Zum Hauptinhalt springen
18.07.2023

Bakteriophagen als Alternative zu Antibiotika

     

  • Bakteriophagen als relevante Option zur Bekämpfung multiresistenter Keime
  •  

  • Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag sieht Entwicklungshürden vor allem in derzeitigen Vorschriften
  •  

  • unabhängige Experten sehen Potenzial in Phagentherapie und fordern Richtlinien, die die Evidenzbeschaffung erleichtern
  •  

Bei bakteriellen Infektionen gelten Antibiotika meist als das Mittel der Wahl. Doch da Antibiotikaresistenzen die Gesundheitssysteme weltweit vor Probleme stellt, widmet sich die Forschung auch wieder zunehmend Bakteriophagen zur Bekämpfung multiresistenter Keime. Während es zwar immer wieder erfolgreiche Fallberichte gibt, mangelt es insbesondere in der Medizin an Evidenz. Die Ursache dafür seien vor allem die derzeitigen Richtlinien und Verordnungen, die eine Nutzung von Phagen in der EU und in Deutschland behindern. Zu diesem Schluss kommt ein Bericht des Büros für Technikfolgen-Abschätzung (TAB) beim Deutschen Bundestag, der die Anwendungsperspektiven, Innovations- und Regulierungsfragen bei Bakteriophagen in der Medizin sowie in der Land- und Lebensmittelwirtschaft diskutiert (siehe Primärquelle). Der Bericht erschien am 18.07.2023. Das TAB berät den Bundestag bei technisch-wissenschaftlichen Themen. Die Berichte gehen über verschiedene Wege in die parlamentarische Arbeit ein, oft als Grundlage für Gespräche in den Fachausschüssen.

Bakteriophagen, kurz Phagen, sind weltweit vorkommende Viren, die Bakterien angreifen und zerstören können. Im Gegensatz zu Antibiotika sind sie spezifisch und greifen jeweils nur einen oder wenige Bakterienstämme an. Im medizinischen Bereich werden Phagen in einzelnen Therapiezentren etwa in den USA und in Georgien, aber auch im Bundeswehrkrankenhaus in Berlin, bereits gegen Atemwegsinfektionen oder infizierte Wunden eingesetzt. In der EU und Deutschland gibt es bisher jedoch noch kein als Medikament zugelassenes Phagenpräparat. Die Phagen können derzeit nur unter Ausnahmebedingungen und in Einzelfällen eingesetzt werden – beispielsweise als individueller Heilversuch, wenn herkömmliche Medikamente nicht mehr wirksam sind. Das liegt laut TAB-Bericht unter anderem an fehlenden Wirksamkeitsnachweisen durch größere klinische Studien, aber auch an dem auf unveränderliche Wirkstoffkombinationen und Standardtherapien ausgerichteten Zulassungsrahmen in der EU.

Die Autorinnen und Autoren des Berichts kommen zu dem Schluss, dass die Potenziale von Phagen stärker ergründet und genutzt werden sollten. Um das zu ermöglichen, sei es notwendig, Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten zu Phagen gezielter zu fördern und spezielle Zulassungsprogramme und wirtschaftliche Anreize zu schaffen. Langfristig sei aber vor allem eine Entwicklung der bisher unflexiblen rechtlichen Rahmenbedingungen nötig. Parallel dazu schlagen die Autorinnen und Autoren mögliche rechtliche Ausnahmen vor, die die Phagentherapie in besonderen Bedarfsfällen für mehr Betroffene in Deutschland bereits jetzt zugänglich machen könnte. In diesem Kontext wird auch eine praxisnahe Anpassung nach belgischem Vorbild diskutiert. Dort sind sogenannte Magistralformulierungen möglich, die Phagentherapie kann also auf ärztliche Verordnung individuell in Apotheken hergestellt werden [I].

Das SMC hat Forschende gebeten, die Hürden und Anwendungsperspektiven von Phagen in der Medizin sowie die im Bericht vorgeschlagenen Maßnahmen einzuschätzen.

Übersicht

     

  • Prof. Dr. Bernd Salzberger, Leiter des Bereichs Infektiologie, Universitätsklinikum Regensburg
  •  

  • Prof. Dr. Gerd Fätkenheuer, Leiter der Infektiologie, Klinik I für Innere Medizin, Uniklinik Köln
  •  

  • Prof. Dr. Alexander Harms, Assistenzprofessor für Molekulare Phagenbiologie, Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETHZ), Schweiz
  •  

  • Prof. Dr. Mathias W. Pletz, Direktor des Instituts für Infektionsmedizin und Krankenhaushygiene, Universitätsklinikum Jena
  •  

  • Prof. Dr. Julia Frunzke, Leiterin der Arbeitsgruppe Bakterielle Netzwerke und Interaktionen am Institut für Bio- und Geowissenschaften, Forschungszentrum Jülich GmbH (FZJ)
  •  

Statements

Prof. Dr. Bernd Salzberger

Leiter des Bereichs Infektiologie, Universitätsklinikum Regensburg

„Das größte Potenzial der Phagentherapie sehe ich in der Behandlung bakterieller Infektionen, die durch Antibiotika schlecht, zum Beispiel aufgrund von Resistenzen, zu behandeln sind. Dies gilt bisher weniger für eine systemische Therapie, hier sehe ich im Augenblick noch schwer überwindbare Hürden. Hier bildet der TAB-Bericht den Status quo insofern recht gut ab, auch in Bezug auf die Anwendung in Georgien, Russland und der Ukraine.“

„Bisher gibt es wenig qualitativ hochwertige Studien zum Einsatz von Phagen. Eine der großen Hürden in der Phagentherapie ist die Gewährleistung der biologischen Sicherheit der hergestellten Phagen. Anders als bei Arzneimitteln gibt es hierzu keine Standards, die zum Beispiel in der präklinischen Entwicklung zu erfüllen sind. Und natürlich sind die nächsten Schritte - klinische Studien - ohne wirtschaftliche Anreize für Entwickler und Hersteller kaum denkbar.“

„Eine Wirksamkeit der Phagentherapie kann derzeit am ehesten mit einer lokalen Anwendung von Phagen nachgewiesen werden. Hierzu bieten sich Studien bei komplizierten Knochen- und Gelenkprotheseninfektionen an. Die bisherigen Therapien sind hier nicht ausreichend wirksam und es gibt hier auch Infektionen mit schwer behandelbaren Erregern, bei denen eine Phagentherapie eine zusätzliche Wirksamkeit zeigen könnte. Ein anderer Ansatz könnte eine Lokaltherapie bei Patienten mit Bronchiektasien (bleibende Erweiterungen und Aussackungen der Atemwege; Anm. d. Red.) und chronischen Infektionen sein.“

„Ein Vorgehen nach belgischem oder französischem Vorbild würde den Forschungsprozess sicher beschleunigen, insgesamt sollte aber gerade in Bezug auf die Patientensicherheit eine Lösung auf EU-Ebene angestrebt werden.“

„Für die humanmedizinische Anwendung einer Phagentherapie fast der Bericht die aktuellen Probleme treffend zusammen. Es werden Lösungswege für den komplexen regulatorischen Prozess gezeigt und diskutiert, die zu einer schnelleren klinischen Erprobung führen könnten. Zur Anwendung zum Beispiel in der Lebensmittelproduktion kann ich nichts beitragen.“

Prof. Dr. Gerd Fätkenheuer

Leiter der Infektiologie, Klinik I für Innere Medizin, Uniklinik Köln

„Der Forschungsbericht ist sehr umfangreich und detailliert, er stellt die Herausforderungen, die sich mit der Phagentherapie ergeben, sehr genau dar. Der Bericht kann damit als aktuelles Standardwerk gelten, wenn man sich über diesen Bereich informieren will. Er zeigt aber auch sehr gut die riesigen Hürden auf, die vor einer klinischen Anwendung liegen. Ein zentrales Problem aus der Sicht des praktisch tätigen Arztes ist das Fehlen von aussagefähigen klinischen Studien. Ohne solche Studien ist es für mich nicht vorstellbar, dass es zu einer breiten Anwendung kommen kann.“

„Ein zentrales Problem besteht darin, dass es keine Standardisierung der Therapie gibt, wie das üblicherweise bei Medikamenten der Fall ist. Die Phagentherapie muss genau auf die Bakterien zugeschnitten sein, die bei einem Patienten eine Infektion auslösen. Da es sich um Bakterien mit verschiedenen Eigenschaften handeln kann, wird man dafür in der Regel einen Cocktail von verschiedenen Phagen benötigen, die sehr schnell verfügbar sein müssen. Um wirksam sein zu können, müssen sie auch an die Stelle der Infektion kommen. Das ist bei Wundinfektionen noch relativ leicht möglich, bei Infektionen der inneren Organe aber äußerst schwierig. Ein weiteres Problem für die notwendigen klinischen Studien besteht darin, dass es sich um eine kleine Zahl von Patienten handelt, die grundsätzlich dafür infrage kommt. Das werden vor allem Patienten sein, bei denen Antibiotika nicht ausreichend wirken. In der Regel wird es umso schwieriger, aus einer Studie allgemeingültige Schlüsse zu ziehen, je weniger Teilnehmer eingeschlossen wurden.“

Auf die Frage, für welche Patientengruppen/Indikationen sich Phagentherapien besonders eignen könnten, um erste klinische Evidenz zu Wirksamkeit und Sicherheit zu erzeugen:
„Zum einen könnte die Wirksamkeit bei Patienten mit langwierigen Wundinfektionen untersucht werden, insbesondere wenn auch Erreger vorliegen, die hoch resistent gegen Antibiotika sind. Ein weiteres mögliches Gebiet könnte die Behandlung von Patienten mit chronischen Lungenerkrankungen sein, also zum Beispiel mit Mukoviszidose oder mit COPD (chronisch obstruktive Lungenerkrankung; Anm. d. Red.). Bei diesen Patienten ist die Lunge häufig mit Erregern besiedelt, die zu einer weiteren Schädigung der Lunge führen. Da die Patienten häufig Antibiotika erhalten, bilden sich bei ihnen resistente Bakterien, die mit herkömmlichen Mitteln nur ganz schwer zu behandeln sind. Diese Patienten würden also sehr davon profitieren, wenn sich neue Behandlungsmöglichkeiten ergäben.“

Auf die Frage, inwiefern eine praxisorientierte Lösung der Herstellung von patientenindividuellen Phagenzubereitungen nach belgischem Vorbild den zu erbringenden Nachweis der klinischen Wirksamkeit unterstützen oder eher behindern würde:
„Unter bestimmten Voraussetzungen kann auch eine stark individualisierte Therapie, im Extremfall sogar eine Einzelfallbeobachtung, wichtige Schlüsse zur Wirksamkeit zulassen. Das gilt zum Beispiel dann, wenn alle verfügbaren Möglichkeiten erfolglos ausgeschöpft sind, und eine individuelle Therapie dann eine Wende bringt. Eine solche Therapie muss jedoch an sehr strenge Bedingungen geknüpft sein.“

Prof. Dr. Alexander Harms

Assistenzprofessor für Molekulare Phagenbiologie, Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETHZ), Schweiz

„Der Bericht bildet den Status quo prinzipiell treffend ab und benennt das Potenzial für die Anwendung von Phagen in drei Bereichen: Antibiotikaresistenzen, Lebensmittelinfektionen und Pflanzenschutz (zum Beispiel Seite 138). Dem stimme ich zu, gerade auch mit Verweis darauf, dass medizinische Anwendungen am Menschen nur einer von mehreren Bereichen sind, wo die Anwendung von Phagen große Chancen bietet. Ich würde das Potenzial von Anwendungen bei Nahrungsmitteln oder in der Landwirtschaft nicht unterschätzen, weder in Bezug auf die ökonomischen Möglichkeiten noch auf die erzielbaren Effekte (indirekt – durch verringerten Antibiotika-Einsatz – auch auf die Resistenz-Krise bei menschlichen Patienten). Die allgemein sehr pragmatische, auf eine möglichst effektive (und baldige) Anwendung von Phagen ausgelegte Zielrichtung des Dokuments ist sehr zu begrüßen.“

„Der Bericht ist sehr auf personalisierte Phagentherapie mit natürlichen Phagen fokussiert, während ‚off the shelf cocktails‘ und genetisch veränderte Phagen nicht in gleichem Umfang behandelt werden. Falls für vorgefertigte Cocktails (wie sie gerade auch in Ländern der ehemaligen UdSSR verwendet werden) ein Wirknachweis erbracht werden könnte, wären sie gerade für alltägliche und nicht lebensbedrohliche Infektionen eine gute und (durch größere Produktions-Volumina) möglicherweise auch ökonomisch attraktive Option, die den Einsatz von Antibiotika ergänzen und vielleicht auch teilweise ersetzen könnte. Sie müssten in der Tat (wie im Bericht erwähnt) regelmäßig verändert und erneuert werden, was entsprechend flexible rechtliche Rahmenbedingungen erfordern würde.“

„Genetisch veränderte Phagen schätze ich als viel wichtiger ein, als im Bericht suggeriert. Primärer Grund hierfür ist, dass natürliche Phagen als evolvierter Teil der Ökosysteme ganz grundsätzlich Nachteile zum Beispiel in Bezug auf das Wirtsspektrum oder die Inaktivierung von Bakterien haben, die durch genetische Veränderungen gezielt verändert werden können. So können zum Beispiel attraktive Eigenschaften mehrerer Phagen wie ein breites Wirtsspektrum und gute Haltbarkeit miteinander kombiniert werden oder durch Gene für die Produktion antimikrobieller Enzyme auch Infektionen von mehreren Erregern mit einzelnen Phagen bekämpft werden. Natürlich erfordern solche genetischen Modifizierungen Zeit und Ressourcen, die sie für Einzelfälle von personalisierter Phagentherapie weniger praktikabel machen als zum Beispiel für breitere Anwendungen (‚off the shelf‘, allerdings nicht notwendigerweise als Cocktail). Dafür sind genetisch veränderte Phagen zum Beispiel mit Blick auf die Patentierbarkeit auch interessanter für kommerzielle Anwendungen als natürliche Phagen. Schwierigkeiten sehe ich bei der rechtlichen Situation, die genetisch veränderte Phagen momentan deutlich benachteiligt, sowie bei der öffentlichen Meinung, die nach den Debatten über genetisch veränderte Nahrungsmittel und die Covid-19-Impfstoffe der Behandlung mit ‚genmanipulierten Viren‘ möglicherweise skeptisch gegenüberstehen könnte.“

„Wie der Bericht sehr treffend darlegt, bestehen Hürden für die Erprobung von Phagenzubereitungen primär in der unklaren, beziehungsweise nicht gut zu Phagen passenden rechtlichen Situation (sowohl für die Studien an sich als auch für nachgelagerte Anwendungen). Ein pragmatischer und flexibler Regulierungsrahmen (in Deutschland oder besser noch EU- oder europaweit) wäre daher in der Tat sehr hilfreich, weil eine Perspektive für konkrete Anwendungen und, zum Beispiel durch Anreizstrukturen, auch für die Kommerzialisierung geschaffen würde. Weitere Forschung und Entwicklung würde sicher die wissenschaftlich-technischen Hindernisse überwinden können, wofür der Bericht sinnvolle und pragmatische Vorschläge macht, zum Beispiel durch ein öffentliches Förderprogramm und die zielgerichtete Vernetzung von Kliniken, akademischer Forschung, und den an Phagenprodukten interessierten Unternehmen.

„Der Bericht hebt vor allem das Potenzial der Phagentherapie für die (noch relativ) kleine Gruppe von Patienten hervor, bei denen bereits alle anderen Behandlungsansätze versagt haben. In der Tat könnte die Phagentherapie für diese Patienten vielleicht den größten Unterschied zu vorhandenen Behandlungsoptionen machen (und sollte daher unbedingt auch angewandt werden). Dennoch sind diese Patienten aufgrund ihrer Heterogenität und der oft sehr komplexen, fortgeschrittenen Infektionen vielleicht nicht die beste Zielgruppe für erste klinische Studien zu Evidenz und Wirksamkeit. Da unklare oder umstrittene Ergebnisse der Behandlungen ein Hauptgrund dafür waren, dass Phagentherapien im Westen spätestens Mitte des 20. Jahrhunderts wieder aufgegeben wurden, wäre meiner Meinung nach gerade auch mit Blick auf die öffentliche Meinung ein Fokus auf diese sehr schwierigen Krankheitsbilder riskant und nicht ratsam. Andere Gruppen von Patienten mit Infektionen 1) an für die Behandlung gut zugänglichen Stellen, die 2) relativ häufig sind und bei denen 3) keine akute Lebensgefahr besteht, wären vielleicht besser geeignet. Ich denke hierbei zum Beispiel an Infektionen des Gehörgangs oder der Blase, die auch in der Vergangenheit gelegentlich in Studien zur Phagentherapie als Modell gewählt worden sind.“

„Ich stimme dem Bericht darin zu, dass pragmatische und flexible Anpassungen des Regulierungsrahmens für die Erprobung und Anwendung von Phagenzubereitungen in der Klinik und anderen Bereichen notwendig sind. Falls solche Anpassungen (wie der Bericht vermutet) auf EU-Ebene kurz- und mittelfristig nicht realistisch sind, wäre eine deutsche Adaption des belgischen oder auch des australischen Ansatzes eine gute Idee. Ein solcher ‚Sonderweg‘ wäre aber nur als parallele Übergangslösung wirklich hilfreich, nicht als Ersatz einer EU-weiten oder (noch besser) europaweiten Lösung. In diesem Fall könnte er den davon profitierenden Forschern und Entwicklern einen Erfahrungsvorsprung verschaffen und bereits früher Nachweise zum Beispiel der klinischen Wirksamkeit bringen. Langfristig würde ein Flickenteppich aus diversen rechtlichen Rahmenbedingungen in Europa die klinische Erprobung und Anwendung sowie die Kommerzialisierung von Phagenzubereitungen aber auf jeden Fall behindern.“

Prof. Dr. Mathias W. Pletz

Direktor des Instituts für Infektionsmedizin und Krankenhaushygiene, Universitätsklinikum Jena

„Die Vorteile der Phagen liegen in der Wirksamkeit gegen theoretisch jeden multiresistenten Erreger und der Option einer zielgenauen Elimination bestimmter Bakterienstämme ohne Störung der Begleitflora wie bei Antibiotika. Außerdem ist die Verträglichkeit sehr gut – wir nehmen mit der Nahrung täglich Milliarden von Phagen auf, ohne dass es dabei relevante Nebenwirkungen gibt.
Allerdings gibt es auch Nachteile der Phagentherapie. Dazu zählen die Notwendigkeit, den zu bekämpfenden Erreger im Vorfeld zu identifizieren und dadurch bedingt eine Limitation bei der Therapie akuter Infektionen. Außerdem gibt es auch eine schnelle Entwicklung von Resistenz gegenüber den eingesetzten Phagen, wobei davon ausgegangen werden kann, dass es immer neue Phagen mit Wirksamkeit gegen jeden Bakterienstamm geben wird.“

„Noch nicht ganz verstanden und aus klinischer Perspektive hochinteressant, ist ein oft beobachteter Synergismus zwischen Phagen und Antibiotika – offenbar fällt es Bakterien schwer, gegen beide Therapieprinzipien gleichzeitig Resistenzen zu entwickeln.“

Prof. Dr. Julia Frunzke

Leiterin der Arbeitsgruppe Bakterielle Netzwerke und Interaktionen am Institut für Bio- und Geowissenschaften, Forschungszentrum Jülich GmbH (FZJ)

„Die Forschung im Bereich der Phagen boomt – anders kann man es nicht sagen. Insbesondere haben die letzten Jahre beeindruckende neue Erkenntnisse zum bakteriellen Immunsystem erbracht, die deutliche Parallelen zum menschlichen System zeigen. Grundlagenforschung im Bereich der Phagenbiologie ist wichtig, um zukünftig erfolgreiche Therapien zu entwickeln. Denn wir müssen verstehen, wie Bakterien Resistenzen ausbilden, wie Zellen Virusinfektionen erkennen und sich davor schützen und welche Auswirkung die Ausbildung von Phagenresistenzen auf mögliche Antibiotikaresistenzen der entsprechenden Stämme haben. Und, das ist der Schwerpunkt unserer Arbeiten, welchen Einfluss Antibiotika selbst auf die Phageninfektion haben. Wir konnten nämlich zeigen, dass bestimmte Antibiotika wie Aminoglycoside die Phageninfektion hemmen können [1]. Diese Kenntnisse sind für die Etablierung erfolgreicher, gegebenenfalls kombinatorischer Therapien von großer Wichtigkeit.“

„Phagen haben ganz klar ein großes Potenzial in der Behandlung von antibiotikaresistenten Krankheitserregern: als personalisierte Medizin, in Kombination mit Antibiotika, aber auch als Selektionsdruck, um Krankheitserreger wieder für eine Antibiotika-Therapie zugänglich zu machen [2]. Kurz erklärt: Wenn man Bakterien einem hohen Phagendruck aussetzt, entwickeln sich auch hier Resistenzen gegenüber Phageninfektionen – dies aber häufig auf Kosten von Virulenzfaktoren oder Oberflächenveränderungen, die dann wieder eine Antibiose möglich machen. Wir müssen dieses Potenzial nutzen, um Antibiotika und Phagen auf elegante und flexible Weise zu kombinieren.“

„Ein besonderer Pluspunkt der Phagentherapie ist sicherlich die hohe Verträglichkeit. Da kam es bislang nach meinem Kenntnisstand zu keinen nennenswerten Nebenwirkungen.“

„Der Fokus meiner Arbeitsgruppe liegt im Bereich der Grundlagenforschung. Seit 2020 bin ich Sprecherin eines DFG-Schwerpunktprogramms mit dem Titel ‚Neue Konzepte der Virus-Wirt Interaktion in Prokaryoten‘. Mein Fokus liegt also nicht bei konkreten medizinischen Studien. Trotzdem denke ich, wir müssen Zulassungsformen modernisieren und können hier viel von unseren europäischen Nachbarn wie Belgien oder auch Israel lernen. Generell halte ich es aber für wünschenswert, einen gemeinsamen Weg auf EU-Ebene anzustreben, um auch den reibungslosen Austausch von Phagenpräparaten zu gewährleisten. Allerdings drängt die Zeit und praxisnahe Lösungen sind gefordert.“

„Deutschland sollte hier also mutig neue Wege einschlagen, um somit auch Innovationen im Inland zu unterstützen. Erst kürzlich hat das World Economic Forum sogenannte ‚Designer Phages‘, die verschiedene Erreger direkt abtöten können, unter den Top Ten der Emerging Technologies gerankt [3].“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Prof. Dr. Gerd Fätkenheuer: „Forschungsunterstützung: Deutches Zentrum für Infektionsforschung, Rockefeller University, New York, Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF)American Foundation for AIDS Research (AMfAR), INSIGHT, EUROSIDA, Gilead Merck Sharp & Dohme, Janssen, Pfizer, Bionor, ViiVVortragstätigkeit: Bristol Myers Sqibb, Janssen, Gilead, Astellas.Beratertätigkeit: Merck, Sharp & Dohme, Janssen, Gilead, Astra Zeneca, Pfizer“

Prof. Dr. Alexander Harms: „Ich forsche selbst an Phagen und ihrer Anwendung (allerdings in der Schweiz und nicht in Deutschland beziehungsweise der EU). Wir arbeiten auch mit genetisch veränderten Bakteriophagen, deren Bedeutung ich im Statement hervorhebe, verfolgen dabei allerdings selbst zurzeit keine kommerziellen Interessen.“

Prof. Dr. Mathias W. Pletz: „Vortragshonorare von Pfizer, MSD, Bayer. Bezüglich Phagen habe ich keine  Interessenkonflikte.“

Prof. Dr. Julia Frunzke: „Ich habe keine Interessenkonflikte.“

Alle anderen: Keine Angaben erhalten.

Primärquellen

König H et al. (2023): Bakteriophagen in Medizin, Land- und Lebensmittelwirtschaft – Anwendungsperspektiven, Innovations- und Regulierungsfragen. Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB).

Weiterführende Recherchequellen

Informationen zum DFG-Schwerpunktprogramm 'Neue Konzepte der Virus-Wirt Interaktion in Prokaryoten‘ finden Sie hier.

Willy C et al. (2023): Phage Therapy in Germany-Update 2023. Viruses. DOI: 10.3390/v15020588.

Willy C et al. (2023): Phagentherapie in Deutschland – auf dem Weg zur Wiedereinführung in die Militärmedizin. WMM 2023. DOI: 10.48701/opus4-158.

Literaturstellen, die von den Experten zitiert wurden

[1] Kever L et al. (2022): Aminoglycoside Antibiotics Inhibit Phage Infection by Blocking an Early Step of the Infection Cycle. mBio. DOI: 10.1128/mbio.00783-22.

[2] Oromí-Bosch A et al. (2023): Developing Phage Therapy That Overcomes the Evolution of Bacterial Resistance. DOI: 10.1146/annurev-virology-012423-110530.

[3] World Economic Forum and Frontiers Media S.A. (26.06.2023): Top 10 Emerging Technologies of 2023.

Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden

[I] Pirnay JP et al. (2018): The Magistral Phage. Viruses. DOI: 10.3390/v10020064.