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27.08.2021

Einfluss von Infektionen in der Schwangerschaft auf Nachkommen

Infektionen in der Schwangerschaft könnten direkt das Erbgut der Nachkommen verändern und sich langfristig auf die Immunantwort auswirken. Das legen Ergebnisse einer Studie am Mausmodell von US-amerikanischen Forschenden nahe, die am 27.08.2021 im Fachjournal „Science” veröffentlicht worden sind (siehe Primärquelle).

Für ihre Untersuchung infizierten die Forschenden in einem Mausmodell trächtige Mäuse mit einem Stamm des häufig durch Lebensmittel übertragenen Krankheitserregers Yersinia pseudotuberculosis. Die Infektion, die auf die Muttertiere beschränkt war, überstanden die Mäuse unkompliziert. Die Forschenden konnten bei ihnen aber erhöhte Zytokinwerte von Interleukin-6 (IL-6) im Blut nachweisen. Zytokine sind körpereigene Stoffe, die für Entzündungsreaktionen verantwortlich sind.

Bei den Nachkommen der Muttertiere führten die erhöhten Zytokinwerte zu epigenetischen Veränderungen im Erbgut von Stammzellen der Darmschleimhaut, wodurch die „Zugänglichkeit” von Genen nachhaltig verändert wird. In diesem Fall kam es zu einer höheren Ableserate einzelner Gene, die die Immunantwort im Darm gestalten. Als Folge reicherten sich T-Helfer 17 (TH17)-Zellen im Dünndarm der erwachsenen Nachkommen an. Kontrollexperimente konnten einen direkten Zusammenhang zwischen den mütterlichen IL-6-Werten und der erhöhten Zahl von TH17-Zellen im Darm des Nachwuchses belegen. Die erhöhte Konzentration von TH17-Zellen führte den Forschenden zufolge zu einer verbesserten Immunität der Nachkommen gegen bestimmte Krankheitserreger. Gleichzeitig waren die neugeborenen Mäuse aber auch anfälliger für Darmentzündungen. Die Autorinnen und Autoren diskutieren, dass diese Ergebnisse womöglich auch erklären können, wie Anfälligkeiten für Asthma oder Allergien entstehen könnten.

Das SMC hat Fachleute darum gebeten, diese Studie einzuschätzen und zu bewerten, inwiefern die Daten dazu beitragen, den Einfluss von Erkrankungen während der Schwangerschaft auf das ungeborene Kind zu verstehen.

Übersicht

     

  • Prof. Dr. Torsten Plösch, Leiter der Forschungsgruppe Experimentelle Perinatologie, Universitätsmedizin Groningen, und Laborleiter an der Abteilung für Kinder- und Jugendmedizin der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
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  • Priv. Doz. Dr. Christian Gille, Leiter des Labors für Neonatale Immunologie der Abteilung für Neonatologie, Universitätsklinikum Tübingen
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Statements

Prof. Dr. Torsten Plösch

Leiter der Forschungsgruppe Experimentelle Perinatologie, Universitätsmedizin Groningen, und Laborleiter an der Abteilung für Kinder- und Jugendmedizin der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg

„Es ist seit Langem bekannt, dass Umwelteinflüsse in der Schwangerschaft Langzeitfolgen für das Kind haben können. Das gilt auch für Infektionen der Mutter in der Schwangerschaft, selbst wenn diese mild und ohne direkte, akute Schädigungen des Kindes erfolgen. Wir gehen davon aus, dass eine Infektion der Mutter und deren Bekämpfung auch das Immunsystem des Kindes beeinflusst. Dies wird als MIA bezeichnet: Maternale Immun-Aktivierung.“

„Dabei werden zurzeit zwei hauptsächliche Signalwege diskutiert: Zum einen führt eine Infektion der Mutter, die auf diese beschränkt bleibt, zur Ausschüttung von Zytokinen, also Botenstoffen, die das Immunsystem beeinflussen. Diese können dann auch das fetale Immunsystem beeinflussen. Dies wird hauptsächlich hier untersucht. Zum anderen werden aber auch Transportprozesse in der Plazenta beeinflusst, die dann indirekt über Veränderungen der Nährstoffzufuhr einen Einfluss auf die Entwicklung des Kindes haben. Diese Folgen lassen sich viel schwieriger genau erfassen.“

„Die meisten Daten zu MIA beziehen wir aus Tiermodellen, in denen man entweder virale oder bakterielle Infektionen in der Schwangerschaft gezielt simuliert. Als Folge sieht man bei den Nachkommen häufig sehr unterschiedliche Auswirkungen, zum Beispiel einen erhöhten Blutdruck oder Veränderungen im Stoffwechsel. Auffällig häufig findet man Verhaltensunterschiede bei den Nachkommen, die mit Veränderungen im Gehirn einhergehen.“

„Insofern sollte man die in der Studie gefundenen Veränderungen im Immunsystem nicht isoliert betrachten, sondern im Kontext mit anderen bekannten Folgen. Es ist also sicherlich zu früh für eine Beurteilung, ob eine Infektion in der Schwangerschaft auf lange Sicht eher positiv oder negativ für das Kind zu beurteilen ist.“

„Diese Studie unterscheidet sich in zweierlei Hinsicht von ähnlichen Tierstudien. Erstens werden diese oft nicht mit einem echten Erreger durchgeführt, sondern die Infektion wird simuliert – zum Beispiel durch isolierte Oberflächenmoleküle von Bakterien oder durch doppelsträngige RNA-Moleküle, die dann eine antivirale Antwort auslösen. Das ist in dieser Studie anders, sie wurde zum größtenteils mit einem echten, realen bakteriellen Erreger durchgeführt und teilweise mit einem zweiten kontrolliert. Zweitens wurden verhältnismäßig viele Parameter untersucht, andere Studien richten sich oft nur auf ein bestimmtes Kriterium. Insofern kann man sagen, dass es eine sehr solide, gut untermauerte Studie ist.“

„Es bleibt aber das Problem, dass es sich eben um einen Tierversuch handelt und sicherlich nicht alle Ergebnisse eins zu eins auf den Menschen übertragen werden können – schon weil eine Infektion während einer 20-tägigen Mäuseschwangerschaft ein stärkeres Gewicht hat als während einer langen menschlichen Schwangerschaft.“

Priv. Doz. Dr. Christian Gille

Leiter des Labors für Neonatale Immunologie der Abteilung für Neonatologie, Universitätsklinikum Tübingen

„Das Konzept des ,fetal programming‘, der Prägung von Körperfunktionen während der Fetalzeit, die sich auf Reaktionsweisen des Körpers im späteren Leben auswirken, gibt es seit geraumer Zeit. Insbesondere die Prägung des Stoffwechsels, zum Beispiel bei Mangelversorgung durch eine Unterfunktion des Mutterkuchens, ist gut untersucht und zeigt, dass daraus Probleme wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Übergewicht (Metabolisches Syndrom) im späteren Leben entstehen können.“

„Auch Effekte von Infektionen der Mutter während der Schwangerschaft auf das ungeborene (nicht infizierte) Kind sind vielfältig bekannt. Auf klinischer Ebene wurde schon lange bei frühgeborenen Kindern von in der Schwangerschaft subklinisch (leicht verlaufende Infektion; Anm. d. Red.) infizierten Müttern festgestellt, dass ein erhöhtes Risiko besteht für Organschädigungen und -entwicklungsstörungen wie der durch maternale Infektionen vermittelten Periventrikulären Leukomalazie (PVL) im Gehirn (Schädigung der weißen Substanz) oder der Bronchopulmonalen Dysplasie (BPD) der Lunge (chronische Atemwegserkrankung) und der Nekrotisierenden Enterokoloitis (NEC, schwere Entzündung der Darmwand). Aktuelle experimentelle Daten aus dem Mausmodell zeigen – passend zu den klinischen Beobachtungen zur PVL –, dass eine maternale Immunaktivierung zu einer Aktivierung der zellulären Stressreaktion und verminderter Proteinsynthese im fetalen Kortex (Großhirnrinde) führt und im Weiteren zu Verhaltensauffälligkeiten der Tiere [1]. Lim et al. zeigen nun, dass sich maternale Infektionen auf die Aktivierung von Darmepithelzellen auswirken. Es resultierte eine verbesserte Infektabwehr bei gleichzeitig erhöhter Anfälligkeit für inflammatorische Erkrankungen des Darms – passend zu den klinischen Beobachtungen zur NEC.“

„Insoweit sind die hier präsentierten Daten außergewöhnlich, da die Auswirkungen maternaler Infektionen bisher fast ausschließlich als negativ dargestellt werden konnten. Die experimentellen Daten lassen aber keine fundierten Rückschlüsse für Empfehlungen für Schwangere zu.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Alle: Keine Angaben erhalten.

Primärquelle

Lim AI et al. (2021): Prenatal maternal infection promotes tissue-specific immunity and inflammation in offspring. Science. DOI: 10.1126/science.abf3002.

Literaturstellen, die von den Experten zitiert wurden

[1] Kalish BT et al. (2020): Maternal immune activation in mice disrupts proteostasis in the fetal brain. Nature Neuroscience. 24: 204-213. DOI: 10.1038/s41593-020-00762-9.