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15.08.2022

Verfügbarkeit des Affenpocken-Impfstoffs bei steigenden Fallzahlen

     

  • Zahl der Affenpocken-Fälle steigt weiter, bereits einzelne Infektionen außerhalb der MSM-Community
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  • Bestellte Impfstoffmengen könnten womöglich nicht ausreichen
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  • USA erproben Impfungen unter die Haut mit niedrigerer Dosis, Fachleute sind skeptisch
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In Deutschland hat das Robert-Koch-Institut (RKI) jüngst erstmals mehr als 3000 Fälle von Affenpocken gemeldet. Bei den derzeit insgesamt 3102 Erkrankten handele es sich überwiegend um Männer. Betroffen seien aber auch elf Frauen, drei Jugendliche und ein Kind, heißt es in einer Mitteilung des RKI [I].* Die Zahl der Neuinfektionen ist aktuell rückläufig, dennoch sind weitere Fälle zu erwarten. Zwar erkranken die meisten Betroffenen nicht schwer, doch ist zu befürchten, dass die Affenpocken endemisch werden, sollte der Ausbruch nicht rasch eingedämmt werden.

Bisher traten die allermeisten Infektionen bei Männern auf, die häufigen Sex mit wechselnden Männern haben (MSM). Doch einzelne Fälle deuten bereits darauf hin, dass der Erreger sich langsam aus dieser sogenannten MSM-Community heraus bewegt – was ein epidemiologisch zu erwartender Ablauf ist, wenn die Fallzahlen allmählich steigen. Die Affenpocken werden durch engen Körperkontakt übertragen. Neben einer gezielten Aufklärung ist die Impfung von zentraler Bedeutung, um das Virus einzudämmen. Ob dafür allerdings zeitnah genügend Impfstoff zur Verfügung steht, ist bisher weiterhin unklar.

Bislang hat die Bundesregierung dem Gesundheitsministerium zufolge 240.000 Impfstoffdosen bestellt, von denen zunächst 40.000 ausgeliefert worden seien. Aus EU-Beständen kamen einige weitere dazu. 200.000 sollen bis Ende September folgen. Deutschland ist innerhalb der EU mit am besten mit Impfstoff versorgt. Laut der Deutschen Aidshilfe werden aber etwa eine Million Impfdosen benötigt, um einer halben Million Menschen mit erhöhtem Infektionsrisiko einen dauerhaften Impfschutz zu bieten. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach rief am Freitag die Bundesländer mit nur wenig Fällen von Affenpocken zur Abgabe von Impfstoff an das Land Berlin auf. Er würde sich freuen, wenn dieser Impfstoff „in den Brennpunkt Berlin“ verlagert werden könnte, weil dort eine überproportionale Belastung bestehe, so Lauterbach. Länder wie Großbritannien und Belgien meldeten zuletzt einen Mangel an Impfstoff.

Auch die USA fürchten Engpässe, weshalb es die Gesundheitsbehörde FDA nun ermöglicht hat, den Impfstoff mit einer geringeren Dosis nicht wie üblich in den Muskel, sondern in die Haut (intradermal) zu spritzen [II]. Für gewöhnlich braucht es zwei intramuskuläre Dosen. Eine Studie zu dem Modified-Vaccinia-Ankara-Virus (MVA) – einem Kuhpockenvirus, das für verschiedene Impfstoffe verwendet wird, unter anderem nun gegen die Affenpocken – habe jedoch gezeigt, dass ein Fünftel der Standarddosis in die Haut gespritzt zumindest immunologisch nicht unterlegen ist [III]. Die Haut enthält große Mengen dendritische Zellen. Diese präsentieren dem Immunsystem besonders effektiv fremde Antigene, also jene molekulare Strukturen, an die sich Antikörper und T-Zellen im Zuge einer Immunantwort binden können.

Intradermale Impfungen werden zum Beispiel bereits bei der BCG-Impfung gegen Tuberkulose eingesetzt. Auch bei Influenza-Impfungen gibt es immer wieder Überlegungen, im Fall von Engpässen intradermal zu impfen. In einer Studie aus dem Jahr 2004 führte die intradermale Verabreichung von einem Fünftel der intramuskulären normalen Dosis eines Grippeimpfstoffs zu einer vergleichbaren, mitunter gar besseren Immunogenität [IV]. Nach Impfungen in die Haut kommt es allerdings meist zu stärkeren Impfreaktionen.

Das SMC hat Fachleute dazu befragt, inwieweit die bisherigen Mengen des Affenpocken-Impfstoffs mit Blick auf noch steigende Fallzahlen ausreichend sind und ob intradermale Impfungen bei Engpässen eine gleichwertige Alternative darstellen könnten.

*Anmerkung der Redaktion:
Nach weiteren Untersuchungen hat sich mittlerweile herausgestellt, dass das im RKI-Bericht erwähnte Kind aus Pforzheim nicht an den Affenpocken erkrankt ist, wie das baden-württembergische Gesundheitsministerium am Montag mitteilte.

Übersicht

     

  • Prof. Dr. Ulrike Protzer, Inhaberin des Lehrstuhls Virologie und Direktorin des Instituts für Virologie, Technische Universität München (TUM)
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  • Prof. Dr. Gerd Fätkenheuer, Leiter der Infektiologie, Klinik I für Innere Medizin, Uniklinik Köln
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Statements

Prof. Dr. Ulrike Protzer

Inhaberin des Lehrstuhls Virologie und Direktorin des Instituts für Virologie, Technische Universität München (TUM)

„An der aktuellen Impfstoff-Verfügbarkeit wird man nicht viel ändern können. Der Impfstoff ist leider nicht so ganz einfach zu produzieren und es gibt nur einen Produzenten. Das ist die Firma Bavarian Nordic (BN). Das ist aber keine große Pharmafirma mit extensiven Produktionskapazitäten. Ich kenne die potenzielle Kapazität nicht und inwieweit diese zeitnah ausgebaut werden kann. Aber man sollte sicher auch die Aus-Lizensierung des BN-MVA-Impfstoffs an andere GMP-Hersteller diskutieren (BN-MVA oder ,Imvanex‘ ist der bisher einzige auch für die Affenpocken zugelassene Impfstoff, hergestellt von der Firma Bavarian Nordic, Anm. d. Red.). Und wenn das nicht möglich ist, sollte man auf das MVA zurückgreifen, das in den 70er Jahren in Bayern an mehr als 120.000 Menschen verimpft wurde und das zu dem BN-MVA fast identisch ist. Das hat der Freistaat Bayern ja noch in kleinen Mengen eingelagert. Dieses MVA könnte man genauso als Basis für Impfstoffe verwenden, die man angesichts der weltweiten Ausbreitung ja benötigen wird. Nicht nur bei uns, sondern auch in Afrika, wo die Affenpocken ja schon seit fünf Jahren grassieren.“

„Es gibt schon Berichte, dass das Virus außerhalb der MSM-Community übertragen wurde. Das würde man auch erwarten, da ein enger Kontakt zu den virus-bedingten Hautläsionen ja ausreicht, egal wer den Kontakt hat. Es ist nur eine Frage des Risikos, das jemand hat, mit Läsionen in Kontakt zu kommen. Und das ist in der MSM-Community halt höher. Aber je länger das Virus zirkuliert, umso größer ist die Gefahr, dass es sich in verschiedenen Gruppen ,festsetzt‘. Da das eigentliche Virus-Reservoir in Afrika Nagetiere sind, muss man auch die gut im Blick behalten.“

„Eine geringere Dosis des Impfstoffs könnte ausreichen, wenn man den Impfstoff direkt in die Haut statt wie man das üblicherweise macht in den Muskel verabreicht. Aber das ist ziemlich schmerzhaft und hat in einer Studie, in der das untersucht wurde, ja bei vielen Impflingen auch zu Hautreaktionen geführt, die mehr als 28 Tage angehalten haben [1]. Auch wenn der Impfstoff sonst sehr gut vertragen wird. Ich befürchte aber, dass eine heftige lokale Reaktion auch für die Akzeptanz der Impfung nicht gut wäre.“

Prof. Dr. Gerd Fätkenheuer

Leiter der Infektiologie, Klinik I für Innere Medizin, Uniklinik Köln

„Die Zahl von Personen, die ein erhöhtes Infektionsrisiko haben und deshalb geimpft werden sollten, ist mir aktuell nicht bekannt. Es werden aber sicherlich wesentlich mehr als 240.000 in Deutschland sein. Von daher wird die Impfung allein nicht ausreichen, um die derzeitige Ausbreitung der Affenpocken vollständig zu unterbinden. Es sind also zusätzliche Bemühungen notwendig, die vor allem darauf abzielen sollten, das Ansteckungsrisiko zu vermindern. Da sich die Krankheit bisher fast ausschließlich unter Männern ausbreitet, die Sex mit Männern haben, muss diese Personengruppe besonders und gezielt angesprochen werden. Es geht darum, auf breiter Basis Wissen zu vermitteln, wie man sich verhalten kann, um die Infektion zu verhindern. Diese Kampagne muss so gestaltet werden, dass sie die Zielgruppe auch anspricht. Hier ist meines Erachtens noch einiges zu tun.“

„Wir wissen, dass es besonders Netzwerke von Männern mit einer stark wechselnden und hohen Zahl von Geschlechtspartnern sind, unter denen sich die Erkrankung ausbreitet. Ohne jegliche Reduktion der Ausbreitung wäre es nur eine Frage der Zeit, bis sich auch andere Personengruppen infizieren, wobei ich dann allerdings nicht mit einer ebenso starken Ausbreitung rechnen würde wie bei MSM. Aber noch bleibe ich optimistisch und gehe davon aus, dass sich mittels Aufklärungskampagnen, Verhaltensänderungen und Impfungen die Ausbreitung deutlich vermindern lässt.“

„Grundsätzlich wäre die intrademale Injektion mit verringerter Impfstoffmenge sicherlich eine interessante Alternative. Aber allein aus praktischen Gründen halte ich das nicht für umsetzbar. Der Impfstoff liegt gegenwärtig in Ampullen mit 0,5 Milliliter vor, die zur subkutanen Injektion in eine Spritze aufgezogen werden müssen. Das ist bereits jetzt eine ziemlich geringe Menge. Wenn man daraus 5 Spritzen à 0,1 Milliliter aufziehen will, dann ist das schon von der praktischen Handhabung her ziemlich schwierig. Noch größer erscheint mir allerdings das Problem der intradermalen Injektion selbst. Wenn man hier nicht spezielle Vorrichtungen zur Verfügung hat, ist das technisch ganz schön schwierig, und es gibt derzeit sicher nur ganz wenige Ärzte, die damit Erfahrung haben. Außerdem braucht man länger dafür als für eine subkutane Injektion, die sehr einfach durchzuführen ist. Schon jetzt sind die wenigen Impfambulanzen und -praxen sehr stark ausgelastet mit dieser Impfung. Der zeitliche Mehraufwand wäre also kaum zu schaffen. Alles in allem: Ich halte von dieser Idee sehr wenig.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Alle: Keine Angaben erhalten.

Weiterführende Recherchequellen

UK Health Security Agency (12.08.2022): Investigation into monkeypox outbreak in England: technical briefing 5.
Dieses Briefing der britischen Behörde UKHSA wurde erstellt, um anderen Forschern im Bereich der öffentlichen Gesundheit und akademischen Partnern, die ähnliche Arbeiten durchführen, nützliche Daten zur Verfügung zu stellen. Es enthält erste Erkenntnisse und vorläufige Analysen zu den Affenpocken.

Literaturstellen, die von den Experten zitiert wurden

[1] Frey ES et al. (2015): Comparison of lyophilized versus liquid modified vaccinia Ankara (MVA) formulations and subcutaneous versus intradermal routes of administration in healthy vaccinia-naïve subjects. Vaccine. DOI: 10.1016/j.vaccine.2015.06.075.

Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden

[I] Robert-Koch-Institut (12.08.2022): Internationaler Affenpocken-Ausbruch: Fallzahlen und Einschätzung der Situation in Deutschland. Pressemitteilung.

[II] US Food and Drug Administration (09.08.2022): Monkeypox Update: FDA Authorizes Emergency Use of JYNNEOS Vaccine to Increase Vaccine Supply. Pressemitteilung.

[III] Frey ES et al. (2015): Comparison of lyophilized versus liquid modified vaccinia Ankara (MVA) formulations and subcutaneous versus intradermal routes of administration in healthy vaccinia-naïve subjects. Vaccine. DOI: 10.1016/j.vaccine.2015.06.075.

[IV] Kenney RT et al. (2004): Dose Sparing with Intradermal Injection of Influenza Vaccine. New England Journal of Medicine. DOI: 10.1056/NEJMoa043540.