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09.04.2020

Kritik an Zwischenergebnissen der Heinsberger Immunitäts-Studie zu SARS-CoV-2

Um die Mittagszeit wurden am 09.04.2020 vorläufige Ergebnisse einer Studie zur Immunität gegen SARS-CoV-2 aus dem Kreis Heinsberg auf einer Pressekonferenz vorgestellt (siehe Primärquelle). Statt einer ordentlichen Publikation erfährt die Öffentlichkeit dabei absolut unpräzise, dass in untersuchten Haushalten in dem stark von COVID-19 betroffenen Ort Gangelt angeblich circa 15 Prozent der Probanden in Tests seropositiv sein sollen – also eine Immunantwort gegen Coronaviren nachweisbar war. Die dabei verwendeten ELISA-Tests weisen jedoch Antikörper gegen jegliche Coronaviren nach, also auch gegen solche, die in einer normalen Erkältungszeit milde Symptome beim Menschen auslösen. Ein positiver Antikörper IgG-Test lässt aufgrund seiner mangelnden Spezifität keine Diagnose einer überstandenen Infektion mit SARS-CoV-2 zu. Dazu müsste zusätzlich zumindest erhoben werden, ob die untersuchten Patienten zuvor in einem RT-PCR-Test als positiv aufgefallen sind und ob diese Personen einen repräsentativen Ausschnitt aus der lokalen Bevölkerung darstellen.  

Zum Thema künftiger Test-Strategien auf das SARS-CoV-2-Virus hatte das SMC am 09.04.2020 um 12 Uhr ein Press Briefing veranstaltet. Wir haben die diejenigen Aussagen der beiden teilnehmenden Wissenschaftler für Sie zusammengestellt, die sich konkret mit den neuen Befunden aus Heinsberg beschäftigt haben. Wir stellen die Statements als Gesprächsausschnitte – wie im Transkript des Briefings – dar, damit die Zusammehänge erhalten bleiben. Beide Sprecher hatten die schriftlichen Ergebnisse, die in der Pressekonferenz vorgestellt wurden, zu diesem Zeitpunkt noch nicht sehen können.

Übersicht

     

  • Prof. Dr. Christian Drosten, Direktor des Instituts für Virologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin
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  • Prof. Dr. Gérard Krause, Leiter der Abteilung Epidemiologie, Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI), Braunschweig
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Statements

Prof. Dr. Christian Drosten

Direktor des Instituts für Virologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin

Generell zu Antikörper-Tests: 
„Es gibt ELISA-Tests von mehreren Firmen und die Sensitivität ist schon gut. Es gibt aber ein paar Patienten, die relativ spät serokonvertieren. Normalerweise kann man aber sagen, im Laufe der zweiten Woche entstehen die Antikörper bei den allermeisten Patienten. Es gibt noch nicht so richtige, klare Prozentwerte. Die müsste man zuerst noch zu den verfügbaren Tests bestimmen, aber die liegen eindeutig über 90 Prozent oder sogar über 95 Prozent.“ 

„Es gibt einfach Patienten, die relativ spät serokonvertieren, aber das sind Einzelfälle. Wenn man zu einem bestimmten Zeitpunkt schaut und wenn man dann noch später schaut, dann werden die Antikörper-Titer noch höher. Das ist kein analytisches Sensitivitätsproblem der Tests, sondern das ist einfach eine Eigenschaft dieser COVID-19-Erkrankung.“

„Was nun die Spezifität der Elisa-Tests angeht, da gibt es natürlich schon ein Problem. Man kann zum Beispiel sagen: etwa bei dem einen Test, der viel in Deutschland verwendet wird, der kommt sogar von einer deutschen Firma. Der wurde glaube ich auch in der Heinsberg-Studie verwendet, die Hendrik Streeck heute vorgestellt hat mit ersten Resultaten.Den gibt es in zwei Versionen. Der eine ist für Antikörper vom Typ IgG und der andere ist für IgA-Antikörper. Und wenn man die nun jeweils testet in Bevölkerungsgruppen, die jetzt nicht gerade akut eine Infektion hatten, also zum Beispiel an Blutspenden, dann sieht man, dass der IgA-Test schon bei fast zehn Prozent der untersuchten Fälle ein positives Signal gibt. Der IgG-Test dagegen ist bei ungefähr zwei Prozent der Fälle falsch positiv. Das ist ganz normal.“

„Wieso ist das so? Nun, zum Beispiel, wenn man eine Population testet von Leuten, die jetzt gerade vielleicht noch erkältet waren, denn wir sind jetzt im Moment gerade mal einen Monat nach dem Ende der Erkältungs-Saison. Da gab es sicher noch viele Infektionen mit endemischen Coronaviren (siehe beispielweise [I] unter weitere Recherchequellen; Anm. d. Red.). Es werden also noch mehr positiv getestet, die im IgG-Bereich ein Signal haben, die man aber nicht dann mit anderen Labortests – zum Beispiel PCR – bestätigen kann. Also drei Prozent, vier Prozent müssen einen da gar nicht überraschen.“

„Das heißt, mit anderen Worten, es geht hier nicht darum, zu sagen: In einer Studie hat man den ELISA genommen, und der hat so eine Spezifität und Sensitivität, sondern es geht darum: Eine ELISA-Reaktivität ist nur eine Reaktivität und keine Diagnose. Wir müssen aber auf der Basis von echten Diagnosen die Studien machen. Und eine Diagnose im Labor, im virologischen Labor bedeutet, dass man zusätzlich einen Bestätigungstest machen muss, zum Beispiel den Neutralisationstest, der dann doch sehr geeignet ist, um die Diagnose noch weiter einzuengen. Und erst dann ist man bei geringeren Falsch-Positiv-Raten.“

Auf die Frage: Soeben hat Herr Hendrik Streeck auf einer Pressekonferenz davon gesprochen, dass angeblich bereits 15 Prozent der Menschen in den stark betroffenen Regionen in Heinsberg seropositiv seien. Aber was genau heißt das? Und wie sind diese Daten mit Blick auf die Gesamtsituation in Deutschland zu bewerten?
„Ich habe mir gerade diese Pressekonferenz angehört auf Phoenix, und ich kann daraus nichts ableiten. Da wird einfach so wenig erklärt, dass man nicht alles versteht. Sie sagen, es sind wohl 14 Prozent Immunglobulin positiv. Man weiß noch nicht mal, ob IgG oder IgA damit gemeint ist. Ich hoffe, es ist nicht das IgA dabei, denn dann wären das praktisch alles falsch Positive. Dann weiß man aber auch nicht, wie zum Beispiel diese Patienten in Heinsberg da untersucht worden sind. Das sind ungefähr 500 Leute in 200 Haushalten, die da untersucht wurden, und darüber wurde die Pressekonferenz gemacht. Da hat man also bei 14 Prozent Immunglobulin gefunden mit einem Test. Das sind ungefähr 70 Patienten. Und jetzt wissen wir aber gar nicht, ob die vorher schon bekannt PCR-positiv gewesen waren oder ob man sich ausgerechnet welche herausgesucht hat – absichtlich oder nicht –, die nicht vorher infiziert waren, die aber vorher schon mal getestet waren. Das wäre ja im Prinzip eine Dunkelziffer. Man hat jemanden, der war schon mal getestet, oder der war hoch verdächtig, infiziert zu sein. So hat man das aber, glaube ich, nicht angelegt.“

„Ich glaube, es handelt sich um ein Zufalls-Populations-Sample, wenn ich das richtig verstanden habe. Wenn es aber ein Zufalls-Populations-Sample ist und wenn das technisch auch alles stimmt – also, wenn das wirklich 14 Prozent sind, und das sind echte, sagen wir mal, Diagnosen und nicht nur Reaktivitäten – dann muss man als nächstes fragen, wie viele in der Bevölkerung dort denn laut PCR-Untersuchung vorher auch schon bekanntermaßen sich infiziert haben. Und das war auch in der Pressekonferenz nicht klar. Das wurde gefragt, aber da gab es keine Auskunft dazu. Aber das muss man ja wissen. Man muss ja wissen: Wie viele waren in der Studienpopulation über die exzessive PCR-Testung denn auch schon vorher bekannt infiziert. Und dann muss man die Differenz bilden, und ich weiß nicht, wie das herauskommt. Keine Ahnung.“

Zum ursprünglichen Statement von Gérard Krause, siehe unten:
„Richtig, und die Verteilung auf die Haushalte wurde auch nicht aufgeklärt. Man kann wirklich aus dieser Pressekonferenz gar nichts ableiten. Und es ist ja normalerweise auch so, dass wissenschaftliche Daten erst einmal zumindest in Form von einem wissenschaftlichen Manuskript geschrieben werden. Selbst, wenn das noch nicht begutachtet ist, müsste ja zumindest mal in Manuskript-Form eine Zusammenfassung präsentiert werden, bevor man damit an die breite Öffentlichkeit geht und auch an die Politik. Sonst ist das einfach eine Situation wie jetzt, in der man einfach nichts weiß.“

Prof. Dr. Gérard Krause

Leiter der Abteilung Epidemiologie, Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI), Braunschweig

Anmerkung – Prof. Krause korrigierte sein Statement nachträglich, nachdem er sich mit einem Fachkollegen aus Bonn über die ursprünglich angesprochene Problematik ausgetauscht hatte (siehe unten). Er ließ uns diese berichtigte Version zukommen:

„Detaillierte Kommentare zur Methode der Studie in Gangelt wären allein auf Basis der derzeit vorliegenden Information verfrüht. Ich hatte am vergangenen Donnerstag deswegen auch nicht diese konkrete Studie bewertet, sondern auf allgemeine Aspekte bei Studien dieser Art hingewiesen. Aus Gesprächen mit einem an der Studie beteiligten Kollegen aus Bonn habe ich jedenfalls keinen Anlass, Versäumnisse bei der epidemiologischen Methodik zu vermuten oder gar zu unterstellen.“

Aus Gründen der Transparenz können Sie hier das ursprüngliche Statement weiterhin lesen:

„Ich sehe da noch ein anderes Problem, das vielleicht fast quantitativ noch stärker ist. Ich weiß es nicht, weil ich die Studie nicht kenne. Aber es ist eine Haushaltsstudie gewesen. Ich nehme an, dass alle Mitglieder aus dem Haushalt getestet worden sind. Das kann man so machen. Aber dann darf man keineswegs alle Ergebnisse nehmen und in Prozent umrechnen, sondern allenfalls pro Haushalt nur eine Person nehmen.“
Anmerkung der Redaktion: Die knappen vorläufigen Ergebnisse (siehe Primärquelle) weisen genau auf diesen Umstand hin, wenn insgesamt 1.000 Personen aus 400 Haushalten untersucht werden sollen und für 500 Personen davon Zwischenergebnisse präsentiert werden.

Primärquelle

Streeck H et al. (09.04.2020): Vorläufiges Ergebnis und Schlussfolgerungen der COVID-19 Case-Cluster- Study (Gemeinde Gangelt).

Weitere Recherchequellen

[I] Corman VM et al. (2018): Hosts and Sources of Endemic Human Coronaviruses. Advances in Virus Research, Volume 100.

Science Media Center Germany (2020): Zukünftige Teststrategien auf SARS-CoV-2 und die Bedeutung vorsorglicher Quarantäne. Press Briefing. Stand: 09.04.2020.

Das gesammelte SMC-Material zum Coronavirus SARS-CoV-2 und der Erkrankung COVID-19 finden Sie unter: https://www.sciencemediacenter.de/alle-angebote/coronavirus/