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21.03.2019

Hoher Fructose-Anteil in Sirup lässt Darmpolypen von Mäusen wachsen

Seit Jahren stehen stark zuckerhaltige Softdrinks in Verdacht, Übergewicht, Diabetes und weitere Stoffwechselkrankheiten beim Menschen zu verursachen. Erstmals berichten US-Forscher in Mäuseexperimenten nun über einen möglichen Zusammenhang zwischen dem beschleunigten Wachstum von Darmpolypen nach dem Verzehr von Fructose-haltigem Maissirup (High-Fructose Corn Syrup, HFCS).

In den Versuchen wurden Mäusen, die aufgrund einer Mutation genetisch bedingt eine Vielzahl von Darmpolypen und später auch Darmkrebs entwickeln, über acht bis zehn Wochen drei Prozent der täglich aufgenommenen Kalorien eines HFCS Sirup zugeführt. Dieser enthielt 45 Prozent Glukose und 55 Prozent Fructose. Kontrolltiere bekamen dieselbe Diät ohne den HFCS-Zusatz. Laut den in „Science“ veröffentlichten Ergebnissen (siehe Primärquelle) zeigte sich, dass bereits im Darm vorhandene Polypen der Nager, die Fructose-haltigen Sirup erhalten hatten, signifikant größer heranwuchsen. Aus diesen entwickelten sich zudem häufiger Krebsvorstufen als in Darmpolypen von Kontrolltieren. Der Sirup beschleunigte also allein das Wachstum bereits vorhandener Darmpolypen. In molekularen Analysen zeigten die Forscher zudem, dass die Polypen im Dickdarm die Fructose mit Hilfe des Enzyms Ketohexokinase (KHK) effektiver verstoffwechselten. Schalteten die Forscher KHK-Enzyme in den Mäusen medikamentös aus, verschwand die Tumor fördernde Wirkung des HFCS.

Die in dem Versuch an Mäusen verabreichte Menge entspräche beim Menschen etwa einem zuckerhaltigen Softdrink pro Tag (mit rund 20 Gramm HFCS). Eine Menge, die nach Angaben der Forscher etwa die Hälfte aller US-Amerikaner trinkt. Ob sich die Ergebnisse der aktuellen Nager-Studie auf den Menschen übertragen lassen, erfordere nun „weitere Untersuchungen“, betonen die Forscher. Sie empfehlen vorsorglich, dass Menschen mit Darmkrebs und solche, die ein erhöhtes Risiko tragen, Darmpolypen zu entwickeln, Softdrinks mit hohem Zuckeranteil besser meiden sollten. In Deutschland enthalten viele Softdrinks Saccharose aus Zuckerrüben statt HFCS. Ob diese ebenfalls als Treiber erhöhten Tumorwachstums in den Darmpolypen von Mäusen agiert, wurde in der aktuellen Studie nicht genauer analysiert.

 

Übersicht

     

  • Prof. Dr. Matthias Schulze, Leiter der Abteilung Molekulare Epidemiologie, Deutsches Institut für Ernährungsforschung (DIfE), Potsdam-Rehbrücke
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  • Prof. Dr. Aurelio Teleman, Leiter der Abteilung Krebs- und Stoffwechselassoziierte Signaltransduktion, Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ), Heidelberg
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  • Dr. Mauricio Berriel Diaz, stellvertretender Direktor und Leiter der Abteilung Metabolische Dysfunktion und Krebs am Institut für Diabetes und Krebs (IDC), Helmholtz Zentrum München – Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt, München
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Statements

Prof. Dr. Matthias Schulze

Leiter der Abteilung Molekulare Epidemiologie, Deutsches Institut für Ernährungsforschung (DIfE), Potsdam-Rehbrücke

„Isoglukose (High-Fructose-Corn Syrup, HFCS) ist in seiner Zusammensetzung im Grunde sehr gut vergleichbar mit Saccharose (Haushaltszucker). Bei letzterem ist der Anteil von Fructose etwas geringer – 50 Prozent statt 55 Prozent in HFCS, der verstärkt seit den 80er-Jahren als Süßungsmittel vor allem in den USA eingesetzt wird. In Deutschland überwog bislang klar der Anteil an Saccharose (vor allem aus Rübenzucker). Aus ernährungsphysiologischer Sicht gibt es keine Unterschiede in der Bewertung von HFCS im Vergleich zu Saccharose.“

„Die in der Publikation verwendete Dosis – drei Prozent der täglichen Kalorienzufuhr – liegt deutlich unter dem aktuellen Niveau der Aufnahme von zugesetztem Zucker in der deutschen Bevölkerung. Diese liegt im Durchschnitt aktuell über der Empfehlung, maximal zehn Prozent der Energiezufuhr über zugesetztem beziehungsweise freien Zucker zu decken [1].“

„Es ist auf jeden Fall ratsam, den aktuellen Empfehlungen zum Zuckerkonsum zu folgen. Ein erheblicher Anteil der potenziell schädlichen Effekte von HFCS und Saccharose ist wohl eher an eine insgesamt zu hohe Energiezufuhr gekoppelt – zum Beispiel durch Konsum von zuckergesüßten Getränken. Diese begünstigen die Entwicklung von Übergewicht und Adipositas eher als eine spezifische Wirkung der Fructose. Aus meiner Sicht greift die in der Studie beobachtete Hemmung des Fructose-Stoffwechsels und der behauptete Zusammenhang mit dem Wachstum von Tumorzellen zu kurz.“

Prof. Dr. Aurelio Teleman

Leiter der Abteilung Krebs- und Stoffwechselassoziierte Signaltransduktion, Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ), Heidelberg

„Nach meiner Einschätzung sind die Ergebnisse der Studie solide. Die Dosis, die bei Mäusen verwendet wurden, ist sehr relevant für die menschliche Ernährung. Viele Menschen trinken das Äquivalent von einer Dose Soda pro Tag mit raffiniertem Zucker.“

„Diese Studie empfiehlt, dass wir die Aufnahme von raffiniertem Zucker – wie Saccharose und Isoglukose – minimieren sollten. Das ist eine bekannte Empfehlung, die aktuelle Studie liefert nun aber einen möglichen molekularen Mechanismus für eine schädliche Wirkung dieser Zucker.“

„Was eine mögliche pharmakologische Intervention angeht, mag die für die Behandlung von Patienten mit Darmkrebs sinnvoll sein. Als Präventivmaßnahme aber wäre es viel sicherer, ‚einfach‘ den Zuckerkonsum einzuschränken.“

„Denn wenn wir weiterhin hohe Zuckermengen zu uns nehmen würden und zugleich ein Medikament einnehmen würden, um die KHK im Darm zu blockieren, dann würde der Zucker vermutlich einfach über alternative Stoffwechselwege in den Zellen abgebaut – mit unvorhersehbaren und wahrscheinlich negativen Folgen.“

Dr. Mauricio Berriel Diaz

stellvertretender Direktor und Leiter der Abteilung Metabolische Dysfunktion und Krebs am Institut für Diabetes und Krebs (IDC), Helmholtz Zentrum München – Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt, München

„Es handelt sich um eine solide präklinische Studie an Mäusen. Interessanterweise konnten die Autoren zeigen, dass die fördernde Wirkung von HFCS auf das Wachstum von Darmtumoren nicht von der bereits bekannten Entwicklung von Übergewicht oder dem metabolischen Syndrom abhängig war.“

„Die Studie legt somit nahe, dass die Bestandteile von HFCS, der 45 Prozent Glukose und 55 Prozent Fructose enthält, von Darmpolypen als Vorläufern von Tumoren und Adenomen direkt aus dem Darmlumen aufgenommen und verwertet werden können. Die dazu vorliegenden Daten aus zwei Mausmodellen, die genetisch-bedingt eine erhöhte Neigung zu Polypen und Darmkrebs haben, sind recht überzeugend. Relevant ist auch die Beobachtung, dass insbesondere die Wechselwirkung zwischen Fructose- und Glukosestoffwechsel das Wachstum der Tumore bei den Mäusen beschleunigt hat.“

„Die verfütterte Dosis an HFCS, die deutlich unterhalb dessen liegt, was bei Mäusen zu Übergewicht führt, ist auf den Menschen durchaus übertragbar. Allerdings sind nun entsprechende klinische Studien notwendig, um die Wirkung von HFCS in Getränken auf das Darmkrebsrisiko von Patienten nachzuweisen.“

„Ernährungsempfehlungen sollten grundsätzlich erst auf der Basis klinischer Studienergebnisse erfolgen. Allerdings legt diese präklinische Studie nahe, dass bei erhöhtem Darmkrebsrisiko – also zum Beispiel, wenn bereits Polypen im Rahmen einer Vorsorgeuntersuchung gefunden wurden – oder während einer Darmkrebsbehandlung nach entsprechender Diagnose, vom Konsum von Getränken, die mit HFCS gesüßt wurden, abzuraten ist.“

„Prinzipiell könnte auch eine Behandlung von klinischer Relevanz sein, bei der medikamentös spezifische Stoffwechselwege gehemmt werden, die von Tumoren in besonderem Maße genutzt werden. Auch hierzu wäre allerdings entsprechende klinische Studien notwendig, die insbesondere auch die Heterogenität von Tumorerkrankungen im Menschen berücksichtigen müssten, die nicht unbedingt in gleichem Maße auf eine entsprechende Therapie ansprechen.“

„Der alternative Ansatz, einfach den Gehalt entsprechender Kohlenhydrate in der Nahrung zu senken, kann ebenso eine sinnvolle Komponente einer indizierten Krebstherapie darstellen.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Alle: Keine angegeben.

Primärquelle

Goncalves MD et al. (2019): High-fructose corn syrup enhances intestinal tumor growth in mice. Science; 363 (6433): 1345-1349. DOI: 10.1126/science.aat8515.

Literaturstellen, die von den Experten zitiert wurden

[1] Deutsche Adipositas-Gesellschaft e.V. (DAG); Deutsche Diabetes Gesellschaft e.V. (DDG); Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V. (DGE) (2018): Konsensuspapier: Quantitative Empfehlung zur Zuckerzufuhr in Deutschland.