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27.03.2020

Neue Düngeverordnung vom Deutschen Bundesrat verabschiedet

Der Deutsche Bundesrat hat am 27.03.2020 die neue Düngeverordnung verabschiedet [a]. Damit könnte die Grundlage gelegt sein, um dem Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland durch die EU-Kommission wegen zu hoher Nitrat-Belastung des Grundwassers eine entscheidende Wende zu geben. Die EU-Kommission hatte in Aussicht gestellt, das Verfahren ruhen zu lassen, wenn die erforderlichen Anpassungen in der aktuellen Sitzung des Bundesrates beschlossen werden [b].

Im Juni 2018 verkündete der Europäische Gerichtshof (EuGH) sein Urteil gegen Deutschland im Verfahren wegen der zu hohen Nitrat-Belastungen des Grundwassers in vielen Regionen des Landes. Die EU-Kommission hatte nach jahrelangem Streit mit den in Deutschland zuständigen Behörden im Oktober 2016 Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland beim EuGH eingereicht. Nach Klageerhebung wurden in Deutschland ein neues Düngegesetz und eine neue Düngeverordnung verabschiedet; sie sind seit 2017 in Kraft. Doch auch die damals verschärfte Düngeverordnung genügt den Umwelterfordernissen und den Ansprüchen der EU-Kommission nicht. Die Kommission hatte daher Nachbesserungen von Deutschland verlangt. Sollten diese nicht erfolgen, drohen Strafzahlungen von bis zu 860.000 Euro pro Tag. Der heutige Beschluss soll nun die Düngeverordnung so neu ausrichten, dass die Nitrat-Belastung nachhaltig sinkt und die Forderungen der EU-Kommission erfüllt werden.

Als Hauptursache der zu hohen Nitrat-Belastung gilt, dass übermäßig Gülle und Dünger in der Landwirtschaft ausgebracht wird. Nach Auffassung der EU-Kommission hätte Deutschland spätestens ab 2012 wirksame Maßnahmen ergreifen müssen, um den steigenden oder zumindest nicht sinkenden Nitrat-Belastungen des Grundwassers in einigen Regionen entgegenzuwirken.

Das SMC veröffentlichte 2018 ein Fact Sheet, dass den Hintergrund des Vertragsverletzungsverfahrens beleuchtet [c].

 

Übersicht

     

  • Prof. Dr. Klaus Dittert, Leiter der Abteilung für Pflanzenernährung und Ertragsphysiologie, Department für Nutzpflanzenwissenschaften, Georg-August-Universität Göttingen
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  • Prof. Dr. Henning Kage, Leiter der Abteilung Acker- und Pflanzenbau, Institut für Pflanzenbau & Pflanzenzüchtung, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
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  • Prof. Dr. Hans-Jörg Vogel, Departmentleiter Bodensystemforschung, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ), Halle und Professor für Bodenphysik, Martin-Luther Universität Halle-Wittenberg
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  • Prof. Dr. Ralf Uptmoor, Professur für Pflanzenbau, Agrar- und Umweltwissenschaftliche Fakultät, Universität Rostock
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  • Dr. Stefan Möckel, Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Department für Umwelt- und Planungsrecht, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ), Leipzig
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Statements

Prof. Dr. Klaus Dittert

Leiter der Abteilung für Pflanzenernährung und Ertragsphysiologie, Department für Nutzpflanzenwissenschaften, Georg-August-Universität Göttingen

Auf die Frage, inwiefern die Änderungen in der nun aktuellen Version der Düngeverordnung geeignet sind, den Klagepunkten im Vertragsverletzungsverfahren durch die EU-Kommission wegen zu hoher Nitratbelastungen Genüge zu tun, nachdem die letzte Novellierung trotz einiger Änderungen dies nicht vermochte:
Mir ist in den letzten Monaten niemand begegnet, die oder der imstande wäre, mir diese Frage zu beantworten. Ich kann hier nur mutmaßen. In mehreren anderen Ländern der Europäischen Union wurden bereits vor einigen Jahren Nitrat-sensible Gebiete ausgewiesen, und es wurden dort verschiedene Maßnahmen ergriffen, die Stickstoffüberschüsse in diesen Gebieten deutlich zu senken. In diesen Gebieten konnten inzwischen abnehmende Trends in den Nitratbelastungen von Grund- beziehungsweise Sickerwässern beobachtet werden. Festzuhalten ist in diesem Zusammenhang gleichzeitig, dass dies – wie zum Beispiel in den Niederlanden – ausgehend von einem sehr erheblich höheren Belastungsniveau stattgefunden hat. Aus dieser Situation resultierte für die EU-Kommission und offenkundig auch für das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) die Schlussfolgerung, dass eine pauschale Verminderung der Stickstoffdüngung in Nitrat-sensiblen Gebieten eine effektive Maßnahme sei, die Belastung zu vermindern. Doch die Belastung entsteht nicht aus der Düngung generell, sondern aus einer nicht bedarfsgerechten Düngung, die dann zu Nährstoffüberschüssen führt. Die EU-Kommission hat der Bundesrepublik offensichtlich bereits signalisiert, dass sie die nun geplanten Änderungen für sinnvoll und ausreichend hält, so dass erwartet werden kann, dass das Vertragsverletzungsverfahren mit Inkrafttreten dieser Änderungen aufgehoben wird.“

„Für die Landwirtschaft ist dies aus meiner Sicht ein sehr schlechter Kompromiss. Die Düngeverordnung 2017 war ein sehr wichtiger und effektiver Schritt für die Verbesserung der Situation in Deutschland, wenngleich sie handwerklich noch einige Mängel aufwies, die aus meiner Sicht 2020 hätten revidiert werden sollen. Zum Teil werden sie nun revidiert.“

„Kernpunkt der aktuellen Änderung ist nun die pauschale Kürzung der Stickstoff-Düngung um 20 Prozent in den roten Gebieten. Damit wird eine Änderung beschlossen, die von der Landwirtschaft in den roten Gebieten als pauschale Bestrafung empfunden wird, und die – was in meinen Augen erheblich schwerwiegender ist – für die Betroffenen keine Anreize setzt, sich auf das eigentliche Problem zu fokussieren, nämlich die Nährstoffüberschüsse.“

„Aus der landwirtschaftlichen Forschung in Trinkwassergewinnungsgebieten kennen wir inzwischen zahlreiche, effektive Maßnahmen, um Nährstoffüberschüsse sehr gering zu halten, ohne dabei die landwirtschaftlichen Erträge zu vernachlässigen. Eine pauschale Verminderung der Düngung um 20 Prozent ist nicht das Mittel der Wahl, sondern die gezielte Nutzung wissenschaftlicher und pflanzenbaulicher Erkenntnisse zur Überschussminderung. Je nach Anbaukultur, Boden, Struktur des landwirtschaftlichen Betriebes und Klima sind diese Maßnahmen unterschiedlich. Wenn man den Bilanzüberschuss zum entscheidenden Kriterium macht, so setzt man für die Landwirtschaft Anreize, alle vorhandenen Erkenntnisse und Talente in dieser Richtung einzusetzen. Im Laufe der Zeit besteht zudem die Option, die zulässigen Überschüsse weiter herabzusetzen.“

„Die beiden Ausschüsse des Bundesrates – der federführende Ausschuss für Agrarpolitik und Verbraucherschutz und der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit – haben in ihren aktuellen Empfehlungen [1] zu den Änderungen der Düngeverordnung bereits eine sehr gute Liste wichtiger Kritikpunkte an der aktuellen Änderung erstellt. Da die Bundesregierung vor 2017 einen langen Zeitraum verstreichen ließ, in dem keine effektive, gesetzliche Regelung der Überdüngung erarbeitet wurde, ist die rasche Verabschiedung der aktuellen Änderungen vermutlich unumgänglich, um die Strafzahlungen abzuwenden. Ich habe aber die Hoffnung, dass nun vor dem Hintergrund der sehr ungerechten Minus-20-Prozent-Regelung zügig ein wirklich sinnvolles Instrumentarium geschaffen und in den Bundesländern implementiert wird, so dass diese Kompromisslösung in wenigen Jahren durch ein effektives und gerechtes Konzept ersetzt werden kann. Einige Jahre wird die Landwirtschaft in den roten Gebieten mit diesem Kompromiss leben müssen.“

Auf die Frage, inwiefern die Forderung die neue Düngerverordnung wegen der aktuellen Corona-Pandemie erst ab 2021 umzusetzen, tatsächlich sinnvoll ist, etwa weil es aktuell schwieriger ist, die Änderungen auch in der landwirtschaftlichen Praxis umzusetzen:
„Für die Bundesländer und Landesbehörden sind Umsetzung und Überwachung der Düngeverordnung eine enorme Herausforderung. Viele der Probleme sind in den aktuellen Empfehlungen der Ausschüsse an den Bundesrat aus Anlass der aktuellen Abstimmung sehr gut dargestellt. Nicht nur die landwirtschaftliche Praxis selbst, sondern auch das hinter ihr stehende Beratungswesen und die zuständigen Landesbehörden stehen vor einer Herkulesaufgabe. Wir werden sehen müssen, wie lange der aktuelle Corona-Shutdown-Zustand andauern muss. Ein Inkrafttreten der Änderung in der laufenden Düngeperiode Frühjahr 2020 halte ich ohnehin für nicht praktikabel, hier kann nur die Düngeverordnung 2017 Grundlage sein, denn der größte Teil der Düngung des Frühjahrs 2020 hat bereits jetzt stattgefunden. Einem Inkrafttreten mit der Ernte 2020 sollte auch die EU-Kommission zustimmen können.“

Auf die Frage, inwiefern die Kritik berechtigt ist, das deutsche Nitrat-Messnetz gewichte durch die Auswahl der Messstellen den Beitrag der besonders belasteten Regionen über:
„Die Diskussion um die Messstellen in Deutschland ist zum Teil – gelegentlich aus nachvollziehbaren Gründen – hoch emotional geführt worden. Leider waren auch viele Falschinformationen unterwegs, die sich zum Teil hartnäckig halten – Stichwort undichte Kanalisationen. Verständlich ist für mich, dass Bäuerinnen und Bauern in den roten Gebieten beklagen, dass ihr konkreter Betrieb durch das Messnetz nicht korrekt abgebildet würde, insbesondere dann, wenn sie genau wissen, dass sie wirklich bedarfsgerecht düngen. Andererseits kann nicht auf jeden Acker ein Messbrunnen gesetzt werden. Grundsätzlich kann die regionale Belastung des Trinkwassers durch zu viel Nitrat aus der Landwirtschaft nicht infrage gestellt werden. Aufgabe von Wissenschaft und Behörden wird es sein, das Messnetz rasch durch genauere Methoden zu ergänzen, gegebenenfalls zu ersetzen, um möglichst betriebsgenau differenzieren zu können. Leider werden wir sie nicht schon morgen zur Hand haben.“

Prof. Dr. Henning Kage

Leiter der Abteilung Acker- und Pflanzenbau, Institut für Pflanzenbau & Pflanzenzüchtung, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel

Auf die Frage, inwiefern die Änderungen in der nun aktuellen Version der Düngeverordnung geeignet sind, den Klagepunkten im Vertragsverletzungsverfahren durch die EU-Kommission wegen zu hoher Nitratbelastungen Genüge zu tun, nachdem die letzte Novellierung trotz einiger Änderungen dies nicht vermochte:
„Diese Frage ist kaum beantworten, da bereits das Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) fachlich in vielen Punkten kaum nachvollziehbar ist. Das Urteil beruht auf einem nicht geeigneten Nitrat-Messnetz. Selbst das neue Messnetz – Teilmessnetz des EUA-Messnetzes – ist nicht vergleichbar mit den Messnetzen anderer EU-Mitgliedsstaaten. Eine Beurteilung der Wirksamkeit der Nitratrichtlinie 2017 war bisher noch nicht möglich, da deren Effekte nur mit gewisser Verzögerung wirken. Bei Vollzug und Kontrolle der Düngeverordnung 2017 gehe ich jedoch von einem deutlichen Effekt aus. Der Wegfall der Stickstoffbilanzierung aus der Düngeverordnung 2017 im Rahmen der anstehenden Novellierung zeigt deutlich die mangelnde fachliche Tiefe in der Diskussion zwischen dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU) und dem EuGH sowie der EU-Kommission.“

„Der Zwang, in den sogenannten roten Gebieten auf sonst unbewachsenen Flächen Zwischenfrüchte anzubauen, ist dagegen als zielführend anzusprechen.“

„Eine betriebsform- und regionalspezifische und mit Übergangsfristen versehene klare Obergrenze der Brutto-Stickstoff-Bilanzsalden wäre der bessere Weg zur Kontrolle und Minderung überhöhter Düngung gewesen und hätte viele der Detailregelungen der Düngeverordnung obsolet gemacht.“

Auf die Frage, inwiefern die Forderung die neue Düngerverordnung wegen der aktuellen Corona-Pandemie erst ab 2021 umzusetzen, tatsächlich sinnvoll ist, etwa weil es aktuell schwieriger ist, die Änderungen auch in der landwirtschaftlichen Praxis umzusetzen:
„Die Corona-Epidemie ist insofern relevant, als die Länder in der jetzigen Situation Schwierigkeiten haben werden, die Binnendifferenzierung wie angekündigt zeitnah umzusetzen. Insofern greifen dann die fachlich kritisch zu sehenden Abgrenzungen der roten Gebiete nach Wasserrahmenrichtlinie.“

„Generell macht die Corona-Epidemie deutlich, wie global vernetzt bereits heute die Agrarmärkte sind. Die Novellierung der Düngeverordnung wird die Produktivität der Landwirtschaft in gewissem Umfang negativ beeinflussen und bei einigen Produkten zu Qualitätsproblemen führen. Diese fehlenden Mengen beziehungsweise Qualitäten werden dann an anderer Stelle in der Welt produziert, gegebenenfalls nicht umweltfreundlicher.“

Auf die Frage, welche Kritikpunkte der Bauern und ihrer Interessenvertreter gut beziehungsweise nicht nachvollziehbar sind:
„Insbesondere die pauschale Reduktion der Stickstoffdüngung um 20 Prozent in den sogenannten ‚Roten Gebieten‘ wird die Nitratkonzentration nur wenig mindern können, hat jedoch – je nach Kulturart – deutliche Ertrags- und teilweise Qualitätsminderungen zur Folge. Hier kann ich die Kritik der Landwirte gut nachvollziehen.“

„Ebenso kritisch sehe ich das generelle Verbot der Düngung auf tagsüber auftauenden Böden. Hierdurch werden Erträge, aber auch die Bodenstruktur negativ beeinflusst. Es wäre ausreichend gewesen, diese Maßnahme auf Flächen mit größerer Hangneigung zu begrenzen oder Abstandsauflagen auszusprechen.“

„Die ebenfalls sehr kritisch gesehene Begrenzung beziehungsweise das teilweise ausgesprochene Verbot der Herbstdüngung ist letztlich sinnvoll, insbesondere vor dem Hintergrund der Kontrolle der Stickstoffmengen, die im Herbst ausgebracht werden. Fachlich ist eine Herbstdüngung in bestimmten Fällen nicht zu kritisieren – zum Beispiel zu Zwischenfrüchten, manchmal zu Winterraps. Die Möglichkeit, Gülle im Herbst auszubringen, kann jedoch auch für eine reine Entsorgung von überschüssiger Gülle missbraucht werden.“

„Gut nachvollziehbar sind daher die Verlängerungen der Sperrfristen für die Ausbringung organischer Dünger. Hier müssten aber Übergangsfristen für die notwendige Schaffung zusätzlichen Lagerraums geschaffen werden.“

Auf die Frage, inwiefern die Kritik berechtigt ist, das deutsche Nitrat-Messnetz gewichte durch die Auswahl der Messstellen den Beitrag der besonders belasteten Regionen über:
„Obwohl formal gesehen die juristische Beurteilung des EuGH sich nur an der Änderung der Nitrat-Konzentrationen festmacht, ist in der politischen und insbesondere in der öffentlichen Diskussion die objektive Einschätzung der Nitrat-Konzentration sehr wohl von großer Bedeutung.“

„Ferner spielt die Diskussion um die Messstellen insofern eine Rolle, als in der Vergangenheit auch die Auswahl der Messstellen im Zeitverlauf nicht immer konsistent war. Es kam hier zum Wechsel von Messstellen, womit gleichzeitig der Trend beeinflusst wurde. Die Ausweisung roter Gebiete nach Wasserrahmenrichtlinie nimmt darüber hinaus ja direkt Bezug auf den relativen Anteil belasteter Messstellen – 20 Prozent der Messstellen zeigen Werte über 50 Milligramm Nitrat pro Liter und gelten damit als rotes Gebiet. Eine gewisse Zahl von Messstellen liegt an nicht repräsentativen Punkten – etwa in direkter Nähe zu Gülle- oder Mistlagerstätten, in der Nähe zu Kiesgruben und so weiter.“

Prof. Dr. Hans-Jörg Vogel

Departmentleiter Bodensystemforschung, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ), Halle und Professor für Bodenphysik, Martin-Luther Universität Halle-Wittenberg

„Es ist offensichtlich und unbestritten, dass die Nitratbelastung des Grundwassers in Deutschland zu hoch ist, und dass sich daran in den letzten Jahren auch nichts geändert hat.“

„Stickstoff ist ein knapper Faktor in der Pflanzenproduktion, das heißt, über Stickstoffdüngung können Erträge zum Teil erheblich gesteigert werden. Andererseits ist Stickstoff als Nitrat im Boden sehr beweglich, das heißt, er wird mit dem Sickerwasser leicht ausgewaschen und es kann deshalb nicht ohne große Verluste auf Vorrat gedüngt werden. Dies führt zu dem Dilemma, dass eine optimale Versorgung der Pflanzen nur mit einem gewissen Stickstoffüberschuss und -verlust zu erreichen ist. Im bundesweiten Durchschnitt hat sich dieses Dilemma unter den gegebenen Preisen für Dünger und Ernteprodukten bei etwa 90 Kilogramm pro Hektar eingependelt – so erklären sich die hohen Nitratwerte im Grundwasser.“

„Dabei gibt es regional starke Unterschiede, wobei es in Regionen mit zu hoher Nutztierdichte zu sehr hohen Stickstoffüberschüssen kommt. Dort ist die Aufbringung von Gülle eher eine Entsorgungs- als eine Düngungsmaßnahme und es müssten Wege für ausgeglichene Nährstoffbilanzen gefunden werden.“

„Die Düngeverordnung ist im Wesentlichen darauf ausgerichtet, die Stickstoffgaben dem Bedarf der Pflanzen besser anzupassen und in besonders gefährdeten Gebieten die absoluten Mengen zu beschränken. Dabei soll eine schärfere Dokumentationspflicht dafür sorgen, dass die Regeln besser eingehalten werden. Das sind alles sehr vernünftige Maßnahmen, um die Gewässerqualität zu verbessern. Die bestehende Düngeverordnung hatte das gleiche Ziel, hat aber offensichtlich nicht gegriffen.“

„Die vorgesehenen Maßnahmen scheinen mir gut umsetzbar. Das beschriebene Dilemma zwischen optimalem Ertrag und Stickstoff-Überschuss bedeutet jedoch auch Ertragseinbußen bei reduzierter Düngung, weshalb sich die Landwirte auch begründet beschweren. Hier müssen Ausgleichsmaßnahmen gefunden werden, so dass sich ein für den Landwirt ökonomisch ‚optimaler‘ Ertrag nicht nur in ‚Dezitonnen pro Hektar Getreide‘, sondern in diesem Fall auch in ‚Milligramm Stickstoff pro Liter im Grundwasser errechnet‘. Es gibt die Hoffnung, dass die zukünftige EU-Agrarpolitik vermehrt solche Wege geht.“

Auf die Frage, inwiefern die Kritik berechtigt ist, das deutsche Nitrat-Messnetz gewichte durch die Auswahl der Messstellen den Beitrag der besonders belasteten Regionen über:
„Die Messstellen in Deutschland sind auf landwirtschaftlich genutzte Gebiete konzentriert. Wenn das einzige Ziel die Einhaltung der Grenzwerte für die mittlere Nitrat-Konzentration wäre, ließen sich die hohen Belastungswerte mit anderen Messpunkten herunter verdünnen. Ist tatsächlich eine bessere Wasserqualität das Ziel, dann liegen die Messstellen dort wo sie sein sollten, um auch die Wirksamkeit der Maßnahmen beurteilen zu können.“

„Dabei muss auch berücksichtigt werden, dass je nach Standort die Transportzeit von Nitrat in Richtung Grundwasser sehr unterschiedlich sein kann, sodass eine Verringerung des Eintrags heute sich sehr schnell oder aber erst nach Jahren im Grundwasser bemerkbar macht.“

Prof. Dr. Ralf Uptmoor

Professur für Pflanzenbau, Agrar- und Umweltwissenschaftliche Fakultät, Universität Rostock

Auf die Frage, inwiefern die Forderung die neue Düngerverordnung wegen der aktuellen Corona-Pandemie erst ab 2021 umzusetzen, tatsächlich sinnvoll ist, etwa weil es aktuell schwieriger ist, die Änderungen auch in der landwirtschaftlichen Praxis umzusetzen:
„Eine Umsetzung zum 1. Januar 2021 ist sinnvoll, weil die Betriebe sich nicht innerhalb einer laufenden Vegetationsperiode umstellen müssen und ab Herbstaussaat konkret an den neuen Richtlinien orientieren können. Ob die Corona-Pandemie für die Verschiebung der Umsetzung der Düngeverordnung als Begründung taugt, ist eine andere Frage. Aufgrund des Einreiseverbotes fehlende Erntehelfer, Traktorfahrer und so weiter stehen viele Betriebe aktuell vor Problemen, die eigentlich nicht zu bewältigen sind. Die Düngeverordnung ist da weit weniger gravierend.“

„Das Saldo aus Stickstoffzufuhr und -abfuhr über das Ernteprodukt fällt vielfach zu hoch aus. Daraus resultierend gelangt Nitrat aus Ernteresten und nicht genutztem Dünger im Winterhalbjahr, wenn viel Niederschlag fällt, die Pflanzen aber wenig Wasser verdunsten und kaum Nitrat aufnehmen, zunächst in tiefere Bodenschichten und dann in die oberen Grundwasserleiter.“

Auf die Frage, welche der Änderungen für die Landwirte gut, welche dagegen kaum oder nur schwer umsetzbar wären?
„Die Reduktion der Düngung um pauschal 20 Prozent unterhalb des pflanzenbaulichen Bedarfs in Regionen mit hoher Nitratbelastung im Grundwasser scheint zunächst sinnvoll, denn in der Regel wird erwartet, dass die Stickstoffabfuhr mit dem Ertrag um weniger als 20 Prozent sinkt. Die Maßnahme bringt aber viele Nachteile mit sich.“

„So kann es zum Einen passieren, dass aus Qualitäts- und Brotweizen Futterweizen wird, weil die notwendigen Proteingehalte nicht erreicht werden.“

„Zum Anderen können Gemüseproduzenten zum Beispiel beim Brokkoli die vom Markt geforderten Qualitäten nicht mehr erreichen, was wiederum dazu führt, dass mehr Erntereste und damit mehr Stickstoff auf dem Feld verbleibt. Hier sind auch Handel und Verbraucher gefordert, ihre Qualitätsansprüche den Gegebenheiten anzupassen.“

Auf die Frage, inwiefern die Kritik berechtigt ist, das deutsche Nitrat-Messnetz gewichte durch die Auswahl der Messstellen den Beitrag der besonders belasteten Regionen über:
Das Nitratmessnetz bildet die Situation ziemlich gut ab. Auch sind die Ursachen für hohe Nitratwerte im Grundwasser häufig eindeutig auszumachen. So ist zum Beispiel das Problem in den Vieh-intensiven Regionen Niedersachsens und Nordrhein-Westfalens hausgemacht. Hätte man dort schon vor vielen Jahren konsequenter reagiert, wären die aktuellen Probleme zumindest weniger ausgeprägt. Vor diesem Hintergrund fehlt mir das Verständnis für die Argumentation mit der Auswahl der Messstellen.“

Dr. Stefan Möckel

Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Department für Umwelt- und Planungsrecht, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ), Leipzig

„Die nun angedachten Verbesserungen verschärfen das Düngerecht etwas und verbessern vor allem die Handlungsmöglichkeiten der Länder in den roten Gebieten. Die neuste Novelle könnte aber mit der Streichung der Flächenbilanzobergrenzen (bisher § 9 DüV) in der Fläche sogar zu höheren Nährstoffeinträgen in die Umwelt führen, da die Stoffstrombilanz-Verordnung mit ihren ökologisch zu hohen Bilanzobergrenzen nicht nachgebessert wird. Ob daher insgesamt die Ziele der Nitrat-Richtlinie – maximal 50 Milligramm Nitrat pro Liter – tatsächlich erreicht werden, bleibt abzuwarten.“

„Fest steht schon jetzt: Die Novelle und die Diskussion greifen mit ihrer Fokussierung auf die Nitrat-Richtlinie und Gewässer insgesamt zu kurz, da sie die weitreichenden ökologischen Auswirkungen von Nährstoffüberschüssen und diesbezügliche Schutzverpflichtungen Deutschlands nicht in den Blick nehmen. Hierzu gehören neben den Klimawirkungen insbesondere die zu hohen Nährstoffeinträge in terrestrische Ökosysteme, welche die Erreichung der internationalen, europäischen und deutschen Naturschutzziele – unter anderem die Konvention über die biologische Vielfalt CBD, die europäische Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie und Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt der Bundesregierung 2007 – gefährden.“

„Ökologisch wie rechtlich sind zwei Hauptaufgaben zu lösen: die Reduzierung der Gesamtnährstoffemissionen und der ausreichende Schutz lokaler Ökosysteme vor übermäßigen Nähreinträgen entsprechend ihrem Erhaltungszustand und ihrer spezifischen Vulnerabilität. Diese Aufgaben erfordern einen breit aufgestellten Instrumentenmix, der weit über eine Düngeverordnung des Bundes hinausgeht.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Alle: Keine Angaben erhalten.

Literaturstellen, die von den Experten zitiert wurden

[1] Bundesrat (2020): Empfehlungen der Ausschüsse zur Verordnung zur Änderung der Düngeverordnung und anderer Vorschriften. Bundesrat, Drucksache 98/1/20.

Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden

[a] Deutscher Bundesrat (2020): Verordnung zur Änderung der Düngeverordnung und anderer Vorschriften. ACHTUNG: Dies ist die Version vor der Plenarsitzung, in der noch einige Änderungen beschlossen wurden. Die finale Version soll in Kürze auf der Homepage des Bundesrates erscheinen.

[b] Deutscher Bundestag (2020): Änderung der Düngeverordnung und weiterer Vorschriften. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage.

[c] Science Media Center (2018): Europäischer Gerichtshof entscheidet Nitrat-Klage im Verfahren gegen Deutschland. Fact Sheet.