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09.11.2023

Chimärer Affe geboren

     

  • Forschende aus China präsentieren erste Lebendgeburt eines chimären Affen
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  • dieser entwickelte sich aus einem Embryo, dem weitere Stammzellen eines anderen Affen hinzugefügt wurden
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  • unabhängige Experten betonen den großen Fortschritt für die Stammzellforschung, aber auch den weiteren Forschungsbedarf
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Chinesischen Forschenden ist nach eigenen Angaben erstmals der formale Nachweis gelungen, chimäre Affenembryonen erzeugt zu haben, die aus einem Gemisch von naiven pluripotenten Stammzellen und embryonalen Zellen von Javaneraffen entstanden sind. Dabei kam es zumindest zu einer Lebendgeburt. Die Ergebnisse sind am 09.11.2023 im Fachjournal „Cell“ publiziert worden (siehe Primärquelle). Bei diesem Forschungsansatz handelt es sich derzeit noch nicht um die Erschaffung eines kompletten Mischwesen aus zwei unterschiedlichen Arten, die entstehenden Primaten sollen vielmehr eine Art zelluläres Mosaik bilden, bei dem ein Großteil der Körperzellen aus naiven Stammzellen eines zweiten Individuums stammen. Laut den Forschenden sollen chimäre Affen, wenn die Erfolgsrate der Methode erhöht werden kann, künftig helfen, bestimmte Krankheiten besser zu studieren. Das kann zum Beispiel dadurch geschehen, dass in Stammzellen mit Methoden der Genomeditierung genetische Mutationen erzeugt werden, die durch Einbringen in frühe Embryonen im entstehenden Affen dann molekular charakterisiert werden können.

Die in der Arbeit präsentierten Chimären entstanden durch das Zusammenbringen eines männlichen Affenembryo in einer sehr frühen Entwicklungsphase – das sogenannte Morula- oder 16-Zell-Stadium – mit embryonalen Stammzellen einer zuvor etablierten naiven Stammzelllinie aus einem Spendertier, die in die Blastozysten eingebracht wurden. Dieses Zellgebilde entwickelte sich anschließend weiter, indem die Stammzellen mit den Zellen der vorhandenen Morula gemeinsam die weiteren Entwicklungsstadien des Embryos anstießen und so alle Zell- und Gewebeschichten eine Mischung der ursprünglichen und hinzugefügten Stammzellen sind.

Ein Erfolg der Arbeit besteht darin, dass die Forschenden durch das Ausprobieren mehrerer Kultivierungsmethoden der embryonalen Stammzellen eine Methode identifizierten, wodurch naive Stammzellen die Fähigkeit erwerben, mit anderen embryonalen Zellen der Morula zu interagieren und einen Organismus hervorzubringen.

Vor der Chimärenbildung veränderten die Forschenden die embryonalen Stammzellen mit einem Marker genetisch, sodass sie ein grün fluoreszierendes Protein (GFP) exprimierten. So konnten die Forschenden bei der nachfolgenden Entwicklung der chimären Embryonen und später auch Föten und Affenbabys zunächst nachvollziehen, wie viele der untersuchten Körperzellen das genetische Material der hinzugefügten naiven embryonalen Stammzellen enthielten.

Der Erfolgsrate der Methode ist derzeit noch stark begrenzt. Von ursprünglich 206 komplementierten Primatenembryonen war bei lediglich 74 Blastozysten ein klares GFP-Signal nachweisbar. Diese wurden in 40 Affenweibchen eingepflanzt, dabei entstanden zwölf Schwangerschaften. Sechs dieser Föten wurden lebend geboren, sechs verstarben vor der Geburt. Die detaillierte zellbiologische Auswertung ergab, dass ein Fötus, der eine Fehlgeburt erlitten hatte, sowie eine Lebendgeburt chimäre Eigenschaften aufwiesen. Das ermittelten die Forschenden anhand von Gewebeproben, in denen sie jeweils den Anteil der grün-fluoreszierenden Zellen untersuchten. Verschiedene Gewebe wie zum Beispiel Lunge, Leber oder Gehirn wiesen 20 bis 90 Prozent Zellen mit GFP-Expression auf. Auch das lebend geborene Affenbaby verstarb allerdings bereits nach zehn Tagen.

Ziel der Forschenden sei es mit der Methode, nicht-humane Primatenmodelle (NHP) zu erzeugen, die bestimmte Erkrankungen wie zum Beispiel die Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) nachahmen. Voraussetzung hierfür wäre es allerdings, einen stabilen Anteil von mehr als 50 Prozent aller Körperzellen zu erzielen, die von den injizierten naiven Stammzellen abstammen. Genau dieses Ziel konnte in der aktuellen Studie noch nicht erreicht werden. Auch ist die Erfolgsquote von lediglich zwei chimären Primaten, wovon nur einer lebend geboren wurde, bei ursprünglich 74 chimären Embryonen für eine praktische Anwendung bei weitem noch nicht effizient genug.

Welchen Mehrwert die Ergebnisse dennoch für den Bereich der Chimärenforschung liefern, welche Forschungsfragen mit Affen-Chimären adressiert werden könnten und inwiefern diese Methode künftig auch für die Generierung von Mensch-Affe- oder Mensch-Schwein-Mischwesen verwendet werden könnte, erläutern Experten in den nachfolgenden Statements.

Übersicht

     

  • Prof. Dr. Stefan Schlatt, Direktor des Centrums für Reproduktionsmedizin und Andrologie, Universitätsklinikum Münster
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  • Prof. Dr. Rüdiger Behr, Leiter der Abteilung Degenerative Erkrankungen, Deutsches Primatenzentrum GmbH – Leibniz-Institut für Primatenforschung (DPZ), Göttingen
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  • Prof. Dr. Wilfried Kues, Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsbereich Biotechnologie/Stammzellphysiologie am Institut für Nutztiergenetik (ING), Friedrich-Loeffler-Institut, Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit, Greifswald-Insel Riems
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Statements

Prof. Dr. Stefan Schlatt

Direktor des Centrums für Reproduktionsmedizin und Andrologie, Universitätsklinikum Münster

„Manchmal sind es Fleißpreise bei wissenschaftlichen Durchbrüchen. Diese Arbeit zeigt, dass die systematische und mühsame Suche nach optimalen Kulturbedingungen und Versuchsaufbauten notwendig ist, um von einer prinzipiellen Entdeckung zu einer effizienten Anwendung zu kommen. Hier geht es darum, pluripotente Zellen so aufzubereiten und so in einen Präimplantationsembryo zu applizieren, dass eine effiziente Chimärenbildung möglich wird.“

„Dies muss als grundlegender wissenschaftlicher Durchbruch betrachtet werden. Gleichzeitig zeigt das Ergebnis, dass die Nachkommen ungesund sind und nicht mehr als ein paar Tage überleben können. Das ist ein klarer Hinweis darauf, dass Chimärismus, in welcher Form auch immer, keine Strategie für den menschlichen Gebrauch ist.“

„Die Arbeit ist ein weiterer spannender grundlagenwissenschaftlicher Durchbruch in der Stammzelltechnologie und Entwicklungsbiologie. Langsam, aber sicher werden die Rätsel am Anfang des Lebens gelöst. Gleichzeitig lernen wir, wie entscheidend zelluläre Zustände und Synchronisation bei der Bildung eines Organismus sind.“

Prof. Dr. Rüdiger Behr

Leiter der Abteilung Degenerative Erkrankungen, Deutsches Primatenzentrum GmbH – Leibniz-Institut für Primatenforschung (DPZ), Göttingen

Einordnung der Ergebnisse ins Feld der Chimärenforschung

„Die Verschmelzung von Ei- und Samenzelle, die Befruchtung, ist der natürliche Startpunkt der Entwicklung eines neuen Individuums. Als Chimären werden in der Biologie solche Lebewesen bezeichnet, die Zellen enthalten, die zwei (oder mehr) unterschiedlichen Befruchtungen entstammen. Chimären kommen in manchen Tierarten natürlicherweise vor. So weisen zum Beispiel Weißbüschelaffen einen natürlichen Blutzell-Chimärismus auf; die Embryonen tauschen bei den in dieser Affenart regelmäßig vorkommenden Zwillingsschwangerschaften Blutstammzellen über eine gemeinsame Plazenta aus. Im Rahmen der ‚Knochenmarkstransplantation‘ bei Patienten – die eigentlich eine Blutstammzelltransplantation ist –, werden im Zuge einer Stammzelltherapie menschliche Chimären erzeugt. Während es in den genannten Beispielen um Blutstammzellen geht, geht es in der neuen Studie um ‚Alleskönnerstammzellen‘, sogenannte pluripotente Stammzellen, und ihre Fähigkeit, Chimären in einem Primaten zu bilden. Von pluripotenten Stammzellen der Mäuse weiß man schon seit Jahrzehnten, dass sie chimäre Mäuse produzieren können. Für Primaten ist dies bisher jedoch noch nicht überzeugend gelungen. Das konkrete Ziel der aktuellen Studie war, in Zellkultur gehaltene pluripotente Stammzellen eines Primaten in einen so ursprünglichen (frühembryonalen) Zustand zurückzuversetzen, dass diese Stammzellen, wenn sie mit den Zellen eines sehr frühen Primaten-Embryos kurz nach der Befruchtung in engsten Kontakt gebracht werden, mit diesem eine funktionelle Einheit bilden können, sodass sich dieser frühe chimäre Embryo nach Übertragung auf eine Leihmutter zu einem chimären Affen entwickeln kann. Dies ist hier erstmalig überzeugend gelungen. Die in den Embryo übertragenen Stammzellen haben wesentlich zur Bildung aller überprüften Organe des geborenen Affen einschließlich Gehirn, Herz und Hoden beigetragen.“

Relevanz für die Primatenforschung

„Menschen gehören zu den Primaten. Primaten sind sich untereinander sehr viel ähnlicher als eine Primatenart und eine Nagetierart es zum Beispiel untereinander sind. Insofern erbringt biomedizinische Primatenforschung – auch im Grundlagenbereich – praktisch immer auch Erkenntnisse über den Menschen sowie oft auch neue Ideen für die Behandlung von Erkrankungen. Die konkreten neuen Erkenntnisse hier sind, dass pluripotente Stammzellen der Primaten in einen so ursprünglichen Zustand zurückversetzt werden können, dass sie eine Chimäre bilden können.“

Auf die Frage, ob die Forschung mit chimären Primaten auch in Europa beziehungsweise Deutschland erlaubt ist:
„Diese Art Forschung ist in Europa erlaubt und wird auch betrieben.“

Adressierbare Forschungsfragen mit chimären Affen

„Chimäre Affen können primär bei zwei Forschungsfragen sinnvoll sein. Erstens: Bei der weiteren Erforschung der Möglichkeiten der Herstellung von Organen aus menschlichen Zellen im Tier. Sehr viele Patienten warten auf Spenderorgane. Der Bedarf an Spenderorganen ist jedoch sehr viel größer als ihre Verfügbarkeit. Um diese fatale Lücke zu schließen, könnten zum Beispiel in chimären Schweinen Herzen oder Lebern aus menschlichen ‚Alleskönnerstammzellen‘ gezüchtet werden. Die aktuelle Studie bringt diese Möglichkeit der Realität wieder einen Schritt– von mehreren wichtigen Schritten – näher.“

„Zweitens: Für eine Reihe von Forschungsfragen – auch für die Entwicklung und Überprüfung von neuen Therapien für Erkrankungen des Menschen – kann die genetische Modifikation von Tieren einschließlich der Primaten eine wichtige Rolle spielen. Manch wichtige genetische Modifikation ist jedoch komplex und ihre Durchführung relativ ineffizient. Mit den in der aktuellen Studie vorgestellten Daten könnte die Durchführung der genetischen Modifikation möglicherweise aus dem Tier in die Stammzellkultur verlagert werden. Dies könnte vielleicht neben einer Reduktion der Anzahl an Versuchstieren gleichzeitig zu einer verbesserten Effizienz der Forschungsverfahren führen.“

Auf die Frage, inwiefern diese Ergebnisse zur Generierung von Mensch-Affe-Mischwesen und womöglich zur Erzeugung von menschlichen Organen in Primaten beitragen:
„Das Ziel ist nach meinem Verständnis nicht, menschliche Organe in Affen heranzuzüchten. Das Ziel ist vielmehr, Organe aus menschlichen Zellen in Schweinen heranzuzüchten. Das Schwein ist allein schon wegen der anatomischen Größenverhältnisse ein günstigerer Spender für Organe als es die in der Forschung verwendeten – relativ zum Menschen – kleinen Primatenarten sind. Zudem ist die Verfügbarkeit von Schweinen sehr viel besser. Darüber hinaus spielen hier sicherlich auch ethische und emotionale Erwägungen eine Rolle. Die aktuelle Studie in einem Primaten-‚Modell‘, das große Aussagekraft im Hinblick auf den Menschen hat, zeigt aber wichtige Schritte, wie Primatenstammzellen für eine erfolgreiche Übertragung auf einen Empfängerembryo zur Bildung eines chimären Tieres vorbereitet werden können. Daher ist die Studie für die weitere Entwicklung von Verfahren zur Erzeugung menschlicher Organe, zum Beispiel in Schweinen, zur Bekämpfung der sehr großen Unterversorgung mit transplantierbaren Organen bedeutend.“

Prof. Dr. Wilfried Kues

Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsbereich Biotechnologie/Stammzellphysiologie am Institut für Nutztiergenetik (ING), Friedrich-Loeffler-Institut, Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit, Greifswald-Insel Riems

Einordnung der Ergebnisse ins Forschungsfeld der Chimäre

„In der vorliegenden Publikation, die in der renommierten Fachzeitschrift ‚Cell‘ erscheint, wird zum ersten Mal die Ableitung einer pluripotenten Zelllinie aus Cynomolgus-Affen (Javeneraffen; Anm. d. Red.) beschrieben, die den Chimärismustest besteht. Pluripotenz ist ein sehr vergänglicher Zustand der frühen Embryonalentwicklung, der es den Zellen mit diesem Potenzial erlaubt, sich in alle adulten Zelltypen zu entwickeln.“

„Die Untersuchung der Pluripotenz ist immens wichtig für die Grundlagenforschung, aber auch für die Entwicklung von neuen Zelltherapien für bisher unheilbare Krankheiten. Dies könnte durch embryonale (pluripotente) Stammzellen (ES) ermöglicht werden, die aus frühen Embryonen abgeleitet werden, oder durch induzierte pluripotente Stammzellen (iPS), die aus adulten Gewebezellen erstellt werden.“

„Der Nachweis eines pluripotenten Zellstatus ist allerdings komplex und die dafür vorhandenen Methoden sind unterschiedlich aussagekräftig.“

„Bisher sind pluripotente ES- und iPS-Zellen aus Nagern, Mäusen und Ratten, abgeleitet und im aussagekräftigsten Chimärismustest validiert worden. Dabei werden die zu testenden Zellen mit einem frühen Empfängerembryo (8-Zeller bis Blastozyste) kombiniert. Wenn sich ein lebensfähiger Organismus entwickelt, der in allen Organen Zellen beider Herkunft aufweist, spricht man von einer Zellchimäre.“

„Bei möglicherweise pluripotenten Zellen aus Menschen ist dieser Versuch ethisch nicht möglich, es besteht daher ein Risiko, dass diese Zellen nicht stabil sind, Tumore entwickeln können, oder sich nicht vollständig in funktionelle Zelltypen differenzieren.“

„In den letzten Jahren wurde daher intensiv daran geforscht aus Arten, die dem Menschen evolutionär näher stehen als Nager, pluripotente Stammzellen abzuleiten, allerdings mit sehr begrenztem Erfolg. Insbesondere in Chimärismustests wurden nur extrem begrenzte Ergebnisse erzielt.“

„Der Erfolg der ‚Cell‘-Publikation von Cao et al. basiert dabei auf einer systematischen Testung verschiedener Kulturmedien, die unterschiedliche Wachstumsfaktoren und Inhibitoren kombinieren.“

„Diese Publikation wird die Ableitung und Kultivierung qualitativ-hochwertiger humaner ES- und iPS-Zellen befördern. Humane iPS-Zellen und daraus abgeleitete adulte Zellen werden zurzeit schon in einer Reihe von klinischen Studien getestet, die durch die verbesserten Kulturbedingungen noch sicherer werden können.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Prof. Dr. Rüdiger Behr: „Ich habe keinen Interessenkonflikt.“

Alle anderen: Keine Angaben erhalten.

Primärquellen

Cao J et al. (2023): Live birth of chimeric monkey with high contribution from embryonic stem cells. Cell. DOI: 10.1016/j.cell.2023.10.005.

Weiterführende Recherchequellen

Science Media Centre Spain (2023): Reactions: First chimeric monkey born from embryonic stem cell lines. Stand: 09.11.2023.