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15.12.2021

Nach NRW-Erlass: Boosterimpfung nach vier Wochen?

Das Land Nordrhein-Westfalen hat am Montag, den 13.12.2021, mit einem Erlass an die Kommunen und Kreise für einige Verwirrung in der Fachwelt gesorgt. Nach dem Erlass sollten Bürgerinnen und Bürger in den offiziellen Impfstellen bereits nach vier Wochen eine Auffrischungsimpfung gegen COVID-19 erhalten können. Konkret richtete sich der Vorstoß offenbar an Personen mit eingeschränktem Immunsystem und einer verminderten Immunantwort. Damit setzt NRW eine Empfehlung der Ständigen Impfkommission (Stiko) um [I]. Doch grundsätzlich dürften Menschen, bei denen die Grundimmunisierung weniger als fünf Monate zurückliege, nicht abgewiesen werden, hieß es zunächst in dem Erlass. Ein Mindestabstand von vier Wochen müsse dabei eingehalten werden.

Gesunden Menschen empfiehlt die Stiko bisher in der Regel einen Abstand von sechs Monaten zwischen Zweitimpfung und Booster [I]. Die Europäische Arzneimittelbehörde Ema sowie der Impfstoffhersteller Biontech hatten sich jüngst mit Blick auf die derzeit verfügbaren Daten für drei Monate ausgesprochen [II] [III]. NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst kündigte am Dienstag nach erster Kritik von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach eine überarbeitete Version an. Diese wurde am Mittwoch veröffentlicht [IV]. Darin heißt es nun, im Rahmen der kommunalen Impfangebote könnten sich auch Personen boostern lassen, deren Grundimmunisierung mindestens vier Monate zurückliege. Davon unberührt blieben Einzelfallentscheidungen aufgrund einer medizinischen Indikation für eine frühere Auffrischungsimpfung, sofern hier ein Mindestabstand von vier Wochen erreicht sei.

Das SMC hatte Fachleute auf Basis des ursprünglichen Erlasses aus NRW gefragt, wie der Vorstoß mit Blick auf die Qualität der Immunantwort zu bewerten ist, wann aus immunologischer Sicht eine Boosterimpfung am effektivsten ist und ob es nun klug ist, mit der Verbreitung von Omikron frühe Booster anzustreben.

Übersicht

     

  • Dr. Christine Dahlke, Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Sektion Infektiologie, Schwerpunkt Emerging Infections, I. Medizinische Klinik und Poliklinik, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE)
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  • Prof. Dr. Christian Bogdan, Direktor des Mikrobiologischen Instituts – Klinische Mikrobiologie, Immunologie und Hygiene, Universitätsklinikum Erlangen, und Mitglied der Ständigen Impfkommission
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Statements

Dr. Christine Dahlke

Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Sektion Infektiologie, Schwerpunkt Emerging Infections, I. Medizinische Klinik und Poliklinik, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE)

„Eine Auffrischungsimpfung ist für Personen gedacht, die nach Abschluss der ersten Impfserie einen ausreichenden Schutz aufgebaut haben, der dann aber im Laufe der Zeit abgenommen hat. Bei Personen mit einem geschwächten Immunsystem kann eine zusätzliche Primärdosis genutzt werden (dritte Impfung). Wenn Personen nach ihrer ersten Impfstoffserie keinen oder nur einen unzureichenden Schutz aufgebaut haben, kann eine dritte Impfung nach vier Wochen verabreicht werden. Dieses ist aber keine Boosterimpfung und sollte nicht mit der Diskussion bei der Boosterimpfung vermischt werden.“

„Eine sehr relevante klinische Studie, in der eine Boosterimpfung bezüglich Nebenwirkungen und Immunantworten untersucht wurde, hat einen Mindestabstand von 70 beziehungsweise 84 Tagen genutzt [1]. Andere Studien haben Intervalle von vier bis sechs Monaten betrachtet. In diesen Studien konnte ein Boostereffekt klar gezeigt werden. Die Boosterimpfung führte zu einem stark erhöhten Antikörperspiegel. Für einige Impfstoffkombinationen konnte auch die T-Zell-Antwort verstärkt werden. Insbesondere der hohe Antikörperspiegel nach der Auffrischung ist nun bei der Omikron-Variante sehr relevant. Daher gibt es die Dringlichkeit der Boosterimpfungen.“

„Der Abstand zwischen der zweiten und dritten Impfung ist allerdings relevant und kann wichtig für die Qualität und Quantität der Immunantwort sein. Bisher gibt es keine Daten aus klinischen Studien zu einem Auffrischungsintervall von vier Wochen zwischen zweiter und dritter Dosis. Bei einem zu kurzen Intervall besteht das Risiko, dass das Immunsystem zu früh angeregt wird und eine Stimulation der Immunzellen nicht effektiv genug ist.“

„Das Immunsystem braucht eine gewisse Zeit zur Reifung. Eine zu frühe Re-Stimulation kann daher zu einem zu geringen Antikörper-Anstieg führen – und gerade bei der neuen Omikron-Variante benötigen wir sehr wahrscheinlich einen hohen Antikörperspiegel, um vor einer Infektion geschützt zu sein. Daher sollte unbedingt ein geeignetes Auffrischungsintervall genutzt werden.“

Prof. Dr. Christian Bogdan

Direktor des Mikrobiologischen Instituts – Klinische Mikrobiologie, Immunologie und Hygiene, Universitätsklinikum Erlangen, und Mitglied der Ständigen Impfkommission

„Diese Entscheidung des Landes NRW entbehrt leider jeglicher wissenschaftlichen Grundlage und ist ein typisches Beispiel dafür, wie man durch Aktionismus und fachlich nicht abgesicherte Regelungen die Verunsicherung in der Gesellschaft unnötigerweise erhöht. Durch einen falschen Bezug auf die spezielle Stiko-Impfempfehlung für schwer immunsupprimierte Patienten wurde eine ultimative Verwirrung ausgelöst.“

„Eine ,Boosterimpfung‘ wirkt nur dann wirklich verstärkend auf die angestrebte Schutzwirkung, wenn sie nicht in eine noch laufende Immunantwort hinein erfolgt. Bei einem Impfabstand zwischen der zweiten und dritten Impfung von nur vier Wochen ist diese Voraussetzung nicht erfüllt. Durch einen zu kurzen Impfabstand wird ein Großteil des möglichen Boostereffekts verschenkt, der normalerweise in einer starken Vermehrung der antigenspezifischen T- und B-Lymphozyten sowie einer Erhöhung der Antikörperspiegel besteht. Hinzukommt, dass nach zwei Impfungen mindestens für die nächsten vier bis sechs Monate ein robuster Schutz vor schwerer Erkrankung und Hospitalisierung in Folge einer SARS-CoV-2-Delta-Infektion besteht. Um einen höheren und insgesamt länger anhaltenden Schutz zu erzielen, ist es deshalb sinnvoll, allerfrühestens nach vier Monaten zu boostern.“

„Die durch zwei Impfungen mit den momentan verfügbaren mRNA-Impfstoffen ausgelösten Antikörperantworten zeigen sechs Monate nach der zweiten Impfung eine stark reduzierte beziehungsweise nicht mehr vorhandene Neutralisationswirkung gegenüber der Omikron-Mutante. Auch wenn derzeit noch keine verlässlichen Aussagen zur Wirksamkeit der Impfstoff-induzierten T-Zellaktivität gegenüber der Omikron-Mutante gemacht werden können, kann es in Hinblick auf die durchgehende Aufrechterhaltung von schützenden Antikörperspiegeln sinnvoll sein, die Boosterimpfung von regulär sechs Monaten auf vier Monate nach der zweiten Impfung vorzuziehen.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Alle: Keine Angaben erhalten.

Literaturstellen, die von den Experten zitiert wurden

[1] Munro A et al. (2021): Safety and immunogenicity of seven COVID-19 vaccines as a third dose (booster) following two doses of ChAdOx1 nCov-19 or BNT162b2 in the UK (COV-BOOST): a blinded, multicentre, randomised, controlled, phase 2 trial. The Lancet. DOI: 10.1016/S0140-6736(21)02717-3.

Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden

[I] Bundesgesundheitsministerium (2021): Auffrischungsimpfung. Zusammen gegen Corona.

[II] European Medicines Agency (2021): European Medicines Agency press briefing on COVID-19, 09/12/2021.

[III] Schulz T (09.12.2021): „Wir sollten schon nach drei Monaten einen Booster anbieten“. Der Spiegel.

[IV] Gesundheitsministerium NRW (15.12.2021): Gesundheitsministerium präzisiert Vorgaben zu Auffrischungsimpfungen. Pressemitteilung.