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25.07.2019

Immunsystem reguliert Fettaufnahme durch Mikrobiom

Das Immunsystem beeinflusst möglicherweise Mikroben im Darm, die vor Übergewicht schützen, indem sie die Aufnahme von Fetten regulieren. Das berichten Forscher in einer Studie im Mausmodell, die im Fachjournal „Science“ erschienen ist (siehe Primärquelle).

Wissenschaftler haben das Mikrobiom des Darmes in vielen aktuellen Publikationen mit unterschiedlichen Einflüssen auf die Gesundheit des Menschen assoziiert. So soll eine veränderte Zusammenstellung der Mikroben im Darm unter anderem zu Typ-2 Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs und Übergewicht beitragen.

In der aktuellen Studie fanden die US-amerikanischen Forscher um Charisse Petersen in Mäusen heraus, dass das Immunsystem Darmmikroben direkt beeinflusst und damit deren Fettaufnahme reguliert. Die Zellen des Immunsystems sorgen dafür, dass Antikörper des Typs Immunglobulin-A (IgA) in den Darm entlassen werden und dort schädliche Bakterien erkennen und eindämmen. Dadurch können sich die nützlichen Bakterien, wie zum Beispiel Vertreter aus der Familie der Clostridien, vermehren. Einige Clostridien sorgen dafür, dass die Darmzellen nicht übermäßig viele Fette aufnehmen und kontrollieren damit den gesunden Stoffwechsel des Menschen.

Bisher bleibt unklar, ob sie sich Erkenntnisse auf den Menschen anwenden lassen. Bei Personen mit einem geschwächten Immunsystem, die weniger Antikörper in den Darm ausschütten können, vermehren sich die schädlichen Bakterien unter Umständen stärker. Zudem könnten Clostridien mit positiver Wirkung verdrängt und die Fettaufnahme in den Körper verstärkt werden. Das könnte Menschen betreffen, die aufgrund einer Erbkrankheit ein defektes Immunsystem haben oder jene, deren Immunsystem aufgrund bereits bestehenden Übergewichts geschwächt ist.

In einem parallel veröffentlichten Ausblick diskutieren zwei Wissenschaftler aus Texas mögliche therapeutische Ansätze, die sich aus den Ergebnissen für die klinische Anwendung ergeben. Um die erhöhte Fettaufnahme übergewichtiger Patienten zu senken, schlagen sie eine Fäkaltransplantation mit dem Stuhl gesunder Patienten oder die gezielte Gabe von vorteilhaften Clostridien vor [I].

 

Übersicht

Statements

Prof. Dr. Vanessa Stadlbauer-Köllner

Fachärztin für Innere Medizin, Abteilung für Gastroenterologie und Hepatologie, Medizinische Universität Graz, Österreich

„Nicht nur unsere Ernährung, auch unser Darmimmunsystem formt unser Mikrobiom. Ein Immundefekt, der zu einer verminderten Produktion von Antikörpern in Körpersekreten (IgA) führt, verändert das Mikrobiom dahingehend, dass mehr Fett aus der Nahrung aufgenommen werden kann und trägt daher zur Entstehung von Fettleibigkeit bei.“

„Die Arbeit von Petersen et al. schließt einige Wissenslücken in Hinblick auf den Zusammenhang zwischen Fettleibigkeit und Darmmikrobiom. Der Mangel an bestimmten Bakterien – Clostridien – und ein Überschuss an Desulfovibrio können zu Fettleibigkeit führen, das war bereits bekannt. Neu ist an dieser Arbeit, dass die Autoren an Mäusen zeigen, dass ein Defekt im Immunsystem, der zu einer Verminderung an Immunglobulin A im Darm führt, die Mikrobiomveränderungen auslöst, die dann zu Fettleibigkeit führen, indem der Fettstoffwechsel in den Darmzellen gestört wird. Im Gegensatz zu vielen bisher durchgeführten Studien haben die Autoren dieser Arbeit zumindest teilweise die kausalen Zusammenhänge nachweisen können. Nicht immer gelang es ihnen lückenlos. Außerdem muss man einschränkend bemerken, dass die Studien nur an Mäusen durchgeführt wurden, die zum Teil schwere genetische Defekte hatten. Die Übertragbarkeit in den Menschen ist daher noch offen.“

„Im begleitenden Kommentar wird darüber spekuliert, ob eine Stuhltransplantation die Therapie der Zukunft sein könnte. Ich bezweifle das aus mehreren Gründen: Erstens haben die bisherigen Studien zu Stuhltransplantation bei Stoffwechselerkrankungen sehr gemischte Ergebnisse gezeigt und wenn ein positiver Effekt auf den Stoffwechsel erzielt werden konnte, dann war dieser moderat und nur von kurzer Dauer. Die Arbeit von Petersen et al. hat diese Fragestellung auch gar nicht untersucht – vielmehr haben sie versucht, durch Stuhltransplantation von Tieren mit einem Immundefekt auf gesunde Tiere eine Fettleibigkeit auszulösen, was ihnen aber nicht gelang. Außerdem wäre es zweitens logistisch nicht zu bewältigen, allen fettleibigen Menschen einer Stuhltransplantation zu unterziehen. Die gezielte Modulation des Darm-Mikrobioms durch sogenannte next-generation Probiotika, Präbiotika oder spezifische Medikamente erscheint da zielführender. Ob eine Therapie, die auf eine Beeinflussung des Immunsystems abzielt, sinnvoll ist, muss erst untersucht werden.“

Prof. Dr. Dr. André Gessner

Leiter des Instituts für Mikrobiologie und Hygiene, Universität Regensburg

„Der menschliche Körper beherbergt auf seinen inneren und äußeren Oberflächen Milliarden von Mikroorganismen (die sogenannte Mikrobiota, das Mikrobiom), die entscheidend für die Gesundheit des Menschen sind. Die Mikrobiomforschung stellt eines der aktivsten Gebiete der Medizin dar. Es wurde unter anderem gezeigt, dass das Darmmikrobiom die Darmbarriere, den Stoffwechsel, und das Immunsystem des Wirts entscheidend beeinflussen.“

„Die aktuelle Publikation von Peterson und Kollegen von der University of Utah, USA, zeigt im Tiermodell an Mäusen, dass Zellen des Immunsystems die Zusammensetzung des Darmmikrobioms beeinflussen und dadurch über die Zu- und Abnahme der Häufigkeit bestimmter Bakterienarten im Darm die Aufnahme von Fetten aus der Nahrung, die Stoffwechsellage des Organismus und damit die Entwicklung von Übergewicht maßgeblich mitbestimmen.“

„Mäuse, die das wichtige Molekül MyD88, dass für Signalprozesse über verschiedene Immunrezeptoren zentral ist, nicht besitzen, produzieren weniger Immunglobulin A. Dieses ist allerdings wichtig für die Regulation der Bakterienzusammensetzung im Darm. Dadurch verschiebt sich die Balance zwischen verschiedenen Bakterienarten im Darmmikrobiom. In eleganten Experimenten konnten die Autoren zeigen, dass insbesondere der Verlust von Clostridien und die Zunahme von Desulfovibrio-Bakterien dazu führt, dass die Tiere deutliches Übergewicht entwickeln. Diese Bakterien scheinen die Aufnahme von Nahrungsfetten über das Darmepithel zu regulieren und sind dadurch potenziell sehr interessante Organismen zur Entwicklung neuer Strategien zur Verhinderung oder Behandlung metabolischer Erkrankungen und Übergewicht.“

„Basierend auf schon vorher publizierten Studien am Menschen zu ähnlich Mikrobiomverschiebungen bei Übergewicht sind weitere Studien gerechtfertigt und vielversprechend, um herauszufinden, ob aus diesen neuen spannenden Befunden der experimentellen Grundlagenforschung mittelfristig tatsächlich neue Strategien gegen Übergewicht und daraus resultierenden Erkrankungen entwickelt werden können. Wie grundsätzlich in der Mikrobiomforschung ist hierbei wichtig zu prüfen, welche Risiken mit Fäkaltransfer und der Gabe neuer probiotischer Bakterienstämme bei verschiedenen Ausgangsmikrobiom-Konstellationen von Patienten verbunden sein können, bevor größere klinische Studien an Menschen mit Übergewicht initiiert werden.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Prof. Dr. Vanessa Stadlbauer-Köllner: „Ich führe Studien zur Zusammensetzung des Darmmikrobioms und zur Manipulation des Darmmikrobioms mittels Prä- und Probiotika durch. Die Studien werden teilweise aus öffentlichen Fördergeldern und teilweise durch Kooperationen mit der Industrie finanziert. Aktuell erhalte ich Förderungen der Firmen Fresenius Austria (direkt), Immundiagnostik GmbH (direkt), Winclove Probiotics, Institut Allergosan (beide indirekt über ein öffentlich gefördertes COMET Projekt).“

Prof. Dr. Dr. André Gessner: Keine Angaben.

Primärquelle

Petersen C et al. (2019): T cell-mediated regulation of the microbiota protects against obesity. Science. DOI: 10.1126/science.aat9351. 

Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden

 

[I] Wang H et al. (2019):