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02.06.2023

UN-Plastikabkommen: Muss die Produktion gedrosselt werden?

     

  • zweite Verhandlungsrunde zum UN-Plastikabkommen läuft bis Freitag in Paris
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  • NGOs fordern Minderung der globalen Kunststoffproduktion, Industrie setzt stattdessen auf besseres Recycling
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  • Forschende halten Drosslung der Herstellung von neuem Plastik für unumgänglich; wie bei allen internationalen Abkommen sind aber rechtlich bindende Vorgaben schwierig
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Die Vereinten Nationen verhandeln in der Woche vom 29.05. bis zum 02.06. über ein globales Abkommen, das die wachsende Plastikverschmutzung in Meeren und an Land aufhalten soll. Wie dieses Ziel erreicht werden kann, ist umstritten: Während Nichtregierungsorganisationen fordern, die globale Produktion von Kunststoffen deutlich zu verringern, will die Kunststoffindustrie technische Innovationen in den Fokus rücken – vor allem besseres Recycling. Einige Forschende kritisierten, dass auch ein aktueller Bericht des Umweltprogramms der UN [I] eher auf technische Lösungen fokussiert als auf die Vermeidung von Kunststoffen [II].

Bis Freitag findet die zweite von fünf geplanten Verhandlungsrunden in Paris statt, bis Ende 2024 soll das Abkommen stehen. Der Zeitplan gilt als ambitioniert. Beobachter kritisieren, dass sich die Diskussionen in den ersten Tagen vor allem um Formalitäten drehten – wie dem Stimmrecht – und wenig um inhaltliche Themen [III]. Ähnliche Kritik gab es auch an der ersten Verhandlungsrunde im Herbst 2022.

Ein Blick auf die Zahlen zeigt, wie groß die Herausforderung ist, der sich die Vereinten Nationen stellen: Laut Prognosen der OECD wird sich die Produktion von Kunststoffen von 2019 bis 2050 verdoppeln und bis 2060 verdreifachen [IV]. Nur ein Zehntel des Plastikmülls wird aktuell recycelt. Dieser Anteil wird sich laut OECD zwar erhöhen, allerdings nur auf 17 Prozent bis 2060. Der weitaus größere Teil wird demnach auch in Zukunft verbrannt, deponiert oder landet unkontrolliert in der Umwelt. Bereits heute enden pro Minute etwa vier Lkw-Ladungen Plastikmüll in Flüssen, Seen und Meeren – das sind jährlich rund 20 Millionen Tonnen, Tendenz steigend [V]. Weitere Daten, Grafiken und Recherchequellen zum Plastikproblem finden Sie in diesem Living Fact Sheet des SMC.

Wo liegen die Grenzen von technischen Lösungen für das Plastikproblem, wie dem Recycling? Braucht es globale Minderungsziele für die Plastikproduktion? Wie ließen sich solche rechtlich umsetzen? Ist das für alle Anwendungsbereiche sinnvoll und machbar? Diese Fragen hat das SMC Forschenden aus der Kreislaufwirtschaft, Meeresbiologie und dem Umweltrecht gestellt und diese um Einblicke in die Verhandlungen in Paris gebeten.

Übersicht

     

  • Prof. Dr. Sina Leipold, Leiterin der Departments Umweltpolitik, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ), Leipzig, und Professorin für Umweltpolitik, Friedrich-Schiller-Universität Jena
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  • Dr. Melanie Bergmann, Meeresökologin, Senior Research Fellow in der Sektion Tiefsee-Ökologie und -Technologie, Fachbereich Biowissenschaften, Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), Bremerhaven und Mitglied der deutschen Delegation bei den Verhandlungen zum UN-Plastikabkommen
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  • Prof. Dr. Aleke Stöfen-O'Brien, Assistenzprofessorin für Ocean Sustainability, Governance & Management, World Maritime University (WMU), Malmö, Schweden und Mitglied der Delegation der Internationalen Seeschifffahrts-Organisation der Vereinten Nationen bei den Verhandlungen zum UN-Plastikabkommen, Schweden
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  • Prof. Dr. Michael Nase, Leiter des Instituts für Kreislaufwirtschaft der Bio:Polymere, Fakultät für Ingenieurwissenschaften, Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hof
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  • Prof. Dr. Henning Wilts, Abteilungsleiter Circular Economy, Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie gGmbH, Wuppertal
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  • Doris Knoblauch, Senior Fellow und Koordinatorin der Arbeitsgruppe Plastik, Ecologic Institut, Berlin und als Beobachterin vor Ort bei den Verhandlungen in Paris
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Statements

Prof. Dr. Sina Leipold

Leiterin der Departments Umweltpolitik, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ), Leipzig, und Professorin für Umweltpolitik, Friedrich-Schiller-Universität Jena

„Um die Plastikmengen in der Umwelt zu reduzieren, wird eine Drosselung der Herstellung unumgänglich sein. Hierauf zielt letztlich auch das von der Industrie geforderte verbesserte Recycling ab. Die Verwendung von Sekundär-Rohstoff – also recyceltem Plastik – soll die Produktion von neuem Plastik verringern.“

Auf die Frage, wie eine Minderung der globalen Plastikproduktion rechtlich/politisch umgesetzt werden könnte:
„Hier existieren (auf nationaler Ebene; Anm. d. Red.) unterschiedliche Instrumente, zum Beispiel die Förderung von wiederverwendbaren Verpackungen, Pfandsysteme, eine Stärkung des Basler Abkommens zur Begrenzung des grenzüberschreitenden Transports gefährlicher Abfälle, die Besteuerung von Primärrohstoffen oder zeitlich begrenzte Subventionen für Sekundärrohstoffe, also für recyceltes Plastik. Häufig ist eine Kombination aus verschiedenen Maßnahmen effektiv.“

„Internationale Abkommen haben aber in der Regel keine bindende Wirkung, da eine Nichteinhaltung für Staaten kaum Konsequenzen hat, außer einem schlechten Image. Das Streitbeilegungssystem der Welthandelsorganisation ist eines der wenigen Ausnahmen. Es ist jedoch stark umstritten, da ihm jegliche demokratische Legitimation fehlt.“

Auf die Frage, in welchen Bereichen sich die Nutzung von Kunststoffen sinnvoll verringern lässt und in welchen nicht:
„In der Verpackungsindustrie, der Textilindustrie und dem Bauwesen gibt es viel Potenzial zur Reduktion und Wiederverwendung sowie zum Recycling und den Ersatz durch andere Materialien. In anderen Sektoren wie der Medizintechnik oder der Elektronik ist eine Wiederverwendung, Recycling oder der Ersatz durch andere Materialien oft schwierig. Hier gibt es sicherlich aber auch Potenzial zur Reduktion.“

Dr. Melanie Bergmann

Meeresökologin, Senior Research Fellow in der Sektion Tiefsee-Ökologie und -Technologie, Fachbereich Biowissenschaften, Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), Bremerhaven und Mitglied der deutschen Delegation bei den Verhandlungen zum UN-Plastikabkommen

„Wissenschaftliche Berechnungen haben gezeigt, dass wir alle uns zur Verfügung stehenden Mittel nutzen müssen, um eine knapp 80-prozentige Minderung der Plastikverschmutzung erreichen zu können [1]. Den größten und kostengünstigsten Hebel bilden hier Mittel, die eine Verringerung der Produktion von neuem Plastik zur Folge haben. Damit lässt sich die Verschmutzung fast halbieren, daher ist dies ein sehr effektiver Hebel, auf den wir nicht verzichten dürfen.“

„Knappe weitere 20 Prozent lassen sich durch Recycling einsparen. Allerdings müssen hier erst die Vorrausetzungen verbessert werden, um sicheres Recycling zu ermöglichen. Das könnte erreicht werden, in dem die Zusammensetzung von Kunststoffen vereinfacht und offengelegt wird. Denn Plastikprodukte können über 13.000 verschiedene Chemikalien enthalten und knapp ein Viertel davon wird als gefährlich eingestuft. Produkte verschiedener Herkunft und unbekannter Zusammensetzung können kaum sicher zusammengeführt und weitergenutzt werden, was das Recycling stark beschränkt. Zudem hat eine Studie kürzlich gezeigt, dass Recyclinganlagen große Mengen von Mikro- und wahrscheinlich auch Nanoplastik freisetzen [2]. Sie müssen also sicherer gemacht werden und der Prozess dekarbonisiert werden.“

Auf die Frage, welche Akteure sich in den Verhandlungen sprechen für eine deutliche Verringerung der Kunststoffproduktion aussprechen und welche dagegen:
„Die Länder der High Ambition Coalition wie die EU, Ruanda und Peru und neuerdings erfreulicherweise auch Japan sind für ehrgeizige Ziele. Staaten wie Saudi-Arabien, China, Russland und Brasilien sind bislang leider eher als Bremser aufgetreten.“

„Industrievertreter:innen der American Chemical Councils haben einer Quelle gesagt, dass sie die Plastikproduktion steigern wollen, und Fragen zur Veränderung des Designs ablehnen, unter anderem, weil sie dies als Beeinträchtigung des Industriegeheimnisses sehen. Europäische Verbände, wie Plastics Europe sind insgesamt deutlich kooperativer.“

Auf die Frage, in welchen Bereichen sich die Nutzung von Kunststoffen sinnvoll verringern lässt und in welchen nicht:
„Bei Einfachverpackungen lässt sich sicher ein Großteil der Kunststoffe einsparen und auch an anderen Stellen kann mit Sicherheit auf andere Materialien zurückgegriffen werden. Es gibt auch Autoreifen, die deutlich weniger Reifenabrieb – eine der Hauptquellen von Mikroplastik – verursachen als andere. Allerdings müssen wir unbedingt von vornherein sicherstellen, dass bei der Herstellung von alternativen Materialien nicht zu viele Land- und Wasserressourcen verbraucht und CO2 ausgestoßen wird. Selbstverständlich müssen diese Materialien auch in der Umwelt abbaubar sein und dürfen keine gefährlichen Chemikalien enthalten. Ein einziges Produkt aus sogenanntem Bioplastik kann zum Beispiel über 5.000 verschiedene Chemikalien enthalten, da dürfen wir nicht die gleichen Fehler machen, wie bislang.“

Prof. Dr. Aleke Stöfen-O'Brien

Assistenzprofessorin für Ocean Sustainability, Governance & Management, World Maritime University (WMU), Malmö, Schweden und Mitglied der Delegation der Internationalen Seeschifffahrts-Organisation der Vereinten Nationen bei den Verhandlungen zum UN-Plastikabkommen, Schweden

Auf die Frage, wie eine Minderung der globalen Plastikproduktion rechtlich/politisch umgesetzt werden könnte:
„Um die globale Kunststoffproduktion zu reduzieren und so einen wichtigen Beitrag zur Vermeidung von schädlichen Auswirkungen zu leisten, gäbe es verschiedene Möglichkeiten. Neben wirtschaftlichen, technischen und wissenschaftlichen Möglichkeiten zur Verringerung der Kunststoffproduktion, kommt dem Recht eine wichtige Rolle zu. Ein adäquater rechtlicher Rahmen kann einen Wandel herbeiführen und gleiche Ausgangsbedingungen sowie ein einheitliches Verständnis der Gefahren und Auswirkungen von Kunststoffen und assoziierten Chemikalien schaffen.“

„Eine Verringerung der Kunststoffproduktion kann durch verschiedene Szenarien erreicht werden. Ein potenzielles globales Plastikabkommen kann ein wichtiger Hebel sein, um eine gemeinsame Vision und hoffentlich auch rechtsverbindliche Definitionen und Verfahren zu schaffen, die für einheitliche Wettbewerbsbedingungen sorgen. Ein solcher Vertrag könnte Kriterien für die Eliminierung oder Reduzierung von Kunststoffen oder Chemikalien festlegen und eine Grundlage für Indikatoren bilden, die definieren, was nachhaltige Kunststoffe sein könnten. Außerdem könnte er Wege zu einer deutlichen Reduzierung von Kunststoffen in der Umwelt aufzeigen – etwa durch ein verändertes Design von Kunststoffprodukten oder durch nachhaltige Alternativen. Auf globaler Ebene gibt es keine Vorgaben für erweiterte Herstellerverantwortung oder Steuern auf Kunststoffmaterialien. Dies wären auch Optionen, um die Kunststoffproduktion zu verringern.“

„Abhängig von den Vorgaben, die noch verhandelt werden müssen, könnte das Abkommen eine Struktur und Kriterien für die vorgesehenen nationalen Aktionspläne vorgeben. Die Umsetzung und Anwendung dieser Kriterien im nationalen Recht wäre ein wichtiger Aspekt, um die Wirksamkeit des Plastikabkommens zu bemessen. Idealerweise würde dies im Rahmen eines Compliance-Mechanismus geschehen (völkerrechtliche Maßnahmen, um die Umsetzung von Vorgaben durch Vertragsparteien zu überwachen und sicherzustellen, zum Beispiel beim Pariser Abkommen; Anm. d. Red.). Jedoch ist es noch zu verfrüht, hier eine Aussage zu machen, ob ein solcher Mechanismus etabliert wird. Die Erfahrungen aus anderen multilateralen Umweltabkommen, etwa dem Biodiversitätsübereinkommen, zeigen, dass von Anfang an die Durchsetzung und Umsetzung der Vorgaben mitgedacht werden muss.“

„Die Bemühungen um eine Verringerung der Produktion und des Verbrauchs von Primärkunststoffen müssen mit einer Mischung von Instrumenten und auf verschiedenen Regulierungsebenen angegangen werden. Ein globales Plastikabkommen kann den Rahmen für Maßnahmen für bestimmte Produkte und Materialien bilden und Vorgaben für nationale Aktionspläne machen. Allerdings ist ein Plastikabkommen kein Allheilmittel und darf nicht von den derzeitigen bestehenden globalen, regionalen und nationalen Bemühungen ablenken, sondern muss Lücken füllen und ergänzen. Hier muss noch integrativer gedacht werden und Möglichkeiten der Verbindung von Regulierungsansätzen – etwa durch das Klimarahmenübereinkommen oder das Welthandelsrecht – müssen näher betrachtet werden. Viele Länder sind bereits in eine komplexe Landschaft internationaler und regionaler Vorschriften eingebettet, die sich mit allen Quellen der Kunststoffverschmutzung befassen, einschließlich Schifffahrt, Fischerei und grenzüberschreitender Abfallexporte. Allerdings bestehen teilweise gravierende Probleme in der Umsetzung und Durchsetzung sowie Regulierungslücken. Es gilt nun, diese anzugehen und Anreize zu schaffen, eine Kehrtwende zu erreichen.“

Prof. Dr. Michael Nase

Leiter des Instituts für Kreislaufwirtschaft der Bio:Polymere, Fakultät für Ingenieurwissenschaften, Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hof

„Die Verringerung der globalen Kunststoffproduktion muss eines der Ziele der Verhandlungen zum UN-Plastikabkommen sein. Aktuell wird in Paris in einer zweiten von fünf Runden zwischenstaatlich verhandelt. Unser Konsum vor allem von kurzlebigen Kunststoffprodukten steigt exponentiell. Kunststoffprodukte und -verpackungen werden oft mit einem geringen Wert assoziiert. Entsprechend schnell erfolgt der gedankliche Wandel beim Nutzen von Kunststoffprodukten von der Betrachtung als nützlicher Werkstoff – beispielsweise für eine Verpackung – hin zu einem Abfall, den man als wertlos betrachtet und sich dessen möglichst einfach und schnell entledigen will. Selbst moderne Strategien fürs Abfallmanagement und Recycling werden nicht ausreichen, um bei weiterem Wachstum des Marktes alle Kunststoffabfälle zuverlässig zu erfassen und hochwertig zu recyceln.“

„Nur mit einem weitreichenden Wandel von Kunststoffprodukten hin zu Werkstoffen, die als wertig betrachtet werden und wahrnehmbar qualitativ hochwertig recycelt werden können, wird es möglich sein, ein Kunststoffrecycling nachhaltig zu etablieren. Die aktuellen Möglichkeiten eines werkstofflichen Recyclings von Kunststoffen werden oftmals auch überschätzt. Das System leidet unter der extremen Vielfältigkeit und der Masse der anfallenden Abfälle – besonders im Bereich der Verpackungen. Konsumenten sind bei der Sortierung überfordert und die Technologie zum Erzeugen von hochwertigen Rezyklaten ist zu teuer für die Praxis. Nur durch die Einsparung unnötiger, schlecht trenn- und sortierbarer Produkte kann ein Recycling mit hochwertigen Werkstoffen langfristig funktionieren. Zum Sammeln hochwertiger Abfallströme haben sich auch separate Erfassungswege, wie beim Einwegpfand oder beim Recycling industrieller Kunststoffabfälle als sehr wirksam erwiesen.“

Auf die Frage, welche Akteure sich in den Verhandlungen für eine deutliche Verringerung der Kunststoffproduktion aussprechen und welche dagegen:
Eine substanzielle Verringerung der Kunststoffproduktion – oder zumindest die deutliche Verringerung des absehbaren Wachstums – ist die einzig logische Konsequenz in Anbetracht der exponentiell steigenden Nachfrage und Produktion von Kunststoffen und der daraus entstehenden ökologischen und auch wirtschaftlichen Probleme. Nur volkswirtschaftliche Gründe sowie Sorgen in Bezug auf die weiterhin kostengünstige und sichere Versorgung aller Konsumwünsche der Menschen sprechen gegen eine Reduktion der Produktion von Kunststoffen. Dementsprechend positionieren sich Nationen mit großen Wirtschaftszweigen im Bereich der Kunststoffproduktion und -verarbeitung sowie Verbände mit Herstellern, die von kostengünstigen Kunststoffen abhängig sind, in den Verhandlungen gegen die Reduktion der Kunststoffproduktion.“

Auf die Frage, wie eine Minderung der globalen Plastikproduktion rechtlich/politisch umgesetzt werden könnte:
„Eine weltweite Regelung zur Reduktion der Kunststoffproduktion umzusetzen, ist aufgrund der Komplexität und der Diversität der Märkte und der Kunststoffprodukte eine nicht lösbare Aufgabe. Anstatt unverbindlicher Selbstverpflichtungen sollten prüfbare Regeln und Maßgaben definiert werden. Ein Verbot diverser, bereits ersetzbarer Einwegkunststoffprodukte ist ein in der EU erprobter Weg und bietet somit eine gute Grundlage zur Umsetzung einer einfach messbaren Maßnahme.“

„Jedoch können bei Weitem nicht alle Herausforderungen mit Kunststoffprodukten durch Verbote gelöst werden. Es müssen Regeln definiert werden, mit denen ein maßvoller Einsatz und ein optimaler Weg für die Kreislaufführung von Kunststoffprodukten möglich ist. Eine höhere verfügbare Menge an Rezyklat – vor allem hochwertigem und sortenreinem Rezyklat – führt automatisch zu einer Verminderung der Neu-Kunststoffproduktion. Nachhaltige Verpackungskonzepte können dabei von Mehrweg- bis hin zu als recyclingfähig entwickelte Verpackungslösungen reichen. Bisherige, zu einfach gedachte Ansätze durch die reine Festlegung von Recyclingquoten, verlagern die Problemstellung zur Erzeugung passfähiger Rezyklate zu stark auf die Sortier- und Recyclingbetriebe und erreichen nicht das Problem an der Wurzel – bei der Herstellung und dem Design der Kunststoffprodukte. Beispielsweise kann auch eine Verlagerung des Lebensmitteleinkaufs in den Online-Shopping-Bereich ein Durchbruch für die Verwendung neutraler Verpackungen ohne Aufdruck sein, da dieser bisher die Recyclingqualität sehr negativ beeinflusst.“

Auf die Frage, in welchen Bereichen sich die Nutzung von Kunststoffen sinnvoll verringern lässt und in welchen nicht:
„Kunststoffe weisen einzigartige und mannigfaltige Werkstoffeigenschaften auf und sind daher in nahezu allen Bereichen unseres Lebens unabdingbar. Das künstliche Entfernen oder Reduzieren von Kunststoffen durch Verbote oder Maßgaben muss nicht immer vorteilhaft sein und sollte gut durchdacht sein. Beispielhaft können im Bausektor und in der Mobilität mit Kunststoffprodukten kostengünstige, nachhaltige und aus energetischer Sicht sehr vorteilhafte Produkte erzeugt werden. Diese können nach Einbau über Jahrzehnte im Einsatz bleiben und auch eine Wiederverwertung ist oftmals gut planbar. Eine Reduzierung von Kunststoffen sollte vor allem auf Anwendungen fokussiert werden, die nur für eine kurze Nutzungszeit konzipiert sind, sowie auf Anwendungen mit starkem Eintrag von Kunststoffen in die Umwelt. Dafür in Frage kommen beispielsweise Verpackungen, da diese nur kurze Einsatzzeiten aufweisen, sowie Textilien, durch welche eine große Menge an Mikroplastik in die Umwelt eingetragen wird. Zur Bewertung der Nachhaltigkeit von Produkten etablieren sich immer stärker die Verfahren der Lebenszyklusanalyse, welche ein recht objektives Bild der Nachhaltigkeit von Produkten liefern. Dadurch ist eine zukünftige objektive Bewertung und Reglementierung denkbar.“

Prof. Dr. Henning Wilts

Abteilungsleiter Circular Economy, Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie gGmbH, Wuppertal

„Recycling allein wird die globale Verschmutzung durch Plastikabfälle nicht lösen können: Längst nicht alle Kunststoffprodukte lassen sich sinnvoll recyceln, auch das Recycling braucht erhebliche Mengen an Energie. Kunststoffe lassen sich zudem nicht beliebig oft recyceln. Gleichzeitig scheint eine pauschale Reduktion der Kunststoffproduktion wenig zielführend: Notwendig ist eine Fokussierung des Kunststoffeinsatzes auf solche Bereiche, wo das Material einen positiven Nettonutzen zu den verschiedenen Nachhaltigkeitszielen leistet. Das ist zum Beispiel bei vielen Medizinprodukten oder Umwelttechnologien wie Windkraft der Fall – aber nicht bei Einwegprodukten und unnötigen Umverpackungen.“

Auf die Frage, welche Akteure sich in den Verhandlungen für eine deutliche Verringerung der Kunststoffproduktion aussprechen und welche dagegen:
„Die Notwendigkeit eines systemischen Wandels ist leider noch längst nicht bei allen Akteuren angekommen. Viele Unternehmen der chemischen Industrie und Länder, wo solche Unternehmen wichtige Arbeitgeber und Steuerzahler sind, versuchen stattdessen auf rein technische Lösungen wie das chemische Recycling zu setzen. Das Umweltprogramm der UN hat in seinem Bericht jedoch sehr klar herausgearbeitet, dass es umfassendere Lösungen braucht, die insbesondere bei der Nachfrage ansetzen – zum Beispiel durch einen Wandel von Einweg hin zu Mehrweg. Gleichzeitig muss man sehen, dass Plastik ein sehr billiges Material ist, das sich in vielen Teilen der Welt nicht ersetzen lassen würde, ohne dass viele Produkte erheblich teurer würden.“

Auf die Frage, wie eine Minderung der globalen Plastikproduktion rechtlich/politisch umgesetzt werden könnte:
„Eine denkbare Lösung wäre eine Verpflichtung der Kunststoffhersteller, in Zukunft einen zu definierenden Teil ihrer Produktionsmenge auf Basis von Kunststoffabfällen zu produzieren. Dies nennt man eine „polymerspezifische Mindestrezyklat-Quote“ und wäre angelehnt an das Prinzip der Quoten für erneuerbare Energien. Eine solche Quote könnte neben einer Verringerung der Mengen an Primärkunststoff auch Effekte auf die Recyclingfähigkeit von Produkten und Investitionen in Sammelinfrastrukturen auslösen. Vorteilhaft wäre, dass es nur eine überschaubare Anzahl von Unternehmen gibt, die man dafür überwachen müsste: Mindestens 80 Prozent der Weltproduktion von Kunststoffen entfallen auf nur 20 Unternehmen. Den Unternehmen könnte dann erlaubt werden, Zertifikate für eingesetzte Recyclingmengen zu handeln: Wer kostengünstig mehr als die verpflichtende Quote einsetzt, könnte das an Unternehmen übertragen, für deren Kunststoffe das technisch komplizierter ist.“

Auf die Frage, in welchen Bereichen sich die Nutzung von Kunststoffen sinnvoll verringern lässt und in welchen nicht:
„Die größten Einsparpotentiale gibt es mit Sicherheit im Bereich der Verpackungen. Diese sind in Deutschland allein für 40 Prozent der Einsatzmengen und für 60 Prozent der Kunststoffabfälle verantwortlich. Die Trends zu Mini-Portionen, zum bequemen To-Go-Verzehr und natürlich auch der zunehmende Online-Handel mit fast ausschließlich Einweglösungen haben zu einer Verdopplung der Kunststoffabfallmengen in den letzten 20 Jahren geführt. Hier gibt es längst Lösungen mit digital gestützten Mehrwegsystemen oder unverpackten Angeboten, die gezielt gefördert werden könnten. Sektorspezifische Minderungsziele hätten dagegen auch hier das Problem, dass sinnvolle Verpackungen natürlich auch Produkte schützen und so zur Vermeidung von Lebensmittelabfällen beitragen – auch hier muss man also genau hinschauen. Plastik ist nicht per se gut oder schlecht, es kommt immer auf die konkrete Nutzung an.“

Doris Knoblauch

Senior Fellow und Koordinatorin der Arbeitsgruppe Plastik, Ecologic Institut, Berlin und als Beobachterin vor Ort bei den Verhandlungen in Paris

„Die Plastikproduktion ist in den vergangenen Jahren drastisch angestiegen und damit auch das Problem der Plastikverschmutzung. Die globale Plastikproduktion muss deshalb auf jeden Fall verringert werden. Die entscheidende Frage ist aber, wie wir das sinnvoll erreichen können?“

„Recycling ist ein Teil der Lösung. Allerdings gibt es bislang nicht die erforderliche Infrastruktur, um die vorhandenen Mengen an Plastik zu sammeln, zu sortieren und zu recyclen. Und selbst wenn es diese Infrastruktur gäbe: Es kann derzeit nur ein kleiner Teil des gesamten Plastiks recycelt werden, da viele Produkte Verbundstoffe enthalten, die zunächst erst wieder sortenrein getrennt werden müssten, um ein Recycling überhaupt erst zu ermöglichen. Das ist derzeit nicht möglich. Deshalb ist es sinnvoll, sich mit einem Design für Recycling zu beschäftigen, das schon bei der Produktentwicklung ansetzt und bei dem ein späteres Trennen der Verbundstoffe von vornherein mitgedacht wird.“

„Was aber viel problematischer ist: Fast alle Produkte enthalten zusätzlich noch Additive. Das sind die Stoffe, die unsere Plastikprodukte beispielsweise besonders hart, weich, biegsam, elastisch, feuerfest oder langlebig machen. Es gibt bislang noch keine Kennzeichnungspflicht, welche Additive in welchen Produkten sind. Das macht ein Recycling oftmals unmöglich. Außerdem gibt es große Bedenken, was mögliche Gesundheitsschäden betrifft, wenn diese Additive und Chemikalien im Recyclingprozess und danach verarbeitet werden. Über 13.000 Chemikalien werden in Plastikprodukten eingesetzt, von denen über 3.200 als gefährlich eingestuft sind [3].“

Auf die Frage, welche Akteure sich in den Verhandlungen für eine deutliche Verringerung der Kunststoffproduktion aussprechen und welche dagegen:
„Die Verhandlungen sind noch im Gange und sie sind dynamisch. Grundsätzlich lässt sich sagen, dass die ölfördernden Länder eher gegen eine Verringerung der Kunststoffproduktion sind und die Länder, die stark von Plastikverschmutzung betroffen sind, eher dafür.“

„Viele NGOs sprechen sich für eine Reduktion der Kunststoffproduktion aus, aber auch viele Verhandlungsdelegationen und viele Wissenschaftler*innen.“

Auf die Frage, wie eine Minderung der globalen Plastikproduktion rechtlich/politisch umgesetzt werden könnte:
„Es gibt verschiedene Möglichkeiten, die jetzt näher beleuchtet werden müssen. Die Schlagwörter, die in Paris gerade verhandelt werden, sind – erstens – die so genannten Substitute oder Alternativen, also beispielsweise Mehrwegbeutel statt Einwegplastiktüten. Dabei ist aber wichtig zu beachten, dass die Alternative bei der Ökobilanz nicht schlechter dasteht, als die ursprüngliche Plastiklösung – und natürlich auch keine sozialen Ungerechtigkeiten mit sich bringt.“

„Zweitens geht es um bestimmtes Plastik, das auch einfach weggelassen werden könnte, beispielsweise bei Verpackungen. Es hat oftmals keine (schützende) Funktion für das Produkt, sondern dient anderen Zwecken, zum Beispiel für Werbung. Drittens haben Mehrweglösungen sehr großes Potenzial.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Dr. Melanie Bergmann: „Aktuell sind mir keine möglichen Gründe für Interessenskonflikte bekannt.“

Prof. Dr. Aleke Stöfen-O'Brien: „Es besteht kein Interessenkonflikt bezüglich meiner Person. Ich bin Teil der Delegation der Internationalen Seeschifffahrts-Organisation der UN. Wir sind Beobachter und zur Neutralität verpflichtet.“

Alle anderen: Keine Angaben erhalten.

Weiterführende Recherchequellen

Science Media Center (2022): Kunststoffrecycling in Deutschland und der EU: Probleme und Lösungen. Fact Sheet. Stand: 24.11.2022.

Literaturstellen, die von den Experten zitiert wurden

[1] Lau WWY et al (2020): Evaluating scenarios toward zero plastic pollution. Science. DOI: 10.1126/science.aba9475.

[2] Brown E et al. (2023): The potential for a plastic recycling facility to release microplastic pollution and possible filtration remediation effectiveness. Journal of Hazardous Materials Advances. DOI: 10.1016/j.hazadv.2023.100309.

[3] United Nations Environment Programme UNEP (2023): Chemicals in Plastics – a Technical Report.

Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden

[I] Umweltprogramm der Vereinten Nationen (2023): Turning off the Tap: How the world can end plastic pollution and create a circular economy.

[II] McVeigh K (18.05.2023): Developing country voices will be excluded at UN plastic talks, say NGOs. The Guardian.

[III] Earth Negotiations Bulletin: 2nd Session of the Intergovernmental Negotiating Committee to Develop an International Legally Binding Instrument on Plastic Pollution, Including in the Marine Environment (INC-2). Stand: 31.05.2023.

[IV] OECD (2022): Global Plastics Outlook. Policy Scenarios to 2060.

[V] Borrelle S et al. (2020): Predicted growth in plastic waste exceeds efforts to mitigate plastic pollution. Science. DOI: 10.1126/science.aba3656.