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15.08.2022

Chemisches Upcycling von Plastikmüll

     

  • Forschende entwickeln neue Methode zur kosten- und energieeffizienten Nutzung und Veredelung von Plastikabfällen aus Polystyrol
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  • global zunehmende Herstellung von Kunststoffen und wachsende Müllberge machen das Problem des Umgangs mit Plastikabfällen immer dringlicher
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  • Fachleute loben den einfachen Ansatz, sehen aber Probleme bei Übertragung auf industrielle Maßstäbe und erklären, welches Potenzial Re- und Upcycling von gebrauchtem Kunststoff hat
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Der weit verbreitete und viel genutzte Kunststoff Polystyrol kann möglicherweise mit einer einfachen und relativ schnellen chemischen Reaktion unter moderaten Bedingungen zunächst zersetzt und anschließend in einen wertvollen Ausgangsstoff für weitere chemische Herstellungsverfahren umgewandelt werden. Forschende von der Virginia Tech University haben eine neuartige Methode entwickelt und sehen in ihrem Ansatz großes Potenzial, um Anteile des Plastikmülls nicht nur zu verwerten, sondern darüber hinaus aufzuwerten – also dem so genannten Upcycling zu unterziehen. Sie unterwerfen ihre Methode zudem einer ökonomischen Analyse und sehen in ihr eine lukrative Möglichkeit der Polystyrol-Verwertung, wenn die Skalierung von Labor auf industrielle Maßstäbe gelingen sollte. Die Studie ist am 15.08.2022 im Fachjournal „PNAS“ erschienen (siehe Primärquelle).

Die zunehmende Herstellung von Plastikprodukten verursacht – oft nach nur einmaliger oder kurzzeitiger Nutzung – wachsende Mengen von Kunststoffabfällen. Diese landen häufig in der Umwelt, sammeln sich dort an und bringen so verschiedene Risiken für Pflanzen, Tiere und ganze Ökosysteme. Zwar ließe sich die Umweltverschmutzung mit Plastik massiv reduzieren [I], jedoch werden die dafür notwendigen Maßnahmen global nicht ausreichend konsequent umgesetzt. Bisher werden eingesammelte Plastikabfälle auf verschiedenen Wegen behandelt. Häufig werden sie als Brennstoffersatz genutzt (energetisch verwertet) oder mechanisch recycelt – dabei wird der Abfall meist geschreddert und das Granulat weiterverarbeitet. Hierbei ist das recycelte Material oft teurer als neu hergestellte Kunststoffe, da nicht selten aufwendige Sammel-, Reinigungs- und Trennverfahren notwendig sind. Eine weitere Möglichkeit ist das so genannte Cracking, bei dem wieder Erdölkomponenten entstehen, aus denen die Kunststoffe ursprünglich hergestellt wurden. Alternativ lassen sich den Polymere auch chemisch zerlegen, wobei allerdings meist Chemikalien entstehen, die bei erstmaliger Herstellung kostengünstiger sind, sodass diese Methode häufig ökonomisch nicht konkurrenzfähig ist. Relativ neu ist das so genannte Upcycling – die Umwandlung der Kunststoffabfälle in Chemikalien mit höherem Marktwert [II], die oft allerdings nur in begrenztem Umfang eingesetzt werden und deshalb nur einer begrenzten Nachfrage unterliegen. Zudem erfordern bisherige Upcycling-Methoden häufig komplexe, teure Katalysatoren, energieintensive Reaktionsbedingungen und erzeugen zudem nicht selten minderwertige Produkte – all dies verringert die ökonomische Attraktivität.

Das in der Studie untersuchte Polystyrol ist in Deutschland der am viertmeisten hergestellte Kunststoff. Die Forschenden setzten für ihre Experimente dem in Benzol gelösten Polystyrol den gängigen Katalysator Aluminiumchlorid AlCl3 zu und beobachteten nach einer Reaktion bei Raumtemperatur unter Bestrahlung mit UV-Licht eine Zersetzung des Polymers – die sogenannte Degradation. Als Zwischenprodukt entstand ebenfalls Benzol. Für den eigentlich Upcycling-Prozess gaben sie dann Dichlormethan zu, das zu Diphenylmethan reagierte. So konnten sie 97 Prozent der aromatischen Phenylringe des Polystyrols in Diphenylmethan überführen. Um die Skalierbarkeit ihres Ansatzes zu untersuchen, vergrößerten sie ihren Ansatz von zunächst einem Gramm Polystyrol auf zehn beziehungsweise 1.000 Gramm, fanden – wenn auch langsamere – gute Umsätze zum gewünschten Produkt und schließen daraus, dass auch die Übertragung auf industriell relevante Maßstäbe gelingen sollte. Das entstehende Diphenylmethan könne dann in verschiedenen Anwendungen in der Lebensmittel-, Pharma-, Duft- und Farbstoffindustrie eingesetzt werden und habe einen deutlich höheren Marktwert als die eingesetzten Plastikabfälle.

Übersicht

     

  • Prof. Dr. Mathias Seitz, Professur für Verfahrenstechnik/Technische Reaktionsführung, Fachbereich Ingenieur- und Naturwissenschaften, Hochschule Merseburg
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  • Prof. Dr. Johannes Gerardus de Vries, ehemaliger Leiter des Departments Katalyse mit nachwachsenden Rohstoffen, Leibniz-Institut für Katalyse e. V. an der Universität Rostock (LIKAT), Rostock
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  • Dr. Julia Vogel, Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Abfalltechnik, Abfalltechniktransfer, Umweltbundesamt (UBA), Dessau-Roßlau
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  • Dr. Ina Vollmer, Assistant Professor in der Forschungsgruppe Anorganische Chemie und Katalyse, Universität Utrecht, Niederlande
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Statements

Prof. Dr. Mathias Seitz

Professur für Verfahrenstechnik/Technische Reaktionsführung, Fachbereich Ingenieur- und Naturwissenschaften, Hochschule Merseburg

„Für die aktuelle Studie geht das Forschungsteam klassisch vom Labormaßstab aus und trifft aus dieser Perspektive Aussagen zur Wirtschaftlichkeit und Umsetzbarkeit. Das Vorgehen und die Untersuchungen zur Degradation sind interessant. Technische Probleme, die nicht genannt werden, werden auf Basis von Fremdaussagen als gering betrachtet. Die ‚verschmutzen Abfälle‘ (Abbildung 11 in den Supplementary Information der Studie) sind im industriellen Maßstab als sauber und sortenrein zu bezeichnen. Die gezeigten Verschmutzungen sind vernachlässigbar und spiegeln keine realen Abfallströme wider.“

„Die Ausbeuten (Abbildung 15 in den Supplementary Information) können stöchiometrisch (gemäß der Berechnung der Stoffmengen von Ausgangsstoffen und Produkten; Anm. d. Red.) gesehen nicht aus einem Kilogramm Polystyrol-Abfall stammen. Insbesondere da Nebenprodukte entstehen. Der erste Reaktionsschritt ist zeitintensiv und führt zu Benzol als Produkt sowie weiteren Nebenprodukten. Der zweite Schritt, das sogenannte Upcycling – bei dem Dichlormethan und Benzol mit einem Friedel-Krafts-Katalysator reagieren – ist quasi Stand der Technik, denn Diphenylmethan wird – wenn auch einfacher, aber mit ähnlicher Katalyse – aus Benzol und Benzylchlorid hergestellt. Der Wert dieser aktuellen Arbeit ist also die Degeneration des Polystyrols. Der Wertzuwachs ist damit aber deutlich geringer, denn die Konkurrenzverfahren – wie die Pyrolyse von Polystyrol – liefern Styrol, das eine höhere Wertschöpfung hat als Benzol (Abbildung 1 in der aktuellen Studie). Die Autoren widerlegen sich damit selbst. Das versprochene Upcycling ist wohl eher ein Kaufargument für Investoren.“

Auf die Frage, in welchen Punkten die aktuelle Studie bisherigem Wissen widerspricht:
„Photokatalytische Reaktionen sind bekannt. Das Problem ist immer, das UV-Licht in das Medium zu bringen. Die Reaktionen finden meist an der Oberfläche statt. Wird in größeren Volumen gearbeitet, dann absorbieren Lösemittel und andere Polymere das Licht und die Energieeffizienz sinkt. Bringt man die UV-Lampen in das Medium, so muss mit einer Verschmutzung der Lampen/Optik ausgegangen werden. Die benötigten Lampen haben eine hohe Energiedichte, was zu anderen, unerwünschten Nebenreaktionen führen kann. Die Kühlung der Lampen – die eine Lichtausbeute von 50 Prozent haben – muss berücksichtigt werden. Sicherheitstechnische Probleme (Explosionsschutz) müssten gelöst werden. Dass dieses Verfahren deshalb kostengünstig sein soll, widerspricht den bisherigen Erfahrungen.“

„Allerdings: Die Degradation unter den genannten Bedingungen ist tatsächlich interessant. Die Kaskade ist neu. Grundsätzlich ist auch eine einstufige Herstellung denkbar. Verschmutzungen machen aber immer Probleme, sodass in der technischen Realität eher von einer Zwischenreinigung – Abtrennung von Störstoffen – ausgegangen werden muss.“

„Im Prozess wird Dichlormethan verbraucht. Es bleibt offen, in welchem Nebenprodukt das darin enthaltene Chlor zu finden ist. Im Naphtha (eine leichte Erdölfraktion, die bei der Reaktion auch entsteht; Anm. d. Red.) würde es bei der Weiterverarbeitung erhebliche Probleme bereiten (Naphtha-Spezifikation kleiner 1 ppm Chlor). Im Asphalt wären es vermutlich chlorierte Kohlenwasserstoffe, die potenziell toxisch sind. Der zugeführte Aluminium-Abfall hat scheinbar die Aufgabe, die Chlororganik zu binden.“

„Die grundsätzliche Chemie der vorgestellten Reaktion ist einfach. Mit den entstehenden Störstoffen kann das anders werden. Leider sind in der Veröffentlichung wenig Störstoffe genannt und untersucht worden. Die gezeigten ‚verunreinigten‘ Abfälle sind bei größeren Abfallmengen, die weniger kontrolliert werden können, als sauber zu bezeichnen.“

„Die Autoren der aktuellen Studie schreiben, sie hätten für ihre größeren Ansätze, mit denen sie die Skalierbarkeit testen, ‚Polystyrol-Abfälle aus kommunalen und Laborquellen‘ genutzt. Dies lässt den Eindruck entstehen, dass es sich tatsächlich um reale Abfälle – zum Beispiel aus dem Gelben Sack – handeln würde. Die Frage des Reinigungsaufwands des Plastikabfalls ist nicht beschrieben. All das kann zu einem weitaus komplexeren Reaktionsgeschehen führen, das nicht vorhersehbar ist.“

Auf die Frage, was die generellen Schwierigkeiten der Entwicklung derartiger Verfahren sind:
„Störstoffe, das Einbringen der UV-Strahlung und die geforderten Reinheiten der Produkte sind Hauptprobleme. Auch die Frage nach der Entsorgung der Nebenprodukte (Asphalt) muss beantwortet werden. Der Katalysator verbraucht sich, die schweren Rückstände werden als Naphtha und Asphalt bezeichnet. Hier muss man davon ausgehen, dass der Asphalt entsorgt werden muss. Da nur der aromatische Anteil des Polystyrols recycelt wird, landen die Reststoffe im Naphtha. Diphenylmethan hat einen hohen Preis, doch dieser entsteht oft – wie bei der klassischen Synthese – durch den geforderten Reinigungsaufwand und die geringen Produktionsmengen.“

„Die Raum-Zeit-Ausbeute (pro Raum und Zeit gebildete Produktmenge; Anm. d. Red.) – ein Maß für die Wirtschaftlichkeit – wird nicht betrachtet. Die Reaktionen brauchen mehrere Stunden. Will man große Mengen Polystyrol-Abfall recyceln, bräuchte man sehr große Anlagen. Nur unter der Annahme der großen Wertschöpfung wäre das wirtschaftlich darstellbar. Das bedeutet, dass das Verfahren bestenfalls ein Nischenverfahren für kleinere Mengen sein kann.“

Auf die Frage, welche Rolle die Gewinnung von chemischen Ausgangsstoffen bei der Bewältigung der großen Mengen Plastikabfall spielen könnte:
„Das chemische Recycling ist grundsätzlich möglich. Doch der Aufwand für Sortierung und Reinigung der Abfälle sowie der Produkte muss grundsätzlich mitberücksichtigt werden. Auch die Frage der Reststoffströme mit Umweltgiften muss immer mitbeantwortet werden. Das bedeutet, dass die Verfahren des chemischen Recyclings nur dann sinnvoll einsetzbar sind, wenn saubere Abfallströme vorliegen. Unsortierte Abfallströme, die volatil in ihrer Zusammensetzung anfallen, enthalten Störstoffe, was immer wieder zu technischen und damit auch wirtschaftlichen Beeinträchtigungen führt.“

Auf die Frage, welche Methoden des chemischen Re- beziehungsweise Upcyclings von Plastikabfällen es bereits gibt und welche entstehenden Ausgangsstoffe für chemische Synthese dabei besonders interessant sind:
„Für eine Kreislaufführung sollten Kunststoffe wieder zu Kunststoffen verarbeitet werden können. Im hier beschriebenen Fall – Polystyrol zu Diphenylmethan – ist das nicht der Fall. Es gibt viele Polystyrol-Abfälle, aber nur einen kleinen Markt für Diphenylmethan. Polystyrol zu Styrol über eine Pyrolyse ist da der gängigere Weg. Doch auch hier spielt der Reinigungsaufwand und Störstoffe die größte Bedeutung für eine technisch wirtschaftliche Lösung. Ähnliches gilt für die Solvolyse von Polyamide (PA), PET und Polyurethane (PUR). Polyethylen (PE) und Polypropylen (PP) müssen zu Naphtha pyrolysiert werden. Dieses geht in den Naphtha-Cracker, aus dem die üblichen Monomere für die Kunststoffsynthesen stammen. Auch hier gilt, dass der Sortier- und Reinigungsaufwand entscheidend für eine sinnvolle technisch und wirtschaftliche Umsetzung ist. Vergasungsverfahren sind teuer und können theoretisch alle Kunststoffabfälle zu Synthesegas umwandeln, das dann über eine Methanol-Synthese zu Olefinen und Aromaten weiterverarbeitet werden kann. Aber auch hier gilt, dass die schwankende Zusammensetzung der Abfälle das technische und wirtschaftliche Risiko stark beeinflusst.“

Prof. Dr. Johannes Gerardus de Vries

ehemaliger Leiter des Departments Katalyse mit nachwachsenden Rohstoffen, Leibniz-Institut für Katalyse e. V. an der Universität Rostock (LIKAT), Rostock

„Kunststoffe sind allgegenwärtig und spielen eine wichtige Rolle in unserem täglichen Leben. Leider wird ein sehr großer Teil der Kunststoffe – mehr als 80 Prozent – am Ende der Nutzungsdauer der Anwendung, in der der Kunststoff verwendet wurde, nicht recycelt, sondern deponiert oder in andere Länder verschifft, in denen ein Teil des Materials verbrannt wird. Oder gelangt versehentlich beziehungsweise absichtlich in die Umwelt und wird schließlich über die Flüsse in die Ozeane gespült. Einige Kunststoffe können ein paar Mal mechanisch recycelt werden, aber das gilt nicht für die meisten Kunststoffe. Der Grund dafür, dass die meisten Kunststoffe nicht recycelt werden, sind schlicht die hohen Kosten. Kunststoffe können chemisch in ihre Monomere zurückverwandelt werden, die gereinigt und zur Herstellung eines neuen Polymers wiederverwendet werden können. Die zusätzlichen Kosten für das Sammeln, Lagern, Sortieren und vor allem für die Trennung von anderen Materialien und Füllstoffen führen jedoch dazu, dass das recycelte Monomer teurer ist als das neue Monomer, das aus fossilen Brennstoffen hergestellt wird.“

„Das ist ein ernsthaftes Problem. Eine mögliche Lösung wäre die Umwandlung des Kunststoffs in ein Material mit einem höheren Marktwert, sodass sich die Umwandlung lohnt. Dieser Prozess wird als Upcycling bezeichnet.“

„In der aktuellen Studie wird ein interessantes Upcycling von Polystyrol beschrieben. Bei der hier vorgestellten Methode wandeln die Autoren Polystyrol mit Hilfe eines Katalysators auf Aluminiumbasis und ultraviolettem Licht in Benzol um. Anschließend wird das Rohbenzol im selben Gefäß mit Dichlormethan – einem chlorierten Lösungsmittel, das früher in Abbeizmitteln verwendet, heute aber wegen des Verdachts auf Karzinogenität aus dem Verkehr gezogen wurde – und demselben Katalysator umgesetzt. So entsteht Diphenylmethan, eine Verbindung, die zehnmal teurer ist als Polystyrol. Chapeau!“

„Problem gelöst – sollte man meinen. Das generelle Problem beim Upcycling ist jedoch, dass teurere Produkte einen viel kleineren Markt haben. Daher könnte nur ein Bruchteil des gesamten Polystyrol-Abfalls auf diese Weise umgewandelt werden. Die Autoren der aktuellen Studie haben auch das berücksichtigt und sich eine Reihe anderer Produkte ausgedacht, in die das entstehende Diphenylmethan umgewandelt werden kann. Dabei handelt es sich jedoch ebenfalls um Feinchemikalien mit geringer Marktgröße. Die Umwandlung von Diphenylmethan in Diphenylmethandiisocyanat – ein wichtiges Monomer zur Herstellung von Polyurethanen, bekannt aus Schaumstoffen und Matratzen – wäre ebenfalls interessant, wie die Autoren der Studie anmerken. Allerdings ist hier der Preis nicht so viel höher als bei Polystyrol. Außerdem ist dies ein unerprobter Syntheseweg. Vielleicht ein inspirierender Gedanke für andere Chemiker?“

„Kann dieser Prozess wirklich in großem Maßstab umgesetzt werden? Das ist keineswegs sicher, da ein langwieriger Entwicklungsprozess erforderlich wäre, um alle Probleme zu lösen. Ein großes Problem ist dabei die Verwendung eines photochemischen Reaktors für ein Verfahren im großen Maßstab. Das Problem besteht darin, dass beim Übergang vom Gramm- zum Tonnenmaßstab das Verhältnis zwischen Oberfläche und Volumen viel kleiner wird. Die Oberfläche bestimmt, wie viel Licht in die Reaktionsmischung eindringen kann. Aus diesem Grund waren die industriellen photochemischen Reaktionen bisher meist auf sehr viel kleinere, feinchemische Produkte wie Vitamin D beschränkt.“

„Ein weiteres Problem, das untersucht werden muss, ist die Lebensdauer des Katalysators. Obwohl Aluminiumtrichlorid ein billiger Katalysator ist, der in großen Mengen erhältlich ist, verwenden die Autoren der aktuellen Studie ein halbes Kilogramm Katalysator auf ein Kilogramm Polystyrol. Es ist daher sehr wichtig, dass der Katalysator über viele Durchläufe hinweg stabil bleibt. Dies muss erst noch bewiesen werden. Wie die Autoren zeigen, bilden sich bei der Reaktion auch sogenannte schwere Nebenprodukte. Dies kann in einem kontinuierlichen Prozess problematisch sein, da sich mit der Zeit immer mehr davon bilden, bis der gesamte Reaktor mit diesen schweren Nebenprodukten gefüllt ist. Dem kann man entgegenwirken, indem man kontinuierlich eine kleine Menge der Flüssigkeit abzapft, die die hochsiedenden Produkte enthält, aber dieser sogenannte Bleed enthält auch Anteile des Katalysators. Somit wirkt sich die Menge der gebildeten schweren Nebenprodukte auch auf die Lebensdauer des Katalysators aus. In der Veröffentlichung zerstören die Autoren den Katalysator mit Wasser. Dies würde zur Bildung von Aluminiumoxid und Salzsäureabfällen führen. Es bleibt die Frage, ob das notwendig ist, um das Produkt freizusetzen.“

„Nichtsdestotrotz zeigt die aktuelle Studie einen guten Weg zu den einfachen Lösungen, die für eine bessere Nutzung von Kunststoffabfällen erforderlich sind. Die Verwendung eines Katalysators für zwei aufeinanderfolgende Reaktionen, die in einem einzigen Gefäß ablaufen, wird als ‚Telescoping‘ bezeichnet. Dies ist auf jeden Fall viel billiger als die getrennte Durchführung der beiden Reaktionen. Es bleibt zu hoffen, dass wir in naher Zukunft mehr von diesen Ansätzen erwarten können.“

„Man kann den Autoren der Studie für ihre Arbeit nur gratulieren. Es ist aufrichtig zu hoffen, dass alle Probleme während der Prozessentwicklung ausgeräumt werden können, da eine produktivere Nutzung von Kunststoffabfällen dringend erforderlich ist.“

Dr. Julia Vogel

Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Abfalltechnik, Abfalltechniktransfer, Umweltbundesamt (UBA), Dessau-Roßlau

„Die aktuelle Studie stellt einen weiteren interessanten Ansatz im Bereich der Solvolyse-Verfahren innerhalb des chemischen Recyclings dar. Ein Hochskalieren auf den industriellen Maßstab ist nicht trivial und mit weiterer Entwicklungsarbeit verbunden. Um die ökologische Bewertung der chemischen Recyclingverfahren endgültig vornehmen zu können, braucht es noch einige Zeit und Forschungsaufwand, um sowohl die Eignung der Techniken sowie den Nachweis der ökologischen Vorteilhaftigkeit der Verfahren – Pyrolyse, Verölung, Vergasung, Solvolyse – im Vergleich zur energetischen und werkstofflichen Verwertung zu erbringen, insbesondere auch im industriellen Maßstab.“

„Kunststoffrecycling sollte möglichst hochwertig erfolgen mit dem Ziel, Stoffe aus dem Abfallstrom zurückzugewinnen, die Primärmaterialien und bestenfalls Primärkunststoffe ersetzen und dadurch Ressourcen einsparen. Dabei sollte immer das ökologisch vorteilhafteste Recyclingverfahren eingesetzt werden. Aufgrund der derzeitigen Datenlage muss davon ausgegangen werden, dass die werkstoffliche Verwertung – für werkstofflich recyclebare Abfälle – grundsätzlich ökologisch und ökonomisch vorteilhafter ist als ein chemisches Recycling, da weniger aufwendige Verwertungsverfahren zur Anwendung kommen. Allerdings gibt es Abfallströme, die nicht werkstofflich recyclebar sind und für welche das chemische Recycling sinnvoll sein kann. Allerdings sind die einzelnen Verfahren des chemischen Recyclings jeweils in Bezug auf den eingesetzten Abfall gesondert zu bewerten. Allgemeine Aussagen sind dazu nicht möglich.“

„Das Umweltbundesamt lässt derzeit eine Studie zur Abschätzung des Potenzials und zur Eignung des chemischen Recyclings durchführen (‚Abschätzung der Potenziale und Bewertung der Techniken des thermochemischen Kunststoffrecycling‘, FKZ 3720343020).“

„Auf unserer Webseite beim Umweltbundesamt haben wir ein Hintergrundpapier zum Thema ‚Chemisches Recycling‘ veröffentlicht, das sich grundsätzlich mit möglichen Verfahren, Potenzialen und Herausforderungen beschäftigt [1].“

Dr. Ina Vollmer

Assistant Professor in der Forschungsgruppe Anorganische Chemie und Katalyse, Universität Utrecht, Niederlande

„Die Forscher der aktuellen Studie haben richtig erkannt, dass es im Moment oft noch nicht ökonomisch ist, aus Plastikmüll chemisch die Bausteine zu gewinnen, aus denen die Kunststoffe gemacht wurden, um dann wieder neue Polymere herzustellen. Der Grund ist, dass die Rohölpreise immer noch recht niedrig sind und es schon eine gut funktionierende Infrastruktur gibt, um aus Rohöl und Erdgas Polymere zu machen, während diese für neue Prozesse erst gebaut werden muss.“

„Die Forscher beschreiben in ihrer aktuellen Arbeit, dass sie mit ihrem Prozess ein sehr wertvolles Produkt erzeugen können, allerdings nicht direkt. Sie müssen die Reaktion in zwei Schritten durchführen, wobei wenigstens der gesamte Prozess in nur einem Behälter ablaufen kann. Das spart Infrastruktur. Diese Kombination ist neu und auch einige Aspekte der Einzelschritte wurden so meines Wissens noch nicht von anderen Wissenschaftlern durchgeführt. Im Prinzip könnte man auch das Zwischenprodukt bereits verkaufen, aber die direkte weitere Umwandlung ermöglicht es vielleicht, das Endprodukt nur einmal aufzureinigen, was einen Verfeinerungsschritt ersparen würde. Allerdings macht es vielleicht bei größeren produzierten Mengen sowieso mehr Sinn, zwei Reaktionsbehälter zu verwenden. Denn zum Beispiel ist es für die starken UV-Lampen, die verwendet werden, nicht gut, sie ständig an- und auszuschalten. Außerdem haben die Forscher in ihrer aktuellen Arbeit nicht gezeigt, wie gut sich ihr Produkt tatsächlich aufreinigen lässt. Vor ist allem wichtig, dass kein Chlor mehr vorhanden ist.“

Auf die Frage, inwiefern die vorgestellte Methode tatsächlich so energie- und kosteneffizient ist, wie das Team schreibt:
„Die chemische Umwandlung, die hier erforscht wurde, wird nicht durch Wärmeenergie erreicht, sondern durch Energie aus dem UV-Licht. Die Forscher haben nicht gezeigt, dass hierfür Sonnenlicht direkt verwendet werden soll, deshalb wird das Betreiben der UV-Lampe auch viel Strom benötigen. Auch die Aufreinigung der Produkte ist energieintensiv. Die Forscher haben anhand einer techno-ökonomischen Analyse festgestellt, dass sich der Prozess trotzdem lohnt, haben aber nicht direkt gezeigt, wie umweltfreundlich er ist. Außerdem ist es im Labor mit kleinen Mengen immer sehr schwer abzuschätzen, ob sich ein Prozess im industriellen Maßstab lohnt. Das liegt auch daran, dass es schwer ist, belastbare Marktpreise in Erfahrung zu bringen. Die Autoren der Studie müssen unter anderem auf die Suchmaschine Alibaba zurückgreifen. Die Chemikalienpreise und die Nachfrage schwanken auch sehr. Die Ausgansmaterialien, die die Wissenschaftler verwenden, sind leicht erhältlich und günstig, allerdings muss jetzt noch weiter daran geforscht werden, dass der Katalysator auch für eine längere Zeit hält. In dieser Studie hat der Katalysator beim zweiten Umwandlungszyklus schon viel von seiner Wirkung verloren.“

Auf die Frage, welche Rolle die Gewinnung von chemischen Ausgangsstoffen bei der Bewältigung der großen Mengen Plastikabfall spielen könnte:
„Chemisches Recycling ist sehr flexibel, denn darunter verstehen wir alle Methoden, bei denen die chemischen Bindungen im Plastik gebrochen werden. Daher ist es denkbar, dass Plastik Rohöl und Erdgas als Hauptressource für die Chemiebranche teilweise ersetzen wird. Hierfür kann die Pyrolyse genutzt werden – und wird es auch schon. Dass Plastik nicht hauptsächlich mikrobiell abgebaut wird, ist wichtig, da sonst viel Kohlenstoff verloren geht, der für die Chemikalienherstellung benötigt wird. Eine Studie vom World Wide Fund For Nature WWF [2] sieht die Rolle des chemischen Recyclings vor allem darin, wieder Plastikverpackungen herzustellen, die für den Kontakt mit Lebensmitteln geeignet sind. Wenn aus Plastikmüll Produkte mit sehr hohem Marktwert und Marktvolumen hergestellt werden können, schafft das weitere Anreize für Firmen, mehr zu recyclen, und kann die Recycling-Raten erhöhen.“

Auf die Frage, welche Methoden des chemischen Re- beziehungsweise Upcyclings von Plastikabfällen es bereits gibt und welche entstehenden Ausgangsstoffe für chemische Synthese dabei besonders interessant sind:
„Welche chemische Re- beziehungsweise Upcycling-Methode die geeignetste und sinnvollste ist, hängt stark von der Sorte Plastik ab und auch von Art und Ausmaß der Verunreinigung des Plastikmülls. Generell können Polyester – wie PET – gut zu Monomeren verarbeitet werden, durch sogenannte Solvolyse-Methoden. Bei Polyethylen und Polypropylen, die zusammen den Großteil der Plastikproduktion ausmachen und viel für Verpackungen verwendet werden, geht das nur mit recht geringer Ausbeute. Deshalb werden diese Polymere oft bei über 400 Grad Celsius zu Erdöl-ähnlichen Produkten umgewandelt oder unter hohem Druck von Wasserstoff zu Diesel und Schmieröl. Hierbei gilt: Je sauberer der Müll, desto hochwertiger das Produkt.“

„Viele Forscher versuchen jetzt, Plastik direkt in höherwertige Chemikalien umzuwandeln. Hierzu verwenden sie meist einen Katalysator. Diese Katalysatoren wurden aber oft traditionell zur Umwandlung kleinerer Moleküle benutzt, wohingegen Plastik aus tausendfach größeren Molekülen besteht. Dies erfordert ein Umdenken und erfordert oft eine Vorumwandlung zu kleineren Molekülen, die dann über dem Katalysator zu höherwertigen Produkten umgewandelt werden können. Zudem ist die Chemiebranche es zwar gewohnt, mit Verunreinigungen aus dem Rohöl umzugehen – Plastikmüll ist allerdings durch ganz andere Stoffe verunreinigt, wie zum Beispiel Chlor statt Schwefel. Auch wird erforscht, ob statt Wärme – wie in dieser Studie – UV-Licht oder andere alternative Energiequellen wie Mikrowellen eingesetzt werde können. Hier gibt es auch schon einige Startups, die dies hochskalieren. Allerdings ist hier immer eine sogfältige Umweltanalyse im Vergleich zur Wärme als Energiequelle nötig.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

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Primärquelle

Xu Z et al. (2022): Cascade degradation and upcycling of polystyrene waste to high-value chemicals. PNAS. DOI: 10.1073/pnas.2203346119.

Literaturstellen, die von den Experten zitiert wurden

[1] Vogel J et al. (2020): Chemisches Recycling. Umweltbundesamt.

[2] Herrmann S et al. (2021): Burning Questions – Pathways to a circular plastic packaging system in Germany. WWF.

Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden

[I] Science Media Center (2020): Plastikmüll in der Umwelt ließe sich um 80 Prozent reduzieren. Research in Context. Stand: 23.07.2020.

[II] Stadler BM et al. (2021): Chemical upcycling of polymers. Philosophical Transactions of The Royal Society A. DOI: 10.1098/rsta.2020.0341.