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06.12.2023

Bluttest zu Vorhersage von altersassoziierten Erkrankungen

     

  • das schnellere Altern einzelner Organe bei Erwachsenen könne laut aktueller Studie auf eine Erkrankung des entsprechenden Organs hindeuten
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  • die Autorinnen und Autoren stellen einen möglichen Bluttest vor, um schneller alternde Organe zu erkennen
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  • unabhängige Forschende sehen in den Daten noch keinen validen Test zur Vorhersage von altersassoziierten Erkrankungen
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Etwa jeder fünfte gesunde Erwachsene ab 50 Jahren hat laut einer Studie ein Organ, das schneller altert als für das chronologische Alter üblich. Zu diesem Ergebnis kommen Forschende aus Kalifornien, die Blutproben von 5678 Personen auswerteten und anhand der Daten einen Bluttest entwickelten, mit dem das Alter von bisher elf Organen bestimmt werden kann. Dieser Test könnte zukünftig Aufschluss darüber geben, ob und welche Organe im Körper einer Person schneller altern, sodass therapeutische Maßnahmen ergriffen werden können, lange bevor sich klinische Symptome zeigen. Die Ergebnisse wurden im Fachjournal „Nature“ veröffentlicht (siehe Primärquelle).

Das biologische Alter zu bestimmen ist nicht grundsätzlich neu. Auf Basis der bekannten Horvath-Clock [I] und anderen epigentischen Altersprädikatoren werden bereits kommerzielle Tests zur Bestimmung des biologischen Alters angeboten. Diese können laut Vertreiber Aussagen darüber treffen, ob ein Mensch seinem chronologischen Alter voraus ist oder sich noch unter der Summe seiner Lebensjahre befindet.

Das Forschungsteam um Tony Wyss-Coray fand in Tierstudien mit Mäusen allerdings heraus, dass verschiedene Organe einzigartige molekulare Alterungsprozesse aufweisen und die Zeitpunkte für die Anfälligkeit beziehungsweise Widerstandsfähigkeit gegenüber Krankheiten in bestimmten Organen variierten [II]. Um nun zu testen, ob es auch beim Menschen möglich ist, unterschiedliche Alterszustände von Organen zu messen, griffen sie auf vorhandene Methoden zur Bestimmung organspezifischer Blutplasmaproteine zurück. Mit Daten von 1398 gesunden Personen unterschiedlichen Alters wurde eine KI trainiert, die für elf Organe das Proteinprofil abhängig vom Alter darstellt. Dieses Modell wurden anschließend in vier unabhängigen Kohorten mit weiteren 4280 Personen getestet.

Sie stellten fest, dass bei 18,4 Prozent der über 50-Jährigen mindestens ein Organ deutlich schneller altert als der Durchschnitt – definiert als ein um eine Standardabweichung höheres biologisches Alter des Organs als der Gruppendurchschnitt für dieses Organ bei Personen desselben chronologischen Alters. Diese Personen haben laut der Auswertung der Autorinnen und Autoren ein erhöhtes Risiko, in den nächsten 15 Jahren an dem betreffenden Organ zu erkranken. Nur etwa eine von 60 Personen in der Studie hatten zwei altersauffällige Organe.

Die Forschenden gehen davon aus, dass ihr Test helfen könnte, bei scheinbar gesunden Personen, Anzeichen für altersassoziierte Krankheiten bestimmter Organe festzustellen. Als Beispiele nennen sie ein „älteres“ Gehirn als Indikator für neurodegenerative Erkrankungen, „alte“ Nierenwerte für Bluthochdruck und Diabetes sowie gealterte Herzwerte für Herzerkrankungen. Drei der Autoren ließen bereits ein Patent anmelden und gründeten das Unternehmen Teal Omics Inc., um die Kommerzialisierung ihrer Erkenntnisse zu erforschen.

Zu dem Konzept der individuellen Alterung von Organen sowie zu der zugrundeliegenden Methodik der Studie und dem Potenzial des Bluttests äußern sich Experten in den nachfolgenden Statements.

Übersicht

  • Prof. Dr. André Fischer, Professor für Epigenetik neurodegenerativer Erkrankungen, Deutsches Zentrum für neurodegenerative Erkrankungen e. V. (DZNE), Göttingen
  • Dr. Joris Deelen, Leiter der Forschungsgruppe Genetik und Biomarker des menschlichen Alterns, Max-Planck-Institut für Biologie des Alterns, Köln

Statements

Prof. Dr. André Fischer

Professor für Epigenetik neurodegenerativer Erkrankungen, Deutsches Zentrum für neurodegenerative Erkrankungen e. V. (DZNE), Göttingen

Methodik

„Die angewandte Methodik ist im Grunde nicht neu. Die Autoren haben im Blutplasma Proteine gemessen und ihren Gehalt mit verschiedenen Phänotypen korreliert. Vereinfacht gesagt: Sie haben versucht, anhand der Menge an vorhandenen Proteinen im Blut Rückschlüsse auf die Funktion anderer Organe, wie zum Beispiel des Gehirns, zu ziehen.“

„Der innovative Ansatz besteht darin, dass sie insgesamt knapp 5000 Proteine im Blut betrachtet haben, um diese dem biologischen Alter bestimmter Organfunktionen zuzuordnen. Hierbei nutzten sie bestehende Datenbanken, um die Blutproteine spezifischen Organen zuzuweisen. Wenn beispielsweise ein im Blut identifiziertes Protein viermal häufiger im Gehirn vorkam als in anderen Organen, wurde es als ,hirnspezifisch‘ betrachtet. Zudem wurden Proteine eliminiert, bei denen der Gehalt zwischen Individuen sehr unterschiedlich war.“

„Anschließend wurde maschinelles Lernen, heutzutage besser bekannt als Künstliche Intelligenz (KI), genutzt, um aus den Proteindaten im Blut Rückschlüsse auf das ,Alter‘ bestimmter Organe zu ziehen.“

Individuelle Alterung von Organen

„Es ist bekannt, dass das chronologische Alter nicht immer mit dem biologischen Alter übereinstimmt. In unseren Körperzellen finden zahlreiche biochemische Prozesse statt. Im Laufe der Zeit ändert sich beispielsweise die Art und Weise, wie unser Erbgut abgelesen wird. Wenn wir unser Erbgut als eine Bibliothek betrachten, müssen die Zellen täglich bestimmte ,Bücher‘ lesen, sprich Gene aktivieren und Proteine produzieren. Dafür setzen die Zellen ,Lesezeichen‘, die Forscher als epigenetische Veränderungen bezeichnen. Anhand dieser Veränderungen der Lesezeichen lässt sich ebenfalls das biologische Alter bestimmen und mit dem chronologischen Alter vergleichen.“

„Der Grund dafür liegt in der Tatsache, dass der menschliche Körper und somit auch seine Organe täglich auf Umwelteinflüsse reagieren. Diese können grundsätzlich förderlich, aber auch schädlich für Organe sein. Man spricht dabei von Risikofaktoren oder schützenden Faktoren. Sport und Bewegung sind beispielsweise schützende Faktoren für eine Reihe von Organen, wie etwa das Gehirn.“

Vorhersagen durch Bluttests

„Die Entwicklung minimal-invasiver Biomarker, die Aussagen über das Risiko komplexer Erkrankungen wie Alzheimer ermöglichen, ist von äußerster Bedeutung. Es gibt verschiedene Ansätze dafür, wie die Analyse von Lipiden, RNA-/DNA-Molekülen und auch Proteinen. Die Ergebnisse der Autoren sind äußerst vielversprechend, sie stellen jedoch noch keinen prädiktiven Bluttest dar. Vielmehr sind die vorgestellten Daten ein wichtiger Baustein, um proteinbasierte Blut-Tests zur Früherkennung von Krankheiten zu entwickeln. Bereits jetzt finden Bluttests für spezifische Proteine in der klinischen Anwendung Verwendung. Ein Beispiel hierfür ist die Analyse von Amyloid-Beta-Peptiden im Blut von Alzheimer-Patienten. Die Messung bestimmter Proteine im Blut ist daher ein vielversprechender Ansatz zur Erkennung von Erkrankungen in bestimmten Organen.“

Dr. Joris Deelen

Leiter der Forschungsgruppe Genetik und Biomarker des menschlichen Alterns, Max-Planck-Institut für Biologie des Alterns, Köln

Methodik

„Die Ergebnisse sind sehr spannend und die Erstellung von organbasierten Altersscores ist eine innovative Methode, um die Alterung einzelner Organe zu betrachten.“

„Ein Nachteil der verwendeten Methodik ist jedoch, dass die Scores auf der Grundlage des chronologischen Alters berechnet werden. Frühere Studien haben gezeigt, dass solche auf dem Alter basierenden Indikatoren weniger aussagekräftig sind als Indikatoren, die auf klinisch relevanteren Merkmalen basieren, wie zum Beispiel Morbidität und Mortalität. Außerdem ist der Datensatz, der für die Erstellung der Scores verwendet wird, relativ klein, was die Genauigkeit der Scores einschränkt.“

„Im Idealfall sollten die Analysen daher unter Verwendung relevanterer klinischer Daten in wesentlich größeren epidemiologischen Studien wiederholt werden.“

Vorhersagen durch Bluttest

„Es ist noch unklar, wie gut organbasierte Altersscores altersbedingte Krankheiten vorhersagen können. In der aktuellen Studie haben die Autoren nur die Assoziation ihrer Scores mit altersbedingten Merkmalen und Krankheiten ermittelt, aber nicht deren Vorhersagekraft untersucht.“

„Obwohl die ersten Ergebnisse dieser Studie vielversprechend sind, ist es noch ein weiter Weg, bis diese organbasierten Altersscores in der (klinischen) Praxis eingesetzt werden können. Die nächsten Schritte wären, die Plattform in viel größeren Studien wie der UK BioBank, der BioBank Japan und FinnGen zu messen, um zu sehen, wie gut organbasierte Altersscores dort abschneiden würden, auch im Vergleich zu anderen blutbasierten Markern wie GrimAge (Altersvorhersage anhand von DNA-Methylierung [1]; Anm. d. Red.) und MetaboHealth (Stoffwechseluntersuchung zur Vorhersage mehrerer Gesundheitszustände und die Gesamtmortalität [2]; Anm. d. Red.). Danach könnten die Altersscores in klinischen Studien getestet werden, um zu sehen, wie gut sie dort funktionieren. Die aktuelle Studie ist nicht aussagekräftig genug, um belastbare Schlussfolgerungen über die Vorhersagekraft organbasierter Altersscores zu ziehen. Da die Messung außerdem noch relativ teuer ist, müsste sie für den Einsatz in der klinischen Praxis optimiert werden.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Prof. Dr. André Fischer: „Es gibt keine Konflikte.“

Dr. Joris Deelen: „Ich habe keine Interessenkonflikte.“

Primärquelle

Oh HS-W et al. (2023): Organ aging signatures in the plasma proteome track health and disease. Nature. DOI: 10.1038/s41586-023-06802-1.

Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden

[I] Horvath S et al. (2018): DNA methylation-based biomarkers and the epigenetic clock theory of ageing. Nature Reviews Genetic. DOI: 10.1038/s41576-018-0004-3.

[II] The Tabula Muris Consortium (2020): A single-cell transcriptomic atlas characterizes ageing tissues in the mouse. Nature. DOI: 10.1038/s41586-020-2496-1.

[1] Lu AT et al. (2019): DNA methylation GrimAge strongly predicts lifespan and healthspan. Aging. DOI: 10.18632/aging.101684.

[2] Deelen J et al. (2019): A metabolic profile of all-cause mortality risk identified in an observational study of 44,168395 individuals. Nature Communications. DOI: 10.1038/s41467-019-39611311-9.