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25.03.2019

Auswirkungen von Emissionen auf Klima und Gesundheit

Jedes Jahr würden weltweit 5,5 Millionen Menschen weniger durch Luftverschmutzung vorzeitig sterben, wenn keine fossilen Brennstoffe mehr genutzt würden und auch die sonstigen Emissionen durch den Menschen – zum Beispiel in der Landwirtschaft – vermieden werden könnten. Zudem würde sich das globale Klima durch den ausbleibenden Kühlungseffekt der Aerosole aus diesen Verbrennungsprozessen durchschnittlich um 0,36 °C erwärmen.

Zu diesem Ergebnis kommen Jos Lelieveld vom MPI für Chemie in Mainz und seine Co-Autoren in einer Studie, die im Fachjournal PNAS (siehe Primärquelle) veröffentlicht wurde. Die Wissenschaftler finden, dass allein die Verbrennung von fossilen Brennstoffen durch die dadurch entstehenden Luftschadstoffe für 65 Prozent der vorzeitigen Todesfälle verantwortlich ist. Allein in Deutschland könnten durch konsequente Emissionsreduktionen jedes Jahr 115.000 vorzeitige Todesfälle vermieden werden.

Zudem ordnet die Gruppe um Lelieveld 70 Prozent des Kühlungseffektes auf das Klima durch Aerosole der Nutzung fossiler Energiequellen zu. Bei Vermeidung anthropogener Emissionen würde dieser Kühlungseffekt ausbleiben, dennoch aber ‚nur‘ zu einem durchschnittlichen globalen Temperaturanstieg von 0,36 °C führen, da gleichzeitig auch die Emissionen von Treibhausgasen massiv zurückgehen würden. Somit sehen die Autoren der Studie die Chance, dass bei einem Ausstieg aus der Verbrennung fossiler Energien bis zur Mitte des Jahrhunderts das 2-Grad-Ziel erreicht werden kann.

 

Übersicht

     

  • Prof. Dr. Nino Künzli, PhD, Vizedirektor des Schweizerisches Tropen und Public Health Institut Basel (Swiss TPH), Schweiz, und Präsident der Eidgenössischen Kommission für Lufthygiene (EKL) des Bundesrates der Schweiz
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  • Prof. Dr. Thomas Leisner, Leiter des Instituts für Meteorologie und Klimaforschung, Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Eggenstein-Leopoldshafen und Professor am Institut für Umweltphysik, Universität Heidelberg
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  • Dr. Gunnar Luderer, Leiter der Arbeitsgruppe Energiesysteme und stellvertretender Leiter der Forschungsgruppe Transformationspfade, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), Potsdam
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  • Prof. Dr. Alfred Wiedensohler, Abteilungsleiter Experimentelle Aerosol- und Wolken-Mikrophysik, Leibniz-Institut für Troposphärenforschung (TROPOS), Leipzig
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Statements

Prof. Dr. Nino Künzli, PhD

Vizedirektor des Schweizerisches Tropen und Public Health Institut Basel (Swiss TPH), Schweiz, und Präsident der Eidgenössischen Kommission für Lufthygiene (EKL) des Bundesrates der Schweiz

„Die Hochrechnungen verwenden die besten derzeit verfügbaren Informationen. Die Spannweite der Unsicherheit, die diesen komplexen Modellen zu Grunde liegen, werden in der Arbeit klar kommuniziert und sind nachvollziehbar. Die fossilen Brennstoffe sind seit langem als eine sehr wichtige Ursache der Luftverschmutzung bekannt. Der große Beitrag der Luftverschmutzung an der globalen Krankheitslast wurde ebenfalls in vielen Studien belegt. Diese Studie bestätigt erneut, dass die Vermeidung der Luftverschmutzung – sei es durch rigorose Minderung der Schadstoffemissionen oder wie in diesem Beispiel die Abkehr von fossilen Brennstoffen – von großer volksgesundheitlicher – und somit volkwirtschaftlicher Bedeutung ist. Die Studie dokumentiert sehr anschaulich den seit langem bekannten ‚Win-Win‘ der Abkehr von fossilen Brennstoffen: Sowohl die Luftqualität als auch das Klima werden dadurch nachhaltig positiv beeinflusst. Solche Win-Win-Strategien sind wichtig und langfristig nachhaltiger als jene, welche ausschließlich auf einzelne Schadstoffe ausgerichtet sind.“

„Die Studie wendet etablierte Hochrechnungsmethoden an, welche auch in den Hochrechnungen des ‚Global Burden of Disease‘ [1] zur Anwendung kommen. Die vorzeitigen Todesfälle respektive der Verlust an Lebensjahren wurden in dieser Studie mit der bisher aktuellsten ‚Dosis-Wirkungs-Kurve‘ – also dem mathematischen Zusammenhang zwischen Feinstaubbelastung und vorzeitiger Sterblichkeit – berechnet. Dies erklärt die deutlichen Unterschiede. Frühere Studien haben die Folgen der Feinstaubbelastung aus großen Studien westlicher Länder hergeleitet. Die neueste Herleitung konnte bereits die Dosis-Wirkungs-Kurven von über 40 großen Kohortenstudien aus aller Welt und somit auch die gesamte globale Belastungsbreite angemessen integrieren. Diese neuste Dosis-Wirkung-Kurve bewährt sich insbesondere auch für die am schwersten belasteten Regionen wie China oder Indien. Diese methodische Korrektur zeigt, dass die Folgen der Feinstaubbelastungen in bisherigen Studien eher unterschätzt wurden. Die älteren Hochrechnungen gehen zurück auf die 1996 in der Schweiz erstmals entwickelte Methodik. Damals standen nur wenige US-Studien für die Herleitung der Wirkungskurve zur Verfügung. In allen älteren Hochrechnungen wurde immer darauf hingewiesen, dass die Abschätzungen aus methodischen Gründen eher konservativ sind. Lelieveld und die anderen Autoren zeigten, dass der Gesamtnutzen einer rigorosen Luftreinhaltepolitik noch größer sein dürfte als bisher geschätzt wurde.“

Prof. Dr. Thomas Leisner

Leiter des Instituts für Meteorologie und Klimaforschung, Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Eggenstein-Leopoldshafen und Professor am Institut für Umweltphysik, Universität Heidelberg

„Die Studie ist hinsichtlich der verwendeten Methoden ‚state of the art‘, besser kann man es derzeit kaum machen. Dennoch ist es meines Erachtens nicht sicher, dass die Ergebnisse belastbar sind.“

„Dies liegt daran, dass Aerosole hinsichtlich ihrer Größenverteilung, Zusammensetzung sowie örtlichen und zeitlichen Verteilung viel variabler sind, als es in einem Klimamodell aufgelöst werden kann – bei einer Pixelgröße von etwa 100 Kilometern. Daher wird nur die über ein Pixel gemittelte Aerosolmasse (PM2.5) zur Beurteilung der Gesundheitsgefahr herangezogen, ohne dabei die oben angegebenen Einflussgrößen zu berücksichtigen. Die im Manuskript angegebenen Konfidenzintervalle sind daher eher noch zu optimistisch.“

„Ich bin mir auch nicht sicher, ob das verwendete Modell alle Aerosoltypen ausreichend genau repräsentiert. Mir erscheint es beispielsweise unrealistisch, durch Vermeidung aller anthropogenen Aerosol-Emissionen in Deutschland hier die Anzahl der zusätzlichen vorzeitigen Toten durch Luftverschmutzung auf 9.000 Fälle pro Jahr – also auf acht Prozent der aktuell 124.000 Fällen pro Jahr – zu reduzieren, wie Tabelle 1 suggeriert. Aufgrund der nichtlinearen Dosis-Wirkungsbeziehung wäre nach den Annahmen der Studie dafür sogar eine noch größere Reduktion von PM2.5 nötig. Es gibt aber natürliche PM2.5-Aerosole – wie Oxidationsprodukte von (natürlichen) Vegetationsemissionen, Seesalz und Bodenstaub – die zusammengenommen einen größeren Anteil am PM2.5 darstellen dürften.“

„Neu ist die quantitative Attribution der PM2.5-Werte zu den menschlichen Aktivitäten wie Nutzung fossiler Brennstoffe oder Landwirtschaft. Darüber hinaus ist die Kopplung der gesundheitlichen und klimatischen Wirkung der Aerosole sehr detailliert bearbeitet. Wie oben dargestellt, bestehen meiner Meinung nach dennoch sogar noch größere Unsicherheiten bei der Berechnung der Todesraten beziehungsweise der verlorenen Lebensjahre.“

„Die verlorenen Lebensjahre YLL (Years Life Lost, im Englische gebräuchliche Abkürzung für die Maßeinheit der verlorenen Lebensjahre, Anm. d. Red.) sind meiner Meinung nach die wesentlich bessere Größe als die Anzahl vorzeitiger Todesfälle, sind aber im Text und in der Tabelle 1 nicht durchgängig verwendet. Wenn man die zusätzlichen Sterbefälle wörtlich nimmt, könnte man daraus ableiten, dass mangelnde Luftqualität für fast 14 Prozent aller Todesfälle in Deutschland – 124.000 von etwa 900.000 pro Jahr [a] – verantwortlich ist. Das erscheint mir zu hoch. Vor 20 Jahren lag die Feinstaubbelastung noch deutlich höher, entsprechend hätte Luftqualität damals einen noch höheren Anteil an den Todesursachen gehabt. Realistischer ist die Annahme, dass der natürliche Tod durch die zusätzliche Gesundheitsbelastung eben im Durchschnitt früher eintritt, das wären dann die verlorenen Lebensjahre YLL.“

Auf die Frage, ob die Schlussfolgerung der Autoren nachvollziehbar ist, in der sie davon sprechen, dass das 1,5-Grad-Ziel wohl kaum ohne massiven CO2-Entnahme aus der Atmosphäre erreichbar ist, das 2-Grad-Ziel dagegen schon, wenn der Ausstieg aus der Nutzung fossiler Energieträger bis zur Mitte des Jahrhunderts gelingt:
„Dieser Schlussfolgerung schließe ich mich an. Eine massive Extraktion des CO2 aus der Atmosphäre und damit das Erreichen des 1,5-Grad-Ziels scheinen mir unrealistisch beziehungsweise mit sehr großen Nebenwirkungen verbunden. Wie die Autoren glaube ich, dass das 2-Grad-Ziel bei entschlossenem Handeln erreichbar wäre.“

Dr. Gunnar Luderer

Leiter der Arbeitsgruppe Energiesysteme und stellvertretender Leiter der Forschungsgruppe Transformationspfade, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), Potsdam

„Die Studie stellt ein idealisiertes, aber hochgradig relevantes Gedankenexperiment an: Wie stark würden die Gesundheitsschäden zurückgehen, wenn die Luftverschmutzung durch fossile Brennstoffe beseitigt würden? Die Autoren nutzen eine sehr detaillierte Computersimulation, um zu verstehen, wie sich die ausgestoßenen Schadstoffe in der Atmosphäre ausbreiten und chemisch reagieren. Auf Basis aktuellster Forschungsergebnisse können sie abschätzen, wie stark dadurch – statistisch gesehen – bestimmte Krankheitsbilder verstärkt und Todesfälle erhöht werden. Die Autoren betrachten eine hypothetische Welt ohne Nutzung fossiler Brennstoffe – ein sofortiger Übergang in eine solche Welt ist natürlich unrealistisch. Für die praktische Politik ist es wichtig zu verstehen, wie schnell ein Ausstieg aus den fossilen Energieträgern gelingen kann – und wie tiefgreifend dieser sein wird. Dabei stellt sich auch die Frage, inwiefern durch alternative Kraftstoffe – beispielsweise aus Biomasse – neue Emissionen und Schadstoffe entstehen. "

Auf die Frage, ob die Schlussfolgerung der Autoren nachvollziehbar ist, in der sie davon sprechen, dass das 1,5-Grad-Ziel wohl kaum ohne massiven CO2-Entnahme aus der Atmosphäre erreichbar ist, das 2-Grad-Ziel dagegen schon, wenn der Ausstieg aus der Nutzung fossiler Energieträger bis zur Mitte des Jahrhunderts gelingt:
„Diese Einschätzung deckt sich mit den Erkenntnissen aus der Erforschung der Energietransformation: Es ist immer noch realistisch möglich, die globale Erwärmung auf deutlich unter 2° Celsius zu begrenzen. Dafür müssen wir aber innerhalb weniger Jahrzehnte auf eine im Wesentlichen auf erneuerbare Energien basierende Versorgung umstellen. Im Falle des 1,5-Grad-Ziels sind Technologien zum Entzug von CO2 aus der Atmosphäre unerlässlich."

Prof. Dr. Alfred Wiedensohler

Abteilungsleiter Experimentelle Aerosol- und Wolken-Mikrophysik, Leibniz-Institut für Troposphärenforschung (TROPOS), Leipzig

„Es ist für mich – jemanden, der nicht in die Modelle hineinschauen kann, was nur den Autoren möglich ist – nicht einfach abzuschätzen, wie genau das Modell denn tatsächlich arbeitet. Eines ist sicherlich korrekt: Die partikuläre Luftverschmutzung von fossilen Brennstoffen ist das größte Problem für die Gesundheit der Menschen in stark verschmutzten Gebieten. Die Aerosolpartikel aus Verbrennungsprozessen sind die Partikel, die toxisch wirken – egal, ob sie bei der Verbrennung von fossilen Energieträgern oder von Biomasse und Holz gebildet werden. Es ist also grundsätzlich richtig, dass Menschen gesundheitliche Nachteile durch verschmutzte Luft erleiden. Allerdings können die ermittelten Zahlen der vorzeitigen Todesfälle weit daneben liegen. Es wäre aus meiner Sicht hier auch weitaus sinnvoller, die Maßeinheit der verlorenen Lebensjahre zu benutzen. Aber die Kollegen vom MPI für Chemie sind sich da der Wirkung ihrer Zahlen und der Aufmerksamkeit, die diese bekommen, durchaus bewusst.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Prof. Dr. Thomas Leisner: „Mir sind keine Interessenkonflikte bekannt.“

Alle anderen: Keine Angaben erhalten.

Primärquelle

Lelieveld J et al. (2019): Effect of fossil fuel and total anthropogenic emission removal on public health and climate. PNAS. DOI: 10.1073/pnas.1819989116. 

Literaturstellen, die von den Experten zitiert wurden

[1] GBD 2018 Causes of Death Collaborators (2018): Global, regional, and national age-sex-specific mortality for 282 causes of death in 195 countries and territories, 1980–2017: a systematic analysis for the Global Burden of Disease Study 2017. The Lancet; 392 (10159): 1736-1788. DOI: 10.1016/S0140-6736(18)32203-7.

Weitere Recherchequellen

[a] Statistisches Bundesamt (2018): Pressemitteilung Nr 262.