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08.06.2017

Immunkrebstherapie erstmals an zwölf unterschiedlichen Tumortypen erprobt

Eine US-Forschergruppe hat erstmals eine Immunkrebstherapie an zwölf unterschiedlichen Tumortypen gleichzeitig erprobt. In einer prospektiven Studie haben die Wissenschaftler die Hypothese überprüft, ob eine Therapie mit PD-1-Antikörpern bei vorbehandelten Krebspatienten anschlägt, deren Tumorzellen Mutationen in bestimmten Reparaturgenen aufwiesen. Diese Medikamentengruppe soll die Immunzellen anstacheln, solide Tumoren zu bekämpfen. Sie ist bisher in Europa nur für die Therapie von Haut- und Lungenkrebs sowie Hodgkin-Lymphomen zugelassen.

Bei 46 von 86 Patienten mit Mutationen in Mismatch-Repair-Genen (mutierte MMR-Gene erzeugen defekte DNA-Reparaturproteine) in Tumoren war nach 21 Wochen ein objektives Schrumpfen ihrer Krebsherde zu beobachten. Die Überlebenswahrscheinlichkeiten nach einem Jahr lagen bei 76 Prozent, die nach zwei Jahren bei 64 Prozent. Der Clou dieser Tumortherapie ist, dass Patienten unabhängig von ihrer konkreten Krebsart mit PD-1-Antikörpern behandelt wurden, weil diese die Immunabwehr auf die in reparaturdefekten Tumoren vermehrt auftretenden Mutationen (Neoantigene) hetzt. Die Ergebnisse der Studie werden im Fachjournal „Science“ publiziert (siehe *Primärquelle). Sie stellen Zulassungsbehörden vor die Frage, ob in der Onkologie künftig indikationsunabhängige Zulassungen erteilt werden sollten. Dann könnten Patienten nach einem Gentest, der Mutationen in MMR-Genen in Tumoren nachweist, mit einer Immuntherapie behandelt werden – unabhängig davon, aus welchem Organ der Tumor stammt. Die amerikanische Behörde FDA hat vor circa zwei Wochen einen Schritt in diese Richtung gemacht: Sie ließen das erste Medikament auch indikationsübergreifend zu [6].

 

Übersicht

  • Prof. Dr. Dirk Jäger, Leiter der Abteilung Medizinische Onkologie und Geschäftsführender Direktor, Nationales Centrum für Tumorerkrankungen am Universitätsklinikum Heidelberg (NCT), Heidelberg
  • Prof. Dr. Uğur Şahin, Professor für experimentelle Onkologie, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
    wissenschaftlicher Geschäftsführer, Translationale Onkologie an der Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz gGmbH (TRON), Mainz
  • Prof. Dr. Thomas Blankenstein, Arbeitsgruppenleiter Immunologie und Gentherapie, Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC), Berlin

Statements

Prof. Dr. Dirk Jäger

Leiter der Abteilung Medizinische Onkologie und Geschäftsführender Direktor, Nationales Centrum für Tumorerkrankungen am Universitätsklinikum Heidelberg (NCT), Heidelberg

„Wir wissen seit längerer Zeit, dass Tumore mit Defekten in DNA-Reparatur-Systemen eine sehr viel größere Zahl an genetischen Veränderungen (Mutationen) aufweisen. Diese Mutationen führen zur Bildung fehlerhafter Proteine, die für das Immunsystem als ‚fremd‘ gelten können und eine Abstoßungsreaktion induzieren können. Die zusätzliche Aktivierung von Immuneffektorzellen mit PD-1-Antikörpern kann diese Abwehrmechanismen dann sehr effektiv machen.“

„Unmittelbare Folge der Publikation könnte sein, dass fortgeschrittene Tumorerkrankungen routinemäßig auf Mikrosatelliteninstabilität (Längenveränderung innerhalb kurzer DNA-Abschnitte in Folge defekter Reperaturproteine; Anm. d. Red.) geprüft werden und instabile Tumore jenseits der Standardtherapie mit Checkpoint-Inhibitoren behandelt werden.“

„In der Studie wird ein noch recht kleines Patientenkollektiv mit unterschiedlichen Tumorentitäten untersucht. Die Daten sollten sicherlich in einer größeren unabhängigen, kontrollierten Studie mit vielen verschiedenen Tumorentitäten bestätigt werden, bevor sie für die klinische Routine Relevanz haben sollten.“

Prof. Dr. Uğur Şahin

Professor für experimentelle Onkologie, Johannes Gutenberg-Universität Mainz

wissenschaftlicher Geschäftsführer, Translationale Onkologie an der Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz gGmbH (TRON), Mainz

„Die Publikation ist in der Sache nicht mehr ganz überraschend, das heißt, sie ist in ihren experimentellen Grundaussagen zumindest für Experten im Feld nicht neu. Dennoch handelt es sich um eine sehr wichtige Studie, weil die Datenlage größer und statistisch überzeugender ist als alle bisher vorliegenden Publikationen [1-5].“

„Nicht neu ist die erste Kernaussage der Publikation, wonach Tumoren mit Defekten der sogenannten Mismatch-Repair (MMR) besser auf eine medikamentöse PD-1-Blockade ansprechen. Das wurde erstmals 2015 in einer Publikation im New England Journal of Medicine in einer kleineren Kohorte von Patienten gezeigt [1].“

„Die zweite wichtige Kernaussage der Publikation ist, dass eine medikamentöse PD-1-Blockade T-Zellen der Immunabwehr aktiviert, die Neoantigene auf MMR-mutierten Tumoren erkennen. Dazu muss man wissen, dass die spontane Erkennung von Mutationen in Tumorzellen durch die Immunabwehr recht ineffizient ist. Die Immunzellen erkennen in der Regel nur circa 1 von 100 Mutationen spontan. Weil Tumoren mit Reparatur-Defekten vom Typ MMR viele tausend Mutationen anhäufen, können entsprechend viele Mutationen (Neoantigene) durch im Körper vorhandene T-Zellen spontan erkannt werden. Auch dieser Zusammenhang wurde bereits in hochkarätigen Publikationen beschrieben [2-4].“

„Eine wichtige Beobachtung der Publikation ist, dass bereits ein Biomarker-Test für eine MMR-Defizienz in Tumorzellen als Indikation für eine Behandlung mit Anti-PD-1 ausreichen könnte – unabhängig vom Tumortyp. Bisher erfolgt die Zulassung von Therapien in der Onkologie indikationsspezifisch. Die in der Arbeit präsentierten Daten erhöhen den Druck auf Zulassungsbehörden wie die FDA, die EMA oder das BfArM (US-Amerikanische, europäische und deutsche Zulassungsbehörde für Arzneimittel und Medizinprodukte; Anm. d. Red.), ihre bisher allein indikationsspezifische Zulassungsstrategie zu überdenken. Denn bereits heute könnten mit einem Test auf MMR-Defizienz in Tumorzellen Anti-PD-1-Medikamente im Prinzip indikationsübergreifend bei Tumorpatienten angewendet werden.“

„Tatsächlich ist die FDA dieser Logik gefolgt und hat am 23. Mai 2017 für ein Anti-PD-1 Medikament (Pembrolizumab) des US-Unternehmens Merck eine indikationsübergreifende Zulassung für die Behandlung von MMR-defizienten Tumoren ausgesprochen [6]. Es ist historisch das erste Mal, dass ein Medikament auf der Grundlage eines prädiktiven Biomarker-Tests zugelassen und zugleich für die Behandlung verschiedener Krebsarten genutzt werden darf. Das ist ein sehr wichtiger Schritt und ein Umdenken einer Behörde. Hier wurde ein wissenschaftlich sehr gut gestützter Präzedenzfall geschaffen, der die Art und Weise, wie Arzneimittel in klinischen Studien getestet und zugelassen werden, deutlich vereinfachen und Medikamente für viele Krebspatienten früher zugänglich machen könnte.“

Prof. Dr. Thomas Blankenstein

Arbeitsgruppenleiter Immunologie und Gentherapie, Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC), Berlin-Buch

„Die Ergebnisse sind nicht überraschend, da bekannt war, dass Patienten und Patientinnen mit zerstörerischen Mutationen in DNA-Mismatch-Reparaturgenen (MMR-Gen) und dadurch besonders vielen Mutationen in den Krebszellen besonders häufig auf Checkpoint-Inhibitoren (anti-PD-1-Antikörper) ansprechen [1]. Neu ist, dass die Studie erstmals prospektiv eine erfolgreiche Immuntherapie auf Basis der molekularen Signatur der Krebszellen beschreibt. Wichtig ist dabei, dass es im Durchschnitt 21 Wochen dauert, bis es zum klinischen Ansprechen auf die Therapie kommt.“

„Eine Neuheit ist ebenfalls, dass die Therapie nicht nach der klassischen Einteilung ‚Tumorentität‘, sondern nach einer Tumorentität-übergreifenden, molekularen Signatur (Mutation in MMR-Gen) erfolgt. In Zukunft könnte die Therapie nicht traditionell nach Art ‚aus welchem Organ stammt der Tumor‘, sondern nach definierten Mutationen in der Krebszelle festgelegt werden – Stichwort: personalisierte Medizin. Die Therapie wird gezielter; dadurch sollten die Ansprechraten gesteigert und sinnlose Therapien minimiert werden.“

„Zulassungsbehörden müssen umdenken. Bislang müssen für jede Tumorentität eigene klinische Studien durchgeführt werden, um die Zulassung für eine Indikation zu bekommen. Aus der neuen Studie ergibt sich, dass eine Zulassung als Medikament Tumor-übergreifend auf der Basis der spezifischen Mutationen erteilt werden müsste.“

„Die Autoren argumentieren zwar überzeugend, dass es in den USA 40.000 Stage I-III und 20.000 Stage IV Patienten mit MMR-Defizienz gibt (Tumoren werden je nach Ausbreitung in die Stadien 0 bis IV eingeteilt, im Englischen ‚staging‘ genannt; Anm. d. Red.). Nichtsdestotrotz sind Krebspatientinnen und -patienten mit Mutation in MMR-Genen vergleichsweise selten. Die überwiegende Anzahl von Tumoren hat vergleichsweise wenig Mutationen und spricht viel seltener auf Checkpoint-Inhibitor Therapie an.“

Mögliche Interessenkonflikte

Alle: Keine angegeben.

Primärquelle

Le DT et al. (2017): Mismatch-repair deficiency predicts response of solid tumors to PD-1 blockade. Science. DOI: 10.1126/science.aan6733.

Literaturstellen, die von den Experten zitiert wurden

[1] Le DT et al. (2015): PD-1 Blockade in Tumors with Mismatch-Repair Deficiency. N. Engl. J. Med., 372:2509-2520. DOI: 10.1056/NEJMoa1500596.

[2] Van Rooij N et al. (2013): Tumor exome analysis reveals neoantigen-specific T-cell reactivity in an ipilimumab-responsive melanoma. J. Clin. Oncol., 31:e439-442.

[3] Snyder A et al. (2014): Genetic Basis for Clinical Response to CTLA-4 Blockade in Melanoma. N. Engl. J. Med., 371:2189-2199.

[4] Rizvi NA et al. (2015): Cancer Immunology. Mutational landscape determines sensitivity to PD-1 blockade in non-small cell lung cancer. Science, 348:124-128.

[5] Gubin MM et al. (2014): Checkpoint blockade cancer immunotherapy targets tumour-specific mutant antigens. Nature 2014, 515:577-581.

[6] FDA News Release: FDA approves first cancer treatment for any solid tumor with a specific genetic feature.

Weitere Recherchequellen

Krebsinformationsdienst zu Checkpoint-Inhibitoren in der Krebstherapie.