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06.07.2023

Bislang unbekannte Methanquelle durch den Rückgang arktischer Gletscher

     

  • laut Feldforschung in Spitzbergen könnte Rückgang arktischer Gletscher große Mengen Methan freisetzen
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  • möglicher bislang wenig erforschter Feedbackloop im Klimasystem
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  • laut unabhängigem Experten sind die in der Studie bestimmten Emissionsmengen gering, global betrachtet könnte der Effekt aber relevant sein
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Der Rückgang arktischer Gletscher setzt über einen weitgehend unerforschten Mechanismus das potente Treibhausgas Methan frei: Im Vorfeld der abschmelzenden Gletscher dringt methanhaltiges Grundwasser an die Oberfläche und gelangt in die Atmosphäre. Das belegen Feldarbeiten eines britisch-norwegischen Forschungsteams an 78 Gletschern auf der norwegischen Inselgruppe Spitzbergen. Die Ergebnisse sind am 06.07.2023 im Fachjournal „Nature Geoscience“ erschienen (siehe Primärquelle).

Unterhalb von Gletschern und Permafrostböden in arktischen Regionen befinden sich große Methanvorkommen. Beginnen diese durch die klimawandelbedingte Erwärmung zu schmelzen, kann das darunter eingeschlossene Methan freigesetzt werden. Das trägt wiederum zum Klimawandel bei, da Methan ist ein sehr wirksames Treibhausgas ist – auf 20 Jahre betrachtet ist es gut 80-mal potenter als Kohlendioxid (CO2) [I], verbleibt jedoch viel kürzer in der Atmosphäre. Für Permafrostböden ist dieser positive Feedbackloop bereits bekannt und wird viel diskutiert [II], weniger aber für Gletscher.

Schmelzen Inlandgletscher ab, legen sie Quellen frei, über die Grundwasser von tief unter den Gletschern an die Oberfläche gelangt. Die Autorinnen und Autoren der aktuellen Studie weisen nach, dass dieses Wasser stark methanhaltig ist. Mithilfe von Simulationen berechnen sie, dass über Grundwasserquellen an zurückgehenden Gletschern in Spitzbergen jährlich bis zu 2300 Tonnen Methan in die Atmosphäre gelangen. Ihre Beobachtungen deuten an, was sich in Zukunft in vielen arktischen Regionen abspielen könnte, denn in Spitzbergen steigen die Temperaturen durch den Klimawandel doppelt so schnell an wie im Rest der Arktis. Im arktischen Kanada oder Russland etwa liegen große Mengen Methan unter dem Eis, das in die Atmosphäre gelangen könnte, wenn die Gletscher schmelzen, so die Forschenden.

Statements

Dr. Friedemann Reum

Institut für Physik der Atmosphäre, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), Weßling-Oberpfaffenhofen

„Die Autoren haben einen sehr umfangreichen Datensatz gesammelt. Der erlaubt eine Reihe interessanter Schlussfolgerungen über den zugrundeliegenden Mechanismus der Methanfreisetzung durch schmelzende Gletscher. Die Berechnung der Methanemissionen ist mit einigen Unsicherheiten behaftet und die Autoren beschreiben viele Annahmen, die sie dafür treffen mussten. Bei der gegenwärtigen Datenlage ist das ein guter Weg, um die Größenordnung der Emissionen einzuordnen. Um die Unsicherheiten zu reduzieren, wären weitere Messungen nötig – zum Beispiel im Sommer, wenn die Vereisungen abtauen, in denen das Methan aus dem Grundwasser zunächst eingefangen wird.“

„Der beschriebene Effekt hat Ähnlichkeiten mit anderen Prozessen, die in der Arktis Methan aus dem Boden freisetzen: Auch Permafrost kann wie ein ,Deckel‘ für im Boden gespeicherten Kohlenstoff beziehungsweise Methan wirken. Und auch dieser Deckel ist an vielen Stellen durchlässig, etwa unter Seen oder durch die Erderwärmung. Diese Studie zeigt, dass auch schwindende Gletscher einen solchen Deckel darstellen können, und sie ist die erste, die diesen Effekt großflächig quantifiziert.“

„Der Mechanismus ist momentan nicht separat von anderen Prozessen in Methanbudgets erfasst, wohl aber in Studien, die Emissionen anhand von Atmosphärenbeobachtungen bestimmen, da sich in der Atmosphäre alle Quellen schließlich mischen.“

„Der direkte Nachweis dieses Prozesses über Satelliten könnte schwierig sein: Das momentan eingesetzte Messprinzip der passiven Fernerkundung basiert auf reflektiertem Sonnenlicht. Leider steht im hohen Norden die Sonne sehr tief, und außerdem sind Eis, Schnee und Wasser ,dunkel‘ – also nicht reflektiv – in den für Methan wichtigen Wellenlängen. Das erschwert die Messungen, weil sehr wenig Licht beim Satelliten ankommt. Daher beinhaltet zum Beispiel das Standardprodukt des Methan-Instruments TROPOMI auf dem ESA-Satelliten Sentinel-5P direkt auf Spitzbergen nur sehr wenige Messungen. Auf den ersten Blick ist dieses Signal in diesem Datensatz nicht direkt zu sehen, aber eine genauere Analyse wäre erforderlich, um dessen sicher zu sein.“

„Die Studie beschreibt sehr hohe Methankonzentrationen in einem relativ kleinen Gebiet. Die ermittelten Emissionen sind global gesehen im betrachteten Zeitraum relativ klein. Zum Vergleich: Die höchsten anthropogenen Emissionen in Europa kommen aus einem Kohleabbaugebiet im Süden Polens und sind grob 200- bis 300-mal so hoch. Aber, wie die Autoren schreiben, gibt es noch viele weitere Gebiete, in denen der von ihnen beobachtete Effekt heute oder in Zukunft auftreten könnte. Die Studie zeigt, dass es wichtig sein könnte, zurückweichende Gletscher als Methanquellen im Auge zu behalten – insbesondere dann, wenn durch den Klimawandel immer größere Gletscherflächen verschwinden.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Dr. Friedemann Reum: „Ich habe keinen Interessenkonflikt.“  

Primärquellen

Kleber GE et al. (2023): Groundwater springs formed during glacial retreat are a large source of methane in the high Arctic. Nature Geoscience. DOI: 10.1038/s41561-023-01210-6.

Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden

[I] IPCC (2021): The Earth’s Energy Budget, Climate Feedbacks and Climate Sensitivity. Kapitel 7 des Beitrags der Working Group I zum Sechsten Sachstandsbericht des Intergovernmental Panel on Climate Change.
Tabelle 7.15 vergleicht das Treibhauspotenzial verschiedener Treibhausgase mit dem von Kohlendioxid (CO2), jeweils über einen Betrachtungszeitraum von 20 und 100 Jahren.

[II] Science Media Center (2021): Methan-Emissionen aus Permafrostböden nach sibirischer Hitzewelle. Research in Context. Stand: 02.08.2021.