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24.06.2022

Brustkrebszellen bilden Metastasen eher im Schlaf

     

  • zirkulierende Tumorzellen teilen sich einer Studie zufolge eher in Ruhephasen
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  • große Bedeutung für die Krebstherapie erwartet
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  • noch fehlt allerdings der breite klinische Beweis
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Krebszellen neigen einer aktuellen Studie (siehe Primärquelle) zufolge vor allem in Schlafphasen dazu, Metastasen zu bilden. Dies beschreiben Forschende aus der Schweiz anhand von Untersuchungen am Menschen und im Mausmodell. Die Studie ist am 22.06.2022 im Fachblatt „Nature“ erschienen. Die Autorinnen und Autoren entdeckten bei 30 Brustkrebspatientinnen, dass in Blutproben, die in der Nacht genommen wurden, mehr zirkulierende Tumorzellen (CTC) vorhanden waren als in Proben am Tag. Diese vom Primärtumor abgespaltenen Tumorzellen leiten die Metastasierung verschiedener Krebsarten ein, darunter Brustkrebs. Sie können im Blut zirkulieren. Ihre Dynamik ist aber noch nicht vollumfänglich verstanden.

Auch im Mausmodell konnten erhöhte CTC-Werte in Proben während der Schlafphase gemessen werden. Die Gabe des Hormons Melatonin, das schlaffördernd wirkt, führte ebenfalls zu mehr CTCs. Tumorfreien Mäusen injizierten die Forschenden zudem CTCs aus der Ruhe- und der Aktivphase. Dabei fiel auf, dass CTCs aus der Ruhephase nicht nur aggressiver Tumore bildeten als solche aus der aktiven Phase, sondern auch eher Tumore bildeten, wenn sie in ruhende Mäuse injiziert wurden.

Dass viele biochemische Vorgänge im menschlichen Organismus unter anderem durch den Schlaf-Wach-Rhythmus beeinflusst werden, ist bekannt. Bisher konnten derlei zirkadianen Rhythmen aber nicht im Detail mit der Ausbreitung von Tumorzellen in Verbindung gebracht werden. Den Studienautoren zufolge könnten die Daten nahelegen, dass Ärzte bewusster entscheiden müssten, wann sie bestimmte Krebsbehandlungen beginnen.

In den vergangenen Tagen wurde über die Publikation bereits vereinzelt berichtet. Das SMC hat Forschende darüber hinaus zur Plausibilität und Methodik der Studie befragt, um eine genauere Einordnung zum Stand der Forschung zu erhalten.

Übersicht

     

  • Prof. Dr. Nadia Harbeck, Leiterin des Brustzentrums und der onkologischen Tagesklinik der Frauenklinik, Klinikum der Universität München (LMU)
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  • Prof. Dr. Tanja Fehm, Direktorin der Frauenklinik, Universitätsklinikum Düsseldorf
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Statements

Prof. Dr. Nadia Harbeck

Leiterin des Brustzentrums und der onkologischen Tagesklinik der Frauenklinik, Klinikum der Universität München (LMU)

„Dies ist eine sehr interessante Grundlagenarbeit, bei der es sich lohnt, weiter nachzuforschen beziehungsweise vor allem die klinische Bedeutung weiter herauszuarbeiten. Denn sollte sich bestätigen, dass sich bestimmte Tumorzellen vor allem nachts, wenn wir schlafen, bilden, wäre das ja mit Blick auf die Behandlung im klinischen Alltag erst einmal schwierig. Die Patienten sitzen ja nicht nachts bei uns, sondern tagsüber. Allerdings bleibt ein Aspekt in der Arbeit unbeantwortet: Medikamente haben Halbwertszeiten, das heißt Krebsmittel, die mittags verabreicht werden, verlieren ja nicht unbedingt am Abend oder in der Nacht ihre Wirkung. Dennoch braucht es weitere Forschung, um zu beantworten, was sich aus den Erkenntnissen dieser Studie für die Krebstherapie lernen lässt.

„Bisher haben CTCs im klinischen Alltag keine große Bedeutung, da sich keine unmittelbare klinische Konsequenz ergibt. Hier ist eher die ctDNA ein wichtiger Indikator, also nicht die zirkulierende Tumorzelle als Ganzes, sondern DNA-Fragmente des Primärtumors. Anhand derer kann zum Beispiel bestimmt werden, welche zellulären Veränderungen für einen bestimmten Krebs typisch sind. Quasi als Biomarker. Wenn sich nun aber bestätigen würde, dass bestimmte CTCs, in diesem Fall beim Brustkrebs, tatsächlich einen zirkadianen Rhythmus durchlaufen, der bestimmt, wie aggressiv sie sind, wäre das natürlich ein interessanter weiterer Indikator, der auch für die Klinik bedeutsam wird. Man könnte sich zum Beispiel fragen, ob Blutabnahmen für CTCs bei unseren Krebspatienten nicht grundsätzlich frühmorgens erfolgen müssten. Bisher gibt es hierzu keine einheitliche Regelung. Noch interessanter wäre es aber zu wissen, welche Wachstumsfaktoren genau die Dynamik der CTCs bestimmen. Denn den Patienten zu raten, nicht mehr zu schlafen, ist ja unrealistisch. Mich würde da schon im Detail interessieren, welcher Mechanismus während unseres Schlafs dafür sorgt, dass die CTCs aggressiver werden. Die Beantwortung dieser Frage hätte dann eine große Bedeutung für die Krebstherapie.“

Prof. Dr. Tanja Fehm

Direktorin der Frauenklinik, Universitätsklinikum Düsseldorf

„Insgesamt zeigt die Arbeit, welche Möglichkeiten die Analyse zirkulierender Tumorzellen zur Aufklärung von Mechanismen im Rahmen der Tumormetastasierung bietet. Durch eine ,Liquid Biopsy' kann hier in Einzelzell-Auflösung gearbeitet werden. Wir sehen in der Studie aber auch die Limitation, dass insgesamt eine geringe Zahl an CTCs weniger Patientinnen untersucht wurde. Ein weiterer kritischer Aspekt ist, dass eine nicht-standardisierte/validierte CTC-Detektionsmethodik angewendet wurde. Somit ist schwer zu beurteilen, inwiefern es sich bei den Brustkrebs-Patientinnen tatsächlich um Tumorzellen und nicht etwa um falsch-positive weiße Blutzellen gehandelt hat, welche auch zirkadianen Rhythmen unterliegen. Die In-vivo-Untersuchungen in den Mausmodellen werfen spannende Fragen auf, deren Relevanz in Patienten in weiterführenden Studien zu untersuchen sein wird. Die erzielten Ergebnisse sind sehr beeindruckend und es ist zu erwarten, dass sie weitergehende Forschung in diesem Bereich inspirieren, obgleich oder gerade weil es bereits Publikationen mit konträren Ergebnissen gibt.“

„Die Bedeutung der CTCs für die Metastasierung ist ein intensiv erforschtes Gebiet, das noch immer nicht vollständig verstanden ist. Wir gehen aber davon aus, dass CTCs wesentlich am hämatogenen Metastasierungsgeschehen eines soliden Tumors wie dem Mammakarzinom und damit an der systemischen Krebserkrankung beteiligt sind. In Bezug auf ihre Aktivität in Ruhe- und Wachphasen gibt es unterschiedliche, zum Teil gegensätzliche Erkenntnisse, die unter anderem vom verwendeten Experimentalansatz abhängig sind. Grundsätzlich haben wir das Problem, dass in den meisten Studien zu CTCs der genaue Zeitpunkt der Probenahme nicht angegeben wird. Es gibt aber auch Ausnahmen, so versuchte eine Arbeitsgruppe die Rolle des zirkadianen Zyklus bei der Verbreitung von Tumorzellen zu bestimmen. An insgesamt nur 74 Proben in zwei Studien wurden CTCs im Zeitintervall von zwölf Stunden bestimmt. Hierbei war die CTC-Zahl, bestimmt mit dem ,Goldstandard', dem Cell-Search-System, zwischen den Zeitpunkten nicht signifikant unterschiedlich [1] [2]. Diese Daten würden darauf hindeuten, dass der zirkadiane Rhythmus die Tumorzellausbreitung nicht beeinflusst. In einer anderen Studie an einem Mausmodell, war der Spitzenwert der CTC-Zahl im Gegensatz zu den Daten der jetzt publizierten Arbeit zu Beginn der aktiven Phase erreicht [3].“

„Aufgrund der Tatsache, dass im Körper viele Zellen und deren Aktivitäten (zum Beispiel Immunzellen) einem zirkadianen Rhythmus unterliegen, können wir schon davon ausgehen, dass es Tageszeitunterschiede und kurzfristige Schwankungen auch in der CTC-Anzahl gibt, was nahelegt, dass die hämatogene Metastasierung durch den zirkadianen Rhythmus reguliert werden kann. Insgesamt muss dieses Phänomen und damit auch die Ergebnisse der Arbeit aus der Schweiz in einer größeren Kohorte von Patienten in einer multizentrischen Studie mit unabhängigen Personen bestätigt werden. Erst dann wird man absehen können, ob sich dies auf zukünftige Behandlungsmethoden auswirken wird.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Alle: Keine Angaben erhalten.

Primärquelle

Diamantopoulou Z et al. (2022): The metastatic spread of breast cancer accelerates during sleep. Nature. DOI: 10.1038/s41586-022-04875-y.

Literaturstellen, die von den Experten zitiert wurden

[1] Martín M et al. (2009): Circulating Tumor Cells in Metastatic Breast Cancer: Timing of Blood Extraction for Analysis. Anticancer Research.

[2] García-Sáenz JA et al. (2006): Circulating tumoral cells lack circadian-rhythm in hospitalized metastasic breast cancer patients. Clinical and Translational Oncology. DOI: 10.1007/s12094-006-0139-0.

[3] Zhu X et al. (2021): In vivo flow cytometry reveals a circadian rhythm of circulating tumor cells. Light: Science & Applications. DOI: 10.1038/s41377-021-00542-5.