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03.11.2022

Pfizer vermeldet Erfolg bei RSV-Impfstoff

     

  • Pfizer vermeldet Durchbruch bei Impfstoff gegen RSV
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  • maternale Immunisierung des Kindes im Mutterleib und über die Muttermilch
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  • Schutzwirkung Forschenden zufolge vielversprechend
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Die US-Pharmafirma Pfizer hat einen Durchbruch bei der Entwicklung eines Impfstoffs gegen das Respiratorische Synzytial-Virus (RSV) vermeldet [I]. Eine Studie mit rund 7400 Schwangeren in 18 Ländern habe gezeigt, dass die Impfung von werdenden Müttern mit „RSVpreF“ schwere RSV-Infektionen der unteren Atemwege bei Säuglingen in den ersten 90 Lebenstagen zu fast 82 Prozent verhindern konnte. Im Alter von sechs Monaten erwies sich der Impfstoff immer noch zu 69 Prozent wirksam gegen schwere Erkrankungen. Die Frauen erhielten während des späten zweiten bis dritten Trimesters ihrer Schwangerschaft eine Einzeldosis von 120 Mikrogramm RSVpreF. Es gab keine Anzeichen für Sicherheitsprobleme bei Müttern oder Säuglingen. Die Studie wurde aufgrund der guten Ergebnisse vom zuständigen Data Safety Monitoring Board nach Erreichen eines zuvor definierten Erfolgskriteriums vorzeitig abgebrochen. Die Daten wurden der US-Gesundheitsbehörde FDA für die Prüfung einer Zulassung des Vakzins übermittelt. Der Antrag bei weiteren Zulassungsbehörden soll in den kommenden Monaten folgen. Bei der während einer Schwangerschaft verabreichten Impfung handelt es sich um eine sogenannte maternale Immunisierung: Die durch den Impfstoff erzeugten Antikörper werden im Mutterleib und später über die Muttermilch an den Säugling weitergegeben.

RSV ist ein weit verbreitetes Virus, das saisonale Epidemien verursacht. Bei Säuglingen kann RSV zu Bronchiolitis und Lungenentzündung führen. Es ist eine der Hauptursachen für Krankenhausaufenthalte bei allen Kleinkindern. Die einzige derzeit verfügbare Möglichkeit zur Prävention sind monoklonale Antikörper, die teils mehrfach gespritzt werden müssen [II] [III]. Einen Impfstoff gibt es bisher nicht. Üblicherweise infizieren sich 60 bis 70 Prozent der Säuglinge und nahezu alle Kinder unter zwei Jahren mit RSV. Das Virus ist auch eine häufige Ursache für Lungenentzündungen bei Erwachsenen. Die Infektionswelle startet für gewöhnlich im Oktober, hatte sich in den zurückliegenden Saisons aber auch aufgrund der Kontaktbeschränkungen im Zuge der Corona-Pandemie verschoben [IV].

Die Entwicklung eines RSV-Impfstoffs stockte über mehrere Jahrzehnte. Eine Tragödie in den 60er-Jahren warf das gesamte Forschungsfeld zurück: Nach dem Vorbild des ersten Polio-Impfstoffs stellten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einen experimentellen RSV-Impfstoff her, indem sie das Virus in einem Labor züchteten und es abtöteten. Tests an Kindern ergaben jedoch nicht nur, dass der Impfstoff nicht schützte, sondern dass es Kindern, die sich nach der Impfung mit RSV infizierten, noch schlechter ging, zwei starben. Sogar heutige modernere RSV-Impfstoffkandidaten wurden zuerst an älteren Erwachsenen und nicht an Kindern getestet. So präsentierte das britische Unternehmen Glaxo-Smith-Kline jüngst vielversprechende Ergebnisse seines RSV-Impfstoffs, der an 25.000 Erwachsenen über 60 Jahre erprobt wurde [V]. Auch Pfizer gab an, dass sein Vakzin ebenfalls für Ältere geeignet sei.

Das SMC hat Forschende dazu befragt, wie die neuesten, noch vorläufigen Wirksamkeitsdaten von Pfizer einzuschätzen sind und welche Bedeutung ein solcher Impfstoff für die klinische Praxis hätte.

Übersicht

     

  • Prof. Dr. Markus Rose, Ärztlicher Leiter des Bereichs Pädiatrische Pneumologie, Allergologie und CF, Olgahospital, Klinikum Stuttgart
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  • Prof. Dr. Ortwin Adams, Leiter der virologischen Diagnostik, Institut für Virologie, Universitätsklinikum Düsseldorf
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  • Prof. em. Dr. Thomas Mertens, ehemaliger Ärztlicher Direktor des Instituts für Virologie, Universitätsklinikum Ulm, und Vorsitzender der Ständigen Impfkommission (STIKO)
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Statements

Prof. Dr. Markus Rose

Ärztlicher Leiter des Bereichs Pädiatrische Pneumologie, Allergologie und CF, Olgahospital, Klinikum Stuttgart

„Infektionen durch das Respiratory Syncytial Virus (RSV) sind eine große bevölkerungsmedizinische Herausforderung – es handelt sich um das für junge Säuglinge gefährlichste Atemwegsvirus, das auch chronisch Kranke und Abwehrschwache aller Altersklassen bedroht und weltweit (nach Malaria) die zweithäufigste Todesursache bei jungen Kindern ist. Die Übertragung des RSV erfolgt durch Tröpfchen; 90 Prozent der Kinder durchlaufen normalerweise in den ersten zwei Lebensjahren RSV-Infektionen, 50 Prozent zweimal. Die Saisonalität und Symptomatik ähnelt der einer echten Virusgrippe (Influenza).“

„Seit der Entdeckung des Virus in 1957 wurde jahrzehntelang vergeblich an einem Impfstoff geforscht. Seit 1998 gibt es für Hochrisiko-Kinder, bei denen RSV-Infektionen tödlich verlaufen können, eine Immunprophylaxe mit monoklonalen Anti-RSV-Antikörpern (Palivizumab). Diese ist gut wirksam, muss aber alle vier Wochen verabreicht werden und steht nur für einem kleinen Teil der gefährdeten Säuglinge zur Verfügung.“

„Auf der Suche nach wirksamen und verträglichen Impfstoffen haben Wissenschaftler auch die sogenannte maternale Immunisierung erforscht, also den Schutz der jungen Säuglinge durch die Impfung ihrer Mutter während der Schwangerschaft. Dieses Konzept imitiert die Natur, da Mütter normalerweise ihre durch Infekte erworbenen Abwehrkräfte über das Nabelschnurblut und ihre Muttermilch an ihre Kinder vor und nach der Geburt weitergeben. Unter anderem beim Wundstarrkrampf (Tetanus), Keuchhusten (Pertussis) und der echten Virusgrippe (Influenza) ist dieses Vorgehen langbewährt und wird weltweit vor allem in nicht-industrialisierten Ländern praktiziert.“

„In den von Pfizer genannten Studien konnte mit der maternalen Immunisierung in den ersten drei Lebensmonate eine schwere medizinisch behandlungsbedürftige RSV-Infektion der unteren Atemwege mit rund 82 Prozent verhindert werden, in den ersten sechs Lebensmonaten immerhin um fast 70 Prozent. Das liegt in der Größenordnung vieler etablierter Schutzimpfungen, allerdings mit der Einschränkung, dass die Wirkung im Laufe des ersten Lebensjahres abklingt, da es sich um eine ,Leihimmunität‘ handelt. Da aber junge Säuglinge im ersten Lebenshalbjahr besonders gefährdet sind, ist diese nachgewiesene Schutzwirkung erfreulich. Zusätzlich konnten in den ersten drei Lebensmonaten immerhin mehr als jede zweite medizinisch behandlungsbedürftige RSV-Infektion der unteren Atemwege (57 Prozent) verhindert werden. Während des gesamten ersten Lebenshalbjahres waren es immerhin über 51 Prozent. Das Thema ist insofern hochaktuell, als dass durch die Pandemie-bedingten Maßnahmen (Gesichtsmasken, intensivierte Desinfektion) auch die ,normalen‘ RSV-Infektionen gesunder Erwachsener, die meist wie eine leichte Erkältung verlaufen, verhindert wurden und die Mütter weniger RSV-Abwehrkräfte auf ihre Kinder übertragen konnten. Dies hat vermutlich unter anderem die heftige RSV-Erkrankungswelle im Herbst und Winter 2021/22 begünstigt.“

„Der neue Impfstoff von Pfizer ist auch von seiner Zusammensetzung her ein Novum. Frühere RSV-Impfstoffe hatten ihren Ansatzpunkt am sogenannten Postfusions-F-Protein. Mittlerweile wissen wir, dass das Verbleiben der apikalen Epitope im Präfusionszustand der Schlüssel zur Immunogenität ist – Präfusions-F-gerichtete Gedächtnis-B-Zellen natürlich RSV-infizierter Erwachsener produzieren potentere neutralisierende Antikörper. Auf diesem Prinzip basiert nun auch der neue Pfizer-Impfstoff, der zudem gegen RSV-A und RSV-B gerichtet ist (,bivalenter Impfstoff‘). Das ist insofern wichtig, als dass beide RSV-Unterformen krank machen können und Kinder, die zum Beispiel RSV-A durchgemacht haben, keine Immunität gegen RSV-B aufbauen.“

„Wir haben in den letzten Jahren zunehmend RSV auch als Problem der immer älter werdenden Bevölkerung wie auch der chronisch Kranken und Abwehrschwachen realisiert. Hier bietet der genannte bivalente RSV-Impfstoffkandidat erstmalig eine Option, solche oftmals sehr schwer verlaufenden Lungenentzündungen zu verhindern. Der RSV-Impfstoffkandidat zeigt eine hohe Gesamtwirksamkeit gegen RSV-Erkrankungen der unteren Atemwege bei Erwachsenen ab 60 Jahren (82,6 Prozent) mit einem günstigen Sicherheitsprofil. Es wurde eine konsistent hohe Wirksamkeit des RSV-Impfstoffkandidaten gegen RSV-Erkrankungen der unteren Atemwege mit schwerem Verlauf (94,1 Prozent), bei Erwachsenen im Alter von 70 bis 79 Jahren (93,8 Prozent) und bei Erwachsenen mit Grunderkrankungen (94,6 Prozent) beobachtet. Die hohe Wirksamkeit konnte sowohl bei RSV-A- und B-Stämmen gezeigt werden.“

„Bislang waren RSV-Aktivimpfungen bei jungen Säuglingen nur schwach wirksam und wurden teilweise auch schlecht vertragen. Der vorgestellte Impfstoffkandidat wird voraussichtlich im Verlauf erstmal bei jüngeren Erwachsenen, dann bei Schulkindern und danach bei Kleinkindern getestet werden. Durch eine erfolgreiche Impfung der Gesamtbevölkerung wird auch die Übertragung der RS-Viren auf junge Kinder verhindert und so ein indirekter Schutz vermittelt, der auch Klinikaufenthalte junger Kinder verhindern kann. Inwieweit dieser oder ein auf der gleichen Grundlage noch zu entwickelnder anderer RSV-Impfstoff auch bei jungen Säuglingen wirksam und gut verträglich sein wird, lässt sich derzeit noch nicht abschätzen.“

„Ein wesentlicher Aspekt bei der maternalen Impfung ist, dass sie zu ihrer Wirksamkeit eine möglichst langdauernde Schwangerschaft benötigt, da die Abwehrkräfte auf das Kind übertreten müssen. Kommt es nun zu einer Frühgeburt und/oder kann die Mutter nicht stillen, fällt die Schutzwirkung entsprechend bescheidener aus. Auch muss die Plazenta intakt sein – derartige spezielle Fragestellungen werden Gegenstand weiterer Untersuchungen sein. Zudem wird es voraussichtlich ab 2024 neue monoklonale Antikörper gegen RSV geben, die hochwirksam bei nur einmaliger Verabreichung zu Beginn der Saison vor allem Risikokinder schützen werden. Hier bleibt interessant, inwieweit sich diese beiden Immunisierungsprinzipien ergänzen können und werden.“

Prof. Dr. Ortwin Adams

Leiter der virologischen Diagnostik, Institut für Virologie, Universitätsklinikum Düsseldorf

„Die Strategie, werdende Mütter in der Schwangerschaft zu impfen, um später dann ihr Neugeborenes zu schützen, ist in dieser Direktheit neu und ein sehr interessanter Ansatz. Die Einführung der Röteln-Impfung vor mehr als 50 Jahren hatte ja auch das Ziel, in einer potenziell späteren Schwangerschaft das Kind vor einer Infektion und schweren Schäden zu schützen. Primär war dabei aber die Mutter vor einer Infektion geschützt. In der nun von Pfizer präsentierten RSV-Impfstrategie steht von vornherein das ungeborene Kind im Mittelpunkt. Dabei nutzt man einen natürlichen Weg, nämlich den mütterlich-kindlichen Antikörpertransfer über die Plazenta (,Nestschutz‘). Entsprechend werden auch die Ansprechpartner für diese Impfung unter den Ärzten die Gynäkologen und nicht die Pädiater sein.“

Prof. em. Dr. Thomas Mertens

ehemaliger Ärztlicher Direktor des Instituts für Virologie, Universitätsklinikum Ulm, und Vorsitzender der Ständigen Impfkommission (STIKO)

„Ich finde, die Daten sind durchaus interessant. Eine endgültige Bewertung ist aufgrund der Pressemitteilung nicht möglich, dazu braucht man die Originaldaten. In der Mitteilung wird ja eine ordentliche Publikation der Studienergebnisse angekündigt.“

„Das Konzept der Verwendung des Fusionsproteins von RSV in der Präfusionskonformation (Zustand vor dem Verschmelzen der Virushülle mit der Zellmembran; Anm. d. Red.) ist sehr einleuchtend. Die Bedeutung der humoralen Immunantwort gegen das F-Protein bei Paramyxoviren ist bekannt (man denke auch an den ersten Masernvirus-Totimpfstoff, bei dem keine ausreichende Immunantwort gegen das F-Protein gebildet wurde, mit den bekannten unangenehmen Folgen).“

Auf die Frage, wie ein möglicher Einsatz in höheren Altersklassen zu bewerten ist:
„Dazu kann man erst nach entsprechenden klinischen Studien (zum Beispiel bei alten Menschen) etwas sagen.“

„Es wäre ein wichtiges und wohl erreichbares Ziel, die Inzidenz von Hospitalisierungen deutlich zu vermindern. RSV stellt in dieser Hinsicht ein erhebliches Problem für die Kleinkinder, die Eltern und die Belastung von Kinderkliniken dar.“

„Man muss jetzt unbedingt möglichst rasch die gesamten Studiendaten sehen. Dies ist auch eine generelle Anforderung der Transparenz an die Pharmafirmen, die auch zu Recht kritisch angemahnt wird.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Alle: Keine Angaben erhalten.

Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden

[I] Pfizer (01.11.2022): Pfizer Announces Positive Top-Line Data of Phase 3 Global Maternal Immunization Trial for its Bivalent Respiratory Syncytial Virus (RSV) Vaccine Candidate. Pressemitteilung.

[II] Madhi SA et al. (2020): Respiratory Syncytial Virus Vaccination during Pregnancy and Effects in Infants. New England Journal of Medicine. DOI: 10.1056/NEJMoa1908380.

[III] European Medicines Agency (16.09.2022): New medicine to protect babies and infants from respiratory syncytial virus (RSV) infection. Pressemittelung.

[IV] Bauer CP et al. (2022): Respiratorische Viruserkrankungen im Kindesalter und Möglichkeiten der antiobstruktiven Therapie. Pädiatrische Praxis.

[V] Glaxo-Smith-Kline (02.11.2022): GSK’s respiratory syncytial virus older adult vaccine candidate granted Priority Review by US FDA. Pressemitteilung.