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29.06.2022

Komposition der COVID-19-Booster für den Herbst

     

  • FDA will Omikron-Vakzine als Booster für den Herbst empfehlen
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  • Virus-Sublinien BA.4 und BA.5 sollten idealerweise im Impfstoff enthalten sein
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  • doch die Datenlage hierzu ist spärlich, klinische Studien fehlen
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Die US-Gesundheitsbehörde FDA will den Impfstoffherstellern zeitnah empfehlen, ihre Corona-Vakzine auf die derzeit grassierende Omikron-Variante anzupassen. Das signalisierte die Behörde gestern bei einer Diskussion mit externen Experten. Doch was wie ein logischer Schritt klingt, ist im Detail kompliziert. Die FDA hatte deshalb ihr unabhängiges Impfstoffexperten-Komitee (VRBPAC) zu einer Anhörung eingeladen – mit dem Ziel, anhand aktueller Daten aufzuzeigen, wie die künftigen COVID-19-Impfstoffe gegen die Omikron-Variante und deren Sublinien beschaffen sein sollten [I].

In mehreren Präsentationen fasste das VRBPAC die derzeitige Situation zusammen:

Verschiedene Studien hätten eine verringerte Neutralisierungsaktivität von Impfstoffseren gegen die Omikron-Variante gezeigt. Gleichzeitig seien die derzeit verfügbaren Impfstoffe weiterhin wirksam gegen schwere, durch Omikron verursachte Krankheitsverläufe. Eine Booster-Immunisierung verbessere die neutralisierende Wirkung gegen Omikron. Klinische Immunogenitätsdaten der modifizierten Impfstoffkandidaten von Moderna und Biontech/Pfizer, die eine Omikron/BA.1-Komponente enthalten, hätten eine höhere (statistisch überlegene) Antikörperkonzentration im Vergleich zum Prototyp-Impfstoff der Hersteller mit der Wuhan-Variante gezeigt. Dies gilt sowohl für die monovalenten als auch die bivalenten Vakzine. In einer Studie, in der verschiedene Dosen der modifizierten Impfstoffkandidaten untersucht wurden, schien der Omikron/BA.1-neutralisierende Antikörpertiter offenbar mit der Dosis der Omikron-Komponente im Impfstoff zu korrelieren. Die verfügbaren Daten wiesen eindeutig auf das Potenzial für eine verbesserte Wirksamkeit des Impfstoffs gegen die Omikron-Variante hin, wenn eine Omikron-Komponente im Impfstoff enthalten ist, hieß es.

Die Forschenden im VRBPAC gaben zu bedenken, dass in den bisherigen Studien der Hersteller nur neutralisierende Antikörper gemessen worden seien, und nicht bekannt sei, wie die relativen Unterschiede im Titer der neutralisierenden Antikörper mit dem klinischen Nutzen zusammenhängen. Zudem beschränkten sich die Daten auf die Bewertung einer zweiten Auffrischungsdosis einen Monat nach dem Booster. Die von Moderna und Biontech/Pfizer modifizierten Impfstoffe enthalten bisher ausschließlich eine BA.1-Komponente. Die BA.1-Virus-Sublinie ist aber vielerorts weitgehend bereits von BA.5 verdrängt worden.

Wären die neuen Impfstoffe also im Herbst bereits überholt? Die Bewertung der neutralisierenden Antikörper für andere Omikron-Sublinien wie BA.5 sei noch nicht abgeschlossen, betonten die Impfstoffexperten des VRBPAC. Das Unternehmen Pfizer, das wie Moderna seine Impfdaten selbst im Rahmen der Anhörung präsentierte, wies diesbezüglich auf eine kleine eigene Untersuchung an Mäusen hin. An den Tieren testete das Unternehmen einen monovalenten sowie einen bivalenten Impfstoff mit Komponenten von BA.4 und BA.5 als Booster. Bei den Mäusen erzeugte der modifizierte Impfstoff mehr neutralisierende Antikörper als das herkömmliche Vakzin. Es handelte sich aber lediglich um acht Tiere.

Trotz der spärlichen Datenlage zu BA.4 und BA.5 sprach sich die Mehrheit der Diskussionsteilnehmer für Booster aus, die Komponenten einer der beiden neuesten Virus-Sublinien enthalten – und nicht nur jene der Sublinie BA.1. Zudem bevorzugten die meisten Redner einen bivalenten Impfstoff, der sowohl einen Omikron- als auch den ursprünglichen SARS-CoV-2-Stamm enthält.

Das SMC hat Forschende gebeten, die Diskussion des FDA-Gremiums einzuschätzen und zu bewerten, welche Komponenten von welchen Virus-Sublinien in den künftigen Vakzinen enthalten sein sollten. Auch in Europa muss zeitnah entschieden werden, welche Impfstoffvarianten produziert werden sollen – und welche klinischen Daten für eine Zulassung von variantenbasierten Impfstoffen von den Behörden erwartet werden. Das Thema soll auch morgen bei einem Treffen der International Coalition of Medicines Regulatory Authorities (ICMRA) besprochen werden, einem Zusammenschluss von Arzneimittelbehörden weltweit.

Übersicht

     

  • Prof. Dr. Carsten Watzl, Leiter des Forschungsbereichs Immunologie und wissenschaftlicher Direktor, Leibniz-Institut für Arbeitsforschung an der TU Dortmund (IfADo), Dortmund, und Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie (DGfI)
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  • Prof. Dr. Peter Kremsner, Direktor des Instituts für Tropenmedizin, Reisemedizin und Humanparasitologie, Universitätsklinikum Tübingen
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  • Prof. Dr. Onur Boyman, Direktor der Klinik für Immunologie, Universitätsspital Zürich, Schweiz
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Statements

Prof. Dr. Carsten Watzl

Leiter des Forschungsbereichs Immunologie und wissenschaftlicher Direktor, Leibniz-Institut für Arbeitsforschung an der TU Dortmund (IfADo), Dortmund, und Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie (DGfI)

Auf die Fragen, ob an Omikron angepasste Impfstoffe vonnöten sind und ob ein monovalenter oder bivalenter Booster zu empfehlen ist:
„Durch die starken Veränderungen im Spike-Protein von Omikron können Antikörper, die durch die ursprünglichen Impfstoffe erzeugt werden, nur noch unzureichend an Omikron binden. Daher ist der Impfschutz gegen die reine Infektion selbst nach dreifacher Impfung nicht so gut, wie er gegen frühere Varianten war. Zusätzlich lässt dieser Schutz auch noch schneller nach. Obwohl der Schutz vor einer schweren Erkrankung immer noch gegeben ist, machen diese Tatsachen aber eine Anpassung der Impfstoffe notwendig. Nur aus den bereits vorliegenden Daten von Biontech/Pfizer lässt sich ein direkter Vergleich zwischen einem monovalenten BA.1-Impfstoff und einem bivalenten Impfstoff ziehen. Der monovalente BA.1-Impfstoff erzeugt als Booster (vierte Impfung) höhere neutralisierende Antikörperspiegel gegen Omikron verglichen mit dem bivalenten Impfstoff. Die neutralisierenden Antikörperspiegel gegen frühere Varianten beziehungsweise das Ursprungsvirus fallen beim monovalenten Impfstoff aber geringer aus. Die Frage ist nun: Braucht man überhaupt noch einen Schutz gegen frühere Varianten? Daher ist es schwer, einen klaren ‚Sieger‘ zu küren. Beide Impfstoffkandidaten erfüllen die Vorgaben der Zulassungsbehörden. Klar ist: Sowohl der monovalente als auch der bivalente Impfstoff erzeugen höhere neutralisierende Antikörperspiegel gegen Omikron als ein Booster mit dem Originalimpfstoff. Daher schaffen Sie einen besseren Schutz gegenüber Omikron.“

Auf die Frage, ob eine Omikron-Komponente grundsätzlich in allen künftigen Auffrischungsimpfungen zu empfehlen ist:
„Ja. Omikron ist die vorherrschende Variante. Niemand kann voraussagen, wie lange das noch so sein wird und ob eine nächste Variante Ähnlichkeiten mit früheren Varianten oder Omikron hat. Daher gibt eine Omikron-Komponente in Auffrischungsimpfungen aktuell den besten Schutz.“

Auf die Frage, womit Ungeimpfte ab Herbst erstgeimpft werden sollten:
„Bei Ungeimpften erzeugt ein monovalenter BA.1-Impfstoff zwar gute Antikörperspiegel gegen Omikron, jedoch kaum Schutz gegen frühere Varianten. Daher sollten Ungeimpfte bevorzugt den bivalenten Impfstoff oder eine Impfserie aus Original-Prime und Omikron-Boost bekommen.“

Auf die Frage, welche zusätzlichen Daten erforderlich wären, um eine aktualisierte Zusammensetzung der Impfstoffe der ersten Generation zu empfehlen:
„Die Verträglichkeit der angepassten Impfstoffe scheint vergleichbar mit den Originalimpfstoffen zu sein. Daten zur Neutralisation von BA.5 liegen im Ansatz bereits vor, müssten aber noch vervollständigt werden. Ansonsten sind aber alle Daten vorhanden. Einen direkten Vergleich zwischen Biontech und Moderna wird es erst bei der Anwendung geben.“

Auf die Frage, inwieweit ein beschleunigtes Zulassungsverfahren aktualisierter Vakzine, bei denen lediglich Labor- beziehungsweise Tierversuchsdaten oder Immunobridging-Studien vorliegen, zu bewerten ist:
„Sowohl Moderna als auch Biontech könnten die angepassten Impfstoffe sofort (Biontech) oder ab Juli/August (Moderna) ausliefern. Das Problem ist die Dauer des Zulassungsverfahrens. So hat Biontech sogar Daten zu einem an BA.5 angepassten Impfstoff gezeigt, der auch besser gegen diese aktuelle Variante schützen würde. Diese Daten sind aber bisher nur aus Mäusen. Da das Virus sich aktuell noch schneller verändert als das Zulassungsverfahren reagieren kann, wäre es für die Zukunft zu begrüßen, wenn man zu einem Verfahren kommt, das schneller reagieren kann. Bei der Grippeimpfung wird der jährliche Impfstoff ja nicht auch noch vorher in Studien getestet.“

Prof. Dr. Peter Kremsner

Direktor des Instituts für Tropenmedizin, Reisemedizin und Humanparasitologie, Universitätsklinikum Tübingen

„Der Schritt der FDA, den Herstellern künftig zu empfehlen, eine Omikron-Komponente in ihre Booster-Impfungen mit aufzunehmen, ist absolut nachvollziehbar. Omikron ist die dominierende Variante, die mit einer Vakzine auch gezielt angepeilt werden sollte. Diesbezüglich scheint die FDA eher einen bivalenten Impfstoff zu bevorzugen. Insbesondere für die Auffrischimpfungen wäre aber auch eine monovalente Version denkbar. Denn wer bereits die Grundimmunisierung erhalten hat, braucht beim Booster nicht noch einmal gegen das Ursprungsvirus, das ja im bivalenten Impfstoff enthalten ist. Mehr ist immunologisch nicht automatisch immer besser. Aber im Rahmen des `Expanded Programme on Immunization` verimpfen wir ja auch zum Beispiel sehr viele Antigene gleichzeitig an Kinder weltweit. Auch in der Reisemedizin verimpfen wir vieles gleichzeitig. Das funktioniert sehr gut.“

„Eine knifflige Frage dürfte die Logistik beziehungsweise die rasche Herstellung der Vakzine sein – vor allem wenn eine BA.4/BA.5-Komponente im besten Fall enthalten sein soll. Aber hier sind wir auf die Hersteller angewiesen. Wenn im Herbst nur ein angepasster Impfstoff mit BA.1-Bestandteilen vorliegt, dann ist das eben so. Auch dieser ist als Booster besser als die herkömmliche Vakzine. Ich würde jedem, der sich auffrischen lassen möchte, raten, einen an Omikron angepassten Impfstoff zu wählen. Ich selbst warte jetzt darauf. Wir wissen natürlich nicht, welche Variante uns vielleicht im Winter überrascht, aber es ist wahrscheinlich, dass sie von Omikron ausgeht.“

„Wir sehen jetzt, dass die bisherigen Impfstoffe keinen ausreichenden Schutz vor milden Verläufen bieten. Und wenn wir die Krankheitslast in der Bevölkerung durch die angepassten Vakzine senken können, womöglich auch nur vorübergehend, sollten wir das tun. Wir sehen es ja gerade wieder eindrücklich: Die Inzidenzen steigen stark. Es infizieren sich einfach sehr viele und auch Geimpfte erneut.“

Auf die Frage, wie der Fokus auf neutralisierende Antikörper in den Impfstoffstudien zu bewerten ist:
„Das ist ein wichtiger Punkt, den man stets berücksichtigen muss. Antikörpertiter sind nur ein Teil der Immunantwort. Daten zu T-Zellen sind ebenso erforderlich. Mit Blick auf die Schwere der Krankheitsverläufe sind sie sogar sehr wichtig. In jedem Fall braucht es klinische Daten. Mäusestudien, wie sie Pfizer jetzt auch mit einem BA.4/BA.5-Impfstoff vorgestellt hat, helfen uns überhaupt nicht. Viel zu oft kommt es nach Mäusestudien in der Klinik dann zu ganz anderen Ergebnissen. Ich verstehe hier auch nicht so recht, warum Pfizer und Biontech nicht auf klinische Phase-1-Studien setzen. Die sind deutlich aussagekräftiger als Mäusestudien.“

Prof. Dr. Onur Boyman

Direktor der Klinik für Immunologie, Universitätsspital Zürich, Schweiz

„Für eine Anpassung der gängigen COVID-19-Impfstoffe spricht, dass gewisse SARS-CoV-2-Varianten die Mehrzahl der Ansteckungen ausmachen. So sind das vor allem die Omikron-Varianten BA.2, BA.4 und BA.5 in Europa, Nordamerika und Südafrika. Dabei können Corona-Impfstoffe entweder als monovalente oder bivalente Impfstoffe formuliert werden. Monovalente Impfstoffe zielen nur auf eine Virusvariante des CoV-2, während bivalente Impfstoffe eine Kombination aus dem ursprünglichen Virus und einer Omikron-Variante anpeilen. Für eine monovalente Vakzine spricht, dass gewisse Daten einen stärkeren Schutz nach einem monovalenten im Vergleich zu einem bivalenten Impfstoff zeigten. Ein bivalenter Impfstoff hingegen hat den Vorteil, dass er breiter schützt. Aufgrund der aktuellen Diskussionen der Expertinnen und Experten ist eher davon auszugehen, dass ein bivalenter Impfstoff gegen den ursprünglichen CoV-2-Virus und die Omikron-Variante bevorzugt wird, insbesondere bei Menschen, die bisher noch nicht oder ungenügend geimpft waren. Ein monovalenter Impfstoff käme am ehesten als Auffrischimpfung bei Personen in Frage, die bereits mit den derzeit verfügbaren Vakzinen geimpft sind.“

Auf die Frage, ob eine Omikron-Komponente grundsätzlich in allen künftigen Auffrischungsimpfungen zu empfehlen ist:
„In einer bivalenten Impfung, die gegen das ursprüngliche CoV-2-Virus und die Omikron-Variante gerichtet ist, würde der Zusatz einer Omikron-Komponente durchaus Sinn machen. Die Frage, welche Omikron-Variante gewählt werden sollte, ist schwieriger zu beantworten und wird auch derzeit kontrovers von den Expertinnen und Experten diskutiert. Manche sagen, dass die derzeit am häufigsten vorkommende Omikron-Variante, das heißt BA.4 oder BA.5, verwendet werden sollte. Andere argumentieren, dass diejenige Omikron-Variante gewählt werden soll, die sich am meisten vom ursprünglichen CoV-2-Virus unterscheidet und somit in einer bivalenten Impfung die größte Breite an Virusmöglichkeiten abdeckt.“

Auf die Frage, womit Ungeimpfte ab Herbst erstgeimpft werden sollten:
„In der aktuellen Situation ist Ungeimpften am ehesten anzuraten, sich mit den derzeit verfügbaren Impfstoffen impfen zu lassen. Nach wie vor zeigen die verfügbaren Impfungen einen guten Schutz gegen einen schweren Verlauf von COVID-19.“

Auf die Frage, welche zusätzlichen Daten erforderlich wären, um eine aktualisierte Zusammensetzung der Impfstoffe der ersten Generation zu empfehlen:
„Das ist eher schwierig (vorher) zu sagen. Wir werden die aufgrund der derzeitigen Erkenntnisse beste Strategie wählen und danach aufmerksam beobachten müssen.“

Auf die Frage, inwieweit ein beschleunigtes Zulassungsverfahren aktualisierter Vakzine, bei denen lediglich Labor- beziehungsweise Tierversuchsdaten oder Immunobridging-Studien vorliegen, zu bewerten ist:
„Ein beschleunigtes Zulassungsverfahren sollte in Betracht gezogen werden, wenn vielversprechende Daten vorliegen und – sehr wichtig – keine Bedenken bezüglich der Sicherheit und Verträglichkeit der Vakzine herrschen.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Alle: Keine Angaben erhalten.

Primärquelle

[I] U.S. Food and Drug Administration (28.06.2022): Vaccines and Related Biological Products Advisory Committee June 28, 2022 Meeting Announcement. Anhörung.