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14.09.2023

Ecstasy-Wirkstoff unterstützt die Behandlung von Posttraumatischer Belastungsstörung

     

  • Zulassungsstudie bestätigt die Wirkung von MDMA bei der Behandlung von Posttraumatischer Belastungsstörung
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  • Therapieerfolg auch bei diverser Gruppe von Patientinnen und Patienten
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  • Experten begrüßen die positiven und bestätigenden Ergebnisse in einer diverseren Patientenkohorte
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Die psychotherapeutische Behandlung einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) ist wirkungsvoller, wenn sie durch die Einnahme von MDMA unterstützt wird. Diese Erkenntnis wurde erneut in einer Phase-3-Studie bestätigt, die auch Personen einschloss, die in klinischen Studien häufig unterrepräsentiert sind. Die Studie ist am 14.09.2023 im Fachmagazin „Nature Medicine“ veröffentlicht worden (siehe Primärquelle).

MDMA (3,4-Methylendioxy-N-methylamphetamin) ist der ursprüngliche Wirkstoff der Freizeitdroge Ecstasy, der auf das Serotonin-System des Gehirns wirkt. Die Droge fördert unter anderem prosoziales Verhalten. Bereits 2021 publizierte das Forschungsteam um Jennifer Mitchell aus San Francisco die Ergebnisse seiner ersten Phase-3-Studie zur Effektivität einer MDMA-unterstützen Psychotherapie bei PTBS [I]. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer erhielten dabei über 18 Wochen hinweg mehrere psychotherapeutische Sitzungen. Diese wurden drei Mal entweder mit MDMA oder einem Placebo unterstützt. Die Therapieform war im Allgemeinen gut verträglich und konnte die Schwere der PTBS-Symptome und funktionelle Beeinträchtigungen verringern.

Häufig sind in klinischen Studien Personengruppen unterrepräsentiert, die ein höheres Risiko haben, eine PTBS zu entwickeln. Dazu zählen zum Beispiel Transgender-Personen, ethnischen Minderheiten, Rettungskräfte, Militärangehörige, Veteranen oder Opfer von chronischem sexuellem Missbrauch. Die Bestätigungsstudie, welche die US-amerikanischen Forschenden nun publizieren, umfasst eine ethnisch vielfältige Population mit mittelschwerer bis schwerer PTBS. Der Ablauf des Experiments ist vergleichbar mit dem der Vorgängerstudie aus 2021. Die MDMA-unterstützte Therapie reduzierte die PTBS-Symptome im Vergleich zur Therapie mit Placebo. Am Ende der Studie erfüllten 71 Prozent der Probanden in der MDMA-unterstützten Therapiegruppe die diagnostischen Kriterien für PTBS nicht mehr, gegenüber 48 Prozent der Probanden in der Placebo-Gruppe.

Die Autorinnen und Autoren weisen darauf hin, dass die Ergebnisse der beiden Zulassungsstudien eine sehr gute Wirksamkeit für den akuten Behandlungsverlauf liefern. Allerdings könnten noch keine Aussagen über einen langfristigen Erfolg der Therapieform getroffen werden.

In den nachfolgenden Statements schätzen drei Experten die Studienergebnisse ein und erläutern, inwiefern MDMA-unterstützte Therapieansätze bereits angewendet werden und welche Erfahrungen damit gemacht wurden.

Übersicht

     

  • Prof. Dr. Matthias Liechti, Stellvertretender Chefarzt der klinischen Pharmakologie und Toxikologie, Universitätsspital Basel, und Professor für Klinische Pharmakologie, Medizinische Fakultät, Universität Basel, Schweiz
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  • Prof. Dr. Gregor Hasler, Ordinarius für Psychiatrie und Psychotherapie, Universität Freiburg, Schweiz
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  • Prof. Dr. Gerhard Gründer, Leiter der Abteilung Molekulares Neuroimaging, Zentralinstitut für seelische Gesundheit Mannheim
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Statements

Prof. Dr. Matthias Liechti

Stellvertretender Chefarzt der klinischen Pharmakologie und Toxikologie, Universitätsspital Basel, und Professor für Klinische Pharmakologie, Medizinische Fakultät, Universität Basel, Schweiz

Relevanz der Ergebnisse

„Die Daten bestätigen jene der ersten Phase-3-Studie mit MDMA bei damals noch homogenerem Patientenkollektiv in einer erweiterten Population. Zusammenfassend liegen damit potenziell genügend Daten von Patienten für eine Zulassung vor. Denkbar ist, dass noch weitere Untersuchungen zur Pharmakologie von MDMA zum Beispiel bei speziellen Populationen notwendig sind – vor oder auch erst nach einer Markzulassung basierend auf den vorliegenden Untersuchungen. Es ist also ein wichtiger Meilenstein erreicht, indem die beiden Zulassungsstudien für MDMA zu Posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS) nun beendet und publiziert sind. Das heißt noch nicht, dass damit MDMA für Patienten gleich verfügbar wird. Dazu braucht es noch die Zulassung in den Regionen und den Markzugang. Es ist aber ein Meilenstein in der Geschichte dieser Substanz. MDMA wurde – nachdem es therapeutisch bereits in den 1960er und 70er Jahren verwendet wurde – in den 1990er Jahren als problematische Freizeitdroge betrachtet und findet nun möglicherweise den Weg zurück in eine offizielle therapeutische Anwendung. Die Daten zeigen eine Wirksamkeit, welche im indirekten Vergleich mit anderen bisher verfügbaren Behandlungen – Antidepressiva und Expositionstherapie – aufgrund der Effektgröße klar besser erscheint. Noch offen ist – wie bei vielen neuen Behandlungsformen – ob sich diese Wirksamkeit auch in einer breiteren Anwendungspraxis bei vielen Patienten bestätigen lässt.“

Langzeitwirkung

„Eine Therapieantwort zwei Monate nach der letzten MDMA-Gabe ist relevant. Die Behandlung ist damit weit über die Gegenwart der Substanz im Körper hinaus effektiv. Allerdings ist es möglich, dass sich der Zustand im weiteren Verlauf wieder verschlechtern kann und weitere Behandlungen nötig werden. Darauf weisen Praxisdaten aus der beschränkten medizinischen Anwendung von MDMA in der Schweiz hin, wo in der Regel mehrere Behandlungen über einen längeren Zeitraum erfolgen.“

Therapeutischer Einsatz weltweit

„MDMA wird in der Schweiz mittels Ausnahmebewilligungen des Bundesamtes für Gesundheit seit acht Jahren außerhalb medizinischer Studien bereits eingesetzt. Diese Behandlung ist aber stark reguliert und auf Patienten beschränkt, die nicht ausreichend auf die üblichen Therapien ansprechen. Zudem muss für jede Behandlung eine Bewilligung durch einen Arzt eingeholte werden und es muss ein Bericht über den Verlauf erstellt werden. In Australien wurde zudem MDMA für PTBS im Jahr 2023 neu im Betäubungsmittelrecht reguliert und ist damit für diese spezifische Anwendung nicht mehr verboten. Allerdings wird auch dort die Anwendung stark reguliert und bisher wurden noch keine Patienten behandelt.“

Mögliches Suchtpotenzial

„Ein nichtregulierter Konsum von MDMA kann unabhängig von einer Zulassung auftreten und kommt bereits seit Jahren vor. Es wird davon ausgegangen, dass Patienten sich bei fehlendem reguliertem medizinischem Zugang zu MDMA diese Substanz auch zwecks Selbstbehandlung beschaffen könnten. Dies kann nur durch das Angebot von medizinischem MDMA innerhalb von medizinischen Studien, qualitätskontrollierten Anwendungsprogrammen (,compassionate use‘) oder mittels einer Zulassung potenziell verhindert oder vermindert werden.“

Prof. Dr. Gregor Hasler

Ordinarius für Psychiatrie und Psychotherapie, Universität Freiburg, Schweiz

Relevanz der Ergebnisse

„Die neue, randomisierte und Placebo-kontrollierte Studie mit einer Stichprobe von 104 Personen ist eine wichtige Bestätigung der Wirksamkeit von MDMA-unterstützter Psychotherapie bei Posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS).“

„Neu an dieser Studie ist die große Vielfalt der Teilnehmenden, was ein wichtiges Argument für die breite Anwendbarkeit der Therapie ist. Zu den Teilnehmenden gehörten Personen mit schweren Formen von PTBS, mit neurologischen Symptomen und mit zusätzlichen Cannabis- und Alkohol-Problemen. Auch ethnische Minderheiten wurden besser untersucht als in früheren Studien: 33 Prozent der Teilnehmenden waren Hispanoamerikaner und 8 Prozent Afroamerikaner.“

„Die Studie bestätigte die gute Wirksamkeit und Verträglichkeit von MDMA-unterstützter Psychotherapie unabhängig vom Schweregrad und der ethnischen Zugehörigkeit der Betroffenen. Am Studienende hatten 87 Prozent der Teilnehmenden eine bedeutsame klinische Verbesserung und 71 Prozent hatten keine PTBS-Diagnose mehr. Nebenwirkungen waren mild und vorübergehend.“

Langzeitwirkung

„Da PTSD allgemein keine wiederkehrende Krankheit ist, sind zwei Monate recht gut. Dies ist länger als bei einer typischen Antidepressiva-Studie. Sicher wäre es spannend, die Teilnehmenden nach einem Jahr wieder zu befragen. Die wissenschaftliche Aussage einer solchen Nachbefragung ist aber eher gering, weil die Personen andere Therapien in Anspruch nahmen und neue Stressoren eintraten. Es ist einfach nicht möglich, über längere Zeit alle Faktoren vergleichbar zu halten.“

Therapeutischer Einsatz weltweit

„Bis jetzt konnte MDMA nur in der Schweiz als Medikament außerhalb von Studien in sehr begrenztem Rahmen angewendet werden, und neuerdings auch in Australien. MDMA gilt als ein Betäubungsmittel und der Verkauf und oft auch der Konsum sind in vielen Ländern kriminalisiert.“

Mögliches Suchtpotenzial

„Ob Patienten nach der Therapie privat MDMA konsumieren könnten, hängt von der Auswahl der Patienten ab. Wenn man Patienten nimmt, die gar keine Drogenerfahrung haben und gar keine Suchtprobleme, ist die Gefahr äußerst gering.“

„Ferner ist es ziemlich schwierig, MDMA auf dem Schwarzmarkt zu erhalten. Was unter dem Namen ,Ecstasy‘ läuft sind eher Amphetamine mit wenig MDMA. Deshalb tanzen die Konsumenten häufig. Bei MDMA liegen die Patienten und haben meistens keine Lust, sich zu bewegen. Auch Personen, die auf Partys schon Ecstasy einnahmen, bestätigen, dass das therapeutische MDMA deutlich verschieden ist. Allgemein gilt, dass man, wenn man immer mehr Personen mit Suchtproblemen einschließt, genau prüfen muss, ob das Suchtverhalten zunimmt oder abnimmt. Eine Abhängigkeit von MDMA ist pharmakologisch möglich – nicht so bei LSD und Psilcoybin, die in dieser Hinsicht sicherer sind.“

Prof. Dr. Gerhard Gründer

Leiter der Abteilung Molekulares Neuroimaging, Zentralinstitut für seelische Gesundheit Mannheim

Relevanz der Ergebnisse

„Die aktuelle Studie bestätigt die Ergebnisse früherer Studien zur Prüfung der Wirksamkeit und Sicherheit von MDMA bei Posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS), insbesondere die Ergebnisse des gleichen Autorenkonsortiums, die 2021 in ‚Nature Medicine‘ publiziert wurden [I]. Die dreimalige Gabe von MDMA über einen Zeitraum von etwa drei Monaten ist bei PTBS – eingebettet in einen psychotherapeutischen Kontext – eine Therapie, die deutlich wirksamer ist als ein Placebo, das in einem gleichen therapeutischen Kontext verabreicht wird.“

Therapeutischer Einsatz weltweit

„Bei der vorliegenden Datenlage ist damit zu rechnen, dass die amerikanische Arzneimittelbehörde MDMA für PTBS in 2024 zulassen wird. Wegen der fehlenden Finanzierung hat die Multidisciplinary Association for Psychedelic Studies (MAPS; eine amerikanische gemeinnützige Organisation, die daran arbeitet, das Bewusstsein und Verständnis für psychedelische Substanzen zu schärfen; Anm. d. Red.) leider ihr Studienprogramm in Europa zunächst gestoppt. Bis zur Verfügbarkeit dieser Therapieform in Europa wird es daher wohl noch Jahre dauern.“

Offene Fragen

„Offene Fragen sind die Dauerhaftigkeit des Therapieeffektes – dafür wären längere Beobachtungszeiträume notwendig– und der Vergleich mit dem derzeitigen Goldstandard, der traumafokussierten Psychotherapie.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Prof. Dr. Matthias Liechti: „Ich bin Berater von Mind Medicine.”

Prof. Dr. Gregor Hasler: „Ich habe keine Interessenkonflikte in Bezug auf die Inhalte der Studie.“

Prof. Dr. Gerhard Gründer: „Ich bin Gründer und Geschäftsführer der OVID Health Systems GmbH, Berlin, einer Gesellschaft, die psychedelisch unterstützte Psychotherapien entwickelt.“

Primärquellen

Mitchell JM et al. (2023): MDMA-assisted therapy for moderate to severe PTSD: a randomized, placebo-controlled phase 3 trial. Nature Medicine. DOI: 10.1038/s41591-023-02565-4.

Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden

[I] Mitchell JM et al. (2021): MDMA-assisted therapy for severe PTSD: a randomized, double-blind, placebo-controlled phase 3 study. Nature Medicine. DOI: 10.1038/s41591-021-01336-3.