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08.03.2022

Wie sollten die Rahmenbedingungen für die Energiewende verbessert werden?

Der Krieg in der Ukraine hat aus Wind- und Photovoltaik „Freiheitsenergien“ gemacht. Nach mehr als einem Jahrzehnt, geprägt von Deckeln und Strompreisbremsen, scheint es in Sachen Energiewende jetzt gar nicht schnell genug gehen zu können: Hieß es im Koalitionsvertrag noch, der Kohleausstieg solle auf 2030 vorgezogen werden, wenn es möglich sei, soll die Stromerzeugung nun bis 2035 schon weitgehend treibhausgasneutral sein, obwohl derzeit über einen längeren Einsatz von Kohlekraftwerken diskutiert wird, um von russischem Gas unabhängig zu werden.

Nicht nur die Technik oder Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger wird eine Herausforderung – auch die Rahmenbedingungen müssen schnell und dabei verlässlich so geändert werden, dass Behörden neue Anlagen so zügig wie rechtssicher genehmigen und koordinieren können. Das sind durchaus keine neuen Herausforderungen, sie werden seit Jahren immer wieder erwähnt. Wir haben daher Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gefragt, wie die Rahmenbedingungen jetzt den neuen Zielen möglichst verlässlich angepasst werden sollten.

Übersicht

     

  • Prof. Dr. Uwe Leprich, Dozent für Ökonomische/Wirtschaftspolitische Nachhaltigkeitsstrategien und ehemaliger Abteilungsleiter für Klimaschutz und Energie des Umweltbundesamtes, Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes, Saarbrücken, und ehemaliger Abteilungsleiter für Klimaschutz und Energie des Umweltbundesamtes
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  • Thorsten Müller, Wissenschaftlicher Leiter, Stiftung Umweltenergierecht, Würzburg
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Statements

Prof. Dr. Uwe Leprich

Dozent für Ökonomische/Wirtschaftspolitische Nachhaltigkeitsstrategien und ehemaliger Abteilungsleiter für Klimaschutz und Energie des Umweltbundesamtes, Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes, Saarbrücken, und ehemaliger Abteilungsleiter für Klimaschutz und Energie des Umweltbundesamtes

„Es gibt keinesfalls nur ein einziges Szenario, wie Deutschland das Ziel erreichen kann, 2035 seinen Stromverbrauch vollständig aus erneuerbaren Energien zu decken. Die großen Unbekannten sind hierbei der tatsächlich stattfindende und akzeptierte Ausbau von Windanlagen an Land und auf See, die Verfügbarkeit von grünem Wasserstoff für die notwendigen Backup-Kraftwerke in den ‚Dunkelflauten‘ und teilweise alternativ die Verfügbarkeit von kostengünstigen Batteriespeichern. In einem eher dezentral orientierten Szenario mit einer Verzigfachung der installierten Photovoltaik-Leistung gegenüber heute und beträchtlichen Batteriespeicherkapazitäten – beispielsweise aus der Elektromobilität – erscheint der dann noch notwendige zentrale Netzausbau aktuell deutlich erreichbarer als in einem zentraleren Szenario mit einem erheblichen Zubau an großen Onshore- und Offshore-Windparks, verbunden mit großen thermischen Wasserstoff-Kraftwerken. Letztlich wird die Akzeptanz der Bevölkerung darüber entscheiden, ob das Ziel erreicht und welches Szenario sich durchsetzen wird.“

„Dieser Kraftakt zur Realisierung eines nachhaltigen Energiesystems ist allenfalls vergleichbar mit dem Aufbau eines schnellen flächendeckenden Internet-Zugangs in Deutschland, und wir sehen an diesem Beispiel auch die Umsetzungsprobleme, wenn die Politik das Ziel nur halbherzig verfolgt.“

Auf die Frage, wie das Finanzierungssystem für die Energiewende gestaltet werden und wie Energiemärkte strukturiert sein sollten:
„Es war immer schon die Wunschvorstellung von Lehrbuch-Ökonomen, mit einem einzigen Markt und dem sich dort ergebenden ‚unverzerrten‘ Preissignal eine kosteneffiziente und sichere Stromversorgung zu erreichen. Nur hatte diese Vorstellung noch nie etwas mit der Realität zu tun, wie das heutige System bestehend unter anderem aus der Strombörse, separaten Regelenergiemärkten, gesetzlich abgesicherten Vergütungen für erneuerbaren und KWK-Strom, separaten Zahlungen für Kraftwerks- und Netzreserve und so weiter demonstriert.“

„Mit fortschreitendem Ausbau der erneuerbaren Energien mit Grenzkosten nahe Null (Wind, Solar) wird der Energy-Only-Markt zweifellos an Bedeutung verlieren, und es wird stattdessen mehrere separate Finanzierungsmechanismen geben müssen, um einerseits diesen politisch gesetzten Ausbau weiterhin abzusichern, andererseits die ergänzenden Flexibilitätsoptionen zu beschaffen, die für die Versorgungssicherheit unabdingbar sind. Ob dann beispielsweise Lastmanagement-, Speicher- oder flexible Erzeugungskapazitäten in einer integrierten Ausschreibung gegeneinander antreten oder in getrennten Auktionen akquiriert werden, wird unter anderem auch von den politischen Zielvorstellungen des Gesamtsystems abhängen. Und schließlich ist noch darüber zu befinden, welcher Akteur für diese Beschaffung verantwortlich sein wird – privatwirtschaftliche Netzbetreiber oder die Bundesnetzagentur als öffentliche Regulierungsinstitution.“

Auf die Frage, inwiefern es sinnvoll oder notwendig wäre, die deutschen Gesetze zur Energiewende zu vereinfachen:
„In der alten Energiewelt vor 1998 gab es ein einheitliches Energiewirtschaftsgesetz mit gerade einmal 18 Paragrafen, das im Kern nichts geregelt hat. Nicht-Regelung auf komplexen Märkten nützt letztlich immer den Platzhirschen, die die vorhandenen Spielräume optimal zu ihren Gunsten ausnutzen können. So war es auch kein Wunder, dass vor 1998 eine Handvoll Großkonzerne den deutschen Energiesektor über Jahrzehnte dominierte.“

„Immer wenn es beim Umbau eines Wirtschaftssektors keinen Konsens gibt und einflussreiche Interessen diesen Umbau zu verhindern oder zu verzögern versuchen, kommt man um eine Fülle von Einzelregelungen nicht herum. Der Abschied von der fossil-nuklearen Energiewelt war naturgemäß kein Konsensprojekt, und insofern waren Juristen gezwungen, den Umbau möglichst wasserdicht in einzelnen Gesetzen und Verordnungen zu regeln.“

„Daher ist immer Vorsicht geboten, wenn mächtige Akteure nach Deregulierung, Vereinfachung oder Entbürokratisierung rufen, in Wahrheit aber häufig den Umbau verhindern oder verzögern wollen.“

„Gesetzliche Regelungen lassen sich naturgemäß häufig vereinfachen und entschlacken, aber es erfordert große Sorgfalt und Vorsicht, keine neuen Regelungslücken entstehen zu lassen, die letztlich Einfallstore für Verhinderungsstrategien bieten.“

Auf die Frage, ob und wie die große Umstellung auf erneuerbare Energien in so kurzer Zeit ohne zentrale Koordination und übergreifenden Plan gelingen kann:
„Das kann nicht funktionieren! Wir brauchen meines Erachtens dringend ein Bundesamt für Energiewende und Klimaschutz als nachgeordnete Behörde des Bundeswirtschaftsministeriums, in dem die energie- und klimapolitischen Kompetenzen des Umweltbundesamtes, der Bundesnetzagentur und des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) gebündelt werden. Dieses Bundesamt würde in enger Abstimmung mit den zuständigen Abteilungen des Wirtschaftsministeriums die Transformation des Energiesystems managen, indem einerseits laufend sehr konkrete Vorschläge für die Weiterentwicklung der rechtlichen Rahmenbedingungen erarbeitet werden, andererseits ein umfassendes Monitoringsystem zur zeitnahen Überprüfung der Zielerreichung eingerichtet wird. Letzteres müsste vollständig unabhängig vom Wirtschaftsministerium sein und würde das bisherige jährliche Monitoring der Energiewende der Exekutive entziehen und dadurch einen höheren Grad an Transparenz und Glaubwürdigkeit erreichen. Die Rahmenbedingungen und Handlungsspielräume für ein solches Bundesamt müssten ähnlich wie bei der Bundesnetzagentur in entsprechenden Verordnungen fixiert werden.“

Thorsten Müller

Wissenschaftlicher Leiter, Stiftung Umweltenergierecht, Würzburg

„Es müssen sehr viele Rechtsänderungen erfolgen, um gleichzeitig den Ausbau der Erneuerbaren massiv zu beschleunigen und den bisherigen Energieverbrauch maximal zu senken. Denn durch Elektromobilität, Wärmepumpen und elektrifizierte Industrieprozesse wird der Strombedarf ohnehin massiv steigen. Ohne mehr Energieeffizienz würde es noch schwieriger, das Ziel zu erreichen.“

„Es geht dabei nicht darum, alle bestehenden Regelungen über Bord zu werfen. Aber alle Strukturen gehören auf den Prüfstand und es braucht auch den Willen, punktuell Pfadabhängigkeiten und Entwicklungslinien zu durchbrechen und neue Regelungsansätze zu wählen.“

„Es braucht attraktive Geschäftsmodelle, die möglichst viele Ausbau- beziehungsweise Reduktionspotenziale zeitgleich erschließen können. Dazu muss alles auf den Prüfstand, denn der heutige Rechtsrahmen – begonnen bei den Beihilfeleitlinien der EU, über das EEG und das gesamte Energiewirtschaftsrecht bis hin zu den Reglungen zum Netzausbau und der Effizienzsteigerung – stammt aus der Zeit vor dem Ukraine-Krieg und liefert keine Antworten für eine schnelle Unabhängigkeit von russischen Importen. Es braucht auch weiterhin sehr differenzierte Regeln, denn die Investitionsbedingungen von kleinen Gebäude-PV-Anlagen über Windenergie bis hin zu Biomasse oder Wasserkraft sind sehr unterschiedlich.“

„Neben dem Energierecht ist eine Reform des Planungs- und Genehmigungsrechts der zweite Schlüssel für den Erfolg. Es müssen schnell und rechtssicher die erforderlichen Flächen für Windenergie- und PV-Freiflächenanlagen aber auch Stromleitungen gesichert und in kurzen und möglichst wenig fehleranfälligen Verfahren Genehmigungen erteilt werden können.“

Auf die Frage, inwiefern es sinnvoll oder notwendig wäre, die deutschen Gesetze zur Energiewende zu vereinfachen:
„Ein in sich stimmiges Energierecht aus einem Guss wäre sehr wünschenswert, denn die heutige Rechtssituation birgt die Gefahr, zum Investitionshemmnis zu werden. Die zum Teil undurchsichtigen, komplexen und stellenweise widersprüchlichen Strukturen sorgen für Rechtsunsicherheit. Gleichzeitig erschwert dieser Zustand eine zielgenaue Weiterentwicklung, weil es zunehmend schwieriger wird, den Gesamtkomplex mit seien Wechselwirkungen zu überblicken und die Folgen von Änderungen richtig zu bewerten.“

„Die Forderung nach einem einheitlichen Energiegesetzbuch ist daher auf den ersten Blick einleuchtend. Ob am Ende aber ein Energiegesetzbuch entstehen wird oder es ‚nur‘ gut aufeinander abgestimmte Teilgesetze gibt, ist zweitrangig. Entscheidend ist allein, dass klare Regelungen und eine logische Gesamtstruktur entstehen, die einen konsistenten Gesamtrahmen setzen.“

„Ob aktuell der richtige Zeitpunkt ist, gleichzeitig zu den jetzt erforderlichen tiefgreifenden Veränderungen diesen Neuordnungsprozess zu starten, muss bezweifelt werden. Zudem fehlen derzeit noch wichtige konzeptionelle Vorarbeiten. Es ist aber sicherlich höchste Eisenbahn, einen Prozess aufzusetzen, wie wir vom heutigen komplexen Recht zu einem wohlgeordneten transparenten, widerspruchsfreien und zukunftsoffenen Energierecht kommen.“

Auf die Frage, ob und wie die große Umstellung auf erneuerbare Energien in so kurzer Zeit ohne zentrale Koordination und übergreifenden Plan gelingen kann:
„Auch wenn es keinen umfassenden Gesamtplan zu allen Details gibt, enthält der geltende Rechtsrahmen durchaus eine Reihe von Koordinationsbausteinen. Zu nennen sind etwa das Bundes-Klimaschutzgesetz und die europäische Governance-Verordnung. Auch im Erneuerbare-Energien-Gesetz ist mit den Zielen und den Ausbaupfaden ein konkreter Plan angelegt, um zu einem klimaneutralen Stromversorgungssystem zu kommen.“

„Für den Umbau des Gesamtsystems fehlt aber ein entsprechender Plan und folglich auch eine gesetzliche Koordination. Eine solche sollte dringend entwickelt werden, etwa ein übergreifender und alle Teilbereiche schlüssig umfassender Plan für die verschiedenen Energieinfrastrukturen. Allerdings muss davor gewarnt werden, hier ein zu enges Verständnis von Plänen an den Tag zu legen. Es ist nicht möglich, alle denkbaren Möglichkeiten und Szenarien schon heute vorauszudenken. Gerade der Ukraine-Krieg macht auf dramatische Weise deutlich, dass der bisherige Plan, Erdgas als Brückentechnologie zu nutzen, so aus geopolitischen Gründen nicht mehr umsetzbar ist. Daher muss ein solcher Plan einen Prozess der fortlaufenden Evaluation und Nachsteuerung enthalten.“

„Wir benötigen dazu auch eine neue Klimaschutz- und Transformations-Governance. Dies beginnt bei den Zuständigkeiten und Abläufen innerhalb der Bundesregierung, betrifft das Fehlen einer leistungsfähigen Bundesbehörde, die diese Transformation steuern kann, und erstreckt sich auf einen fehlenden Koordinationsmechanismus zwischen Bund und Ländern.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Alle: Keine Angaben erhalten.

Weitere Recherchequellen

Science Media Center (2020): Wie finanzieren wir künftig die Energiewende? Fact Sheet. Stand: 24.07.2020.

Science Media Center (2021): Wie gelingt die Energiewende? Model-Driven Fact Sheet. Stand: 24.11.2021.