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14.01.2019

Anzahl an Tumormutationen zur Vorhersage von Krebstherapie-Erfolg

Wenn ein Krebsleiden metastasiert, dann kann eine Krebsimmuntherapie ein verlängertes Überleben bewirken. Leider profitieren davon bisher nur wenige Patienten. Krebsforscher suchen deshalb verstärkt nach Biomarkern, die bereits vor Beginn einer Behandlung vorhersagen können, ob eine Krebsimmuntherapie mit einem sogenannten Checkpoint-Inhibitor (ICI) bei Patienten ansprechen wird oder nicht. Ein möglicher Prognosefaktor ist die Anzahl der erworbenen Mutationen im Erbgut, in denen sich Tumorzellen von gesunden Körperzellen unterscheiden. Diese sogenannte Mutationslast von Tumoren könnte womöglich ein wichtiger Faktor sein, der ein klinisches Ansprechen auf eine Krebsimmuntherapie vorhersagen hilft. Nach dem Motto: Je mehr erworbene Mutationen sich im Tumor finden, desto höher wird die Wahrscheinlichkeit, dass die körpereigene Immunabwehr aktiviert wird. Empirische Belege für diesen vermuteten Zusammenhang liefert nun eine aktuelle Publikation in „Nature Genetics“ (siehe Primärquelle).

Ärzte und Wissenschaftler am Memorial Sloan Kettering Cancer Center in New York haben klinische und genetische Daten erhoben von 1662 Patienten mit metastasierenden Tumorleiden, die mit ICI behandelt worden waren. Deren Gesamtüberleben wurde mit einer weiteren Gruppe von 5371 Patienten verglichen, bei denen vor der Therapie eine bestimmte Anzahl von Genen im Tumor komplett sequenziert (MSK-IMPACT) wurde. Patienten, die in allen entnommenen Tumorproben zu den 20 Prozent der Kranken mit der höchsten Mutationslast zählten, hatten ein statistisch signifikant verlängertes Gesamtüberleben. Womöglich könnte künftig eine umfassende Sequenzierung des Erbguts von Tumorproben helfen, jene Patienten zu erkennen, bei denen die nebenwirkungsreiche und zudem kostspielige ICI-Therapie vermutlich anschlagen wird. Die Routine-Genomsequenzierung von Patienten war kürzlich auch ein Thema eines SMC Press Briefings [1].

 

Übersicht

     

  • Prof. Dr. Stefan Fröhling, geschäftsführender Direktor, Nationales Centrum für Tumorerkrankungen am Universitätsklinikum Heidelberg (NCT), Heidelberg
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  • Prof. Dr. Hinrich Abken, Inhaber des Lehstuhls für Gen-Immuntherapie am Regensburger Centrum für Interventionelle Immunologie (RCI), Universitätsklinikum Regensburg
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Statements

Prof. Dr. Stefan Fröhling

Geschäftsführender Direktor, Nationales Centrum für Tumorerkrankungen am Universitätsklinikum Heidelberg (NCT), Heidelberg

„Die Qualität der Daten in der aktuellen Publikation ist außerordentlich hoch. Die Ärzte und Wissenschaftler am Memorial Sloan Kettering Cancer Center in New York haben mit der ‚MSK-IMPACT Plattform‘ ein weltweit führendes Präzisionsonkologie-Programm aufgebaut, das es ermöglicht, die Behandlung von Krebspatienten durch stärkere Personalisierung substantiell zu verbessern. Zudem können damit – wie in der vorliegenden Studie – drängende Fragen der angewandten Krebsforschung beantwortet werden.“

„Die Ergebnisse haben große Bedeutung für die klinische Praxis.“

„Die sogenannten Immuncheckpoint-Inhibitoren (ICI) revolutionieren derzeit die moderne Krebsmedizin. Allerdings wirken diese Medikamente nur bei einem kleineren Teil der Patienten. Betrachtet man alle Krebserkrankungen zusammen, profitieren etwa 20 Prozent der Patienten. ICI sind zudem nicht frei von Nebenwirkungen und ausgesprochen teure Medikamente. Daher ist es essentiell, Tests zu entwickeln, die eine Vorhersage erlauben, welche Patienten auf eine solche Therapie ansprechen werden.“

„Die vorliegende Studie bestätigt die Erkenntnis, dass die sogenannte Mutationslast eines Tumors – also die Zahl der erworbenen genetischen Veränderungen – mit einem Ansprechen auf die Therapie mit ICI und verlängertem Überleben assoziiert ist.“

„Viele Mutationen führen dazu, dass ein Tumor mit größerer Wahrscheinlichkeit vom körpereigenen Immunsystem als ‚fremd‘ erkannt und attackiert wird. Die neue Studie zeigt, dass der Faktor erhöhte Mutationslast bei fast allen Tumorarten bedeutsam ist. Allerdings scheint sich die Definition, was genau eine erhöhte Mutationslast darstellt, von Tumorart zu Tumorart zu unterscheiden.“

„Die Mutationslast im Tumor zu bestimmen, erfordert eine breite genetische Testung, bei der mindestens mehrere Hundert Gene mittels ‚next-generation sequencing‘ (NGS) analysiert werden. Eine solche Testung kann – wie in der vorliegenden Studie – mithilfe einer sogenannten ‚Panel‘-Sequenzierungen erfolgen, bei der nur eine bestimmte, gut verstandene Auswahl an Genen untersucht wird. Solche Untersuchungen werden an einer Reihe von Universitätskliniken und Krebszentren in Deutschland angeboten.

„Im vom NCT in Heidelberg geleiteten ‚MASTER‘-Programm des Deutschen Konsortiums für Translationale Krebsforschung gehen wir sogar noch einen Schritt weiter. Wir untersuchen alle circa 20.000 Gene eines Tumors. Diese Komplettsequenzierung ermöglicht eine maximal präzise Bestimmung der Mutationslast eines Tumors.“

„Aus meiner Sicht ist es wünschenswert, jeden Patienten mit einem fortgeschrittenen Krebsleiden mittels NGS zu untersuchen, um die Mutationslast und weitere wichtige Parameter zu bestimmen, die zur Auswahl der bestmöglichen Therapie genutzt werden können. Eine wesentliche Hürde für dieses Angebot ist bisher die Finanzierung einer solchen Diagnostik.“

Prof. Dr. Hinrich Abken

Inhaber des Lehstuhls für Gen-Immuntherapie am Regensburger Centrum für Interventionelle Immunologie (RCI), Universitätsklinikum Regensburg

„Die Publikation ist sehr interessant. Es handelt sich um eine solide statistische Ausarbeitung der Beobachtungen. Wie auch in der Publikation ausgeführt, war zwar der Verdacht, dass ein höherer ‚Mutational Load‘ mit einem besseren Überleben nach ‚Checkpoint-Blockade‘ einhergeht, schon länger in der Diskussion. Allerdings war das bisher nicht durch empirische Analysen belegt. Zumindest jetzt könnte man Evidenz-basiert vorgehen und die ‚Checkpoint Blockade‘ nur bei Patienten mit hohem ‚Mutational load‘ durchführen.“

„Vorsicht ist allerdings angebracht, weil auch nach dieser wichtigen Publikation unklar bleibt, was genau ein ‚high mutational load‘ sein soll. Denn offensichtlich ist das für jede Tumorentität etwas unterschiedliches – und muss daher im Einzelfall durch Studien definiert werden. Zudem hängt er sicherlich auch von der Anzahl Tumor-spezifischer T-Zellen in den jeweiligen Tumoren ab, das heißt dem Anteil an Mutations-spezifischen Immunzellen. Auch diese vermutete Korrelation ist noch in der Klinik zu verifizieren.“

„Insgesamt weisen solche Befunde langfristig den Weg für eine rationale, empirische Checkpoint-Krebs-Immuntherapie.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Alle: Keine angegeben.

Primärquelle

Samstein RM et al. (2019): Tumor mutational load predicts survival after immunotherapy across multiple cancer types. Nature Genetics. DOI: 10.1038/s41588-018-0312-8. 

Literaturstellen, die von den Experten zitiert wurden

[1] Science Media Center Germany (2018): Genomsequenzierung in der Medizin – (k)eine Zukunft in Deutschland? Press Briefing. Stand: 19.11.2018.