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09.09.2019

Bluttest für Therapieresistenzen in Tumoren

Ein Bluttest scheint besser als eine herkömmliche Tumorbiopsie zu sein, um Therapieresistenzen bei unterschiedlichen Krebserkrankungen des Magen-Darm-Traktes zu entdecken.

Zum Hintergrund: Während einer gezielten Krebstherapie, die spezifisch auf mutierte Krebszellen wirken soll, kann ein Patient gegen eine vorher anschlagende Therapie resistent werden. Durch die abnormale Teilungs- und Mutationsrate, die bösartiges Krebsgewebe ausmacht, entstehen häufig Mutationen, die als ein Faktor Resistenzen des Patienten gegen bestimmte Therapien hervorrufen können. Gezielte Krebstherapien töten die dafür empfindsamen Krebszellen ab und erzeugen im Tumorgewebe einen hohen Selektionsdruck: Übrig bleiben am Ende dann die entarteten Zellen, denen die Therapie nichts mehr anhaben konnte. Diese wachsen weiter und die Krebserkrankung schreitet fort (Progression).

Um solche genetischbedingten Resistenzen zu identifizieren, werden bisher Proben von einzelnen Tumoren genommen. Bostoner Wissenschaftler nahmen an, dass dadurch nur ein geringes Spektrum der tatsächlich vorhandenen Resistenzen in den Tumorzellen eines Patienten gefunden wird und stellten daher einen Vergleich mit einem Bluttest an. 42 Patienten mit drei verschiedenen Krebserkrankungen des Magen-Darm-Traktes gaben für diese aktuelle Studie Blutproben nach dem Fortschreiten ihrer Krankheit trotz vorherigen Therapieerfolgs ab. In dem Blut suchten die Wissenschaftler nach herumschwimmendem Erbgut aus Tumorgewebe (cell-free DNA, cfDNA). Dieses Erbmaterial sequenzierten sie und verzeichneten alle klinisch relevanten Mutationen, die bekannt dafür sind, Therapieresistenzen hervorzurufen. Verfahren dieser Art werden unter dem Begriff Liquid Biopsy, also flüssige Biopsie, zusammengefasst. Von 23 der 42 Patienten lagen außerdem herkömmliche Biopsien vor, also Punktionen einzelner Tumore, in dessen Material die Wissenschaftler ebenfalls nach den Mutationen suchten.

Bei 18 der 23 Fälle (78 Prozent) haben die Wissenschaftler mithilfe des Bluttests zusätzliche Resistenzen entdeckt, die in der Tumorbiopsie nicht aufgespürt werden konnten. In nur einem Fall fiel in der klassischen Biopsie eine Resistenz auf, die in der Liquid Biopsy nicht auftrat. Die Schlussfolgerung der Forscher: Ein Bluttest könnte besser geeignet sein, um vorhandene Resistenzen bei Krebserkrankungen aufzuspüren als herkömmliche Biopsien. Das Wissen über solche Resistenzen könnte in der Klinik künftig bei der Wahl des Medikaments für die weitere Therapie helfen, wenn die Ergebnisse in größeren Patientenkohorten bestätigt werden können. Durch einen Vergleich ihrer Ergebnisse mit umfangreicheren Tumorbiopsien bei einzelnen Patienten konnten die Wissenschaftler außerdem Evidenz dafür sammeln, dass Resistenzen individuell in einzelnen Tumoren und Metastasen auftreten und nicht etwa für den Patienten in allen Geweben gleichverteilt sind. Die Ergebnisse werden am Montagnachmittag im Fachjournal „Nature Medicine“ publiziert (siehe Primärquelle).

 

Übersicht

  • Prof. Dr. Holger Sültmann, Leiter der Abteilung Krebsgenomforschung, Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ), Heidelberg, und Nationales Centrum für Tumorerkrankungen (NCT)
  • Prof. Dr. Christian Thiede, Professor für Molekulare Hämatologie, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, Dresden

Statements

Prof. Dr. Holger Sültmann

Leiter der Abteilung Krebsgenomforschung, Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ), Heidelberg, und Nationales Centrum für Tumorerkrankungen (NCT)

„Tumorheterogenität und Selektionsdruck durch Therapie sind wesentliche Faktoren für die Entstehung der Therapieresistenz. Diese Studie zeigt sehr gut, dass die Tumorheterogenität durch Liquid Biopsy-Analysen besser gemessen werden kann als in den Primärgeweben oder Biopsieproben. Molekulare Faktoren, die für die Therapieresistenz verantwortlich sind, können somit besser erfasst werden. In einigen Fällen könnten solche Faktoren auch eine Änderung der Therapie begründen. Jedoch sind die Ergebnisse nicht ohne weitere Tests auf gastrointestinale Tumoren oder andere Krebsarten übertragbar. Ferner können nicht alle Aspekte der Publikation hinreichend eingeschätzt werden, da wichtige Daten (noch) nicht in der Vorab-Version der Publikation zugänglich sind. Hierzu gehören die Tumorstadien und technische Parameter (insbesesondere die Sequenziertiefe).“

„Die Autoren gehören zu den weltweit führenden Gruppen im Bereich der Genomsequenzierung von Krebs und Liquid Biopsies. Daher entsprechen Methodik und Durchführung der Studie (prospektiv) und entsprechen dem aktuellen Wissensstand. Es ist positiv, dass verschiedene Plattformen für die molekularen Analysen genutzt werden. Die Fallzahlen reichen jedoch keinesfalls aus, um Schlussfolgerungen für das klinische Management gastrointestinaler (und damit auch anderer) Tumoren zu ziehen. Im Gegenteil zeigen die Daten, dass – so heterogen wie die Tumoren - auch die Mechanismen der Resistenzbildung bei jedem Patienten unterschiedlich sind. Ein wichtiger Aspekt ist das Tumorstadium: Die beiden in der Publikation erläuterten Fallbeispiele beziehen sich auf metastasierte Tumoren. Bei diesen Patienten wird im Allgemeinen viel DNA im Blut gefunden. Schwieriger ist der Nachweis von Resistenzmutationen bei Tumoren, die noch keine Metastasen gebildet haben. Auch aus diesem Grund sollte keine Verallgemeinerung erfolgen.“

„Klinische Relevanz ist nur dann gegeben, wenn die gefundenen Mutationen im Falle der Resistenz auch eine therapeutische Konsequenz haben, das heißt, wenn die Therapie mit einer anderen Methode (zum Beispiel ‚targeted drugs‘, Chemo- oder Radiotherapie) fortgesetzt werden kann. Dies ist bei einigen der gefundenen Mutationen (zum Beispiel BRAF, EGFR, ERBB2) der Fall. Für KRAS- und NRAS-mutierte Tumoren gibt es jedoch bislang keine zugelassene Therapie (Kirsten-RAS und Neuroblastom-RAS sind Proto-Onkogene, die für kleine G-Proteine codieren. Sind sie mutiert, wirken die Tumormedikamente nicht; Anm. d. Red.). Ferner ist – insbesondere in Fällen mit vielen Resistenzmutationen – eine Therapieentscheidung schwierig, weil der relative Beitrag der einzelnen Subklone zur Resistenz nicht eingeschätzt werden kann. Dieser Aspekt (der jedoch keine Schwäche des Liquid Biopsy-Tests per se ist) wird auch von den Autoren als eine Herausforderung diskutiert. Aus heutiger Sicht könnte ein Liquid Biopsy-Test in den Fällen eingesetzt werden, bei denen die Entnahme einer Biopsie wegen fehlender Zugänglichkeit oder wegen eines erheblichen Risikos für die Patienten nicht möglich ist. Dies wird jedoch bisher in der Klinik im Allgemeinen nicht umgesetzt. Ein Einsatz von Liquid Biopsy-Tests kann nur dann erfolgen, wenn ihr Vorteil in kontrollierten prospektiven klinischen Studien nachgewiesen wurde.“

Prof. Dr. Christian Thiede

Professor für Molekulare Hämatologie, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, Dresden

„Die Möglichkeit, genetische Veränderungen in Tumoren aus zirkulierendem, zellfreiem Material zu gewinnen, ist seit mehreren Jahren ein zentrales Forschungsthema vieler Gruppen weltweit. Es wird damit erstmal möglich, quasi in Echtzeit Zugriff auf den Tumor und seine molekulare Evolution im Rahmen der Behandlung zu bekommen.“

„In diesem Kontext stellt die vorliegende Arbeit eine wichtige weitere Entwicklung auf dem langen Weg zu einer validierten diagnostischen Anwendung dar. Naturgemäß besteht eine große Ungeduld, diese Verfahren auch diagnostisch in Patienten einzusetzen. Bis dies möglich ist, müssen aber vielfältige prospektive Studien vorhanden sein, um Vor- und Nachteile des Verfahrens zuverlässig beurteilen zu können.“

„Die Arbeit belegt in einer methodisch sehr umfassenden Analyse prospektiv, dass zellfreies Tumormaterial deutlich besser als Gewebe aus Biopsien in der Lage ist, die genetische Heterogenität des Tumors abzubilden und deutlich frühzeitiger Resistenzentwicklungen zu erkennen.“

„Auch ist die Belastung des Patienten durch die Blutabnahme naturgemäß deutlich geringer, als durch Punktionen Biopsien zu gewinnen, was häufigere Analysen ermöglicht. Damit kann wertvolle Zeit gewonnen werden, um therapeutisch gegenzusteuern und kostenintensive, nicht wirksame und potenziell mit Nebenwirkungen behaftete Medikamente abzusetzen und auf neue Therapeutika zu wechseln.“

„Auch wenn die Daten richtungsweisend sind, sind mit 46 untersuchten Patienten die Fallzahlen aber noch zu gering, um basierend auf diesen Ergebnissen einen direkten Einsatz beziehungsweise Ersatz der Tumorbiopsie zu unterstützen. Hierfür wären deutlich größere, multizentrische Patientenkohorten notwendig, um die Heterogenität zum Beispiel des Kolonkarzinoms abzubilden und den sinnvollen Einsatz in bestimmten klinischen Situationen zu begründen.“

„Dieser Weg ist bei anderen Tumorentitäten bereits beschritten worden und bildete die Grundlage für den klinischen Einsatz, so zum Beispiel beim Bronchialkarzinom, bei dem der Nachweis Resistenz-vermittelnder Mutationen mittels cfDNA (insbesondere die T790M-Mutation des EGFR) bereits seit Anfang 2019 von den gesetzlichen Kassen erstattet wird.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Alle: Keine angegeben.

Primärquelle

Parikh AR et al. (2019): Liquid versus tissue biopsy for detecting acquired resistance and tumor heterogeneity in gastrointestinal cancers. Nature Medicine; 25: 1415–1421; DOI: 10.1038/s41591-019-0561-9.