstoff die Krankheitslast durch die akute Erkrankung des Pfeifferschen Drüsenfiebers sowie durch spätere Folgeerkrankungen wie MS und diverse Krebserkrankungen senken [II]. Bisher gibt es keinen zugelassenen Impfstoff gegen das Epstein-Barr-Virus und nur sehr wenige Kandidaten werden derzeit in klinischen Studien hinsichtlich ihrer Wirksamkeit bei Menschen überprüft [II].

Anhand der vorliegenden Studienergebnisse schätzen unabhängige Experten die Hürden der Impfstoffentwicklung gegen EBV generell und die Relevanz dieser Studie im Speziellen ein.

Übersicht

     

  • Prof. Dr. Henri-Jacques Delecluse, Leiter der Arbeitsgruppe Pathogenese infektionsbedingter Tumoren, Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ), Heidelberg
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  • Prof. Dr. Wolfgang Hammerschmidt, Leiter der Gruppe Genvektoren, Helmholtz Zentrum München – Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt, München
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  • Prof. Dr. Christian Münz, Professor für Virale Immunologie und Direktor des Instituts für Experimentelle Immunologie, Universität Zürich, Schweiz
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Statements

Prof. Dr. Henri-Jacques Delecluse

Leiter der Arbeitsgruppe Pathogenese infektionsbedingter Tumoren, Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ), Heidelberg

Stärken und Schwächen der Studie

„Die Arbeitsgruppe um Khanna zeigt in der aktuellen Publikation sehr schöne Daten aus der Erprobung eines Proteinimpfstoffs gegen das Epstein-Barr-Virus (EBV) im Mausmodell. Der untersuchte Impfstoff erscheint sehr immunogen und die zugehörigen immunologischen Untersuchungen sind gut gemacht. Positiv hervorzuheben ist noch, dass die Studie Ergebnisse sowohl zur B-Zell- als auch zur T-Zell-Antwort des Immunreaktion liefert. Rajiv Khanna als T-Zell-Immunologe hat sich folgerichtig auf den letzteren Punkt konzentriert und sehr interessante Daten geliefert. Der Punkt ist relevant, da beide Arme der Immunantwort zwar als essenziell für eine effektive Bekämpfung von EBV betrachtet werden, T-Zellen allerdings eine dominante Rolle in der natürlichen Bekämpfung der Virusinfektion einnehmen.“

„Das untersuchte Vakzin enthält neben den gut charakterisierten Proteinen ein spezifisches Adjuvans, das das Vakzin gut in den Lymphknoten transportiert, wo es den Immunzellen präsentiert wird. Es wurde zuvor schon in wenigen Tierversuchen eingesetzt.“

„Eine große Limitation der Studie ist, dass die Forschenden keine Challenge-Versuche durchgeführt haben – also keine Ergebnisse dazu präsentieren können, ob die Impfung der Mäuse tatsächlich vor einer Infektion schützt, wenn sie dem Virus ausgesetzt sind. Das konnten sie nicht zeigen. Eine zweite Einschränkung ist, dass das ausgewählte Repertoire an Epitopen – also an Bereichen des Epstein-Barr-Virus, die im Impfstoff repräsentiert sind und gegen die das Immunsystem eine Antwort ausbilden kann – relativ begrenzt sind. Jeder Mensch reagiert mit einer individuellen Antwort auf dasselbe Virus, da wir durch die genetische Konstitution jeweils unterschiedliche Epitope erkennen. Es ist nun die Frage, ob die Anzahl der verwendeten Virusproteine ausreicht, um bei allen Menschen eine ausreichende Immunantwort induzieren zu können. Allerdings sind die Möglichkeiten eine Vielzahl von Epitopen einzubauen auch forschungspraktisch begrenzt. Der größte Punkt daran anschließend ist allerdings, dass es sich bei der Studie um Versuche im Tiermodell handelt und damit noch keine Aussagen zur Wirksamkeit im Menschen getroffen werden können. Diese müssen klinische Versuche in Zukunft zeigen.“

Stand der Impfstoff-Entwicklungen gegen EBV

„Es gibt andere Hersteller, die bereits klinische Daten zu ihren Impfstoff-Kandidaten erheben oder schon präsentiert haben. Dazu gehören das Unternehmen Moderna, das mRNA-Impfstoffe für verschiedene Altersgruppen entwickelt sowie das US-amerikanische nationale Gesundheitsinstitut (NIH), die zusammen mit dem Hersteller Merck Nanopartikel- und einen weiteren Proteinimpfstoff in klinischen Versuchen untersuchen. Letztere haben bereits gute Daten zur Antikörper-Produktion im Mausmodell präsentiert [1] allerdings gibt es bisher noch keine Ergebnisse zur T-Zell-Antwort aus diesen Settings. Es ist allerdings plausibel, dass es eine gibt, sie wurde bisher nur nicht untersucht.“

Rolle der beiden Arme der Immunantwort bei EBV – B-Zellen, T-Zellen und Antikörper

„Es ist gängige Meinung, dass T-Zellen eine dominante Rolle in der natürlichen Immunantwort bei Infektionen mit Herpes-Viren spielen, zu denen auch EBV zählt. Daher sind neue Ergebnisse zu diesem Punkt, wie in der vorliegenden Studie gezeigt, auch relevant. Nach einer natürlichen Infektion mit EBV finden sich bei Infizierten neutralisierende Antikörper, ihre Rolle in der EBV-Bekämpfung hingegen ist in der Forschung noch unklar. Die laufenden Impfstoff-Studien tragen also gerade maßgeblich dazu bei, auch die natürliche Immunantwort gegen EBV besser zu verstehen. Die Literatur konnte bisher noch nicht eindeutig zeigen, dass Antikörper nach einer EBV-Infektion wichtig sind, anders als bei den T-Zellen. Für EBV generell gilt allerdings, dass man über diese Virusinfektion und seine Bekämpfung schon viel mehr weiß als über andere Viren, wie beispielsweise Varizellen, gegen die es schon einen funktionierenden Impfstoff gibt.“

Ziele und Hürden bei der Impfstoffentwicklung

„Das Epstein-Barr-Virus bildet für das Immunsystem unsichtbare Reservoirs in Körperzellen, die auch von T-Zellen übersehen werden. Die Proliferation, also Vermehrung des Virus im Körper, muss eine gewisse Stärke erreicht haben, damit das Immunsystem eine Infektion registriert und reagieren kann. Somit kommt es natürlicherweise auch vor, dass ein Mensch sogar gleichzeitig mit verschiedenen EBV-Stämmen infiziert sein kann. Das spricht ebenfalls dafür, dass der Mensch immer wieder infiziert werden kann. Hat eine Impfung also zum Ziel, das Virus vollständig aus dem Körper zu entfernen oder initial fernzuhalten und Reservoirs zu verhindern, müsste sie also eine viel bessere Immunantwort hervorrufen können als bei natürlichen Infektionen der Fall. Ob eine solche sterile Immunität, wie sie genannt wird, erreichbar ist, ist allerdings sehr fraglich. Erste Impfstoff-Überprüfungen von vor circa 10 bis 15 Jahren haben gezeigt [2], dass die Impfstoffe zwar eine gute Antikörper-Antwort induzieren konnten, sich die Probandinnen und Probanden allerdings später doch mit dem Virus infiziert haben.“

„Ein übergeordnetes Ziel in Impfstoff-Studien war es bisher, die durch EBV ausgelöste Erkrankung der infektiösen Mononukleose, auch Pfeiffersches Drüsenfieber genannt, zu verhindern, die im Verlauf wiederum Risikofaktor für Krebserkrankungen oder Multiple Sklerose ist. Das konnte auch in ersten Studien, wie der zuvor erwähnten gezeigt werden.“

„Ist ein Impfstoff allerdings nicht besonders effektiv in der Verhinderung der Infektion oder der Erkrankung, kann meiner Meinung nach noch ein weiteres Problem auftreten. Sollte eine symptomatische EBV-Infektion durch eine Impfung nicht verhindert werden, sondern sich zeitlich im Leben nur weiter nach hinten verschieben, könnte das Risiko für eine schwere infektiöse Mononukleose und damit Folgeerkrankungen steigen, da dieses Risiko altersabhängig ist. Um das in Impfstoff-Studien auszuschließen sind aber wiederum sehr lange Beobachtungszeiten notwendig, da zum Beispiel das Risiko für MS circa drei bis sieben Jahre nach der Primärinfektion mit EBV erhöht ist und für assoziierte Krebserkrankungen noch später.“

Ausblick auf das Feld der EBV-Forschung

„Insgesamt hat das Feld in letzter Zeit viel Aufmerksamkeit erfahren, nicht zuletzt durch die große epidemiologische Studie zum Zusammenhang von EBV und Multipler Sklerose vergangenes Jahr [I]. Dieser Punkt war wissenschaftlich bis dato eigentlich nicht mehr umstritten, hat aber Geldgeber motiviert, in das Feld zu investieren. Gerade auf EU-Ebene wurden zwei europäische Forschungsvorhaben über das Thema EBV und Multiple Sklerose mit insgesamt 15 Millionen Euro finanziert, was vor zehn Jahren noch undenkbar gewesen wäre. Auch unsere Forschungsgruppe am DKFZ ist seit Neustem daran beteiligt. Daher glaube ich, dass in nächster Zeit noch einige wichtige Forschungsergebnisse auf diesem Gebiet zu erwarten sind.“

Prof. Dr. Wolfgang Hammerschmidt

Leiter der Gruppe Genvektoren, Helmholtz Zentrum München – Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt, München

Relevanz der neuen Adjuvans

„Die Studienergebnisse in dieser Veröffentlichung sind im Wesentlichen ein Vergleich zweier Adjuvanzien, von denen das Amphiphile-CpG dem konventionellen löslichen CpG, einem Toll-Like Receptor 9-Agonisten, überlegen ist. Die Unterschiede sind nicht groß, in den meisten Tierexperimenten ist der Effekt ungefähr zweifach. Ob das auch im Menschen so sein wird, können nur klinische Studien zeigen, die beide Adjuvanzien mit den identisch dosierten viralen Antigenen vergleichen. Immunologisch ist die Maus vom Menschen entwicklungsgeschichtlich weit entfernt. Auch ist unklar, was sogenannte Endpunkte in anschließenden klinischen Studien sein sollen, das geht aus der Veröffentlichung nicht hervor. Ist es die Verhinderung der EBV-Infektion oder die Prophylaxe einer EBV-assoziierten Erkrankung des Menschen?“

„Die Frage nach dem ‚richtigen‘ Adjuvans ist schwierig, aber Adjuvanzien werden in der Regel zur (unspezifischen) Verstärkung der Immunantwort bei Vakzinen eingesetzt – aber auch, um Kosten zu senken, denn die Herstellung des Impfwirkstoffs selbst kann sehr teuer sein. Wichtiger erscheint mir die Wahl des vielversprechendsten Antigens oder einer Kombination von viralen Antigenen. Allerdings ist genau das die Frage, die noch ungeklärt ist (siehe auch Hürden bei der Impfstoffentwicklung; Anm. d. Red.). Zum Beispiel werden gp350-spezifische Antikörper (gp350 ist Bestandteil des untersuchten Impfstoff-Kandidaten; Anm. d. Red.) häufig bei gesunden EBV-Infizierten gefunden – aber nicht bei allen. Trotzdem sind diese Infizierten in der Lage, die EBV-Infektion zu kontrollieren. Was bedeutet das, wie ist das zu interpretieren? Niemand weiß darauf eine abschließende Antwort. Entsprechend weiß niemand, welche Antigene ein optimaler EBV-Impfstoff enthalten muss. Ich persönlich bin sehr skeptisch, was minimalen Ansätze wie der vorliegende mit wenigen EBV-Proteinen und T-Zell-Epitopen angeht. Aber da bin ich befangen, denn wir entwickeln einen Impfstoff auf der Basis von Virus-ähnlichen Partikeln, die mehr als 50 EBV-Proteine enthalten.“

Nachfolgende Schritte zur Feststellung der Wirksamkeit beim Menschen

„Der nächste Schritt zur Überprüfung der präklinischen Experimente sind klinische Studien am Menschen, um zunächst die Sicherheit und dann die Wirksamkeit des Impfstoffkandidaten (in Kombination mit dem Adjuvans) zu testen, sowie eine qualitätsgesicherte Herstellung (GMP) zu initiieren. Der finanzielle, organisatorische und regulatorische Aufwand ist sehr hoch, und die Kosten dürften mindestens 500 Millionen Euro bis zu einer eventuellen Marktzulassung betragen.“

Ziele und Hürden bei der Impfstoffentwicklung

„Das Problem bei der Entwicklung eines Impfstoffs gegen EBV liegt in der Unkenntnis im gesamten EBV-Feld, welche spezifische antivirale Immunantwort die Infektion mit EBV verhindert oder langfristig im EBV-Infizierten kontrolliert. Alle Menschen bilden, wenn sie mit EBV infiziert sind, ein breites Spektrum Antikörper und T-Zellen mit antiviralen Eigenschaften. Zum Teil handelt es sich um Immunantworten, die keinerlei erkennbare antivirale Funktion haben, wie zum Beispiel Antikörper gegen EBNA1, einem viralen Protein, das im Zellkern EBV-infizierter Zellen lokalisiert und damit für diese Antikörper unerreichbar ist. Mit anderen Worten, das sogenannte ‚correlate of protection‘ ist unbekannt. Alle Experten sind sich einig, dass T-Zellen mit antiviralen Effektorfunktionen entscheidend sind, doch die kritischen viralen Antigene, beziehungsweise deren Epitope sind nicht identifiziert. Man kennt sehr viele T-Zell-Epitope, die alle HLA-restringiert sind (eine weitere Schwierigkeit, die die Frage sehr komplex macht) (Humane Leukozyten-Antigene (HLA) sind Muster auf Immunzellen, die wie die Blutgruppe zwischen Menschen unterschiedlich sind. Die Immunantwort auf EBV ist damit sehr individuell; Anm. d. Red.), aber welche die entscheidenden sind, die die immunologische Kontrolle EBV-infizierter Zellen ermöglichen, ist unbekannt.“

„Man kann bei Herpesviren – und EBV gehört zu dieser Virusfamilie – davon ausgehen, dass es keinen Impfstoff geben wird, der eine Infektion verhindert, also eine sogenannte sterile Immunität induziert. Das hängt mit der perfekten Adaption des Virus an den Menschen während der Evolution der Primaten zusammen. Bestenfalls wird ein Impfstoff die immunologische Kontrolle über das Virus, das in allen EBV-Infizierten lebenslang persistiert, verbessern. Es ist somit entscheidend, auf welche Indikationen ein Impfstoff gegen EBV abzielt. Es ist wahrscheinlich möglich, einen guten prophylaktischen Impfstoff gegen Infektiöse Mononukleose (auch Pfeiffersches Drüsenfieber genannt; Anm. d. Red.) und Folgeerkrankungen zu entwickeln. Zu den Folgeerkrankungen könnte auch MS gehören. Ob es gelingt, EBV-assoziierte Tumorerkrankungen wie zum Beispiel Nasopharyngeales Karzinom oder B-Zell-Lymphome zu verhindern, ist zurzeit unsicher. Es fehlen gute klinische immunologische Daten, die Ausgangslage ist unklar, das Entwicklungsrisiko ist sehr hoch.“

„Welche Technologie – ob eine einfache mRNA und Proteinimpfstoffe oder komplexe Virus-ähnliche Partikel – hierfür am besten geeignet sein wird, werden die nächsten Jahre zeigen, denn verschiedene Firmen und akademische Forschungseinrichtungen haben erste klinische Studien begonnen oder planen sie gerade. So wie mein Team mit Unterstützung von DZIF und der Helmholtz Gemeinschaft [3].“

„Erreichbar ist die Verhinderung von Infektiöser Mononukleose, eine Folge der verspäteten Erstinfektion mit EBV, wie sie in der Regel nur in Industrieländern auftritt. Es ist sehr schwierig, EBV-assoziierte Tumorerkrankungen mit einem EBV-Impfstoff zu verhindern oder gar zu therapieren. Ob es gelingt, die Fälle von Multipler Sklerose mit einem prophylaktischen Impfstoff zu reduzieren, bleibt abzuwarten. Die existierenden epidemiologischen Daten lassen jedoch einen Effekt vermuten. Wünschenswert wäre es, wenn für alle EBV-assoziierten Erkrankungen Impfstoffe oder Therapien entwickelt würden. Aber das ist aus heutiger Sicht sehr, sehr ehrgeizig, wenn nicht gar illusionär.“

Prof. Dr. Christian Münz

Professor für Virale Immunologie und Direktor des Instituts für Experimentelle Immunologie, Universität Zürich, Schweiz

Einschätzung der Impfung

„In der vorliegenden Studie wurden sowohl neutralisierende Antikörper – gegen das EBV-Glykoprotein gp350 als Bestandteil des Impfstoffs – wie auch T-Zellantworten gegen die verwendeten sieben EBV-Genprodukte mit rekombinanten Proteinen ausgelöst. Während Antikörperantworten bereits mit verschiedensten Adjuvantien und Antigenformulierungen gegen EBV in Impfstudien ausgelöst werden konnten, sind in der vorliegenden Studie besonders die hochfrequenten T-Zellantworten bemerkenswert. Aus Untersuchungen an Menschen mit entsprechenden Genmutationen wissen wir, dass besonders die T-Zell-Antwort ausschlaggebend ist für die Immunkontrolle des Virus. Die T-Zellantworten wurden in Mäusen getestet, die humane MHC Klasse I Moleküle tragen, die für die Präsentation der Peptide des rekombinanten T-Zellantigens (20 Peptidepitope von sieben EBV-Proteinen) notwendig sind. Um die Langlebigkeit und Funktionalität der T-Zellantworten und die Effizienz des neuen Adjuvans des Impfstoffkandidaten auszutesten, war das Tiermodell essenziell.“

Relevanz des neuen Adjuvans

„Verschiedenste Impfstoffe versuchen mittlerweile sowohl die Antigenexpression wie auch den Adjuvanseffekt erst im Lymphknoten zur vollen Entfaltung zu bringen. So verhindert die Lipidhülle bei RNA-Impfstoffen auch größtenteils, dass es schon zur Antigenexpression und dem Adjuvanseffekt der RNA an der Einstichstelle kommt. Die Lipid-RNA-Partikel werden durch die afferente Lymphe in den axialen Lymphknoten eintransportiert, wo dann beide Effekte zum Tragen kommen. Für den TLR9 Agonisten CpG, der in der vorliegenden Studie verwendet wurde, ist dies vielleicht noch wichtiger, da im Gegensatz zur Maus, TLR9 beim Menschen maßgeblich in sogenannten plasmazytoiden dendritischen Zellen (pDCs) und B-Zellen exprimiert wird und sich diese hauptsächlich in sekundären lymphoiden Organen wie den Lymphknoten aufhalten. Daher ist die verwendete Kombination von B- und T-Zellantigen (gp350 und Polyepitopprotein) mit einem Adjuvans, das erst im Lymphknoten aktiv wird, schon sehr attraktiv.“

Ziele der Impfstoffentwicklung

„Die Verhinderung einer EBV-Infektion durch einen Impfstoff ist meiner Meinung nach jedoch nicht oder nur für kurze Zeit möglich, da auch gesunde EBV-Träger, die über eine Immunkontrolle verfügen, die sie für den Rest Ihres Lebens normalerweise vor EBV vermittelten Erkrankungen schützt, regelmäßig mit neuen Viren reinfiziert werden. Eine Impfung sollte eher symptomatische Primärinfektion (Pfeiffersches Drüsenfieber) und EBV-assoziierte Pathologien verhindern und einen gesunden EBV-Trägerstatus sicherstellen.“

Nachfolgende Schritte zur Feststellung der Wirksamkeit beim Menschen

„Für die meisten EBV-Impfstoffkandidaten werden EBV seronegative Jugendliche ins Auge gefasst (ähnlich der ursprünglichen Impfstrategie beim Papillomavirus). Diese haben eine hohe Wahrscheinlichkeit – in manchen geographischen Regionen bis zu 50 Prozent – an Pfeifferschem Drüsenfieber zu erkranken, wenn sie das erste Mal mit EBV infiziert werden. Diese Frequenz durch Impfung abzusenken, lässt sich vermutlich bereits in einem Phase 1/2A klinischen Versuch herausfinden.“

Ziele und Hürden bei der Impfstoffentwicklung

„Im Moment werden verschiedene Plattformen für einen EBV-Impfstoff evaluiert. Neben rekombinanten Proteinen werden RNA- und Vektor-Impfstoffe getestet. Alle drei Plattformen lassen die Ausbildung von Antikörpern zu. Wie oben jedoch ausgeführt, verlässt sich die natürliche Immunantwort gegen EBV maßgeblich auf die Kontrolle durch T-Zellen. Diese sind nach wie vor am besten durch Vektorimpfstoffe induzierbar. Man wird nun sehen müssen, ob bestimmte Adjuvansformulierungen, wie im vorliegenden Manuskript, eine Aktivierung von zytotoxischen CD8+-T-Zellen ausreichend verstärken kann, um ähnlich gut wie Vektorimpfstoffe abzuschneiden.“

„In entwickelten Ländern mit verzögerter Primärinfektion verläuft eine EBV-Infektion in zehn Prozent aller Fälle mit Symptomen des Pfeifferschen Drüsenfiebers. Eine Impfung könnte diese Erkrankung weitgehend eliminieren. Das Pfeiffersche Drüsenfieber ist mit einem erhöhten Risiko verbunden, am Hodgkins Lymphom oder Multipler Sklerose (MS) zu erkranken. Die Fallzahlen dieser Erkrankungen könnten vermutlich durch eine präventive Impfung entsprechend abgesenkt werden. Darüber hinaus gibt es verschiedenste andere EBV-assoziierte Erkrankungen (chronic active EBV, vermutlich eine Subgruppe des chronic fatigue syndromes, Nasopharyngealkarzinom, 10 Prozent der Magenkrebsfälle, Burkitts Lymphom, und weitere). Bei diesen Erkrankungen könnte eine Impfung unter Umständen auch therapeutisch erfolgreich zur Anwendung kommen.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Prof. Dr. Henri-Jacques Delecluse: „Ich forsche selbst über EBV, auch an der Entwicklung einer EBV-Vakzine sowie an therapeutischen Strategien gegen EBV.“

Prof. Dr. Wolfgang Hammerschmidt: „Mein Team entwickelt einen prophylaktischen Impfstoff gegen EBV mit der primären Indikation ‚Infektiöse Mononukleose‘. Die Entwicklung des Impfstoffs wird durch Fördermittel der öffentlichen Hand (Geldgeber sind das Deutsche Zentrum für Infektionsforschung, DZIF, und die Helmholtz Gemeinschaft (Helmholtz Validierungs Fonds, HVF)) unterstützt und durch das Helmholtz Zentrum München gefördert.“

Prof. Dr. Christian Münz: „Wir arbeiten zwar auch an Impfstoffen, haben aber keine Patente oder Kooperationen mit Impfstoffherstellern.“

Primärquellen

Dasari V et al. (2023): Lymph node targeted multi-epitope subunit vaccine promotes effective immunity to EBV in HLA-expressing mice. Nature Communications. DOI: 10.1038/s41467-023-39770-1.

Literaturstellen, die von den Experten zitiert wurden

[1] Wei CJ et al. (2022): A bivalent Epstein-Barr virus vaccine induces neutralizing antibodies that block infection and confer immunity in humanized mice. Science Translational Medicine. DOI: 10.1126/scitranslmed.abf3685.

[2] Sokal EM et al. (2007): Recombinant gp350 vaccine for infectious mononucleosis: a phase 2, randomized, double-blind, placebo-controlled trial to evaluate the safety, immunogenicity, and efficacy of an Epstein-Barr virus vaccine in healthy young adults. Journal of Infectious Diseases. DOI: 10.1086/523813.

[3] Deutsches Zentrum für Infektionsforschung (24.01.2022): Epstein-Barr-Virus: DZIF und Helmholtz Munich entwickeln einen Impfstoff. Pressemitteilung des DZIF.

Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden

[I] Science Media Center (2022): Epstein-Barr-Virus als Ursache für Multiple Sklerose. Research in Context. Stand: 13.01.2022.

[II] Rühl J et al. (2020): Vaccination against the Epstein–Barr virus. Cell Molecular Life Science. DOI:10.1007/s00018-020-03538-3.

[III] Clinicaltrials.gov: Epstein-Barr Virus.