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09.01.2023

Nasse Landwirtschaft und Solarzellen im Moor

     

  • trockengelegte Moore für 7,5 Prozent der deutschen Treibhausgas-Emissionen verantwortlich
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  • für Wiedervernässung braucht es alternative Nutzungen wie nasse Landwirtschaft oder PV im Moor
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  • Forschende sehen großes Klimaschutzpotenzial, ökonomische Anreize und Hilfen fehlen aber noch
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Nasse Landwirtschaft oder „Paludikultur“ könnte es ermöglichen, die Treibhausgas-Emissionen aus Moorböden in Deutschland deutlich zu verringern. Diese neue Bewirtschaftungsform zu erforschen und zu fördern ist ein zentrales Ziel der Moorschutzstrategie des Bundesumweltministeriums aus dem Oktober 2022 [I].

Fünf Prozent der Landesfläche Deutschlands war einst von Mooren bedeckt, die jedoch fast vollständig trockengelegt wurden [II]. Das führt dazu, dass der Torf im Boden sich langsam zersetzt und der darin gespeicherte Kohlenstoff als Kohlendioxid (CO2) entweicht. Die so entstehenden Emissionen machen 7,5 Prozent der deutschen Treibhausgas-Emissionen aus [I]. Um dem entgegenzuwirken, will das Bundesumweltministerium Moore wiedervernässen und so die jährlichen Emissionen aus Moorböden bis 2030 um knapp zehn Prozent senken. Forschende fordern eine deutlich schnellere Vernässung von 50.000 Hektar pro Jahr [III]. Wird der Wasserspiegel bis zur Erdoberfläche angehoben, verhindert das die Zersetzung des Torfes – und folglich die CO2-Emissionen – fast vollständig. Aus nassen Mooren entweicht vor allem in den Jahren nach der Wiedervernässung zwar Methan, doch die Klimabilanz ist eindeutig positiv [IV].

Ein Problem für die Vernässung: Der Großteil der deutschen Moorböden wird heute als Grün- oder Ackerland genutzt. Sollen diese sozial verträglich wiedervernässt werden, braucht es alternative Nutzungsformen. Hier kommt die Paludikultur ins Spiel. Dabei werden auf nassen Böden Nutzpflanzen wie Schilf, Rohrkolben oder Moosbeeren angebaut, die als Baustoffe, Futter oder Nahrungsmittel Einsatz finden. Auch die Haltung einiger Tierarten ist auf nassen Böden möglich. Neben Paludikultur nennt die Moorschutzstrategie Photovoltaik im Moor als mögliche Nutzungsform.

Wird sich Paludikultur als Bewirtschaftungsform in Deutschland etablieren können und welche Hindernisse gibt es dabei? Gibt es einen Markt für „Paludi-Produkte“? Unter welchen Umständen ist Photovoltaik im Moor sinnvoll und welche ökologischen Effekte könnte dies haben? Diese Fragen hat das SMC Forschenden gestellt.

Übersicht

     

  • Dr. Franziska Tanneberger, Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Arbeitsgruppe Experimentelle Pflanzenökologie, Institut für Botanik und Landschaftsökologie, und Leiterin des Greifswald Moor Centrum (GMC), Universität Greifswald
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  • Dr. Julia Wiehe, Referentin naturverträgliche Solarenergie, Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende (KNE), Berlin
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  • Prof. Dr. Volker Beckmann, Professor für Allgemeine Volkswirtschaftslehre und Landschaftsökonomie, Fachbereich Wirtschaftswissenschaften, Universität Greifswald
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Statements

Dr. Franziska Tanneberger

Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Arbeitsgruppe Experimentelle Pflanzenökologie, Institut für Botanik und Landschaftsökologie, und Leiterin des Greifswald Moor Centrum (GMC), Universität Greifswald

„Auf Nasswiesen können Seggen und Gräser wie zum Beispiel Schilf geerntet werden. Auf Nassweiden ist der Wasserbüffel das wichtigste Nutztier. Wirtschaftlich besonders vielversprechend sind Anbau-Paludikulturen, bei denen Nutzpflanzen wie Torfmoose, Schilf und Rohrkolben angebaut werden. In Bezug auf Klimaschutz sind alle Paludikulturen auf wiedervernässten Mooren sehr vielversprechend.“

„Es gibt bisher erst einige Paludi-Produkte, die außerhalb von Forschungs- und Entwicklungsprojekten von Unternehmen produziert werden. Für diese gibt es einen Markt und auch zum Teil erhebliche Nachfrage. Beispiele dafür sind das klassische Dachreet in Norddeutschland, aber auch Bau- und Dämmplatten aus Rohrkolben und Wurstwaren von Wasserbüffeln. Landwirt*innen brauchen Planungssicherheit, um auf Paludikultur umzustellen: Dazu gehören geeignete Agrarförderprogramme in der ersten und zweiten Säule (der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU (GAP), Anm. d. Red.) sowie die Sicherheit auf Abnahme der Paludi-Biomasse. Auf dieser Basis müssen individuelle betriebliche Umstellungskonzepte entwickelt werden.“

„Nach Wiedervernässung stellt sich entweder eine angepasste Pflanzengemeinschaft spontan ein oder sie wird angepflanzt. Die Etablierung eines erntefähigen Bestands kann einige Jahre dauern. Beim Anbau gibt es schon praktische Erfahrung für alle relevanten Anbau-Paludikulturen, aber durchaus auch immer wieder Überraschungen in der Praxis. Befahrung und Beerntung ist eine große Herausforderung, da dafür derzeit nur Spezialtechnik bei einigen wenigen Dienstleistern und Anbietern verfügbar ist.“

Auf die Frage, ob es realistisch ist, dass sich Paludikultur als Bewirtschaftungsform in Deutschland etabliert:
„Ja, das halte ich für realistisch. Mit der Rohrwerbung für Dachreet haben wir ja sogar eine jahrhundertealte, ,nasse‘ Moor-Bewirtschaftungsform in unserer Landschaft und Geschichte. Anbau-Paludikulturen werden heute schon auf 10 bis 20 Hektar großen Flächen erprobt. Mit den richtigen Rahmenbedingungen kann ein großer Schub in der Fläche erfolgen. Interesse und Bereitschaft dafür ist bei vielen Landwirt*innen da.“

Auf die Frage nach ökologischen Effekten von Photovoltaik-Anlagen auf Moorböden:
„Photovoltaik-Anlagen sollten nur auf wiedervernässten Moorböden stehen. Leider sind schon auf circa 600 Hektar entwässerten Mooren Photovoltaik-Anlagen errichtet worden. Wiedervernässung und Photovoltaik muss aber zusammengedacht werden – der größte positive ökologische Effekt wäre, wenn Photovoltaik-Anlagen auf Teilflächen die Wiedervernässung des gesamten Moores ermöglichen. Negative ökologische Effekte könnten beim Bau in Mooren in Schutzgebieten entstehen. Photovoltaik sollte daher – nach der Wiedernässung – vor allem in den stark degradierten Mooren ohne Schutzstatus entwickelt werden.“

Dr. Julia Wiehe

Referentin naturverträgliche Solarenergie, Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende (KNE), Berlin

„Die Wiedervernässung von entwässerten, derzeit noch landwirtschaftlich genutzten Moorböden ist eine der effizientesten Klimaschutzmaßnahmen in der deutschen Land- und Forstwirtschaft. Sie erfordert aber langfristige Nutzungsänderungen oder auch die Aufgabe der bisherigen Flächennutzung. Wenn auf wiedervernässten Flächen Photovoltaik-Freiflächenanlagen installiert würden, könnten diese – zusätzlich zum Klimaschutzbeitrag – eine Einkommensalternative zur bisherigen landwirtschaftlichen Nutzung sein.“

„Naturschutzfachlich wertvolle Moorlebensräume sollten von einer Nutzung mit Photovoltaik-Freiflächenanlagen ausgenommen bleiben. Ökologisch sinnvoll ist ein solches Projekt, wenn die auf dieser Fläche infolge von Entwässerung und intensiver Bewirtschaftung bestehenden Beeinträchtigungen reduziert werden können, sich eine geschlossene, torfschützende Vegetationsdecke entwickelt und der Abbau von organischer Substanz im Boden gestoppt wird.“

„Damit sich spezifische Arten der Moorlebensräume einstellen, muss der Boden ausreichend besonnt sein. Durch die Bauweise und Modulanordnung – weite Reihenabstände, hohe Aufständerung – können die Bedingungen für diese Entwicklung geschaffen werden.“

„Ob die Realisierung von Photovoltaik-Anlagen mit höheren technischen Anforderungen verbunden ist, hängt wesentlich vom Wasserstand und der Befahrbarkeit der Fläche ab. Je nasser der Standort und je höher der Torfanteil, desto eher müssen Spezialgeräte für Bau, Wartung und Pflege eingesetzt werden. Je nach Zustand und Mächtigkeit des Torfkörpers erhöhen sich auch die Materialanforderungen, vor allem für die Verankerung. Diese muss besonders lang und auch besonders widerstandsfähig gegen Korrosion sein.“

„Eine besondere Herausforderung ist es, den Zeitpunkt für die Wiedervernässung und den Anlagenbau aufeinander abzustimmen. Zur Wiedervernässung sollte möglichst viel Wasser in der Fläche sein, zum Anlagenbau sollte es hingegen möglichst trocken sein. Zugleich schränken Winterruhe sowie Brut- und Fortpflanzungszeiten störungsempfindlicher Arten die möglichen Zeitfenster ein.“

„Das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme geht von bundesweit 1,1 Millionen Hektar landwirtschaftlich genutzter Moorböden aus. Bei einer Belegungsdichte von 0,25 bis 0,6 Megawattpeak pro Hektar bestünde laut den Berechnungen ein technisches Potenzial von 270 bis 660 Gigawatt Nennleistung [1]. Aktuell liegen noch keine vollständigen Flächenanalysen vor, es ist aber davon auszugehen, dass das tatsächlich nutzbare Potenzial der Flächen deutlich geringer ist.“

„Die theoretische Berechnung berücksichtigt nicht die Hemmnisse bei der praktischen Umsetzung der Wiedervernässung. Notwendig sind die Zustimmung oder auch die Entschädigung benachbarter Flächeneigentümer sowie Analysen von Wasserverfügbarkeit und Bodenverhältnissen im Landschaftsraum. Darüber hinaus müssen Netzanschlusspunkte zugänglich und Erreichbarkeit der Fläche mit Transportfahrzeugen gewährleistet sein.“

Prof. Dr. Volker Beckmann

Professor für Allgemeine Volkswirtschaftslehre und Landschaftsökonomie, Fachbereich Wirtschaftswissenschaften, Universität Greifswald

„Für zahlreiche Paludi-Produkte bestehen noch keine entwickelten Märkte. Produkt- und Verfahrensinnovation sowie systematische Marktentwicklung sind deshalb wichtig und benötigen neben staatlicher Förderung vor allem unternehmerische Initiative. Dort, wo etablierte Märkte bestehen – zum Beispiel bei Dachreet oder Dämmplatten –, müssen Produkte aus Paludikultur zu Qualitäten und Preisen angeboten werden, die konkurrenzfähig sind. Das ist aufgrund erschwerter Produktionsbedingungen nicht immer einfach möglich und es ist eine offene Frage, ob Kund:innen bereit sind, für Produkte aus Paludikultur einen Aufpreis zu bezahlen. Beim Endkunden sind Produkte aus Paludikultur noch weitgehend unbekannt.“

„Landwirt:innen benötigen verlässliche rechtliche Rahmenbedingungen, ausreichende finanzielle Anreize sowie attraktive dauerhafte Absatzmöglichkeiten für Paludi-Produkte. Die Umstellung auf nasse Landwirtschaft ist eine langfristige Investition, die – neben der Vernässung der Flächen – die Anschaffung von Spezialtechnik, die Aneignung von spezifischen Produktionskenntnissen und die Erschließung von neuen Märkten erfordert. Ohne ein Mindestmaß an Planungssicherheit geht es nicht.“

„Die Förderung der Paludikultur für Landwirt:innen im Rahmen der ersten und zweiten Säule der EU-Agrarpolitik wird sich zukünftig deutlich verbessern. Es ist jedoch fraglich, ob diese Förderung allein ausreicht, um nasse Landwirtschaft im erforderlichen Umfang attraktiv zu machen. Eine Einbeziehung der Landnutzung in den EU-Emissionshandel oder eine Besteuerung der CO2-Emissionen der Landwirtschaft würde die trockene Moornutzung schnell unwirtschaftlich machen und damit die Paludikultur befördern. Eine derartige Politik entspricht dem Verursacherprinzip, ist aber politisch nur schwer durchsetzbar.“

„Es reicht allerdings nicht, sich auf die Landwirt:innen zu konzentrieren. Anreize und Hilfestellungen sind entlang der gesamten Wertschöpfungsketten erforderlich. Das betrifft zum Beispiel auch die Verarbeitung, den Handel, das Handwerk und die Endkund:innen. Letztlich müssen zahlreiche Zwischen- und Endkund:innen von Paludi-Produkten überzeugt sein.“

Auf die Frage, ob es realistisch ist, dass sich Paludikultur als Bewirtschaftungsform in Deutschland etabliert:
„Ja, das halte ich für realistisch. Wichtig ist, dass Paludikultur in den kommenden zehn Jahren eine kritische Masse erreicht, damit auch vermehrt Anreize für private Investitionen und Innovationen entlang der gesamten Wertschöpfungskette entstehen. Dann könnte daraus ein Selbstläufer werden. Ohne entschiedene staatliche Unterstützung wird dieser Punkt jedoch nicht oder zu spät erreicht. Die jetzt geförderten Modell- und Demonstrationsprojekte sind ein wichtiger Baustein, weitere müssen folgen. Paludikultur hat das Potential, zu einem wichtigen Bestandteil der Bioökonomie in Deutschland zu werden und einen bedeutenden Beitrag zum Klimaschutz zu leisten – wenn die Rahmenbedingungen richtig gesetzt werden.“

Auf die Frage nach ökologischen Effekten und Potenzial von Photovoltaik-Anlagen auf Moorböden:
„Photovoltaik-Anlagen auf Moorböden können große positive ökologische Effekte erzielen, wenn die Genehmigung von Anlagen konsequent mit einer Wiedervernässung verbunden wird, am besten einer die Größe der Photovoltaik-Anlage deutlich übersteigenden Moorfläche. Zu beachten ist, dass die Wertschöpfung auf den Flächen, auf denen Photovoltaik-Anlagen stehen, in der Regel stark erhöht wird, während die Wertschöpfung auf den übrigen wiedervernässten Flächen unter Umständen stark sinkt. Es kommt dann darauf an, Ausgleichs- und Beteiligungsmechanismen zu etablieren, damit alle Betroffene profitieren können. Mit klug und fair gestalteten Regulierungen und Verträgen könnten Photovoltaik-Anlagen in größerem Umfang die Wiedervernässung von Mooren finanzieren. Durch eine geeignete Standortwahl lassen sich mögliche negative Effekte auf Flora, Fauna und Landschaftsbild minimieren.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Dr. Julia Wiehe: „Es bestehen keine Interessenkonflikte.“

Prof. Dr. Volker Beckmann: „Interessenkonflikte meinerseits bestehen nicht.“

Alle anderen: Keine Angaben erhalten.

Weiterführende Recherchequellen

Heinrich-Böll-Stiftung (2023): Mooratlas. Daten und Fakten zu nassen Klimaschützern.

Nordt A et al. (2022): Leitfaden für die Umsetzung von Paludikultur. Greifswald Moor Centrum-Schriftenreihe.

Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende (2022): Photovoltaik auf wiedervernässten Moorböden - Eine neue Flächenkulisse im EEG 2023.

Literaturstellen, die von den Experten zitiert wurden

[1] Wirth H (2022): Aktuelle Fakten zur Photovoltaik in Deutschland. Fraunhofer ISE.
Die von Julia Wiehe genannten Zahlen finden Sie auf Seite 38.

Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden

[I] Bundesumweltministerium (19.10.2022): Nationale Moorschutzstrategie.

[II] Greifswald Moor Centrum (2020): Moore in Deutschland.

[III] Tanneberger F et al. (2021): The Power of Nature-Based Solutions: How Peatlands Can Help Us to Achieve Key EU Sustainability Objectives. Advanced Sustainable Systems. DOI: 10.1002/adsu.202000146.

[IV] Greifswald Moor Centrum (2022): Faktenpapier: Die Rolle von Methan bei Moor-Wiedervernässung.