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13.03.2019

Globales Moratorium für Keimbahneingriffe mittels Genome Editing

Wie sollen Eingriffe in die menschliche Keimbahn mittels Genscheren wie CRISPR-Cas in Zukunft reguliert werden? Pioniere der Forschung an CRISPR-Cas haben sich mit Ethikern, unter anderem von deutschen Instituten, zusammengeschlossen, um diese Frage zu beantworten. In einem Kommentar im Fachjournal „Nature“ (siehe Primärquelle) schlagen sie ein internationales Moratorium für den klinischen Einsatz von Genome Editing in der Keimbahn vor. Sie fordern eine freiwillige Verpflichtung aller Nationen: Nach einem festgelegten Zeitraum des Verbotes soll sie jedoch Spielraum für den Umgang einzelner Nationen mit spezifischen Anwendungen lassen. Voraussetzungen für eine Anwendung in einzelnen Fällen sollten nach Ansicht der Autoren genug Zeit für öffentliche Diskussionen, eine wissenschaftlich und gesellschaftlich begründete Anwendung und ein gesellschaftlicher Konsens über die Zulassung sein.

Die Verpflichtung beziehen die Autoren explizit nur auf die klinische Anwendung der Keimbahntherapie; Forschung und somatische Gentherapien seien davon ausgenommen. Die klinische Anwendung unterteilen die Autoren in ihrer Bewertung in die Korrektur von der Norm abweichender Gendefekte und in die Verbesserung, das Enhancement des Menschen. Als Beispiel für die Korrektur von Gendefekten gehen sie vor allem auf den Fall bei Paaren mit veranlagten Erbkrankheiten ein, die mittels In-Vitro-Fertilisation und Genome Editing gesunde Kinder bekommen könnten. Ihren Vorschlag für das internationale Moratorium veröffentlichten die Autoren in „Nature“.

Übersicht

  • Prof. Dr. Jochen Taupitz, Geschäftsführender Direktor des Instituts für Deutsches, Europäisches und Internationales Medizinrecht, Gesundheitsrecht und Biomedizin der Universitäten Heidelberg und Mannheim, Universität Mannheim
  • Prof. Dr. Christiane Woopen, Direktorin des Cologne Center for Ethics, Rights, Economics, and Social Sciences of Health, Universität zu Köln, und Vorsitzende des Europäischen Ethikrates (EGE)
  • Prof. Dr. Barbara Prainsack, Universitätsprofessorin am Institut für Politikwissenschaft, Universität Wien, Österreich und am Department of Global Health & Social Medicine, King's College London, Vereinigtes Königreich, und Mitglied der Ethikgruppe der britischen DNA-Datenbank, UK National Criminal Intelligence DNA Database; und Mitglied der European Group on Ethics and New Technologies und Mitglied der österreichischen Bioethikkommission
  • Prof. Dr. Alena Buyx, Professorin für Ethik der Medizin und Gesundheitstechnologien und Direktorin des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin, Technische Universität München (TUM), und Mitglied des Deutschen Ethikrates und des Kommittees der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu Genome Editing beim Menschen

Statements

Prof. Dr. Jochen Taupitz

Geschäftsführender Direktor des Instituts für Deutsches, Europäisches und Internationales Medizinrecht, Gesundheitsrecht und Biomedizin der Universitäten Heidelberg und Mannheim, Universität Mannheim

„Der Vorstoß ist ehrenwert und es ist ihm Erfolg zu wünschen. Er drückt die communis opinio (Latein für die allgemeine Meinung; Anm. d . Red.) der Wissenschaftsgemeinschaft aus, wonach Keimbahninterventionen als zu risikoreiche Menschenversuche moralisch – jedenfalls in den nächsten Jahren – noch nicht vertretbar sind. Die politisch-praktische Umsetzung dürfte allerdings sehr schwierig sein. In Staaten, in denen es kein rechtlich verbindliches, etwa gesetzliches Verbot der Keimbahnintervention gibt, kann eine Regierung jedenfalls nach unserem Rechtsverständnis nicht einfach ein – wenn auch zeitlich begrenztes – Verbot aussprechen. Gänzlich ungeklärt ist zudem das Verhältnis des geforderten ‚breiten gesellschaftlichen Konsenses‘ zu den verfassungsrechtlich vorgesehenen Rechtsetzungsakten, etwa einem Gesetzgebungsverfahren.“

Prof. Dr. Christiane Woopen

Direktorin des Cologne Center for Ethics, Rights, Economics, and Social Sciences of Health, Universität zu Köln, und Vorsitzende des Europäischen Ethikrates (EGE)

„Der Internationale Bioethik-Ausschuss der UNESCO mit 36 Mitgliedern aus 36 Ländern hat in seinem Bericht zu menschlichem Genom und Menschenrechten schon 2015 ein Moratorium für Genveränderungen der menschlichen Keimbahn gefordert [1]. Es ist nur zu begrüßen, dass nun auch weitere Institutionen und WissenschaftlerInnen eine solche internationale Vereinbarung unterstützen. Auch der Europäische Ethikrat setzt sich derzeit im Auftrag der Europäischen Kommission mit dieser Frage auseinander.“

„Ein Moratorium sollte nicht nur eine Vereinbarung sein, auf die klinische Anwendung einer genetischen Keimbahnveränderung erst einmal zu verzichten, sondern auch Konsequenzen für den Fall vorsehen, dass sich einzelne Wissenschaftler über eine solche Vereinbarung hinwegsetzen. Das beinhaltet der aktuelle Vorschlag noch nicht.“

„Besonders wichtig ist es, breite gesellschaftliche Debatten zu fördern. Es reicht nicht aus zu verstehen, was biologisch bei einem Eingriff in die menschliche Keimbahn vorgeht und welche medizinischen Risiken damit verbunden sein können. Deswegen reicht es auch nicht aus, eine ausreichende Wirksamkeit und Sicherheit des Verfahrens nachzuweisen, um es als ethisch vertretbar auszuweisen. Es geht um viel grundlegendere Fragen, die unser Menschenbild und das Verhältnis der Generationen untereinander betreffen. In diesen Debatten sollte es nicht vorrangig darum gehen, einen Konsens herzustellen. Es sollte vielmehr im Fokus stehen, ein Verständnis der vielen unterschiedlichen Überzeugungen zu befördern, um dann gemeinsam eine Lösung zu finden, die bei moralischem Pluralismus die gesellschaftlich jeweils zuträglichste ist. Immerhin geht es um nicht weniger als um eine Menschheitsfrage.“

Prof. Dr. Barbara Prainsack

Universitätsprofessorin am Institut für Politikwissenschaft, Universität Wien, Österreich und am Department of Global Health & Social Medicine, King's College London, Vereinigtes Königreich, und Mitglied der Ethikgruppe der britischen DNA-Datenbank, UK National Criminal Intelligence DNA Database; und Mitglied der European Group on Ethics and New Technologies (EGE) sowie der österreichischen Bioethikkommission

„Moratorien sind im Bereich der Medizin- und Forschungspolitik kein unbekanntes Politikinstrument. Normalerweise werden Moratorien eingesetzt, wenn man keinen prinzipiellen Vorbehalt gegen eine Technologie hat. Beispielsweise wenn man mehr Zeit braucht, um herauszufinden, unter welchen Umständen die Technologie sicher und ethisch akzeptabel für die Anwendung am Menschen sein kann oder um zu entscheiden, ob man bestimmte Formen der Anwendung der Technologie generell verbieten muss.“

„Wenn Moratorien als Gesetze erlassen werden, dann sind sie selbstverständlich rechtlich bindend – wie zum Beispiel das Moratorium jeglicher Formen des reproduktiven Klonierens am Menschen in Israel. Die Betonung der Autor*innen, dass es sich um eine ‚freiwillige Selbstverpflichtung‘ handle, ist in diesem Zusammenhang etwas irreführend. Was die Autor*innen mit der Freiwilligkeit zu meinen scheinen, ist, dass sich Staaten freiwillig entscheiden können sollen, ob sie ein Moratorium als Gesetz beschließen, anstatt von einem internationalen Regelwerk dazu verpflichtet zu werden – dem sie aber sowieso vorher hätten zustimmen müssen.“

„Von dieser Form der staatlichen Freiwilligkeit ist eine andere Form der freiwilligen Selbstverpflichtung zu unterscheiden, nämlich ein Moratorium, das nicht in Gesetzesform ergeht, sondern zu dem sich nichtstaatliche Institutionen freiwillig verpflichten. Ein Beispiel dafür ist das freiwillige Moratorium der Vereinigung von Versicherungsunternehmen in Großbritannien, von der Verwendung der Resultate von Gentests weitgehend abzusehen [2][3]. Ein solches Moratorium könnte jederzeit von den Versicherungen selbst widerrufen werden. Ein weiteres Beispiel für ein freiwilliges Moratorium war die Asilomar-Konferenz 1975. Auf dieser Konferenz verpflichteten sich Gruppen von Wissenschafter*innen freiwillig dazu, bestimmte Formen der Kombination von DNA von unterschiedlichen Organismen nicht durchzuführen [4]. Paul Berg, der einer der Autoren des vorliegenden Kommentars ist, war auch zentral an der Asilomar-Konferenz beteiligt.“

„Es ist schade, dass der vorliegende Nature-Kommentar nicht näher auf die Form der Freiwilligkeit eingeht, die die Autor*innen für ein Moratorium für den klinischen Einsatz von Genome Editing in der Keimbahn vorsehen würden.“

Auf die Frage, inwiefern die Unterscheidung einer Bewertung nach dem Zweck des Keimbahneingriffs – Korrektur oder Verbesserung – sinnvoll ist:„Diese Unterscheidung ist problematisch, weil selbst die Frage, was eine schwere Erkrankung darstellt, von unterschiedlichen Menschen unterschiedlich beantwortet wird. Die Unterscheidung zwischen Korrektur und Verbesserung verschiebt daher in den meisten Fällen das Problem, anstatt es zu lösen. Was man den Autor*innen des Artikels jedoch zugute halten muss ist, dass sie sehr konkret definieren, was sie im konkreten Fall unter ‚Korrektur‘ verstehen: das Editieren einer seltenen Mutation in einem einzelnen Gen, die mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit eine schwere Krankheit verursacht.“

Prof. Dr. Alena Buyx

Professorin für Ethik der Medizin und Gesundheitstechnologien und Direktorin des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin, Technische Universität München (TUM), und Mitglied des Deutschen Ethikrates und des Kommittees der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu Genome Editing beim Menschen

„Der Vorschlag der Gruppe um Emanuelle Charpentier in Nature ist sehr zu begrüßen. Der deutsche Ethikrat hat bereits 2017 in einer Stellungnahme gefordert [5], einen internationalen politischen Prozess zu beginnen, um verbindliche Standards für Keimbahneingriffe zu erarbeiten. Eine wesentliche Grundlage dafür ist das Verständnis der ethischen Argumente, welche die Entscheidung leiten können, bestimmte Keimbahneingriffe zu verbieten oder zuzulassen. Der Deutsche Ethikrat veröffentlich dazu im Mai eine detaillierte Stellungnahme.“

„Auch wenn sich Therapie und Verbesserung in manchen Fällen praktisch nur schwer abgrenzen lassen, gibt es wichtige ethische Unterschiede. Meistens wird das Ziel der Krankheitsbehandlung für hochrangiger gehalten als das der Verbesserung – und zwar nicht nur von Experten, sondern auch in der Bevölkerung – das haben verschiedene Umfragen gezeigt. Im Allgemeinen sind wir bei der Krankheitsvermeidung oder -linderung bereit, höhere Risiken einzugehen, weil das Ziel hochrangig ist. Bei der Verbesserung wäre man da deutlich strenger. Das würde natürlich auch für Keimbahneingriffe gelten.“

„Der Erfolg freiwilliger internationaler Verpflichtungen ist gemischt. Gegenwärtig gibt es allerdings eine hohe öffentliche Aufmerksamkeit und breite Bereitschaft von Akteuren der Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft, nationale und internationale Standards für Keimbahneingriffe zu erarbeiten und durchzusetzen. Es ist höchste Zeit. Der Vorstoß der Weltgesundheitsorganisation, Standards für Keimbahneingriffe vorzulegen, ist ein wichtiger Schritt; und ich freue mich, zu diesem Vorhaben aus deutscher Perspektive beitragen zu dürfen.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Prof. Dr. Barbara Prainsack: "Ich habe nach bestem Wissen und Gewissen keinen Interessenkonflikt."

Alle anderen: Keine angegeben.

Primärquelle

Lander E et al. (2019): Adopt a moratorium on heritable genome editing. Nature; Comment. DOI: 10.1038/d41586-019-00726-5.

Literaturstellen, die von den Experten zitiert wurden

[1] International Bioethics Commitee (IBC) (2015): Report of the IBC on updating its reflection on the Human Genome and Human Rights. Document code: SHS/YES/IBC-22/15/2 REV.2.

[2] The Government and the Association of British Insurers (ABI) (2014): Concordat and Moratorium on Genetics and Insurance.

[3] Prainsack B (2008): What are the stakes? Genetic nondiscrimination legislation and personal genomics. Personalized Medicine; (5) 5. DOI: 10.2217/17410541.5.5.415.

[4] Nature Editorial (2015): After Asilomar. Nature; 526, 293–294. DOI: 10.1038/526293b.

[5] Deutscher Ethikrat (2017): Keimbahneingriffe am menschlichen Embryo: Deutscher Ethikrat fordert globalen politischen Diskurs und internationale Regulierung. Ad-hoc-Empfehlung.

Weitere Recherchequellen

Science Media Center Germany (2018): Erstmals geneditierte Babys in China geboren? Rapid Reaction. Stand: 26.11.2018.

Science Media Center Germany (2017): CRISPR-Cas9 kann mutierte Erbanlage in menschlichen Embryonen korrigieren. Research in Context. Stand: 02.08.2017.