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30.10.2020

Regeneron Studie an schwerkranken COVID-19-Patienten gestoppt

Monoklonale Antikörper (MoAK) gegen SARS-CoV-2 gelten als ein Hoffnungsträger in der Therapie von COVID-19, auch wenn deren Herstellung aufwendig und die Therapiekosten hoch sein werden. Kürzlich hatte die Pharmafirma Lilly eine klinische Studie mit ihrem Antikörper Bamlanivimab gestoppt, weil sich dabei keine Hinweise ergeben hatten, dass sich COVID-19-Patienten im fortgeschrittenen Stadium ihrer Krankheit messbar erholen (‚Futility‘). Am 30. Oktober wurde bekannt, dass auch die Firma Regeneron ihre klinische Studie mit dem Antikörper-Cocktail REGN-COV2 – ebenfalls auf Empfehlung eines unabhängigen Data Safety Monitoring Boards (DSMB) – modifiziert (siehe Primärquelle). Auch hier geht es nur um den Stopp der klinischen Prüfung des monoklonalen Antikörpercocktails bei schwer erkrankten COVID-19-Patienten, die auf eine ‚high-flow‘ oder mechanische Beatmung angewiesen sind. Den experimentellen Antikörper-Cocktail der Firma Regeneron hatte US-Präsident Trump erhalten bei seiner COVID-19-Erkrankung.

Aufgrund des ungünstigen Risiko-/Nutzenprofils soll die klinische Studie nun angepasst werden. Empfohlen wurde vom DSMB, nur noch zwei der vier Studienarme weiterlaufen zu lassen. Und zwar die Rekrutierung von COVID-19-Patienten im frühen Erkrankungsstadium, die auf keine oder eine nur geringe Beatmung angewiesen sind. Die Fortführung der klinischen Prüfung bei diesen Patienten wird weiterhin befürwortet. Regeneron teilt die Empfehlung auch mit dem unabhängigen Ausschuss, der die RECOVERY-Studie in Großbritannien überwacht, die derzeit REGN-COV2 bei hospitalisierten Patienten evaluiert.

Übersicht

     

  • Prof. Dr. Leif-Erik Sander, Leiter der Forschungsgruppe Infektionsimmunologie und Impfstoffforschung, Charité – Universitätsmedizin Berlin
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  • Prof. Dr. Gerd Fätkenheuer, Leiter der Infektiologie, Klinik I für Innere Medizin, Uniklinik Köln
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  • Prof. Dr. Clemens Wendtner, Chefarzt der Infektiologie und Tropenmedizin sowie Leiter der dortigen Spezialeinheit für hochansteckende lebensbedrohliche Infektionen, München Klinik Schwabing
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Statements

Prof. Dr. Leif-Erik Sander

Leiter der Forschungsgruppe Infektionsimmunologie und Impfstoffforschung, Charité – Universitätsmedizin Berlin

Auf die Frage, aus welchen Gründen das unabhängige Komitee den Stopp der Studie empfehle:
„Die Gründe sind aktuell noch nicht bekannt. Am ehesten ist wohl davon auszugehen, dass die vorläufigen Zwischenanalysen keine Wirksamkeit des Medikaments zeigen, oder gar, dass es einen negativen Effekt auf den Verlauf der Erkrankung hat. Auch eine andere Studie mit einem neutralisierenden Antikörper gegen SARS-CoV-2 in stationären COVID-19-Patienten wurde vor kurzem aufgrund fehlender Wirksamkeit vorzeitig beendet [1].“

„Die Gabe von neutralisierenden Antikörpern ist mechanistisch betrachtet eigentlich nur in der Frühphase der Infektion, in der noch eine hohe Virusvermehrung stattfindet, sinnvoll. In der späteren Phase wird die Erkrankung vor allem durch eine fehlgeleitete Immunreaktion befeuert. Meist bilden die Patienten in dieser Phase schon selbst neutralisierende Antikörper. Schwere Erkrankungen treten meist in der zweiten Krankheitswoche auf, wenn die Patienten bereits eigene Antikörper bilden und die Viruskonzentration schon deutlich abfällt. Daher ist eine Gabe in der Spätphase vermutlich nicht wirksam.“

„Es gibt vorläufige Ergebnisse, die zeigen, dass neutralisierende Antikörper bei ambulanten COVID-19-Patienten mit nur milden bis moderaten Beschwerden zumindest die Viruskonzentration senken können [2]. Zudem ist vorstellbar, dass die Gabe von neutralisierenden Antikörpern als eine passive Immunisierung – und nichts anderes ist es ja – prophylaktisch nach SARS-CoV-2-Exposition von Risikopatient*innen gegeben werden kann, als sogenannte Postexpositionsprophylaxe. Dies könnte man sich zum Beispiel bei einem Ausbruch in einem Pflegeheim vorstellen. Auch Patienten mit angeborenen oder erworbenen Störungen der eigenen Antikörperbildung könnten von diesen Medikamenten profitieren. Daher sehe ich durchaus Potenzial für den Einsatz monoklonaler Antikörper. Auch in Deutschland werden einige dieser Antikörper entwickelt.“

Prof. Dr. Gerd Fätkenheuer

Leiter der Infektiologie, Klinik I für Innere Medizin, Uniklinik Köln

„Das unabhängige Data Safety Moitoring Board hat empfohlen, die Studie mit zwei monoklonalen Antikörpern der Firma Regeneron bei schwer kranken Patienten mit COVID-19 anzuhalten, die eine intensive Sauerstofftherapie beziehungsweise eine künstliche Beatmung benötigen. Als Begründung wird ein ungünstiges Nutzen-/Risiken-Verhältnis für diese Patientengruppe im bisherigen Studienverlauf angeführt. Dies spricht dafür, dass bei den schwerstkranken Patienten kein wesentlicher Effekt der Therapie mit den Antikörpern beobachtet wurde. Ein ähnliches Ergebnis wurde vor kurzem für einen anderen monoklonalen Antikörper der Firma Lilly bekannt. Auch bei Studien mit der antiviralen Substanz Remdesivir wurde die Beobachtung gemacht, dass Patienten mit einer fortgeschrittenen Erkrankung nicht von der Behandlung profitieren. All dies spricht dafür, dass in diesem Stadium eine direkt gegen das Virus gerichtete Therapie zu spät kommt und dass hier andere Behandlungskonzepte notwendig sind. In der klinischen Praxis beobachten wir einen zweiphasigen Verlauf von COVID-19, wobei die erste Phase von der Virusinfektion selbst und die zweite Phase von einer Immunreaktion des Erkrankten dominiert wird.”

„In früheren Stadien der COVID-19-Erkrankung haben antivirale Therapieansätze deshalb eine höhere Erfolgsaussicht. Da die Regeneron-Studie für diese Patienten fortgeführt wird, spricht das dafür, dass es hier bisher noch kein negatives Signal gegeben hat. Weitere monoklonale Antikörper, die sich derzeit in der klinischen Entwicklung befinden, sollten nun auch vornehmlich bei Patienten in frühen Krankheitsstadien geprüft werden.“

Prof. Dr. Clemens Wendtner

Chefarzt der Infektiologie und Tropenmedizin sowie Leiter der dortigen Spezialeinheit für hochansteckende lebensbedrohliche Infektionen, München Klinik Schwabing

„Der experimentelle Antikörper-Cocktail REGN-COV2 hat kürzlich Berühmtheit erlangt, als der US-Präsident Donald Trump dieses Medikament im Rahmen seiner COVID-19 Erkrankung off-label erhalten hat. Das Arzneimittel ist eine Mischung aus zwei synthetisch hergestellten SARS-CoV-2 neutralisierenden Antikörpern, die an das Spike-Protein des Erregers binden. Dadurch wird das Eindringen des Virus in den Wirt, das heißt den Menschen, in der Frühphase der Infektion unterbunden – so die Theorie.“

„Nun ist die Studie auf Empfehlung eines unabhängigen Datenüberwachungskomitees teilweise angehalten worden. Dies unterstreicht die Bedeutung einer unabhängigen Prüfung von Studien, die hier offensichtlich gut funktioniert hat – trotz eines gewissen Drucks seitens des Herstellers und der Politik, hier eine neue Substanz im Sinne einer Notfallzulassung schnell auf den Markt zu bringen.“

„Der Rekrutierungsstopp bezieht sich jedoch nur auf Patienten mit fortgeschrittener COVID-19-Erkrankung, da hier offensichtlich Nebenwirkungen bei den Studienteilnehmern aufgetreten sind, die allerdings nicht weiter spezifiziert werden. Probleme traten bei Patienten unter hochdosierter Sauerstofftherapie beziehungsweise unter künstlicher Beatmung auf Intensivstation auf.“

„Vom Mechanismus der neutralisierenden Antikörper im Sinne einer passiven Immuntherapie überrascht es nicht, dass in einer Spätphase der Erkrankung, in der das Virus schon längst den Weg in die Lunge und andere Organe gefunden hat, keine Effektivität mehr entfaltet wird. Hier könnte sich die Infusion von Fremdproteinen in einem Organismus, der bereits mit einer typischen Entzündungsreaktion aufgrund von COVID-19 zu kämpfen hat, als kontraproduktiv erweisen.“

„Auf der anderen Seite wurden offensichtlich bei ‚frisch‘ infizierten COVID-19-Patienten, die noch keinen oder nur geringen Sauerstoffbedarf haben, keine unerwarteten Nebenwirkungen beobachtet, so dass für diese Patienten die Studie weiter laufen kann. Dies ist ein übliches Vorgehen, dass klinische Studien unter genauer Beobachtung für Subgruppen, die einen unkomplizierten Verlauf haben, fortgeführt werden.“

„Es scheint sich herauszukristallisieren, dass neutralisierende Antikörper sehr früh im Krankheitsverlauf eingesetzt werden müssen, um gegebenenfalls wirksam und hoffentlich gut verträglich zu sein. Der Stab darf daher noch nicht vorzeitig über den Einsatz von neutralisierenden Antikörpern bei COVID-19 gebrochen werden.“

„Es ist eher eine Frage des ‚richtigen Timings‘, ähnlich wie wir es schon für das Virostatikum Remdesivir kennengelernt haben – dieses wirkt auch am besten in der Frühphase der Erkrankung.“

„Die Hoffnung bleibt, dass das Therapieprinzip der passiven Immuntherapie mit neutralisierenden Antikörpern bei früher Anwendung einen vollen Ausbruch von Symptomen und Folgeschäden bei COVID-19 verhindern kann. Dies muss nun aber erst noch wissenschaftlich belegt werden, ohne wirtschaftlich oder politisch motivierte Störfaktoren von außen. Neutralisierende Antikörper bleiben ein Hoffnungsträger bei dieser pandemischen Erkrankung, stehen aber bis auf Weiteres unter Beobachtung.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Alle: Keine Angaben erhalten.

Primärquelle

Bowie A et al. (30.10.2020): REGN-COV2 Independent Data Monitoring Committee Recommends Holding Enrollment in Hospitalized Patients with High Oxygen Requirements and Continuing Enrollment in Patients with Low or No Oxygen Requirements. Regeneron Pharmaceuticals.

Literaturstellen, die von den Experten zitiert wurden

[1] Lilly E and Company (26.10.2020): Lilly Statement Regarding NIH’s ACTIV-3 Clinical Trial. Lilly.

[2] Chen P et al. (2020): SARS-CoV-2 Neutralizing Antibody LY-CoV555 in Outpatients with Covid-19. NEJM. DOI: 10.1056/NEJMoa2029849.