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14.02.2018

Amyloid-Plaques lösen sich in Mausgehirnen auf

Amyloid-Plaques können sich in Gehirnen von Alzheimer-Mäusen durch Ausschalten der Proteinschere BACE1 wieder auflösen. Zu diesem Ergebnis kommen die Autoren einer aktuellen Studie, die soeben im „Journal of Experimental Medicine“ veröffentlicht wurde.

In dem Experiment entwickelten die Mäuse zunächst, wie von den Wissenschaftlern gewünscht, Amyloid-Ablagerungen, ein Charakteristikum der Alzheimer-Erkrankung. Erst in älteren Tieren schalteten die Forscher ein Enzym aus, das an der Entstehung der Krankheit beteiligt ist: die sogenannte Beta-Sekretase oder BACE1. In den Nagern, die allmählich ihr funktionelles BACE1 verloren, lösten sich die Amyloid-Plaques nicht nur auf. Es verbesserten sich zudem einige kognitive Funktionen der Versuchstiere. Allerdings beobachteten die Forscher eine Beeinträchtigung der sogenannten Langzeitpotenzierung in bestimmten Nervenzellen – diese Nebenwirkung könnte möglicherweise die Erinnerungsbildung beeinträchtigen.

Die Ergebnisse könnten relevant sein für einige neuere selektive Inhibitoren von BACE1, die sich in der präklinischen und klinischen Entwicklung zur Behandlung von Alzheimer befinden (siehe zum Beispiel [1]). Aktualisierung (Stand 15.02.2018): Erst kurz vor dem Erscheinen der aktuellen Studie, brach das Pharmaunternehmen Merck eine klinische Studie ab, die einen BACE1-Inhibitor als Alzheimer-Medikament testete.

Statement

PD Dr. Johannes Levin

Leiter des Münchner Studienzentrums der Studie Dominantly Inherited Alzheimer Network (DIAN), Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE), Standort München und Neurologische Klinik und Poliklinik, Ludwig-Maximilians-Universität München:

 „Die Ergebnisse der Studie sind für das Feld der Alzheimer-Forschung erfreulich, weil sie zeigen, dass man mit einer Intervention zu einem späteren Zeitpunkt immer noch eine Veränderung des Krankheitsverlaufs im Mausmodell erreichen kann – auf genetischer, aber möglicherweise auch auf pharmakologischer Ebene.“

„Die Proteinablagerungen im Gehirn sind ein extrem komplizierter und weitgehend noch unverstandener Prozess, den viele Komponenten beeinflussen. Mit der BACE1-Hemmung blockiert man das Enzym, das einen der Schnitte macht, die die Bildung jener Amyloid-Bausteine ermöglichen, die sich später als Plaques ablagern können. Die Vollständigkeit einer pharmakologischen Enzym-Blockade ist durch verschiedene Faktoren limitiert – beispielsweise durch die Fähigkeit, ins Gehirn einzudringen oder die Spezifität des Inhibitors. Bei der in den Versuchen verwendeten genetischen Intervention kann das Enzym hingegen vollständig ausgeschaltet werden.“

„In einem Protein-Aggregat bestehen gewisse On-/Off-Gleichgewichte, das heißt die Aggregatbildung steht in einem Gleichgewicht zum Abbau. In der Regel ist es das Ziel eines pharmakologischen Inhibitors das Wachstum oder die Neubildung von Plaques zu verhindern. Bei einem genetisch verursachten, kompletten Ausschalten des Enzyms konnten sich die Plaques ganz langsam wieder selber auflösen. Ein möglicher Erklärungsansatz dafür könnte sein, dass keine neuen Bausteine entstehen können und somit der Aggregatabbau gewissermaßen die Überhand gewinnt.“

„Die Studie zeigt zweifellos, dass die Beeinflussung von BACE1 – auf verschiedene Art – ein interessanter Mechanismus ist. Allerdings muss man wie bei allen Daten in einem frühen Stadium und Mausexperimenten vorsichtig sein. Aufgrund der Unterschiede zwischen pharmakologischer und genetischer Intervention lassen sich keine direkten Konsequenzen für die BACE1-Inhibitoren in der klinischen Entwicklung ableiten. Daher sollte man die Ergebnisse nicht überinterpretieren. Das Kernergebnis ist allerdings: BACE1 spielt eine wichtige Rolle und die Intervention an BACE1 könnte ein interessanter Mechanismus sein. Insofern stützt die Arbeit indirekt auch den Einsatz der BACE1-Inhibitoren.“

„Eine Beurteilung der Nebenwirkungen ist schwierig, weil sie durch verschiedene Faktoren beeinflusst worden sein könnten – zum Beispiel durch die im Tiermodell bedingte Überexpression verschiedener Proteine. Natürlich kann man davon ausgehen, dass es negative Folgen hat, wenn der Langzeitpotenzierungsmechanismus im Gehirn nicht mehr funktioniert (Langzeitpotenzierung ist eine Verstärkung der synaptischen Übertragung, die unter anderem bei Lernprozessen eine Rolle spielt; Anm. d. Red.). Allerdings ist es schwierig, den ursächlichen und für Menschen möglicherweise relevanten Faktor genau zu identifizieren. Auch hier sollte man bei der Interpretation der Daten vorsichtig sein.“

„Aktuell haben die Studienergebnisse keine Auswirkungen auf den Einsatz des BACE1-Inhibitors in der DIAN-Studie (Dominantly Inherited Alzheimer Network: Internationale Forschungsgemeinschaft zur besseren Erforschung dominant vererbter Formen der Alzheimer-Erkrankung; Anm. d. Red.). Von der Maus bis zum Menschen ist es ein langer Weg – deshalb sollten Ergebnisse einzelner Arbeiten nicht zu sehr die Strategien der Therapieentwicklung beim Menschen beeinflussen. Zwar hat DIAN – mehr als andere Studien – Gemeinsamkeiten mit diesem Mausmodell, weil das Mausmodell auf den genetischen Alzheimer-Erkrankungen basiert. Allerdings ist dieses Mausmodell aufgrund der Doppelmutation viel aggressiver als die Erkrankung beim Menschen, was auch so sein muss, da Mäuse ja nur circa zwei Jahre alt werden. Es gibt also verschiedene Unterschiede zwischen Mensch und Tiermodell. Als Fazit komplettiert diese Publikation unser bisheriges Bild von den Prozessen im Alzheimergehirn und zeigt, dass die Therapieentwicklung in die richtige Richtung zu gehen scheint.“

Mögliche Interessenkonflikte

PD Dr. Johannes Levin: Hat Beraterhonorare von GE, Hexal/Sandoz, Aesku, Axon Neuroscience und Ionis Pharmaceuticals und Vortragshonorare von Bayer erhalten.

Primärquelle

Hu X et al. (2018): BACE1 deletion in the adult mouse reverses preformed amyloid deposition and improves cognitive functions. Journal of Experimental Medicine. DOI: 10.1084/jem.20171831.

Weitere Recherchequellen

[1] Hung S-H et al. (2017): Drug candidates in clinical trials for Alzheimer's disease. Journal of Biomedical Science; 24:47. DOI: 10.1186/s12929-017-0355-7.