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16.07.2021

Wie können sich Dörfer und Städte auf Regenhochwasser vorbereiten?

Nach den langandauernden und sehr heftigen Regenfällen von Mittwoch und Donnerstag zeigen sich immer mehr katastrophale Folgen: Die Zahl der Toten klettert weiter, sehr viele Häuser stürzten ein oder sind unterspült und faktisch unbewohnbar. Innenstädte sehen aus wie nach einem Tsunami. Die Infrastruktur ist angeschlagen, mancherorts funktionieren weder Strom noch Telefon, Brücken würden beschädigt oder fortgerissen. Und noch immer gehört das Martinshorn zum permanenten Hintergrundgeräusch der Region. Die Frage ist nun: Wenn solche Extremereignisse künftig häufiger auftreten werden (siehe unsere Aussendung heute Morgen), wie können Staat und Bürgerinnen wie Bürger sich darauf vorbereiten und die Infrastruktur, ihren Besitz und ihr Leben besser schützen?

Übersicht

     

  • Dr. Martin Herrmann, Vorsitzender, Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit e.V.
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  • Prof. Dr. Boris Lehmann, Lehrstuhlinhaber Fachgebiet Wasserbau und Hydraulik, Technische Universität Darmstadt
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  • Prof. Dr. Annegret Thieken, Professorin für Geographie und Naturrisikenforschung, Institut für Umweltwissenschaften und Geographie, Universität Potsdam
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  • Prof. Dr. Christian Kuhlicke, Leiter der Arbeitsgruppe "Umweltrisiken und Extremereignisse", Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH (UFZ), Leipzig, und Professor für Umweltrisiken und Nachhaltigkeit, Universität Potsdam
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  • Prof. Dr. Lamia Messari-Becker, Professorin für Gebäudetechnologie und Bauphysik, Department Architektur, Universität Siegen
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Statements

Dr. Martin Herrmann

Vorsitzender, Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit e.V.

„Die jüngsten Hitzewellen und Starkregenereignisse zeigen, dass bisherige Rekorde um ganze Größenordnungen übertroffen werden. Die Pegelmessungen in den jetzt betroffenen Gebieten haben teilweise nicht mehr funktioniert. Die meisten Krankenhäuser haben zwar vorbereitete Pläne, wie sie mit dem Massenanfall von Verletzten oder Erkrankten umgehen. Aber ob sie bei extremen Wetterereignissen strukturell und personell die eigene Leistungsfähigkeit aufrechterhalten können, ist völlig unklar.“

„Insbesondere gibt es flächendeckend keine Hitzeschutzpläne für Kliniken oder Praxen, obwohl die Gefahren durch Hitze die mit weitem Abstand größte Gesundheitsgefahr durch Wetterereignisse in Deutschland darstellt.“

Prof. Dr. Boris Lehmann

Lehrstuhlinhaber Fachgebiet Wasserbau und Hydraulik, Technische Universität Darmstadt

„Das Wesen der kürzlich wieder erfahrenen Starkregenereignisse sind sehr starke Niederschläge, bei denen binnen kürzester Zeit regional begrenzt – beispielsweise durch Gewitter – große Wassermengen hinabregnen. Solche Niederschläge sind so konzentriert, dass es bei dem vielen Wasser kaum zur Versickerung kommt, wie dies bei langandauernden ‚normalen‘ Regenfällen der Fall ist. Hinzu kommt die Tatsache, dass das Niederschlagswasser je nach Örtlichkeit zunächst entlang des Gefälles über Straßen und Wege abfließt, da die Kapazität der Regenwasserkanalisation infolge der hohen Wassermengen rasch erschöpft ist.“

„Um gegen solche Extremereignisse einen wirksamen Schutz der Infrastrukturen bewerkstelligen zu können, reichen die konventionellen siedlungswasserwirtschaftlichen und wasserbaulichen Bemessungsansätze nicht aus – das zeigen uns die aktuellen schlimmen Folgen solcher Ereignisse. Jedoch ist es fachlich, wirtschaftlich und lebenspraktisch auch gar nicht möglich, alle Elemente unserer Kulturlandschaften und Infrastrukturen wegen solcher Extremereignisse nun pauschal neu zu bemessen, umzubauen und damit abzusichern.“

„Hier gilt es meiner Meinung nach, in potenziell gefährdeten Gebieten durch Einsatz von Simulationswerkzeugen zunächst zu untersuchen, wo sich die systembedingten ‚Engstellen‘ und Schadenspotenziale bei extremen Hochwasserabflüssen und Starkregenszenarien befinden – dies müssen nicht immer unbedingt nur die Fließwege und Vorländer von Gewässern sein, da insbesondere bei Starkregen der Weg des Wassers bis in den Gewässerlauf bereits große Schäden anrichten kann. Sind mittels solcher Simulationen die neuralgischen Lokalitäten oder Objekte erkannt, so können situationsadäquat, ausgehend von den prognostizierten Lastfällen, Konzepte zur Wasserführung, -umleitung oder dem Wasserrückhalt sowie Konzepte zur Infrastruktursicherung ausgearbeitet und umgesetzt werden. In der Regel fußen solche Konzepte auf einer Vielzahl von Einzelmaßnahmen unterschiedlichster Art, deren Wirkung als Ganzes dann den gewünschten Schutzgrad bietet.“

„In Ergänzung zu den unter (1)oben genannten wasserwirtschaftlichen Simulationen von Starkregen- und Extremhochwasserszenarien und den – ausgehend von den Simulationsergebnissen – situationsadäquaten beplanbaren Schutzmaßnahmen, ist es meiner Meinung nach ebenso wichtig, die Bevölkerung für diese neue Art der Schadensrisiken zu sensibilisieren. Durch Starkregen verursachte Überflutungen kommen – im Vergleich zu ‚normalen‘ gewässergebundenen Hochwässern – sehr schnell und aus oftmals unvermuteten Richtungen. In der Regel gibt es hier keine Vorwarnzeiten. In heftigen Fällen kann ein Keller oder eine Tiefgarage binnen weniger Minuten vollgelaufen sein und für Bewohner, welche ihr Hab und Gut noch rasch ins Trockene bringen möchten, zur Todesfalle werden.“

„Auch Strömungskräfte und deren Wirkungen können für viele Bürgerinnen und Bürger zur tödlichen Gefahr werden. Daher muss eine nachhaltige – also immer mal wiederkehrende – Aufklärung erfolgen, mit welchen präventiven und ad hoc Maßnahmen man sich selbst sinnvoll absichern kann, beispielsweise durch eine Rückschlagklappe bei der Kanalanbindung des Gebäudes oder wasserdichtes Abdichten von Kelleröffnungen, und welche Verhaltensregeln im akuten Gefahrenfall gelten – beispielsweise Flucht aus einem in die Strömung geratenen PKW. Auch die Ausbildung von Rettungskräften muss an die neuen Gefahren angepasst werden – das zeigen die vielen Gefahrsituationen, von denen Einsatzkräfte oftmals berichten.“

„Alle Infrastrukturen, welche sich in Tallagen und potenziellen Überschwemmungsgebieten befinden, sind bei solchen Extremereignissen gefährdet. Ortsspezifisch können Risiken durch Fachleute bewertet werden. Insbesondere Gas- und Flüssigtanks als auch Starkstromeinrichtungen – beispielsweise in der Industrie und dem Gewerbe – können bei Wasserkontakt zu lebensgefährlichen Situationen führen, unabhängig von der Einrichtung, in der sie verbaut sind. Daher muss das Augenmerk bei solchen Risikoanalysen nicht nur auf das Gebäude und seine Nutzung, sondern insbesondere auch auf die technische Gebäudeausstattung gelegt werden. Hinzu kommen die ‚unsichtbaren‘ Gefahrenquellen, die durch ein Extremereignis entstehen können: Ich denke hier an unterhöhlte Straßen- oder Bahntrassen oder rutschungsgefährdete Hanglagen sowie unterspülte Böschungen und Gebäudefundamente. Solche Gefahrenquellen müssen unmittelbar nach dem eigentlichen Extremereignis durch Fachleute identifiziert werden, wozu Vor-Ort-Begehungen unerlässlich sind.“

Auf die Frage, wie sich Menschen bei Starkregen verhalten sollten:
„Menschen unterschätzen die Kraft und Geschwindigkeit des Wassers nur allzu oft und begeben sich daher unbewusst bei Überflutungssituationen rasch in lebensgefährliche Bereiche, um teilweise lapidare Güter – beispielsweise Pkw oder Gegenstände der Kellereinrichtung – in Sicherheit zu bringen. Grade bei den extremwetterverursachten Sturzfluten sind nicht nur eine Menge Wasser, sondern mit dem Wasser auch viel Geröll, Getreibsel, Müll und andere Sachen in Bewegung. Gerät man als Mensch dort hinein, besteht neben dem Ertrinken die Gefahr des Zerquetschtwerdens – viele schlimme Verletzungen von aus solchen Fluten geretteten Personen bezeugen dies. Daher gilt es meiner Meinung nach, den Bürgerinnen und Bürgern für solche Extremsituationen folgende Verhaltensregel im Kopf zu verankern: ‚Lauf weg vom Wasser und bring Dich so schnell es geht in Sicherheit.‘ Hier sollte man bereits in der Grundschule damit beginnen, solche Verhaltensregeln zu vermitteln – im Fall der Fälle kann das lebensrettend sein.“

Prof. Dr. Annegret Thieken

Professorin für Geographie und Naturrisikenforschung, Institut für Umweltwissenschaften und Geographie, Universität Potsdam

Auf die Frage, wie Häuser besser vor Überflutung durch Starkregen geschützt werden können:
„Seit den Rheinhochwassern in den 1990er Jahren wird in Deutschland zunehmend ein integriertes Management verfolgt, das in den letzten Jahren auch vermehrt auf Starkregen übertragen wird. Dies beinhaltet zunächst eine Kartierung der Gefährdung, eine nachfolgende Vermeidung von Bebauung und Infrastrukturen in hochgefährdeten Gebieten, die Planung, Errichtung und Verbesserung von Schutzbauten und Retentionsflächen sowie die Warnung vor Schadensereignissen, Planung der Katastrophenbewältigung und Förderung der Eigenvorsorge.“

„Da viele Akteure an diesen Prozessen beteiligt sind, ist ein komplexer Abstimmungsprozess nötig. Hier kann das Hochwasseraudit der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall (DWA) unterstützen, das Gemeinden hilft, ihren Vorsorgestatus im Hinblick auf Flusshochwasser und Starkregen einzuschätzen und zu verbessern. Sicherlich ist zu überlegen, wie das Audit in Zukunft auf Sturzfluten – wie wir nun erleben – ausgeweitet werden könnte. Gerade die schnelle Reaktion der Einzugsgebiete, also die kurze Zeit zwischen dem Niederschlag und der Überflutung von Gebäuden, und die hohen Fließgeschwindigkeiten mit hohem Zerstörungspotenzial stellen ganz besondere Herausforderungen an Gemeinden in den Mittelgebirgen.“

Auf die Frage, wo man sich über Gefahren informieren kann und was man präventiv tun kann:
„Für Flusshochwasser gibt es unter [1] bundesweit Gefahrenkarten, in denen man adressgenau recherchieren kann, wie gefährdet ein Standort durch Hochwasser ist. In einigen Städten und Gemeinden liegen auch bereits Gefahrenkarten für Starkregen vor. Aufgrund der unklaren Rechtslage werden diese aber manchmal nicht veröffentlicht. Hier ist der Gesetzgeber gefordert, Klarheit zu schaffen. Nur wer seine Gefahrenlage kennt, kann sich auch vorbereiten. Eine erste Einschätzung für Starkregen kann man unter [2] oder im Naturgefahrencheck der Versicherungswirtschaft [3] erhalten. Beim Gebäudeversicherer kann man auch die Gefährdungszone für Hochwasser und Starkregen für seine Liegenschaft erfragen. Für eine Schutzplanung sind diese Informationen aber in der Regel nicht detailliert genug. Daher benötigen wir eine bessere Förderung für die Erstellung und Veröffentlichung von kommunalen Starkregengefahrenkarten. Auf dieser Grundlage kann dann ein Schutzkonzept für ein Gebäude erarbeitet werden.“

„Gebäudebesitzer können mit dem Hochwasserpass eine erste Risikoeinschätzung vornehmen und Vorsorgelücken schließen. Auch hier werden Flusshochwasser und Überflutungen nach Starkregen berücksichtigt [4].“

„Unsere Schadensauswertungen zeigen, dass private Vorsorgemaßnahmen Hochwasserschäden deutlich reduzieren können. Neben hochwasserangepasster Nutzung von Gebäuden ist eine Sicherung von Heizöltanks besonders effektiv und wichtig. Heizöltanks können bei Überflutungen aufschwimmen, aus der Verankerung gerissen werden und dann auslaufen. Heizöl kann tief ins das Mauerwerk eindringen und auch Nachbargebäude schädigen. Gebäude mit Ölschäden weisen in der Regel einen 1,5- bis 3-fachen Schaden auf. In schweren Fällen können Ölschäden zur Unbewohnbarkeit von Gebäuden, also zu einem Totalschaden, führen. Eine Hochwassersicherung verhindert ein Aufschwimmen von Öltanks und vermindert so Schäden an Gebäuden und an der Umwelt.“

Auf die Frage, welche kritischen Infrastrukturen es gibt, die durch solche Regenfälle beschädigt werden könnten, und die geschützt werden müssten:
„Die Auswertung von Gefahrenkarten sind nicht nur für Privatpersonen und Unternehmen wichtig, sondern auch für Träger und Betreiber von kritischen Infrastrukturen, also Polizei, Feuerwehr, Krankenhäuser, aber auch Pflegeheime, Kindertagesstätten und Schulen. Hier ist zu prüfen, wie stark eine Liegenschaft betroffen sein kann und ob sie im Ereignisfall noch gut erreichbar ist. Insbesondere die Betroffenheit technischer Anlagen und die Sicherung der Stromversorgung ist zu überprüfen.“

„Für Pflegeheime und Kindertagesstätten hat die Johanniter-Unfall-Hilfe in Kooperation mit der Universität Potsdam im BMBF-Forschungsprojekt ExTrass Handlungsempfehlungen zur Vorbereitung auf Starkregen und Hitze erarbeitet und evaluiert. Diese stehen kostenfrei zur Verfügung [5].“

Auf die Frage, wie sich Menschen bei Starkregen verhalten sollten:
„Eine wichtige Voraussetzung für adäquates Verhalten ist eine rechtzeitige und informative Warnung. Der Deutsche Wetterdienst hatte in den betroffenen Gebieten am Mittwoch vor extremen Niederschlägen gewarnt. Für die Zukunft wünsche ich mir, dass die Warnkarten des Wetterdienstes stärker in den Medien verbreitet werden, also zum Beispiel auch in den Wetterberichten der Hauptnachrichtensendungen gezeigt und erklärt werden.“

„Die rot-violette Färbung bedeutet, dass lebensgefährliche Situationen auftreten können und dass möglicherweise ungewöhnliche Maßnahmen ergriffen werden müssen. Es kann also beispielsweise zu Evakuierungen kommen. Warnungen können Menschenleben retten und Schäden vermeiden, wenn sie mit Verhaltenshinweisen verknüpft werden. Auch dies könnte in Deutschland effektiver geschehen, zum Beispiel durch Hinweise auf die Internetseiten des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) oder auch durch Videoclips, in denen das Wichtigste zusammengefasst wird, beispielsweise wie man einen Notfallkoffer packt und dass Keller, Unterführungen, Tunnel bei Starkregen und Überflutungen schnell zur Todesfalle werden können und daher vermieden werden sollten. Eine Ausstrahlung vor oder nach den Hauptnachrichten wären sicherlich gute Zeitpunkte. Dies gilt nicht nur für Starkregen, sondern auch für andere Gefahren wie Hitzewellen.“

Prof. Dr. Christian Kuhlicke

Leiter der Arbeitsgruppe "Umweltrisiken und Extremereignisse", Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH (UFZ), Leipzig, und Professor für Umweltrisiken und Nachhaltigkeit, Universität Potsdam

„Die Ereignisse der letzten Jahre zeigen, es gilt unsere Infrastrukturen auf eine neue Wetter-Dynamik einzustellen. Die vor Dekaden gebaute und alternde Infrastruktur gilt es, in den nächsten fünf bis zehn Jahren zukunftssicher umzubauen.“

„Die Wetter-Ausschläge werden extremer werden, und zwar in beide Richtungen: Starke und langanhaltende Niederschläge mit enormen und schnell ansteigenden Wassermassen gerade in den kleineren Bächen und Flüssen sind ebenso zu erwarten wie länger anhaltende Trocken- und Hitzeperioden. Es sind vor allem die Hotspots, also Infrastrukturen, die besonders exponiert sind und gleichzeitig besonders kritisch für die Versorgung der Bevölkerung, die es zu identifizieren und zu kartieren gilt. Dies kann eine wichtige Verkehrsader sein, Umspannwerke, Kommunikationsknotenpunkte oder Brücken.“

„Die Kartierung ist die Grundlage für eine Veränderung unserer Infrastrukturen. Eine Straße muss so gebaut sein, dass sie bei sommerlicher Hitze nicht schmilzt oder birst und bei starken Strömungen nicht unterspült wird. Strom- und Kommunikationsnetze, das Rückgrat unserer modernen Gesellschaft, müssen so konzipiert werden, dass sie auch in extremen Lagen funktionieren. Der Wiederaufbau nach der großen Zerstörung in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz bietet die Möglichkeit, Infrastrukturen zukunftssicher wiederaufzubauen und damit neue Standards für die Zukunft zu setzen.“

„Der Schutz von Dörfern und Städten sollte auf zwei wesentlichen Prinzipen basieren: Erstens, Rückhalt von Wassermassen wo immer möglich und zweitens der Schutz von Gebäuden selbst.“

„Dörfer, Städte und Landschaften sollten wie Schwämme konzipiert werden. Jeder Kubikmeter Wasser, der nicht über die Kanalisation in Flüsse eingeleitet wird, trägt zur Abflachung von Hochwasserwellen bei. Neben den bereits gebauten Rückhaltebecken und Talsperren, die eine wichtige Funktion einnehmen, gilt es, auch die Schwammfähigkeit von Städten selbst zu erhöhen. Sogenannte naturnahe beziehungsweise naturbasierte Lösungen sind zum Beispiel begrünte Dächer, bessere Versickerungsmöglichkeiten auf offenen Flächen, dezentrale Speichermöglichkeiten, zum Beispiel unter Grünflächen oder durch Schaffung von naturnahen Rückhaltezonen.“

„Die Konzepte liegen vor und der Nutzen solcher Maßnahmen ist belegt. Die Umsetzung allerdings gestaltet sich bisher zäh. Es stellen sich neue Herausforderungen. Viele der Flächen sind sowohl in öffentlicher als auch privater Hand. Wer ist zuständig, wer zahlt für den Unterhalt solcher Maßnahmen? Hier allein auf die Kreativität Einzelner zu setzen, wird nicht ausreichen. Es bedarf eines verlässlichen gesetzlichen Rahmens und eines klaren Regelwerkes. Neue Förder- und Anreizinstrumente sind ebenso notwendig wie ein Innovations- und Gestaltungswillen aufseiten der Städte, Kommunen und Investoren.“

„Das zweite wesentliche Prinzip ist der Schutz von Gebäuden. Gerade bei Starkregenereignissen wird dieser Schutz nicht über Deiche oder Mauern herzustellen sein. Es gilt, die Gebäude selbst in den Blick zu nehmen. Dort wo möglich – zum Beispiel bei Sanierung oder Neubau – und sinnvoll, gilt es, das Wasser durch bauliche Maßnahme am Eindringen zu hindern. Rückstauklappen, druckdichte Fenster und Türen oder Dammbalkensysteme sind effektive Mittel. Für jedes einzelne Gebäude kann mittlerweile eine Risikoabschätzung vorgenommen werden und Expert*innen geben Hinweise, welche Maßnahmen geeignet sind.“

„Allerdings gilt auch hier: Die Konzepte liegen vor und die Maßnahmen sind bekannt, aber die Umsetzung lahmt. Viele Eigentümer*innen werden allein gelassen. Weder wird genügend informiert und aufgeklärt, noch wird Gebäudeschutz belohnt. Es wäre an der Zeit, ähnlich wie beim Klimaschutz im Gebäudestand – Stichwort Energieeffizienz –, ein groß angelegtes Klimaanpassungsprogramm für Gebäude auf den Weg zu bringen. Die Schadenssummen, die mit Starkregenereignissen und Hochwasser verbunden sind, sind langfristig nicht tragbar – sowohl für den einzelnen Hauseigentümer als auch für die Gesellschaft. Klimaanpassung sollte nicht die Kür für jeden Einzelnen sein, sie sollte zur alltäglichen Selbstverständlichkeit werden.“

Auf die Frage, wie sich Menschen bei Starkregen verhalten sollten:
„Wenn Menschen sich zum ersten Mal während eines extremen Hochwassers Gedanken machen, was nun zu tun ist, dann ist es meist zu spät. Das Verhalten während einer Überflutung ist wichtig, die Vorbereitung vor einer Überflutung aber entscheidend. Es geht dabei weniger um das gedankliche Durchspielen von möglichen Szenarien, sondern um ganz konkrete Schritte: Wesentliche Dokumente und Medikamente an einem Platz lagern, sodass sie schnell greifbar sind. Es kann um Minuten gehen. Es gilt, einen Treffpunkt festzulegen, an dem sich ein Haushalt im Falle einer Evakuierung trifft. Zu häufig brechen in Deutschland Kommunikations- und Stromnetze zusammen. Vor einem Hochwasser festlegen, welche Wertgegenstände in Sicherheit gebracht werden sollten. Jedes TV-Gerät ist ersetzbar, ein Familienfotoalbum für immer verloren. Sobald es ernst wird: informieren sie sich rechtzeitig und fortlaufend, handeln sie schnell und umsichtig und vor allem bringen sie sich rechtzeitig in Sicherheit. Sobald eine Person bis zur Hüfte im Wasser steht, kommt sie selbst bei relativ moderater Strömung nicht mehr gegen das Wasser an. Verlassen sie ihr Wohngebäude also frühzeitig: Better safe than sorry – oder – Vorsicht ist besser als Nachsicht.“

Prof. Dr. Lamia Messari-Becker

Professorin für Gebäudetechnologie und Bauphysik, Department Architektur, Universität Siegen

Auf die Frage, wie die Infrastruktur besser geschützt werden kann:
„Wir müssen Notfall-Systeme aufbauen, die die Versorgung bei Extremwetter möglichst lange intakt erhalten. Dazu müssen wir auch ein Frühwarn-System etablieren, das agiler reagiert.“

Auf die Frage, wie Häuser besser vor Überflutung durch Starkregen geschützt werden können:
„Indem man erstens bestehende Flussverläufe nicht ohne Folgenabschätzung ändert – begradigte Flüsse führen dazu, dass sich die Wassermassen konzentrieren und beschleunigen. Wasser- und Deichbau sind zentral. Zweitens müssen wir die Renaturierung der Wasserlandschaften angehen. Drittens für weniger Versiegelung und mehr sickerfähige Oberflächen sorgen. Viertens muss die Bebauung die Verhältnisse berücksichtigen. Für bestehende Bebauungen geht es jetzt aber nur noch darum, sie durch bauliche Maßnahmen zu schützen – Kellerverstärkungen, Anhebungen von Brücken, neue Infrastruktur inklusive.“

Auf die Frage, welche kritischen Infrastrukturen es gibt, die durch solche Regenfälle beschädigt werden könnten, und die geschützt werden müssten:
„Solche Regenfälle können ganze Regionen lahmlegen, insbesondere wenn sie auf unvorbereitete Strukturen treffen. Kritische Infrastrukturen sind unter anderem Energieversorgung, Wasserver- und Entsorgung (damit wären auch Krankenhäuser betroffen), Verkehrssysteme, Industrielle Anlagen und weitere.“

Auf die Frage, wie sich Menschen bei Starkregen verhalten sollten:
„Wir müssen neben Frühwarnsystemen auch ad-hoc-Maßnahmen verstärken und Aufklärungsarbeit leisten, um richtig zu reagieren. Es geht oft um Sekunden.“

Auf die Frage, wie oft sich solche Ereignisse wiederholen werden:
„Wetterextreme und Naturkatastrophen gehören zur Menschheit dazu. Sie werden nun durch den Klimawandel verstärkt. Klimamodelle sagen voraus, dass solche Ereignisse häufiger und heftiger werden, allerdings nicht, wo sie genau passieren. Treffen sie zudem auf begünstigende Verhältnisse wie die Nähe zu Flüssen, Eingriffe in die Natur, Versiegelung oder eine unzureichende Infrastruktur, sind Katastrophen vorprogrammiert.“

„Zusammengefasst: Wir müssen die gebaute Umwelt (Gebäude, Außenraum und Städte) klimawandelresilienter hinbekommen. Neben dem Klimaschutz muss die Politik die Klimaanpassung endlich zur nationalen Aufgabe erheben. Wir brauchen einen Dreiklang: Schutz kritischer Infrastrukturen, räumliche und städtebauliche Anpassung/Korrekturen und Schadensminimierung.“

Beim Schutz kritischer Infrastrukturen geht es darum, Versorgungsstrukturen und zentrale Prozesse im Falle von Wetterextremen aufrechtzuerhalten. Beispiele: Die U-Bahn muss weiterhin fahren, ein Krankenhaus weiter Patienten versorgen können. Wir brauchen Frühwarnsysteme und ad-hoc-Maßnahmen.“

„Räumlich und städtebaulich müssen Korrekturen und Anpassungen erfolgen: Der Umgang mit Versiegelung ist zu überdenken, sickerfähige Materialien im Außenraum – Stichwort Schwamm-Stadt –, Ausbau der Infrastruktur inklusive Kanalisation und Pumpwerke. Zentral ist auch die Renaturierung der Flüsse und der Wasserlandschaften, denn Begradigungen von Flüssen wirken auf Wassermassen konzentrierend und beschleunigend.“

„Wir müssen die Aufgaben besser schulten. Haushaltsschwache Kommunen können plötzlich die teuersten Maßnahmen finanzieren müssen. Das kann nicht sein. Hier muss die Politik für Ausgleich sorgen und mehr Solidarität in gemeinschaftlichen Aufgaben schaffen.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Alle: Keine Angaben erhalten.

Literaturstellen, die von den Experten zitiert wurden

[1] Wasserblick.net. Bund/Länder- Informations- und Kommunikationsplattform.

[2] Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung: GIS-ImmoRisk Naturgefahren. Informationen zum Projekt.

[3] Die Versicherer. Das Verbraucherportal des GDV: Naturgefahren-Check.

[4] Hochwasser Kompetenz Centrum e.V.: Hochwasser-Pass.

[5] Universität Potsdam: BMBF-Projekt ExTrass: Urbane Resilienz gegenüber extremen Wetterereignissen.