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12.12.2018

Ethik und Recht bei Embryonenmodellen aus Stammzellen

Würden aus menschlichen Stammzellen hergestellte Embryonen unter das Embryonenschutzgesetz fallen? Die Wissenschaft ist auf dem Weg, in der Petrischale menschliche Embryonen zu erzeugen – in der Fachsprache synthetische, menschliche Entitäten mit embryoartigen Eigenschaften (synthetic human entities with embryo-like features (SHEEFs)) [I]. Mithilfe dieser Embryonenmodelle könnten Entwicklungsstörungen erforscht und die künstliche Befruchtung sowie Verhütungsmethoden verbessert werden.

Forscher versuchen diese im Labor aus Stammzellen herzustellen – also aus Zellen, die sich in alle Gewebetypen entwickeln können. Die Embryonen entstehen dabei also nicht beim Verschmelzen von Eizelle und Spermium. Wie sollten solche Entitäten ethisch und rechtlich bewerten werden? Wie weit darf die Forschung gehen? Stammzellforscher und Ethiker fordern genau darüber eine internationale ethische Debatte – und zwar in einem Kommentar, der in der Fachzeitschrift „Nature“ veröffentlicht wurde (siehe Primärquelle). Sie formulieren vier Fragen und geben vier Empfehlungen. Demnach sollte die Forschung in diesem Bereich erstens anhand ihrer Absichten bewertet werden. Zweitens fordern sie ein Verbot solcher Stammzell-Entitäten für Fortpflanzungszwecke. Drittens würden aktuelle Embryomodelle nur je einen Teil der Entwicklung beleuchten und sollten somit ethisch nicht als Embryo bewertet werden. Viertens rufen die Autoren dazu auf, sich an bestehende Leitlinien der Stammzellforschung [II] zu halten und wissenschaftliche Fortschritte transparent zu veröffentlichen.

Übersicht

  • Prof. Dr. Jochen Taupitz, Geschäftsführender Direktor des Instituts für Deutsches, Europäisches und Internationales Medizinrecht, Gesundheitsrecht und Biomedizin der Universitäten Heidelberg und Mannheim, Universität Mannheim
  • Prof. Dr. Alena M. Buyx, Professorin für Medizinethik und Direktorin des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin, Technische Universität München (TUM), München
  • Dr. Ingrid Metzler, Post-Doc am Institut für Wissenschafts- und Technikforschung, Universität Wien
  • PD Dr. Joachim Boldt, stellvertretender Direktor des Instituts für Ethik und Geschichte der Medizin, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

Statements

Prof. Dr. Jochen Taupitz

Geschäftsführender Direktor des Instituts für Deutsches, Europäisches und Internationales Medizinrecht, Gesundheitsrecht und Biomedizin der Universitäten Heidelberg und Mannheim, Universität Mannheim

„Künstliche Eizellen, Samenzellen, Embryonic Bodies und Embryonenmodelle sowie künstliche Umgebungsbedingungen für eine Schwangerschaft sind von den geltenden Rechtsregeln weltweit bisher kaum erfasst. Selbst das an sich so strenge deutsche Embryonenschutzgesetz konnte sie seinerzeit – vor fast 30 Jahren, als das Gesetz in Kraft trat – nicht vorausahnen. Es besteht deshalb erhebliche Rechtsunsicherheit. Bei der ethischen und rechtspolitischen Debatte kann es allerdings nicht nur um Verbote gehen. Vielmehr muss auch diskutiert werden, unter welchen Voraussetzungen und für welche Zwecke entsprechende Entitäten erzeugt und verwendet werden dürfen. Viele der neuen Verfahren bergen Chancen für segensreiche Weiterentwicklungen der Medizin. Gegenstand der Debatte müssen auch mögliche Lockerungen bestehender Verbote sein, etwa des absoluten Verbots der Forschung mit menschlichen Embryonen gemäß dem deutschen Embryonenschutzgesetz. Wie stets in der Medizin müssen Risiken und Chancen für einzelne Individuen und die Menschheit insgesamt verantwortungsvoll gegeneinander abgewogen werden – und zwar vor dem Hintergrund der jeweiligen naturwissenschaftlichen Erkenntnisse.“

„Ob das deutsche Embryonenschutzgesetz die Erzeugung oder Verwendung synthetischer embyonenartiger Zellentitäten verbietet, hängt von der Entwicklungsfähigkeit der Entitäten ab. Nach Auffassung der meisten Juristen handelt es sich nur dann um geschützte ‚Embryonen‘ im Sinne des Gesetzes, wenn sie in der Lage sind, mindestens das Stadium der Nidation (Einnistung in die Gebärmutterschleimhaut, Anm. d. Red.) zu erreichen. Viele Juristen verlangen sogar die Entwicklungsfähigkeit bis zur extrauterinen Überlebensfähigkeit. Auf die Frage, ob sie natürlich oder künstlich entstanden sind, kommt es dagegen nicht an. Voraussetzung ist lediglich, dass es sich um rein menschliche DNA handelt, aus denen sie entwickelt wurden.“

Auf die Frage, wie es bewertet wird, dass einige Forscher bereits fordern, die zum Beispiel in Großbritannien bestehende 14 Tage Regel der Zellkultur menschlicher Embryonen nach hinten zu verschieben.
„Diskussionen um derartige Grenzverschiebungen sind nicht von vornherein abzulehnen. Normative Grenzen können nicht einfach aus biologischen Gegebenheiten ‚abgelesen‘ werden. Sie werden vom Menschen mit Blick auf bestimmte Ziele gesetzt – oft unter Abwägung von Chancen und Risiken. Und wenn die Naturwissenschaften neue Erkenntnisse liefern, dann muss dem ein normatives Nachdenken folgen können.“

Prof. Dr. Alena M. Buyx

Professorin für Medizinethik und Direktorin des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin, Technische Universität München (TUM), München

„Angesichts des rasanten Entwicklungstempos in der Biotechnologie ist eine ethische Debatte zu neuen, künstlichen Embryonenmodellen dringend erforderlich. Diese Strukturen können wichtige Erkenntnisse über die frühe menschliche Entwicklung und für die Vermeidung und Behandlung von Krankheiten liefern. Gleichzeitig werden diese Entitäten menschlichen Embryonen immer ähnlicher. Damit rückt die Frage näher, ob sie einen eigenen moralischen Status, oder gar den moralischen Status von menschlichen Embryonen erhalten sollen. Es geht also um nichts weniger als die fundamentalen Eigenschaften des Menschseins, über die hier gesprochen werden muss – ethisch, gesellschaftlich und rechtlich.“

„Dass das Embryonenschutzgesetz, das fast 30 Jahre alt ist, viele dieser neuartigen Strukturen gar nicht erfassen kann, ist offenkundig. Und auch international fehlen bisher Regeln für den Umgang, die besonders wichtig werden, wenn diese Entitäten einen moralischen Status erhalten. Dann nämlich muss bestimmt werden, ob man an ihnen überhaupt forschen darf und wenn ja, mit welchen Zielen. Rivron und Kollegen fordern mit guten Gründen ein internationales Verbot von künstlichen Embryonen für die Fortpflanzung – dafür bräuchte es aber ein internationales Regelwerk.“

„Die 14-Tage-Regel gilt nicht für Deutschland, ist aber international von großer Bedeutung, weil sie in vielen anderen Ländern die Grenze markiert, bis zu der an menschlichen Embryonen geforscht werden darf. Eine Untersuchung des englischen Ethikrats [1] hat 2017 ergeben, dass es bisher keine zwingenden wissenschaftlichen und ethischen Gründe gibt, diesen etablierten Konsens aufzugeben. Allerdings kann sich dies jedenfalls mit Blick auf die Forschung rasch ändern, weshalb die internationale Wissenschaftsöffentlichkeit mit der ethischen Diskussion nicht warten sollte.“

Dr. Ingrid Metzler

Post-Doc am Institut für Wissenschafts- und Technikforschung, Universität Wien

„Die Stammzellenforschung hat in den vergangenen Jahren ermöglicht, eine Vielzahl von Modellorganismen zu erzeugen. Nun ruft ein interdisziplinäres Team insbesondere Fördergeber und Fachvereinigungen dazu auf, eine ethische Debatte darüber zu beginnen. Dieser Aufruf ist durchaus begrüßenswert. Bemerkenswert an diesem Aufruf erscheint mir insbesondere, dass das Team den möglichen Output einer solchen Debatte nicht auf Regulierungen beschränkt. Sie regen viel mehr an, Informationen zur Forschung zu sammeln und zur Verfügung zu stellen, um mögliche Entwicklungen in der Zukunft und die damit in Verbindung stehenden ethischen Fragen klären zu können. Das Team beschreibt zwar nicht im Detail, wie eine solche Sammlung aussehen und organisiert werden könnte. Dennoch könnte eine solche ‚Infrastruktur‘ ein hilfreicher Schritt sein, der auch andere ethische Debatten anregen könnte. Sie würde mehr Transparenz erzeugen, die es letztlich auch interessierten Öffentlichkeiten ermöglicht, solche Debatten nachzuvollziehen – und auch ein Stück mitzugestalten.“

„Die AutorInnen fokussieren in ihrem Beitrag auf sogenannte In-vitro-Embryonenmodelle. Diesen Fokus empfinde ich als problematisch, weil er mir zu verengt erscheint. So schließt dieser Fokus andere Modelle aus. Es ist zwar überaus nachvollziehbar, dass In-vitro-Embryonenmodelle als besonders diskussionswürdig erscheinen. Aber sind wir uns denn sicher, dass andere Modelle nicht ebenso von einer ethischen Debatte, einem kollektiven Nachdenkprozess und mehr Transparenz profitieren könnten?“

„Zudem fragen die AutorInnen, ob diese In-vitro-Embryonenmodelle wie In-Vitro-Embryonen behandelt werden sollen. Ich bezweifle, dass diese Frage besonders hilfreich ist, um eine umfassende ethische Debatte zu beginnen. Was würde denn ein Nein darauf bedeuten? Dass Arbeiten an diesen Modellen ethisch unbedenklich und vollkommen unproblematisch sind? Und was würde umgekehrt ein Ja bedeuten?“

„Inwiefern bestehende Regulierungen auf mögliche synthetische Embryonen anzuwenden sind, kann ich nicht beurteilen. Bemerkenswert erscheint mir aber Folgendes: Einige Gesetzgeber, wie etwa der deutsche Gesetzgeber, haben bei der Gesetzgebung der In-Vitro-Fertilisation und der Embryonenforschung vermeintlich ‚biologische‘ Kriterien verwendet, um besonders schützenswertes Leben – wie Embryonen – von weniger schützenswertem Leben – wie Gameten – zu trennen. Das deutsche Embryonenschutzgesetz und auch das österreichische Fortpflanzungsmedizingesetz rekurrieren etwa stark auf den Begriff der ‚Entwicklungsfähigkeit‘, der zugleich biologisch verstanden wird. Die diskutierten Arbeiten exemplifizieren jedoch gerade, wie brüchig, fragil und zeitlich in unserem biotechnologischen Zeitalter diese biologischen Kategorien geworden sind.“

„So merken die AutorInnen an, dass es durchaus denkbar ist, dass synthetische Embryonen ebenso ‚entwicklungsfähig‘ wie herkömmliche In-vitro-Embryonen werden könnten. Um herauszufinden, ob synthetische Embryonen tatsächlich entwicklungsfähig sind, müssten sie jedoch in den Körper einer Frau transferiert werden – ein Experiment, das die AutorInnen vollkommen zu Recht ablehnen. Das zeigt, dass diese biologischen Kategorien alleine heute nicht mehr helfen, gemeinsam darüber nachzudenken, wie wir Forschung am besten gestalten können – eben weil sie uns keinen stabilen Boden geben, auf dem wir weitere Überlegungen aufbauen können. Die Herausforderung unserer Gesellschaft liegt unter anderem darin, ein gemeinsames Verständnis dafür zu entwickeln, welche Grenzen wir einhalten möchten, wenn wir dabei eben nicht mehr auf vermeintliche biologische Konstanten zurückgreifen können. Genau aus diesem Grund sind ethische Debatten darüber auch so wichtig.“

PD Dr. Joachim Boldt

stellvertretender Direktor des Instituts für Ethik und Geschichte der Medizin, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

„Angesichts der überschaubaren Forschungen in diesem Bereich an menschlichen Embryonen ist eine Regulierungs-Debatte nicht hochgradig drängend, aber es kann auch nicht schaden, früh Leitplanken zu setzen. Sinnvoll wäre, diese Debatte an die aktuellen Bemühungen um internationale Regulierung der genetischen Eingriffe in die menschliche Keimbahn anzuhängen.“

„Ich bin kein Jurist, aber als Ethiker kann ich sagen: Wenn SHEEFs das Potenzial zur Entwicklung bis zur Geburt haben, dann sollten sie unter die bestehenden Schutzregeln fallen. Das Einfügen eines ‚suicide genes‘ (wie die Autoren des Kommentars vorschlagen; Anm. d. Red.) wäre kein akzeptabler Weg, diesen Schutz zu umgehen. Akzeptabel wäre dagegen Forschung an SHEEFs, die nur Teile von Embryos modellieren. Eine internationale Regelung, wie bei Eingriffen in die Keimbahn angestrebt, wäre wünschenswert.“

„Ich sehe aktuell keine guten Gründe für eine solche Verschiebung. Wenn Forschung an SHEEFs, die nur Teile eines Embryos modellieren, vom strengen Schutz ausgenommen sind, hat die Forschung viel Spielraum.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Prof. Dr. Jochen Taupitz: „Ich habe keine Interessenkonflikte.“

Prof. Dr. Alena Buyx: „Ich habe keine Interessenkonflikte.“

Dr. Ingrid Metzler: „Ich habe keinen Interessenskonflikt zu dieser Arbeit und der in ihr diskutierten Forschung.“

Alle anderen: Keine Angaben erhalten.

Primärquelle

Rivron N et al. (2018): Debate ethics of embryo models from stem cells. Nature. DOI: 10.1038/d41586-018-07663-9.

Literaturstellen, die von den Experten zitiert wurden

[1] Nuffield Council on Bioethics (2017): Human Embryo Culture. Discussions concerning the statutory time limit for maintaining human embryos in culture in the light if some recent scientific developments.

Weitere Recherchequellen

[I] Aach J (2017): Addressing the ethical issues raised by synthetic human entities with embryo-like features. eLife; 6:e20674. DOI: 10.7554/eLife.20674.

[II] ISSCR – International Society for Stem Cell Research (2016): Guidelines for Stem Cell Research and Clinical Translation.