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19.05.2024

Frühzeitige Diagnose und Therapie von COPD und Asthma

     

  • kanadische Studie zeigt erstmals die Relevanz eines Screenings und der Therapie von unerkannten COPD- und Asthma-Fällen
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  • diese häufig undiagnostizierten Lungenkrankheiten betreffen auch viele Menschen in Deutschland
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  • unabhängige Experten weisen auf  Limitationen der Studie hin und diskutieren mögliche Screenings und Aufklärungsmethoden
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Die Lungenerkrankungen Asthma und chronisch obstruktive Lungenkrankheit (COPD) betreffen viele Menschen und gelten allgemein als unterdiagnostiziert. Eine kanadische Studie, die im Fachjournal „The New England Journal of Medicine“ erschienen ist, zeigt erstmals, dass ein Screening und eine entsprechende Behandlung dieser Lungenerkrankungen die Gesundheit der Patientinnen und Patienten verbessert (siehe Primärquelle).

COPD und Asthma gehören zur Gruppe der chronisch-entzündlichen Lungenerkrankungen. Die Atemwege der Betroffenen sind verengt und sie leiden an Husten und Atemnot. 6,4 Prozent der Deutschen haben eine COPD [I], 8,6 Prozent leiden im Laufe ihres Lebens an Asthma [II]. Die Erkrankungen können lebensbedrohlich sein. COPD etwa war 2019 die weltweit dritthäufigste Todesursache [III]. Jedoch haben viele Menschen mit solch einer chronischen Lungenerkrankung keine Diagnose und erhalten deswegen auch keine Therapie. Beispielsweise zeigte eine 2022 veröffentlichte Auswertung aus Finnland, dass etwa sieben von zehn COPD-Erkrankten aus der untersuchten Kohorte bis dahin nicht von ihrer Erkrankung wussten [IV]. Die Studie aus Kanada liefert nun erstmals Evidenz dafür, inwiefern es sinnvoll wäre, diese unerkannten Fälle aufzuspüren und dann zu therapieren.

Die Forschenden riefen zwischen 2017 und 2023 per Zufallsprinzip Haushalte in Kanada an und fragten nach typischen Symptomen. Im nachfolgenden Prozess diagnostizierten sie 595 Menschen mit Asthma oder COPD, von denen 508 an der randomisiert kontrollierten Studie teilnahmen. Die eine Hälfte wurde hausärztlich versorgt, die andere von fachspezifischen Einrichtungen behandelt. Beide Gruppen zeigten nach einem Jahr eine Verbesserung der Symptome und der krankheitsabhängigen Lebensqualität. Die Gruppe, die von Spezialistinnen und Spezialisten behandelt wurde, zeigte dabei stärkere Verbesserungen: Sie nahmen wegen Atemwegssymptomen nur halb so häufig zusätzliche medizinische Versorgung in Anspruch und zeigten bessere Ergebnisse in allen erhobenen klinischen Scores.

Die Ergebnisse könnten ein Hinweis sein, dass sich Screening-Maßnahmen für COPD und Asthma lohnen. Die Forschenden der Studie argumentieren, dass die Screening-Tools, die sie verwendet haben, kostengünstig und breit verfügbar seien: Fragebögen und Spirometrie zur Messung der Lungenfunktion.

Wir haben unabhängige Experten gebeten, die Relevanz der Studie sowie die Übertragbarkeit und mögliche Implikationen für das Gesundheitssystem in Deutschland zu beurteilen.

Übersicht

  • PD Dr. Henrik Watz, Leiter des Pneumologischen Forschungsinstituts, LungenClinic Grosshansdorf
  • Prof. Dr. Marek Lommatzsch, Leitender Oberarzt der Abteilung für Pneumologie, Universitätsmedizin Rostock

Statements

PD Dr. Henrik Watz

Leiter des Pneumologischen Forschungsinstituts, LungenClinic Grosshansdorf

Relevanz der Studie

„Die Undiagnosed COPD and Asthma Population Studie (UCAP) zeigt zum ersten Mal sehr klar, dass eine frühzeitige Identifizierung von Patienten mit bis dahin nicht diagnostizierter obstruktiver Atemwegserkrankung (COPD oder Asthma) einen Gesundheitsvorteil für die Patienten haben kann, insbesondere wenn Sie von Beginn an leitliniengerecht therapiert werden. Einen solchen Studienansatz gab es bisher nicht. Die Studie liefert insofern einen großen Mehrwert für die COPD- und Asthma-Forschung.“

Screening-Maßnahmen und Übertragbarkeit auf Deutschland

„COPD und Asthma sind in Kanada und Deutschland in etwa gleich häufig und damit auch gleich häufig unterdiagnostiziert. Diese Studie wirft ganz konkret die Frage auf, ob aktives Screening auf COPD und Asthma nicht breiter umgesetzt werden sollte, denn insbesondere eine nicht-diagnostizierte COPD ist in Deutschland sehr häufig. Ein unbehandeltes Fortschreiten der COPD wiederum führt zu hoher Morbidität, Mortalität und immensen Krankheitskosten. Der in der Studie verwendete Screening-Ansatz war schon sehr aufwendig, was sicherlich eine Limitation ist. Hier wird zukünftig über weniger ressourcenintensive Ansätze diskutiert werden müssen. Am ehesten kann man für ein Screening über einen breitgefächerten Ansatz mit denen in der Studie auch benutzten Screening-Fragebögen nachdenken. Bei auffälligen Werten muss sich dann allerdings eine Lungenfunktionsdiagnostik anschließen.“

Benefit einer frühzeitigen Therapie

„Insbesondere die Raucherentwöhnung zusammen mit der optimierten inhalierten Therapie bei COPD ist sicherlich ein großer Benefit.“

Prof. Dr. Marek Lommatzsch

Leitender Oberarzt der Abteilung für Pneumologie, Universitätsmedizin Rostock

Relevanz der Studie

„Asthma und COPD sind große Volkserkrankungen, die zusammen mehr als zehn Prozent der Bevölkerung – sowohl der Welt im Allgemeinen als auch der deutschen Bevölkerung im Speziellen – betreffen, und die schwere Verläufe bis hin zum Tod haben können. Es gibt sehr wirksame Therapien, daher ist die Erkennung der Erkrankungen wichtig. Viele Patienten leiden unter diesen Erkrankungen, ohne dass die Erkrankungen diagnostiziert wurden: Daher erfolgt bei diesen Patienten leider auch keine Therapie. Eine bessere und frühere Diagnose der Erkrankungen ist daher wichtig, weshalb auch das Thema der Studie wichtig ist. Allerdings sind die methodischen Schwächen der Studie erheblich.“

Schwächen der Studie

„Die Studie hat starke methodische Schwächen. Es finden sich zwei Hauptschwächen. Zum einen die Rekrutierung: Die Probanden wurden über automatisierte Anrufe rekrutiert. Die meisten Angerufenen haben gleich aufgelegt, und man fragt sich in der Tat, wer solche wildfremden maschinellen Telefonate annimmt. Es ist daher nicht klar, wie repräsentativ diese beschriebene Gruppe ist.“

„Zweitens die Diagnose von Asthma und COPD: Die Diagnostik war leider auf niedrigem Niveau. Man kann lediglich sagen, dass es sich um symptomatische Menschen mit einer Atemwegsverengung handelte. Anhand der rudimentären Diagnostik kann aber weder die Diagnose Asthma noch die Diagnose COPD sichergestellt werden. Besonders schwach war in dieser Studie, dass symptomatische Menschen mit normaler Lungenfunktion ausgeschlossen wurden: Damit wurden auch sehr viele Menschen mit Asthma ausgeschlossen, da die Mehrheit der Menschen mit Asthma zum Zeitpunkt der Messung eine normale Lungenfunktion hat.“

Mehrwert der Studie für die COPD- und Asthma-Forschung

„Aufgrund der methodischen Schwächen liefert die Studie leider wenig Mehrwert, vor allem, weil unklar bleibt, an welcher Erkrankung die Menschen wirklich litten. Es zeigte sich aber, dass sowohl in der Interventionsgruppe (die Menschen gingen zum Lungenspezialisten) als auch in der Kontrollgruppe (den Menschen wurde eine ärztliche Vorstellung dringend empfohlen) eine symptomatische und lungenfunktionelle Besserung eintrat. Eine ärztliche Vorstellung von Menschen mit Atemwegsbeschwerden ist daher hilfreich: Dies ist aber nicht wirklich überraschend.“

Screening-Maßnahmen

„Das in der Studie angewandte Screening mit maschinellen Telefonanrufen ist nicht hilfreich. Die übergroße Mehrheit der Angerufenen hat auch sofort aufgelegt. Sinnvoller sind Medienkampagnen, um das Bewusstsein für Symptome von Atemwegserkrankungen, die Prognose der Erkrankungen und die sehr wirksamen Therapie-Optionen in der Bevölkerung zu schärfen. ‚Gehen Sie zum Arzt, wenn Sie Symptome einer Atemwegserkrankung haben: Das lohnt sich!‘ – diese Botschaft muss in die Bevölkerung gesandt werden.“

Übertragbarkeit und Relevanz in Deutschland

„Asthma und COPD sind in Deutschland sowohl unter- als auch überdiagnostiziert. Es gibt aber in der Tat viele Menschen in Deutschland, die an einem bislang unerkannten Asthma oder einer unerkannten COPD leiden. Teils werden die Symptome bewusst ignoriert, teils fehlt die Einsicht, dass die Symptome einer gut behandelbaren Erkrankung zuzuordnen sind. Daher gehen diese Menschen nicht zum Arzt. Dies hat oft schwere Folgen, bis hin zu Arbeitsunfähigkeit, intensivmedizinischen Behandlungen und Tod. Die Erkennung und Behandlung dieser Atemwegserkrankungen sind daher von höchster Dringlichkeit und Bedeutung. Nur hilft leider diese aktuelle Studie uns nicht sehr weiter, da sowohl die Screening-Methode (maschinelle Anrufe) als auch die schlechte Diagnostik nicht als Vorbild für unser Gesundheitssystem taugt.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Prof. Dr. Marek Lommatzsch: „Ich habe keine Interessenkonflikte.”

Alle anderen: Keine Angaben erhalten.

Primärquelle

Aaron SD et al. (2024): Early Diagnosis and Treatment of COPD and Asthma: A Randomized, Controlled Trial. The New England Journal of Medicine. DOI: 10.1056/NEJMoa2401389.

Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden

[I] Akmatov MK et al. (2019): Die chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD) in der ambulanten Versorgung in Deutschland – Zeitliche Trends und kleinräumige Unterschiede. Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland. DOI: 10.20364/VA-19.06.

[II] Langen U et al. (2013) Prevalence of allergic diseases in Germany: results of the German Health Interview and Examination Survey for Adults (DEGS1). Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz. DOI: 10.1007/s00103-012-1652-7.

[III] Global Health Organization (2020): The Top 10 Causes of Death.

[IV] Caspersen NF et al. (2022): Treatable Traits in Misdiagnosed Chronic Obstructive Pulmonary Disease: Data from the Akershus Cardiac Examination 1950 Study. Chronic Obstructive Pulmonary Diseases. DOI: 10.15326/jcopdf.2021.0265.