Zum Hauptinhalt springen
06.03.2024

Einsatz von Rezyklaten bei Kunststoffen: Helfen neue Recyclingverfahren?

     

  • neuer Bericht des Büros für Technikfolgen-Abschätzung (TAB) zum Einsatz von Rezyklaten in der deutschen Wirtschaft
  •  

  • Ansätze für bessere Kreislaufwirtschaft bei Kunststoffen, Baustoffen und Elektronik
  •  

  • bei Kunststoffen können laut unabhängigen Forschenden Rezyklatquoten, die Plastiksteuer und neue Recyclingverfahren hilfreich sein
  •  

Um die Abfallmengen und den Rohstoffverbrauch in Deutschland zu verringern, müssen in der Herstellung von Produkten mehr recycelte Materialien zum Einsatz kommen. Das gilt zum Beispiel für die Produktion von Kunststoffen, Baustoffen oder Elektrogeräten. Dafür braucht es Änderungen in der gesamten Wertschöpfungskette – vom Design und der Herstellung bis hin zur Sammlung und dem Recycling von Abfällen. Wie dies politisch erreicht werden kann, diskutiert ein neuer Bericht des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB), der am 7. März 2024 erschienen ist (siehe Primärquelle). Der Bericht wurde vom Umweltausschuss des Bundestags angeregt und wird nach Veröffentlichung in den relevanten Ausschüssen beraten.

Der Bericht unterscheidet drei Typen von Maßnahmen, um den Rezyklateinsatz in der deutschen Wirtschaft zu steigern: Mit regulativen Instrumenten können Gesetzgeber der Industrie konkrete Vorgaben machen. Ein Beispiel ist die Verpackungsverordnung, die aktuell von der EU verhandelt wird und die Rezyklatquoten und die Recyclingfähigkeit von Verpackungen vorschreiben soll [I] [II]. Ökonomische Instrumente – etwa Steuern auf den Einsatz von Primärrohstoffen – können den Einsatz von Rezyklaten finanziell attraktiver machen. Als kooperative Instrumente nennt der Bericht freiwillige Vereinbarungen zwischen Akteuren, zum Beispiel Herstellern und Recyclern.

Angesichts der Breite des Berichts hat das SMC unabhängige Forschende nur zum Fallbeispiel Kunststoffe befragt. Dabei legen wir einen Fokus auf chemische und bioenzymatische Recyclingverfahren. Anders als beim üblichen werkstofflichen Recycling werden dabei die Grundstoffe, aus denen Kunststoffe bestehen, zurückgewonnen. Laut dem Bericht können diese neuen Verfahren perspektivisch ergänzende Lösungen für Abfälle sein, die werkstofflich nicht recycelbar sind. Sie sind jedoch umstritten, da der Energieverbrauch hoch und die Skalierbarkeit unklar ist.

Zudem haben wir die Forschenden nach einer sinnvollen Ausgestaltung der sogenannten Plastiksteuer gefragt. Diese kann dem Bericht zufolge ökonomische Anreize für besseres Recycling setzen. Es handelt sich um eine Abgabe von 80 Cent, die alle EU-Staaten für jedes Kilogramm nicht recycelten Kunststoffabfall an die EU zahlen müssen. Die Plastiksteuer soll in Deutschland ab Januar 2025 auf Kunststoffhersteller umgelegt werden – in welcher Form, ist noch offen.

Übersicht

     

  • Prof. Dr. Uwe Bornscheuer, Professor am Institut für Biochemie, Universität Greifswald
  •  

  • Dr. Johannes Betz, Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich Ressourcen & Mobilität, Öko-Institut, Darmstadt
  •  

  • Prof. Dr. Henning Wilts, Abteilungsleiter Circular Economy, Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie, Wuppertal
  •  

  • Prof. Dr. Regina Palkovits, Professorin für Heterogene Katalyse und Technische Chemie, Institut für Technische und Makromolekulare Chemie, Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen (RWTH)
  •  

Statements

Prof. Dr. Uwe Bornscheuer

Professor am Institut für Biochemie, Universität Greifswald

Bewertung des Berichts in Bezug auf Kunststoffe

„Meiner Einschätzung nach ist der TAB-Bericht sehr gut recherchiert und ausgewogen beschrieben. Er stellt die Probleme und Lösungsansätze deutlich dar, inklusive der beschlossenen und geplanten Regelungen der Gesetzgeber – Bund und EU.“

Vorteile und Relevanz neuer Recyclingverfahren

„Sowohl das chemische als auch das bioenzymatische Recycling erlauben es für bestimmte Kunststoffe – Polyethylenterephthalat (PET), Polyamide wie Nylon oder Polyurethane (PU) – die für deren Neusynthese notwendigen Bausteine wiederzugewinnen. Dies sind zum Beispiel die Monomere Terephthalsäure und Ethylenglykol für PET. Somit ist mit beiden Verfahren ein wirkliches Kreislaufrecycling möglich. Vorteile sind, dass diese Bausteine in großer Reinheit isoliert werden können. Damit können neue – auch farblose – PET-Flaschen ohne Qualitätsverluste wieder hergestellt werden, ohne dass Rohstoffe auf Erdölbasis eingesetzt werden müssen. Theoretisch ist also ein 100-prozentiges Recycling möglich.“

Entwicklungsstand von chemischem und bioenzymatischem Recycling

„Das sehr gut etablierte chemische Recycling für PET hat nach meiner Kenntnis – und so steht es auch im TAB-Bericht – vor allem den Nachteil hoher Energiekosten. Das von der französischen Firma Carbios entwickelte enzymatische Recycling mit einem speziell optimierten Enzym erlaubt es, die Hydrolyse von PET – aus Getränkeflaschen, aber auch aus Polyester-Textilfasern – in seine Monomere bei nur circa 70 Grad Celsius durchzuführen. Carbios konnte die Effizienz des Verfahrens im Tonnen-Maßstab in einer Demonstrationsanlage zeigen. Derzeit wird mit der Firma Indorama eine industrielle Produktionsanlage mit einer Kapazität von 50.000 Jahrestonnen PET-Recycling gebaut. Das entspricht etwa zwei Milliarden Getränkeflaschen [1]. Daraus ist zu schließen, dass dieses Verfahren konkurrenzfähig beziehungsweise wirtschaftlich für das Unternehmen ist.“

„Eine Schwierigkeit beim enzymatischen Prozess ist meines Wissens die kostenaufwändige Isolierung der Monomere. Eine andere Schwierigkeit ist der höhere Preis für recyceltes PET im Vergleich zu erdölbasierten Rohstoffen, um die Verfahrenskosten abzudecken. Weder für Polyamide/Nylon noch für PU gibt es bislang skalierbare, enzymatische Verfahren. Wir haben mit dem deutschen Unternehmen Covestro zumindest die ersten Grundlagen für das Recycling von PU mit der Entdeckung von ,Urethanasen‘ geleistet [2]. Es ist zu hoffen, dass in absehbarer Zeit auch ein industrielles Verfahren entwickelt wird.“

„Beim chemischen Recycling von Polyolefinen (PE, PP, PVC, PS und so weiter) sind – wie im Bericht ausgeführt – Verfahren wie Pyrolyse oder Solvolyse etabliert. Deren ,Ökobilanz‘ halte ich wegen der enorm hohen Energiekosten – die Reaktionen finden bei bis zu 500 Grad Celsius statt – und dem Bedarf an Lösungsmitteln für sehr fraglich. Zudem können nur neue Folgeprodukte entstehen, für die ein neuer Absatzmarkt existiert beziehungsweise etabliert werden muss. Wir reden hier von sehr hohen Mengen. Neues PE, PP, PVC und PS muss zwangsläufig wieder aus erdölbasierten Rohstoffen gewonnen werden. Daher halte ich diese Verfahren nicht für zielführend, um die Klimaziele beziehungsweise eine CO2-Reduktion zu erreichen. Wichtig: Für keinen dieser Kunststoffe gibt es bislang biotechnologische Recycling-Verfahren – außer einigen wenigen Publikationen, in denen das Problem nicht gelöst wird. Dies liegt an der chemischen Struktur dieser Polyolefine. Auch biotechnologisch würden im besten Fall nur neue Folgeprodukte entstehen, für die ein neuer Absatzmarkt gefunden werden muss. Es handelt sich dabei also um ,Upcycling‘.“

Förderung neuer Recyclingverfahren in Deutschland

„Ich kann nur spekulieren, warum es in Deutschland keine ,hohe Spezialisierung‘ gibt (laut dem Bericht; Anm. d. Red.). Wir haben eine sehr starke und grundsätzlich innovative chemische Industrie, die so etwas prinzipiell könnte – siehe auch Anstrengungen der Fraunhofer-Gesellschaft. Vermutlich werden hohe Investitionskosten, sehr hohe und teure Energiebedarfe und sehr geringe Margen eine Ursache dafür sein. Das zeigt sich auch in der Schließung der PET-Recyclinganlage von Veolia in Rostock [3].“

„Für bioenzymatisches Recycling ist – abgesehen von PET – noch sehr viel Forschungsleistung nötig. Es ist grundsätzlich nicht einfach, Investoren für Biotechnologie-Unternehmen zu gewinnen und auch hier dürften Verfahrensentwicklung und geringe (oder nicht gesicherte) Margen ein Problem sein.“

Ausgestaltung der Plastiksteuer

„Die Plastiksteuer sollte sich meiner Einschätzung nach an der Wirtschaftlichkeit der Recyclingverfahren und an der Einsparung von CO2-Emissionen orientieren, damit Unternehmen die notwendigen Investitionen in neue Technologien tätigen können und auch eine Planbarkeit bezüglich der zu erwartenden Margen haben. Die Plastiksteuer könnte auch eine ,Strafsteuer‘ sein, wenn neue Kunststoffe auf Basis von Erdöl oder Synthesegas und nicht auf der Basis von Rezyklaten oder nachwachsenden Rohstoffen hergestellt werden.“

Dr. Johannes Betz

Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich Ressourcen & Mobilität, Öko-Institut, Darmstadt

Bewertung des Berichts in Bezug auf Kunststoffe

„Der TAB-Bericht fasst die bestehenden Probleme und Lösungsansätze zur Steigerung des Einsatzes von Kunststoffrezyklaten gut zusammen. Aktuell ist das werkstoffliche Recycling im Vergleich zur Produktion mit Neuware wirtschaftlich nicht voll konkurrenzfähig. Insgesamt befindet sich das werkstoffliche Kunststoffrecycling in Deutschland derzeit in einer sehr großen Krise. Viele technische Möglichkeiten der Sortierung und des werkstofflichen Recyclings werden aufgrund fehlender Investitionssicherheit nicht flächendeckend umgesetzt. So sind die Produkte beispielsweise nicht recyclinggerecht designt, die Abfälle werden häufig noch gemischt statt getrennt gesammelt und die große Vielfalt der eingesetzten Kunststoffe sowie Zusatzstoffe in neuen Produkten erschweren das werkstoffliche Recycling zusätzlich.“

„Während das Angebot an hochwertigen Rezyklaten knapp ist, kommen Rezyklate mittlerer Qualität selbst unter günstigeren Marktbedingungen nur mit hohen Preisabschlägen auf den Markt, da es kaum Verpflichtungen zum Rezyklateinsatz und kaum Vorteile bei der Vermarktung von Produkten an Endkunden in diesem Segment gibt.“

Vorteile und Relevanz neuer Recyclingverfahren

„Technologien, die die Polymerketten auf molekularer Ebene aufbrechen, werden in der Regel unter dem Begriff ,chemisches Recycling‘ zusammengefasst. Im TAB-Bericht wird auch das bioenzymatische Recycling als weitere Verwertungsmethode genannt. Der Begriff ,chemisches Recycling‘ ist etwas irreführend, da es in Deutschland rechtlich noch nicht als Recycling anerkannt ist und sehr viele unterschiedliche Technologien umfasst. Darüber hinaus sind die dabei entstehenden Produkte häufig Brennstoffe oder andere Produkte als Kunststoffe, sodass nicht grundsätzlich eine Kreislaufführung erreicht wird. Im Folgenden wird daher von rohstofflichem Recycling gesprochen.“

„Die meisten Investitionen in diesem Bereich fließen in thermochemische Verfahren, wie die Pyrolyse von Kunststoffen. Dabei entstehen Öle oder Gase, die wiederum Erdölprodukte wie Naphtha ersetzen sollen. Das Ziel ist es, daraus Kunststoffe herzustellen, die in ihrer Qualität nicht von Neuware zu unterscheiden sind. Außerdem sollen Kunststoffabfälle verwertet werden, die für ein werkstoffliches Recycling nicht geeignet sind. Die genauen Anforderungen an die Kunststoffabfälle für die Pyrolyse im industriellen Maßstab sind jedoch noch zu evaluieren. Im Vergleich zum werkstofflichen Recycling ist das rohstoffliche Recycling mit einem deutlich höheren Energieaufwand und höheren Verlusten verbunden.“

„Es gibt Bereiche, in denen das rohstoffliche Recycling für eine zukünftige Kreislaufwirtschaft eine sinnvolle Ergänzung zum werkstofflichen Kunststoffrecycling sein könnte. Dies betrifft zum Beispiel Sortierreste von Abfällen für das werkstoffliche Recycling.“

„In vielen anderen Bereichen – zum Beispiel im Verpackungssektor – muss jedoch zunächst die Menge der nicht werkstofflich verwertbaren Abfälle drastisch reduziert werden, bevor über eine rohstoffliche Verwertung nachgedacht werden kann. Dies kann einerseits durch recyclinggerechtes Design und andererseits durch Anreize zur verstärkten Nutzung von Rezyklaten bei der Herstellung neuer Produkte geschehen. Der Anteil der Kunststoffabfälle, die heute nicht werkstofflich, sondern thermisch verwertet – also verbrannt – werden, ist nicht in Stein gemeißelt. Wenn die rechtlichen und wirtschaftlichen Bedingungen stimmen, gibt es noch viel Potenzial für das werkstoffliche Recycling.“

Förderung neuer Recyclingverfahren in Deutschland

„Von einer absoluten Gleichsetzung von werkstofflichem und rohstofflichem Recycling im Verpackungsgesetz ist abzuraten, weil sich dadurch die ökonomische Situation der Betreiber von werkstofflichem Recycling und damit der Anreiz dafür verschlechtern würde. Eine regulatorische Gleichsetzung könnte eher zu einer Verdrängung werkstofflicher Recyclingverfahren als zu einer Steigerung der Recyclingmengen beitragen.“

„Denkbar wäre die Einführung einer zusätzlichen Recyclingquote, die auch durch rohstoffliches Recycling erreicht werden kann. Die derzeitige Recyclingquote für Kunststoffverpackungen von 63 Prozent, die nur für mechanisches Recycling gilt und von den dualen Systemen erreicht wird, sollte beibehalten und nicht durch die Einbeziehung weiterer Verfahren verwässert werden.“

„Eine Förderung des rohstofflichen Recyclings durch die Festlegung einer spezifischen Recyclingquote könnte eine Möglichkeit sein, diese Technologie in Deutschland weiter zu etablieren. Darüber hinaus ist aber vor allem der Erhalt und Ausbau der bestehenden werkstofflichen Recyclingstrukturen wichtig, der vor allem durch gesetzliche Regelungen wie die Verpackungsverordnung auf europäischer Ebene gefördert werden kann.“

„Insbesondere die Rezyklat-Einsatzquoten der geplanten EU-Verpackungsverordnung stellen einen wichtigen Rettungsanker für die deutsche Kunststoffrecyclingindustrie dar und sollten dringend unterstützt werden. Einsatzquoten von Rezyklaten bei der Herstellung von Neuprodukten können zu einer wirtschaftlich tragfähigen Marktsituation für beide Technologiepfade beitragen.“

Ausgestaltung der Plastiksteuer

„Das Öko-Institut berät das BMUV und das UBA zum Thema des EU-Eigenmittels für nicht-recycelte Kunststoffverpackungen, der sogenannten Plastiksteuer. Daher können wir zu diesem Thema keine Stellungnahme abgeben. Für Details empfehlen wir den Zwischenbericht aus unserem Projekt, in dem die relevanten Lenkungswirkungen in Kapitel 4 diskutiert werden [4].“

Prof. Dr. Henning Wilts

Abteilungsleiter Circular Economy, Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie, Wuppertal

Bewertung des Berichts in Bezug auf Kunststoffe

„Der Bericht schildert eindrucksvoll die Herausforderungen, Stoffkreisläufe für Kunststoffe hochwertig zu schließen und den Rezyklatanteil in den kommenden Jahren deutlich zu erhöhen. Mindestrezyklatquoten wären hier ein wichtiges Instrument, da sie Anreize entlang der gesamten Wertschöpfungskette setzen: Plötzlich könnten sich beispielsweise auch Pfandsysteme als Geschäftsmodell rechnen, wenn sie anschließend den Zugriff auf störstofffreie Stoffströme erlauben.“

„Gleichzeitig sind die Kosten für die Erhöhung des Rezyklateinsatzes von Unternehmen zu Unternehmen sehr unterschiedlich: Anstatt starrer Quoten bräuchte es daher ein transparentes Handelssystem für Rezyklatzertifikate. Nach Berechnungen des Joint Research Centers der Europäischen Kommission konnten solche Ansätze die Kosten zur Erreichung der gesetzlich definierten Klimaschutzziele um 47 Prozent reduzieren [5]. Für die Steigerung des Rezyklatanteils bei Kunststoffen erscheinen ähnliche Kosteneinsparpotenziale nicht unrealistisch.“

Vorteile und Relevanz neuer Recyclingverfahren

„Das chemische Recycling kann für verschiedene Kunststoffabfallfraktionen eine sinnvolle Ergänzung zum mechanischen Recycling darstellen. Ökobilanziell schneidet es in der Regel besser ab als die thermische Verwertung, der heute noch viele solcher Abfälle zugeführt werden. Das zentrale Risiko liegt in den Anreizstrukturen: Wieso sollte ein Hersteller weiter in die Optimierung der mechanischen Recyclingfähigkeit seiner Produkte investieren, wenn er beispielsweise eine Verpackung zukünftig auch chemisch recyceln lassen könnte?“

„Notwendig wäre daher weniger eine Grundsatzdebatte um das Ob des chemischen Recyclings: Wenn solche Anlagen nicht in Deutschland gebaut werden, dann entstehen sie – außerhalb der Zuständigkeit deutscher Umweltbehörden – im Ausland. Es braucht vielmehr ein Steuerungssystem, das den Einsatz auf die Abfallfraktionen begrenzt, bei denen es ökologisch tatsächlich sinnvoll ist. Eine Gleichsetzung der Verfahren im Verpackungsgesetz erscheint dagegen weder ökologisch noch ökonomisch sinnvoll.“

Ausgestaltung der Plastiksteuer

„Die Umlage der sogenannten Plastiksteuer auf die Unternehmen ist ein notwendiger Schritt, wenn ein solches Instrument nicht nur als Finanzierungsinstrument der öffentlichen Hand dienen soll, sondern ein faktisches Marktversagen adressieren soll. Dieses führt aktuell speziell im Verpackungsbereich zum übermäßigen Einsatz von Plastik bei niedriger Recyclingfähigkeit. Die ökologischen Kosten werden auf die Allgemeinheit abgewälzt. Gleichzeitig sollte bei der Ausgestaltung jedoch darauf geachtet werden, dass nicht nur das Recycling gefördert wird, sondern auch die Vermeidung. Daher sollte sich die Steuer auf die Inverkehrbringung von Kunststoffprodukten beziehen, nicht auf die Entsorgung. Gleichzeitig sind ökologische Vorteile nur dann zu erwarten, wenn keine Ausweichbewegungen auf Substitutionsmaterialien ausgelöst werden, die ökobilanziell kein Stück besser sind als Plastik.“

Prof. Dr. Regina Palkovits

Professorin für Heterogene Katalyse und Technische Chemie, Institut für Technische und Makromolekulare Chemie, Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen (RWTH)

Bewertung des Berichts in Bezug auf Kunststoffe

„Der Bericht nennt niedrige Preise für Primärrohstoffe, die häufig mindere Qualität von Rezyklaten, hohe regulatorische Anforderungen für den Einsatz von Rezyklaten und die kostengünstige thermische Verwertung als zentrale Hemmnisse bei der Steigerung des Rezyklat-Einsatzes für Kunststoffe. Diese Kombination hemmt Innovation und Investitionen im Recyclingsektor. Hier müssen die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für Recyclingtechnologien verbessert werden, beispielsweise durch Maßnahmen, die zu einer Verteuerung von primären Kunststoffen führen.“

„Für einen nennenswerten Anteil der Kunststoffabfälle existieren bislang noch keine tragfähigen technologischen Recyclingkonzepte. Technologische Recyclingherausforderungen ergeben sich aus der Heterogenität und Komplexität der Kunststoffabfälle. Die Reduzierung der Materialvielfalt von Verpackungsmaterialien sowie die Optimierung der Sortiertechnik werden aufgeführt, um sortenreinere Abfallströme für das Recycling zu erhalten. Insbesondere komplexe Verbundstoffe können von bisherigen Recyclingverfahren noch nicht stofflich verwertet werden. Für sie gelten perspektivisch das chemische und das bioenzymatische Recycling als vielversprechend.“

„Im Bereich chemisches Recycling werden im Bericht thermochemische und lösungsmittelbasierte Verfahren aufgeführt. Ergänzend dazu kann das katalytische Recycling genannt werden, das Gegenstand aktueller Forschung ist. Katalytische Verfahren ermöglichen hinsichtlich Selektivität und Energiebedarf eine besondere Effizienz.“

Vorteile und Relevanz neuer Recyclingverfahren

„Das werkstoffliche Recycling erfordert sortenreine und möglichst saubere Kunststofffraktionen. Es ist daher für einen nennenswerten Anteil der Kunststoffreststoffströme ungeeignet. Diese Reststoffe werden nach heutigem Stand der Technik überwiegend energetisch verwertet. Chemisches und bioenzymatisches Recycling bieten die Chance, auch komplexe und verunreinigte Kunststoffabfälle stofflich zu verwerten. Somit können sie die bei der Herstellung der Kunststoffe investierte Syntheseleistung bestmöglich erhalten. Chemisches und bioenzymatisches Recycling sind daher vielversprechend für eine hohe Ressourceneffizienz. Zudem ermöglichen sie es, Additive, Verunreinigungen und Schadstoffe zu entfernen. Sie liefern Rezyklate mit Eigenschaften und Qualität von Primärkunststoffen, was für die Steigerung des Rezyklat-Einsatzes von zentraler Bedeutung ist.“

„Da mit chemischem oder bioenzymatischem Recycling Kunststoffabfälle in chemische Bausteine zerlegt werden, die neben der Produktion von neuen Kunststoffen ebenfalls in anderen chemischen Herstellungsverfahren eingesetzt werden können, ermöglichen sie eine flexible Verschaltung verschiedener Wertschöpfungsketten zu einer flexiblen, mehrdimensionalen Kreislaufwirtschaft. Dies kann die Wirtschaftlichkeit der Nutzung der Rezyklate steigern.“

Entwicklungsstand von chemischem und bioenzymatischem Recycling

„Zu den chemischen Recyclingverfahren zählen Pyrolyse, Vergasung, Verflüssigung und flüssigkeitsbasierte Verfahren. Die Pyrolyse ist technologisch am weitesten ausgereift und findet bereits industriell Anwendung. Vergasung und Verflüssigung sind bislang weniger ausgereift und in der aktuellen Marktsituation nicht wirtschaftlich. Insbesondere bei heterogenen Reststoffströmen resultieren aus den chemischen Recyclingverfahren komplexe Produktgemische, die eine sehr aufwändige und energieintensive Produktaufreinigung erfordern. Diese macht die Prozesse unwirtschaftlich.“

„Lösungsmittelbasierte Verfahren ebenso wie bioenzymatische Verfahren sind bislang kaum kommerzialisiert. Ihre technologische Machbarkeit konnte zwar bereits für einzelne reine Kunststoffarten demonstriert werden, allerdings ist ihr Einsatz mit hohen Kosten verbunden. Besonders der mit der Produktaufreinigung verbundene Energieverbrauch stellt auch hier eine zentrale Herausforderung für die Gesamtökobilanz und die Wirtschaftlichkeit dar.“

„Die Entwicklung neuer Verfahren, die sowohl die eigentliche Reaktion als auch die Produktaufreinigung – gegebenenfalls in einem integrierten Ansatz – in den Fokus setzen, erscheinen hier sinnvoll.“

Förderung neuer Recyclingverfahren in Deutschland

„Aktuell ist nach Paragraf 16.2 des Verpackungsgesetzes [6] zum Erreichen der stofflichen Verwertungsquoten nur das werkstoffliche Recycling zugelassen. Die Gleichsetzung des chemischen und bioenzymatischen Recyclings mit dem werkstofflichen Recycling in diesem Sinne würde das Interesse an diesen Technologien und ihrer Technologiereifung wahrscheinlich erhöhen. Auch die Verknüpfung von Wertschöpfungspfaden stellt hier einen wichtigen Aspekt für die Wirtschaftlichkeit von Technologien dar. Letztlich ist es entscheidend, dass stoffliche Ressourcen durch Recycling mit möglichst geringem Energiebedarf einer weiteren wertschöpfenden Nutzung zugeführt werden.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Prof. Dr. Uwe Bornscheuer: „Ich möchte darauf hinweisen, dass ich seit 2019 Mitglied des Scientific Advisory Boards des Unternehmens Carbios, Frankreich, bin.“

Dr. Johannes Betz: „Das Öko-Institut berät das BMUV und das UBA zum Thema des EU-Eigenmittels für nicht-recycelte Kunststoffverpackungen, der sogenannten Plastiksteuer.“

Prof. Dr. Henning Wilts: „Ich kenne die GutachterInnen des TAB-Berichts.“

Prof. Dr. Regina Palkovits: „Die Autorin forscht im Themenfeld des katalytischen Recyclings und arbeitet mit anderen WissenschaftlerInnen aus den Themenfeldern Recycling mittels Pyrolyse, chemisches und enzymatisches Recycling zusammen.“

Primärquelle

Kehl C et al. (2024): Strategien und Instrumente zur Verbesserung des Rezyklateinsatzes Mit Fallstudien zu Kunststoffverpackungen, Elektrogeräten sowie Baustoffen. Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB).

Weiterführende Recherchequellen

Science Media Center (2023): Problemfelder Plastik. Living Fact Sheet. Stand: 18.01.2024.

Science Media Center (2022): Kunststoffrecycling in Deutschland und der EU: Probleme und Lösungen. Fact Sheet. Stand: 24.11.2022.

Literaturstellen, die von den Expertinnen und Experten zitiert wurden

[1] Carbios (01.06.2023): Carbios and Indorama Ventures reaffirm partnership to build first-of-a-kind PET biorecycling plant in France.

[2] Branson Y et al. (2023): Urethanases for the Enzymatic Hydrolysis of Low Molecular Weight Carbamates and the Recycling of Polyurethanes. Angewandte Chemie International Edition. DOI: 10.1002/anie.202216220.

[3] Veolia (11.05.2023): Veolia PET Germany schließt den Standort Rostock zum 31.12.2023.

[4] Betz J et al. (2023): Untersuchung ökonomischer Instrumente auf Basis des EU-Eigenmittels für nicht recycelte Kunststoffverpackungsabfälle. Umweltbundesamt.

[5] Cludius J et al. (2019): Cost-efficiency of the EU Emissions Trading System. Economics of Energy & Environmental Policy. DOI: 10.5547/2160-5890.8.1jclu.

[6] Bundesjustizministerium: Gesetz über das Inverkehrbringen, die Rücknahme und die hochwertige Verwertung von Verpackungen.
Das deutsche Verpackungsgesetz.

Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden

[I] Europäischer Rat (04.03.2024): Packaging: Council and Parliament strike a deal to make packaging more sustainable and reduce packaging waste in the EU.
Am 4. März 2024 erreichten EU-Rat, Kommission und Parlament eine Einigung über die Verpackungsverordnung, die unter anderem vorschreibt, dass bis 2030 alle Verpackungen recycelbar sein sollen und Vorgaben für den Rezyklateinsatz in verschiedenen Verpackungstypen macht.

[II] Science Media Center (2022): EU-Vorschläge für Recycling, Bioplastik und weniger Müll. Rapid Reaction. Stand: 01.12.2022.
SMC-Aussendung zum ursprünglichen Kommissionsvorschlag für die EU-Verpackungsverordnung.