Zum Hauptinhalt springen
21.08.2023

Gefahr durch Wärme: Messen und warnen bei Hitzestress

     

  • Hitzewellen können die Gesundheit stark gefährden
  •  

  • Empfehlungen und Warnungen sind abhängig von bestimmten Mess- und Grenzwerten
  •  

  • Forschende erläutern unterschiedliche Kennzahlen und Auswirkungen von Hitze auf den Menschen
  •  

Hitzewellen sind schon lange nicht mehr nur ein Phänomen südlicher Breitengrade. Einige Teile Europas sind abermals seit Wochen betroffen, der vergangene Juli gilt als der heißeste Monat seit Beginn moderner Aufzeichnungen [I]. Die hohen Temperaturen bringen viele Gefahren mit sich, darunter auch gesundheitliche, die besonders bei Risikogruppen bis zum Tod führen können. Um die Zahl der hitzebedingten Todesfälle zu senken, hat Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach Ende Juli Maßnahmen in einem nationalen Hitzeschutzplan vorgestellt [II]. Im Vordergrund stehen eine bessere Information der Bevölkerung und Warnungen für Risikogruppen.

Die Einschätzung, ab wann Hitze für wen gefährlich werden kann und ab wann gewarnt wird, basiert auf verschiedenen Mess- und Grenzwerten. Um zum Beispiel die Gefahren durch Hitzestress auf den Körper einschätzen zu können, wird weltweit am häufigsten die sogenannte Wet Bulb Globe Temperature (WBGT) als Index verwendet. Sie setzt sich zusammen aus der normalen Lufttemperatur, der Schwarzkugeltemperatur, die die Sonnenstrahlungswärme misst, und der Wet Bulb Temperatur [III]. Letztere, auch Feuchtkugeltemperatur oder Kühlgrenztemperatur genannt, hat dabei den größten Einfluss auf die WBGT. Sie ist abhängig von der Luftfeuchtigkeit und beschreibt die tiefste Temperatur, die sich in einer bestimmten Umgebung durch Verdunstung und Abkühlung noch erreichen lässt – bei Menschen also zum Beispiel durch Schwitzen. Ist sie über einen längeren Zeitraum zu hoch, über etwa 35 Grad Celsius, werden die körpereigenen Kühlungsprozesse gestört und der Körper kann überhitzen [IV]. Neben dem Standardmaß WBGT gibt es noch viele andere Mess- und Grenzwerte zur Bewertung der Hitzebelastung für den Menschen.

Das SMC hat Forschende verschiedener Disziplinen dazu befragt, wie sich Hitzestress konkret auf die Gesundheit auswirkt, welche Messwerte in der aktuellen Forschung sowie zur Beurteilung von Hitzebelastung relevant sind und welche Rolle sie bei Hitzefrühwarnsystemen und Schutzplänen spielen.

Übersicht

     

  • Prof. Dr. Andreas Matzarakis, Leiter des Zentrums für Medizin-Meteorologische Forschung Freiburg (ZMMF), Deutscher Wetterdienst (DWD), Offenbach, und Außerplanmäßiger Professor an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
  •  

  • Prof. Dr. Henny Annette Grewe, Professorin am Fachbereich Pflege und Gesundheit, Hochschule Fulda – University of Applied Sciences
  •  

  • Dr. Daniel Vecellio, Postdoctoral Research Scholar Virginia Climate Center, George Mason University, Virginia, Vereinigte Staaten
  •  

  • Dr. Julia Schoierer, Leitung der AG Globale Umweltmedizin und Klimawandel, Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU), München
  •  

  • Prof. Dr. Petra Arck, Arbeitsgruppenleiterin an der Klinik und Poliklinik für Geburtshilfe und Pränatalmedizin und Professorin für Experimentelle Fetomaternale Medizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
    und Prof. Dr. Anke Diemert, Oberärztin und stellvertretende Klinikdirektorin an der Klinik für Geburtshilfe und Pränatalmedizin und Professorin für Hebammenwissenschaft, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE)
  •  

  • Prof. Dr. Christian Witt, Facharzt für Innere Medizin, Schwerpunkt Pneumologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin, und Seniorprofessor der Charité
  •  

  • Prof. Dr. Hanns-Christian Gunga, Stellvertretender Direktor, Zentrum für Weltraummedizin und Extreme Umwelten, Charité – Universitätsmedizin Berlin
  •  

Statements

Prof. Dr. Andreas Matzarakis

Leiter des Zentrums für Medizin-Meteorologische Forschung Freiburg (ZMMF), Deutscher Wetterdienst (DWD), Offenbach, und Außerplanmäßiger Professor an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

Gesundheitliche Folgen von Hitze

„Die physiologischen Reaktionen des Menschen bei Hitze sind sehr unterschiedlich. Die gesundheitlichen Folgen von Hitze sind vielfältig und decken ein breites Spektrum ab: Überforderung der Thermoregulation, Hitzeerschöpfung, Hitzekrämpfen, Kreislaufkollaps oder Multiorganversagen, was bis zum Tod führen kann. Es kann nicht an einer bestimmten Temperatur festgemacht werden, weil etwa 70 Faktoren hier eine Rolle spielen. Neben Temperatur, Feuchte, Windbewegung und Sonnenstrahlung spielen thermo-physiologische Faktoren wie Aktivität, Bekleidung, Alter, Gewicht, Geschlecht, aber auch Gesundheitsstatus sowie Krankheitsgeschichte eine Rolle [1] [2].“

Die Wet Bulb Globe Temperature und andere Messgrößen

„Die Wet Bulb Globe Temperature (WBGT) ist eine einfache und empirische Größe zur Bestimmung von Hitzestress auf Menschen. Sie berücksichtigt keine Thermo-Physiologie, beziehungsweise Reaktionen des menschlichen Körpers bei Hitze. Sie basiert auf der Lufttemperatur, Luftfeuchte und Strahlung, wobei es ein einfacher linearer Ansatz ist. Als Maß kann sie nur in Kombination mit Mortalitätsdaten oder Umfragen zur Hitze verwendet werden. Sie wurde entwickelt, um Hitze in Innenräumen, vor allem für militärische Zwecke, zu bestimmen und es wurde mehrmals der Versuch unternommen, sie auch für Außenräume zu modifizieren. Das Konzept der Globe Temperature, zu Deutsch Schwarzkugeltemperatur (misst die Strahlungswärme; Anm. d. Red.), führt aufgrund schwankender Einflüsse der Luftbewegung sowie die thermischen Eigenschaften des Materials der Kugel jedoch meist zu einer Überschätzung der Sonnenstrahlung [2] [3].“

„Es existieren geeignetere Ansätze, wie die gefühlte Temperatur oder der Universal Thermal Climate Index, die eine Bestimmung des Einflusses der thermischen Umgebung von kalt bis heiß erlauben. Sie berücksichtigen neben der Lufttemperatur, Luftfeuchte, Windbewegung und Sonnenstrahlung auch thermo-physiologische Prozesse und Reaktionen (zum Beispiel Schwitzen) des menschlichen Körpers [4] [5]. Frühwarnsysteme und langfristige Maßnahmen für Städte und Kommunen sollten das Ziel sein [6].“

Hitzefrühwarnsysteme

„Zum Schutz der Bevölkerung, vor allem der Risiko- und vulnerablen Bevölkerungsgruppen, sind Frühwarnsysteme wie ein Hitzewarnsystem in Deutschland notwendig. Hitzewarnungen werden vom Deutschen Wetterdienst seit 2005 herausgegeben [7]. Aktuell umfassen die Warnungen die Tage ,heute‘ und ,morgen‘. In der Warnung wird nach der Intensität der Belastung (starke oder extreme Wärmebelastung) unterschieden. Die Warnungen werden auf Warnkreisebene (in der Regel identisch mit den Landkreisen) herausgegeben unter Berücksichtigung der verschiedenen Höhenstufen in einem Warnkreis.“

„Hitzewarnungen basieren auf der gefühlten Temperatur – für die Belastung am Tag – und einer modellierten Innenraumtemperatur – für die Belastung in der Nacht. Für beide Parameter existieren regional spezifische Schwellenwerte, die überschritten werden müssen, damit eine Warnung herausgegeben werden kann. Bei der Schwelle für die gefühlte Temperatur wird zudem der Effekt der kurzfristigen Anpassung berücksichtigt, das heißt, die Schwellenwerte variieren in Abhängigkeit der Witterung der vorausgegangenen Wochen. In den Warnungen wird darüber hinaus der Effekt der städtischen Wärmeinsel und das veränderte Temperaturempfinden von älteren und pflegebedürftigen Menschen berücksichtigt [8] [9].“

Prof. Dr. Henny Annette Grewe

Professorin am Fachbereich Pflege und Gesundheit, Hochschule Fulda – University of Applied Sciences

Gesundheitliche Folgen von Hitze

„Die physiologischen Grenzen des menschlichen Körpers in Bezug auf Hitze sind nicht genau bekannt, insbesondere nicht für unterschiedliche Altersgruppen, Geschlechter und körperliche Voraussetzungen wie zum Beispiel chronische oder akute Vorerkrankungen. Aus unserem gegenwärtigen Wissen über die menschliche Thermophysiologie lassen sich für gesunde Erwachsene thermische Grenzwerte ableiten, wobei man davon ausgehen muss, dass die Thermoregulation bei älteren, ganz jungen und eben vorerkrankten Menschen schon bei niedrigeren Werten versagt.“

„Gesunde Erwachsene können ihre Körperkerntemperatur nur in physiologischen Bereichen halten, wenn wir überschüssige Wärme nach außen abgeben können. Dies passiert bei Umgebungstemperaturen ab etwa 30 Grad Celsius im Wesentlichen durch Schwitzen. Drei wichtige Voraussetzungen müssen dafür gegeben sein. Erstens muss ein Temperaturgefälle von unserem Körperkern hin zur Haut bestehen, damit Wärme überhaupt an die Körperoberfläche transportiert wird und Schweiß dort verdunstet. In angenehm warmer, also nicht heißer Umgebung ist die Hauttemperatur ein paar Grad niedriger als die Körperkerntemperatur und liegt bei etwa 33 bis 35 Grad Celsius. Zweitens muss genug Flüssigkeit im Körper vorhanden sein, um überhaupt hinreichend Schweiß zu produzieren. Kurzfristig können gesunde Erwachsene mehr als zwei Liter Schweiß pro Stunde produzieren. Der gegebenenfalls erhebliche Flüssigkeitsverlust durch Schwitzen muss aber ständig ersetzt werden, damit der Körper nicht überhitzt. Und drittens: Unser Schweiß, der verdunstende Schweiß, muss noch als Wasserdampf in die Luft ‚hineinpassen‘, das heißt, die Luft darf nicht wasserdampfgesättigt sein.“

Körperliches Hitzelimit

„Sicher ist, dass bei 37 Grad Celsius Umgebungstemperatur und 100 Prozent relativer Luftfeuchtigkeit selbst gesunde Erwachsene nur kurzfristig überleben können, weil dann über Schwitzen keine Wärme mehr abgegeben werden kann, also auch nicht die Wärme, die durch Stoffwechselvorgänge auch in Ruhe entsteht.“

„Eine theoretische Ableitung, die das notwendige Temperaturgefälle vom Körperkern zur Haut berücksichtigt, geht davon aus, dass bereits Umgebungstemperaturen ab 35 Grad in der Kombination mit 100 Prozent relativer Luftfeuchte, also ab einer Kühlgrenztemperatur von 35 Grad, nicht auf Dauer mit dem menschlichen Leben vereinbar sind [11]. Und kürzlich haben Klimakammer-Untersuchungen gezeigt, dass es bereits bei einer Kühlgrenztemperatur von etwa 31 Grad zu nicht kompensierbarem Hitzestress bei jungen, gesunden Erwachsenen kommt [11].“

„In Deutschland wird es vorerst wahrscheinlich nicht zu Kühlgrenztemperaturen kommen, die mit dem menschlichen Leben nicht vereinbar sind. Andere Regionen der Welt, in denen es schon jetzt bei hoher Luftfeuchtigkeit sehr heiß ist, könnten in absehbarer Zukunft betroffen sein, und wenn dies eintritt, betrifft das aufgrund von Migration die ganze Welt, also auch uns.“

Die Wet Bulb Globe Temperature

„Man muss zwischen Wet Bulb Globe Temperature (WBGT) und Wet Bulb Temperature, also Kühlgrenztemperatur, unterscheiden. Wet Bulb Globe Temperature ist ein sogenanntes Klimasummenmaß für den Außenbereich, in das die Lufttemperatur und die relative Luftfeuchte, aber auch die Strahlungstemperatur der Sonne und die Windgeschwindigkeit eingehen. Gemessen werden die aktuelle Temperatur eines Thermometers, um das herum durch Befeuchtung Wasserdampfsättigung, also 100 Prozent relative Luftfeuchtigkeit hergestellt wird und das natürlich belüftet wird (Tnb), zudem die Temperatur in einer Schwarzen Kugel, die aus der solaren Einstrahlung resultiert (Tg), sowie die aktuelle Temperatur eines natürlich belüfteten, nicht befeuchteten Thermometers (Ta). Aus diesen drei Messparametern wird die WBGT nach der Formel ‚WBGT = 0,7 x Tnb + 0,2 x Tg + 0,1 x Ta‘ berechnet. Je nach Ausmaß der körperlichen Anstrengung, durch die ja zusätzlich eine Wärmebelastung des Organismus stattfindet, werden unterschiedliche WBGT-Schwellenwerte für Hitzestress angegeben. Werden die Temperatur-Parameter korrekt gemessen, kann unter Kenntnis des Ausmaßes der zu erwartenden körperlichen Belastung zum Beispiel bei sportlichen Ereignissen oder im Arbeitskontext grob abgeschätzt werden, ob diese körperliche Aktivität unter den jeweiligen Umgebungsbedingungen mit einem erhöhten Risiko für hitzebedingte Gefährdungen einhergeht. Da die WBGT wesentliche Parameter, unter anderem die eingeschränkte Wärmeabgabemöglichkeit bei isolierender Bekleidung oder bei Windstille, nicht berücksichtigt, ist die Vorhersagegenauigkeit allerdings beschränkt.“

Hitzefrühwarnsysteme und Wärmeschutz

„Mit der gefühlten Temperatur, dem Modell des Klima-Michel und der Berücksichtigung hoher Nachttemperaturen hat der Deutsche Wetterdienst (DWD) bereits einen komplexen Vorhersagealgorithmus entwickelt. Es wird jedoch auch mit noch so ausgefeilten Modellen nicht gelingen, das jeweilige individuelle Risiko für die jeweilige thermische Umgebung zum jeweiligen Zeitpunkt vorherzusagen. Um hitzebedingte Gesundheitsrisiken zu minimieren, ist daher auch thermophysiologische Forschung notwendig, deren Ergebnisse in verbindliche Grenzwertsetzungen zum Beispiel für Innenraumtemperaturen in Alten- und Pflegeheimen, Arbeitsstätten oder auch Wohnungen münden sollten. Wir müssen den sommerlichen Wärmeschutz von Gebäuden verbessern und wir müssen uns darauf einstellen, viele Gebäude kühlen zu müssen. Dies alles ohne zusätzlichen CO2-Fußabdruck und dazu noch bezahlbar hinzubekommen, auch im Bestandsbau, ist eine große Herausforderung für Forschung und Innovation.“

Dr. Daniel Vecellio

Postdoctoral Research Scholar Virginia Climate Center, George Mason University, Virginia, Vereinigte Staaten

Körperliches Hitzelimit

„Fragt man nach den physiologischen Grenzen des Körpers in Bezug auf Hitze lautet die kurze Antwort: Es kommt darauf an. In einer Arbeit von Sherwood und Huber aus dem Jahr 2010 wurde die Theorie aufgestellt, dass die Obergrenze bei einer Wet Bulb Temperatur von 35 Grad Celsius liegt [10]. Unsere empirische Studie aus dem Jahr 2022 ergab, dass bei jungen, gesunden, nicht akklimatisierten Probanden die Wet Bulb Temperatur unter warmen, feuchten Bedingungen bei circa 30,6 Grad Celsius liegt und mit zunehmender Hitze und Trockenheit abnimmt [11]. Dieser Grenzwert wird jedoch von vielen Faktoren beeinflusst. Der Grad der Hitze-Akklimation (Reaktion auf einen bestimmten Stressor; Anm. d. Red.) und/oder Akklimatisation (Reaktion auf einen Komplex mehrerer gleichzeitiger Stressoren; Anm. d. Red.) kann diesen Grenzwert erhöhen oder senken. Die Menge an körperlicher Aktivität trägt ebenfalls dazu bei, denn mehr körperliche Aktivität bedeutet mehr Wärme, die abgeführt werden muss. Alter, Kleidung, körperliche Fitness und eingenommene Medikamente sind weitere Faktoren, die diese Grenzwerte verändern können.“

„Bei Hitzestress erhöht sich bei Menschen die Durchblutung der Haut, um die im Körperkern gespeicherte Wärme in die Peripherie des Körpers zu transportieren und an die Umgebungsluft abzugeben. Der wichtigste physiologische Mechanismus zur Kühlung bei extremer Hitze ist jedoch die Verdunstung von Schweiß auf der Hautoberfläche.“

Die Wet Bulb Globe Temperatureund andere Messgrößen

„Die WBGT, die sich von der Wet Bulb Temperatur unterscheidet, ist ein Maß für Hitzestress, das die Auswirkungen von Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Strahlung (und Wind, jedoch indirekt) auf den menschlichen Körper berücksichtigt. Da es die Auswirkungen von Sonnen- und Wärmestrahlung (also Infrarotstrahlung) berücksichtigt, ist es ein vorteilhaftes Maß für den Einsatz im Freien. Eine Einschränkung besteht darin, dass es bei der Prüfung von US-Militärauszubildenden entwickelt wurde, sodass die angegebenen WBGT-Grenzwerte möglicherweise nicht auf alle Bevölkerungsgruppen anwendbar sind.“

„Die Wet Bulb Temperaturen, die mit der Grenze der physiologischen Toleranz gegenüber extremer Hitze verbunden sind, treten in Regionen wie Südasien und dem Nahen Osten bisher nur selten für ein oder zwei Stunden auf. Da sich das Klima jedoch weiter erwärmt, werden die Schwellenwerte in Zukunft immer häufiger überschritten werden.“

„Der Hitzeindex, der auf der scheinbaren Temperatur basiert, wird vom National Weather Service der Vereinigten Staaten verwendet, um die kombinierten Auswirkungen von Hitze und Feuchtigkeit zu quantifizieren. Der Hitzeindex basiert jedoch nicht auf physiologischen Grundlagen, sondern ist eher ein Wahrnehmungsmaß. Insgesamt gibt es über 100 Messgrößen oder Indizes, die helfen, die Auswirkungen der Umwelt auf den menschlichen Körper zu bestimmen. Einige sind leicht zu verstehen, andere beruhen auf komplizierten biophysikalischen Modellen.“

Forschungsbedarf

„Die Forschungsarbeiten, die wir an der Pennsylvania State University durchgeführt haben, helfen uns dabei, die Grenzen von Hitzestress unter einer Reihe von Bedingungen herauszufinden. Auch andere Labore auf der ganzen Welt befassen sich mit der Vorhersage von Hitzestress und der Beeinträchtigung der Arbeitsproduktivität unter extremen Hitzebedingungen. Es müssen jedoch noch mehr Daten in verschiedenen Bevölkerungsgruppen gesammelt werden, um ein ganzheitlicheres Bild davon zu erhalten, wie sich Hitzestress auf verschiedene Menschen auswirkt.“

Dr. Julia Schoierer

Leitung der AG Globale Umweltmedizin und Klimawandel, Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU), München

Körperliches Hitzelimit

„Der Körper reagiert mit Kühlmechanismen auf Hitzestress – die Wärmeabgabe über die Haut sowie Schwitzen, was durch die Verdunstungskühlung eine Entlastung des Körpers bedeutet. Bei hoher Luftfeuchtigkeit bringt die Verdunstungskühle nicht den notwendigen Erfolg. Sehr hohe Temperaturen in Kombination mit hoher Luftfeuchte sind somit besonders gefährlich.“

Messgrößen zur Beurteilung von Hitze

„Der Deutsche Wetterdienst beschreibt die Messgrößen wie Temperatur, Luftfeuchte, Strahlung und Wind, die, wenn es um die thermische Belastung geht, zusammen gedacht werden müssen. Nur die Außentemperatur als Messwert für Hitzebelastung heranzuziehen, ist nicht ausreichend. In unserer Arbeit zur Erfassung der gesundheitlichen Belastungen durch Hitze von bestimmten Personengruppen müssen auch Messgrößen wie Luftfeuchte und Strahlung berücksichtigt werden. Und dann kommt noch eine Vielzahl weiterer Risikofaktoren hinzu, die Hitzebelastungen erhöhen, physiologische wie soziale. Zu nennen wären hier unter anderem hohes Alter, der Gesundheitszustand, der Stand der Akklimatisierung, die Beschäftigung (Arbeitskleidung, Schwere der Arbeit, direkte Hitzeexposition, Dienstzeiten, Arbeitsweg) und das Wohnumfeld.“

„Die Forschungen, die hier am Klinikum in unserer Arbeitsgruppe laufen, betrachten die Hitzebelastungen insbesondere von bestimmten Tätigkeitsfeldern, derzeit aus dem Pflege- und Gesundheitssektor, der Handwerksbranche sowie von Büromitarbeitenden. Wir arbeiten mit Messgrößen wie Temperatur und Luftfeuchte, aber auch mit der Arbeitsschwere, dem Arbeitsplatz, dem Arbeitsweg sowie dem Wohnumfeld. Aber auch körperliche Faktoren spielen natürlich eine wichtige Rolle. Man sieht: Hitzebelastungen müssen sehr differenziert betrachtet werden und in der Folge auch die Anpassungen. Hier braucht es noch einiges an Forschung.“

„Aus unseren bisherigen Erkenntnissen werden Schutzmaßnahmen abgeleitet, die das Gesundheitsrisiko senken und die Leistungsfähigkeit trotz Hitzebelastungaufrechterhalten sollen. Dabei geht es auch viel um Kommunikation und Verantwortlichkeiten, aber natürlich auch um Vorbereitungen auf Hitzeereignisse. Insofern sind Vorhersagen von Hitzebelastungen individualisiert für bestimmte Tätigkeitsfelder oder Personengruppen ein wichtiger Aspekt des Hitzeschutzes.“

Hitzefrühwarnsysteme

„Die Temperaturen steigen und führen zu mehr Hitzeereignissen in Deutschland. Zusammen mit hoher Luftfeuchte wird das zunehmend eine realistische Gefahr für unsere Gesundheit. Auch vor dem Hintergrund, dass wir auf diese Extreme noch nicht vorbereitet sind und nicht ausreichend Schutzmaßnahmen umsetzen. Hitzeaktionspläne in Kommunen sind ein wichtiger Schritt, aber auch ein Hitzeschutzplan, der im ersten Schritt erstmal die hochvulnerablen Bereiche wie die Pflege in den Blick nimmt und sich dann aber natürlich auch breit aufstellt. Hitze betrifft alle und eine Vielzahl von uns ganz besonders, wenn wir zum Beispiel auch an Draußenarbeitende denken oder an Tätigkeitsbereiche wie die Feuerwehr, Rettungsdienste, Polizei. Das HitzeService-Portal, das unter anderem am Klinikum der LMU München erstellt wurde, ist zum Beispiel ein wichtiges Instrumentfür Kommunen, um Hitzeschutzmaßnahmen umzusetzen [12].“

Prof. Dr. Petra Arck

Arbeitsgruppenleiterin an der Klinik und Poliklinik für Geburtshilfe und Pränatalmedizin und Professorin für Experimentelle Fetomaternale Medizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf

Prof. Dr. Anke Diemert

Oberärztin und stellvertretende Klinikdirektorin an der Klinik für Geburtshilfe und Pränatalmedizin und Professorin für Hebammenwissenschaft, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE)

Hitzestress in der Schwangerschaft und bei Kindern

„Schwangere Frauen gehören zu den Personengruppen, die besonders von Hitzestress betroffen sind. Dies wird durch viele verschiedene Faktoren bedingt: Besonders die Thermoregulation, die Aufrechterhaltung einer konstanten Körpertemperatur, ist während der Schwangerschaft herausfordernd. Ist eine schwangere Frau über einen Zeitraum von mehreren aufeinanderfolgenden Tagen hohen Temperaturen ausgesetzt, kann dies den Schwangerschaftsverlauf beeinträchtigen und das relative Risiko für Früh- und Fehlgeburten erhöhen. Auch ein erhöhtes Risiko für die Entstehung von angeborenen Herzfehlern und ein zu niedriges Geburtsgewicht wurden in diesem Zusammenhang beschrieben [13]. Somit beeinflusst Hitzestress während der Schwangerschaft auch maßgeblich die Gesundheit der Kinder – zum Beispiel wird bei frühgeborenen Kindern ein erhöhtes Risiko für Infektionen, Asthma und Stoffwechselerkrankungen beobachtet [14].“

„Die Luftfeuchtigkeit ist neben der hohen Temperatur ein wichtiger Parameter, welcher im Hinblick auf Hitzestress berücksichtigt wird, da eine hohe Luftfeuchtigkeit die Wärmeabgabe erschwert und damit das Hitzeempfinden verstärken kann.“

Messgrößen zur Beurteilung von Hitzestress

„Die Messgrößen und Grenzwerte, die in der Forschung rund um Schwangerschaft und Hitzestress verwendet werden, sind noch sehr unterschiedlich. Eine der häufigsten Messgrößen stellen die durchschnittliche oder die maximale Tagestemperatur dar [13]. Ebenfalls inkludieren viele Studien die Luftfeuchtigkeit als Parameter, da diese das Hitzeempfinden beeinflusst.“

„Hinsichtlich der Grenzwerte wird primär zwischen absoluten und relativen Grenzwerten unterschieden. Hitzestress über einen absoluten Grenzwert zu definieren, bedeutet, dass jeder Tag, der den absoluten Wert von beispielsweise 30 Grad Celsius überschreitet, als ‚Hitzetag‘ beziehungsweise Hitzestress gilt. Unter relativen Grenzwerten versteht man, dass beispielsweise die zehn Prozent der heißesten Tage als ‚Hitzetage‘ beziehungsweise Hitzestress definiert werden. Die Frage welche Messgröße beziehungsweise welcher Grenzwert für welches Gesundheitsrisiko (zum Beispiel Frühgeburtlichkeit oder kardiovaskuläres Risiko) am geeignetsten ist, ist Gegenstand aktueller Forschung [15].“

„Die Wet Bulb Globe Temperature wird häufig dafür genutzt, um Hitzestress im Kontext von Berufskrankheiten zu bewerten und hitzebedingte Produktivitätseinbußen im Arbeitnehmerkontext abzuschätzen sowie Hitzeschutzempfehlungen für Sportler:innen abzuleiten [15].“

Maßnahmen gegen Hitzebelastungen in der Schwangerschaft

„Aus medizinischer Sicht ist die Aufklärung, welche Personengruppen von Hitze stark betroffen sind und welche Konsequenzen eine Hitzebelastung in bestimmten Situationen, beispielsweise während der Schwangerschaft, nach sich ziehen kann, von primärer Bedeutung. Studien zeigen, dass Maßnahmen gegen eine Hitzebelastung ergriffen werden, wenn sich die vulnerablen Personen der Risiken bewusst sind [16]. Zu den Maßnahmen gegen eine erhöhte Hitzebelastung zählt die ausreichende Aufnahme von Flüssigkeit, der Aufenthalt in kühlen Räumen oder im Schatten, lockere Kleidung und das Vermeiden von körperlich anstrengenden Aktivitäten. Im Kontext der Geburtshilfe und Pränatalmedizin könnte eine ausführlichere Aufklärung der werdenden Mütter im Rahmen der regulären Vorsorgeuntersuchungen in den Frühjahrs- und Sommermonaten eine große Rolle zukommen.“

„Zum anderen spielt bei der Kommunikation die Vermittlung der Informationen über Hitzewarnsysteme eine wesentliche Rolle. Die Verbreitung solcher Systeme, die Frühwarnungen und Maßnahmen zur Abmilderung der Hitze ausgeben, ist von hoher Relevanz, da diese nachweislich hitzebedingte Gesundheitsereignisse reduzieren [16].“

Prof. Dr. Christian Witt

Facharzt für Innere Medizin, Schwerpunkt Pneumologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin, und Seniorprofessor der Charité

Gesundheitliche Folgen von Hitze

„Die Reaktionen des menschlichen Organismus auf Hitzestress sind unterschiedlich. Zum einen gibt es eine relativ seltene direkte Gefäßreaktion, als Akutreaktion im Sinne eines Hitzekollapses beziehungsweise Hitzschlages. Denn für alle gilt, dass bei 26 Grad Celsius die Konzentration nachlässt, und ab 32 Grad Celsius ein deutlicher Leistungsabfall geschieht. Dann können auch jüngere Menschen bei Hitze Kreislaufprobleme bekommen. Bei Jugendlichen kommt hinzu, dass der Gefäßtonus noch nicht solide ist, wenn sie in kurzer Zeit schnell gewachsen sind. Das Herz muss den Körper plötzlich mit viel mehr Blut versorgen und kommt zeitweise nicht hinterher.“

Besonders gefährdete Gruppen

„Zum anderen, und hier wird es komplexer, führt wesentlich häufiger der Hitzestress zu einer Progression chronischer Grunderkrankungen, die zu einem Anstieg zum Beispiel der Morbidität von Atemwegskrankheiten (bis neun Prozent) durch Zunahme der Symptome, der Arbeitsunfähigkeit und der Hospitalisierung (Zunahme der Hospitalisierung von 4,3Prozent bei Anstieg der Temperatur um 10 Grad Fahrenheit im Sommer) führt. Die Mortalität steigt auch um drei bis sechs Prozentin Hitzeexpositions-Untersuchungen. Einfach gesagt: Kranke werden durch den Hitzestress und die Luftbelastung kränker, besonders in vulnerablen Patientengruppen mit Atemwegs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Nierenerkrankungen, Rheumaerkrankungen, Stoffwechselleiden sowie Patienten nach Organ- und Knochenmark-Transplantation. Aus diesem Konzept der erhöhten Vulnerabilität der Patientengruppen, die im Wesentlichen auf der reduzierteren adaptiven Kapazität des chronisch-kranken, zum Teil multimorbiden älteren Patienten fußt, lässt sich folglich eine präventive Konsequenz des Schutzes der Gruppe ableiten. Zum Beispiel mittels konsequenter ärztlicher Führung durch die Hitzewellen beziehungsweise Hitzeexpositionen, besonders in sogenannten Urban Heat Islands (innerstädtische Hitzeinseln). Daher ist die Identifizierung vulnerabler Gruppen besonders wichtig, um gezielte Schutzprogramme zu entwickeln [17].“

„Im Rahmen der klinischen Klimafolgenforschung besteht höchste Suszeptibilität (Empfindlichkeit; Anm. d. Red.) gegenüber Hitzestress bei chronisch-kranken, multimorbiden, mit mehreren Medikamenten behandelten, älteren Patienten. Dies hängt mit der Physiologie der Thermoregulation zusammen, welche Reserven für die Steigerung der Hautdurchblutung, Evaporation sowie Erhöhung von Herz- und Atemfrequenz erfordert, um Hitze aus dem Körper abzuleiten. Die Vulnerabilitätserhöhung wird nicht nur durch die Krankheit, zum Beispiel eine Herzinsuffizienz, verursacht, sondern auch durch deren Therapie, zum Beispiel durch Diuretika-Einnahme (entwässernde Medikamente; Anm. d. Red.) im Rahmen einer Dauermedikation, eben auch bei Dehydratation [18].“

„Die Vulnerabilität beziehungsweise auch Resilienz eines chronisch-kranken Patienten gegenüber Hitzeexpositionen, zum Beispiel bei Hitzewellen und Luftbelastung, hängt von drei Faktoren ab: erstens dem Ausmaß der Hitze- und Luftbelastung, zweitens seiner Suszeptibilität beziehungsweise Vulnerabilität der Patientengruppe und drittens seiner adaptiven Kapazität.“

„Einer besonders großen Hitzebelastung sind Personen ausgesetzt, die ungeschützt im Freien körperliche Arbeit verrichten wie Straßenarbeiten, Landwirtschaft, Lieferdienste und so weiter [19]. Bei Personen, die sich vorwiegend in Innenräumen aufhalten, spielt das Raumklima der Wohn- und Arbeitsräume die entscheidende Rolle [20].“

„Zum anderen steigt die Bedeutung der Umsetzung von Adaptationsstrategien bezüglich der Therapie von Exazerbationen (plötzliche Verschlechterung; Anm. d. Red.) beziehungsweise Dekompensationen (Versagen der körpereigenen Gegenregulations- und Reparaturvorgänge; Anm. d. Red.) der chronischen Grundkrankheiten, unter anderem stationäre Aufenthalte bei sogenannten Heat-Stress-assoziierten Exazerbationen beziehungsweise Dekompensationen in klimatisierten Krankenzimmern, Patienten-Tele-Monitoring und mit gegebenenfalls Klima-adaptierter Arzneimittel-Therapie, die die zusätzliche Hitzeexposition mit einbezieht.“

„Man weiß auch, dass zum Beispiel Ureinwohner in kühleren Regionen der Erde, etwa in Alaska, mehr Vulnerabilität, also weniger Resilienz gegenüber Hitzestress aufweisen als Bewohner wärmerer Gebiete, zum Beispiel in Texas.“

Luftbelastung als Co-Faktor

„Als Co-Faktoren zur Lufttemperatur spielt die Luftbelastung mit Feinstäuben, Stickoxyden und Ozon sowie auch mit Allergenen eine Rolle. Hier sind die Daten evident, dass eine erhöhte Luftbelastung naturgemäß in urbanen Räumen zu mehr Morbidität führt. Temperaturerhöhung und Luftbelastung müssen zusammen gesehen werden. Diese Luftbelastung triggert entzündliche Prozesse. Bereits 2007 hat der Weltklimarat prognostiziert, dass eine Temperaturerhöhung von mehr als zwei Grad Celsius zu mehr Morbidität und Mortalität bei Patienten mit chronischen kardio-respiratorischen Erkrankungen in den entwickelten Ländern der Nordhalbkugel führen wird.“

Messgrößen zur Beurteilung von Hitze

„Die physikalische Leitgröße bezüglich Hitzestress bei Patienten ist die Temperaturangabe der patientennahen beziehungsweise lokalen Wetterstation. Dazu kommen Messgrößen der Luftbelastung der Luftgüte-Messstationen. In manchen Studien wurde auch mit der gefühlten Temperatur gearbeitet. Wichtig erscheint in jüngsten Daten die Nachttiefsttemperatur. Wenn diese nicht unter 20 Grad sinkt, also tropische Nächte bestehen, hat dies einen evidenten Effekt auf Morbiditäts- und Mortalitätszunahmen. Hochrechnungen aus den USA zeigen, dass wir bei steigenden Temperaturen, also weiterer Erderwärmung im ungünstigsten Szenario ab 2050/2060 mehr vorzeitige Todesfälle in den USA haben werden als durch die Luftbelastung, die durch emissionsärmere Mobilität und Heizung abnehmen wird, es sich also in Richtung Hitzetod-Risiko umkehren wird. Die Endpunkte bei klinischen Studien sind Notfall-Konsultationen, Hospitalisierungen und Sterbefälle. Jüngst ist analog zu Extrapolationen bei Luftbelastungs-Vorhersagen der Endpunkt ‚Premature Death‘ (vorzeitige Todesfälle) berechnet worden, wobei hier unterschiedliche Definitionen bestehen.“

Anpassung durch Kühlungsmaßnahmen

„Innerhalb der nächsten Jahre wird der Anteil der vulnerablen Bevölkerung infolge der Erderwärmung sowie des demografischen Wandels wachsen. Deshalb ist die Vulnerabilität gegenüber Hitze unter anderem in Europa höher als in Südostasien und Afrika, was mit dem hohen Anteil älterer Menschen (42 Prozent älter als 65 Jahre) und dem höheren Urbanisierungsgrad von 77 Prozent in Europa erklärt wird [21]. Folglich ist die Entwicklung adaptiver Ansätze für Prävention und Therapie der Patienten mit chronischen Krankheiten erforderlich. Bereits 2011 wurde in Deutschland ein Adaptationsplan eingeführt, heute geht es um kommunale Hitzeschutzpläne, die auch vorsehen, dass Betroffene sich bei Hitzewellen in Kälteräumen erholen können. Einen wesentlichen Einfluss auf die adaptive Kapazität der Patienten hat ihre Eigenkompetenz im Umgang mit Symptomen, Handling der Bedarfsmedikation, Flüssigkeitsmanagement, Atemtechnik und Verhaltensregeln einschließlich Mobilität. Eine telemonitorische Betreuung hat einen protektiven Effekt hinsichtlich der Reduktion von Exazerbationen. Mit der Digitalisierung, inklusive der Einführung der Künstlichen Intelligenz (KI), eröffnen sich dafür neue Perspektiven.“

„Mit der Zunahme der Häufigkeit und Dauer von Hitzeperioden werden bauliche Maßnahmen zur Innenraumkühlung auch in Mitteleuropa notwendig werden, da die Hitzestressfolgen durch Klimatisierung um etwa 50 Prozent, als Faustregel, gemindert werden können (Einführung einer Art ‚Klimatisierungskultur‘). Während in Großbritannien mit 26 Grad Celsius eine Obergrenze der Zimmertemperatur für die Patientensicherheit festgelegt wurde, gibt es in Deutschland bisher keine Vorgaben. Wir haben in unserer Studie in der Charité die Temperatur in den Patientenzimmern auf 23 Grad Celsius eingestellt. Die Krankenhäuser in Deutschland verfügen bis auf OP-Bereiche und Intensivstationen nicht über eine hinreichende Klimatisierung, sodass auch bei innenliegendem Sonnenschutz und Isolierverglasung Temperaturen in Krankenzimmern über 28 Grad Celsius nicht selten vorkommen. Eigene Untersuchungen zeigten, dass Patienten mit Hitze-assoziierten Exazerbationen ihrer chronischen Lungenkrankheiten von einer konvektionsfreien Innenraumkühlung im Krankenhaus profitieren, sich schneller mobilisieren und bis zu einem Tag früher entlassen werden können. Die physiologische Erklärung für die verzögerte Rekonvaleszenz ist eine geringe oder fehlende nächtliche Reduktion von Herz- und Atemfrequenz durch Hitzebelastung in nicht gekühlten Patientenzimmern. Die Entwicklung von Konzepten zur Klima-adaptierten Arzneimitteltherapie ist ein erfolgversprechender Ansatz.“

„In unserer eigenen Studie an über 500 Patienten, die während der Sommermonate mit einer akuten Exazerbation der COPD in pneumologische Abteilungen Berliner Krankenhäuser aufgenommen wurden, deutet sich bisher die Einnahme von inhalativen Betamimetika als vulnerabilitäts-relevant an.“

Forschungs- und Handlungsbedarf

„Ein Schwerpunkt zukünftiger Forschung sollte in der bedarfsangepassten und energiesparenden Innenraumklimatisierung für vulnerable Gruppen liegen. Neben der technischen Innovation sind auch neue medizinische Behandlungskonzepte zu entwickeln, welche die klimaadaptierte Arzneimitteltherapie mit einbeziehen und die Eigenkompetenz chronisch kranker Patienten erhöhen.“

„Empfehlungen für die klinische Klimafolgenforschung sind zum einen bauliche Maßnahmen für Klima-adaptierte urbane Hospitale (Klimatisierung, passiver Hitzeschutz) und mehr Aus- und Fortbildung zu klinischen Folgen des Klimawandels und Luftschadstoffen. In Sachen Patientenführung sind die Aufklärung über Schutzmaßnahmen bei Hitze und hoher Schadstoffbelastung durch angepasstes Verhalten sowie eine Stärkung der Eigenkompetenz und des Selbstmanagements der Patienten durch Entwicklung digitaler Hilfsmittel in Kooperation mit ambulanten Ärzten, Kliniken und Krankenkassen (zum Beispiel Telemedizin, interaktive digitale Trainer, klimaadaptierte Arzneimitteltherapie) anzustreben. Und zuletzt Hitzeschutzpläne.“

Prof. Dr. Hanns-Christian Gunga

Stellvertretender Direktor, Zentrum für Weltraummedizin und Extreme Umwelten, Charité – Universitätsmedizin Berlin

Gesundheitliche Folgen von Hitze

„Der Mensch gehört zu den endothermen Organismen. Diese benötigen zur Aufrechterhaltung ihrer Lebensprozesse eine konstante Körpertemperatur mit nur geringer Streuungsbreite (+/- 0,5 Grad Celsius) im Körperkern mit seinen lebenswichtigen Organen Lunge, Herz, Leber, Nieren und Gehirn. Diese Körperkerntemperatur liegt bei 37 Grad Celsius. In den äußeren Schichten des Körpers wie der Haut und den Extremitäten ist die Temperatur unter Ruhebedingungen niedriger und kann zwischen 28 und 36 Grad Celsius variieren. Der Körper versucht normalerweise, einen Wärmetransport vom Körperkern zur Körperschale aufrechtzuerhalten, um die Temperaturunterschiede auszugleichen. Das individuelle Temperaturempfinden kann jedoch variieren und hängt nicht nur von der Lufttemperatur, sondern auch von Faktoren wie Luftfeuchtigkeit, Strahlungstemperatur und Windgeschwindigkeit ab. Durch eine Steigerung der Hautdurchblutung und/oder eine vermehrte Schweißabgabe (Evaporation) kann der Körper eine vermehrte Wärmeabgabe bei Hitzebelastung herbeiführen, um die Körperkerntemperatur konstant zu halten. Allerdings: Je höher die Luftfeuchtigkeit, umso schwieriger wird es durch Evaporation, den Körper zu kühlen, da der Schweiß dann nicht mehr auf der Hautoberflächliche verdunstet (Verdunstungskälte), sondern nur abtropft, was zu keiner Abkühlung des Körpers führt. Die Wet Bulb Globe Temperature (WBGT) berücksichtigt neben der Lufttemperatur die anderen genannten Umweltfaktoren, ist also nicht zu verwechseln mit der häufig genannten alleinigen Lufttemperatur. Im Bereich zwischen 22 und 28 Grad WBGT ist der gesunde, erwachsene Mensch noch in der Lage, anstrengende physische Arbeit zu verrichten, obgleich dies mit den ansteigenden WBGT-Temperaturen zunehmend schwieriger wird. Über 28 Grad WBGT nimmt die Leistungsfähigkeit rapide ab (pro Grad um circa 15 Prozent) und die Gefahr von Hitzeerkrankungen (Hitzekollaps, Hitzschlag) steigt. Dies droht bei älteren Personen und solchen mit Vorerkrankungen am Herz-Kreislaufsystem, der Lunge und oder der Nieren bereits bei 32 Grad WBGT oder auch darunter in Abhängigkeit vom Schweregrad der Erkrankung.“

Die Wet Bulb Globe Temperature

„Die WBGT berücksichtigt neben der Lufttemperatur die Strahlungstemperaturen, die Luftfeuchte und die vorherrschende Windgeschwindigkeit. Es gibt über 50 verschiedene Hitzestress-Indices, die WBGT ist aber unter Klima- und Umweltphysiologen die am häufigsten verwendete Größe und es liegen die meisten Untersuchungen zu den Auswirkungen von Hitzestress auf den Menschen basierend auf der WBGT in der wissenschaftlichen Literatur vor.“

Hitzefrühwarnsysteme

„Ein dichteres Netzwerk von meteorologischen Stationen – insbesondere in Stadtgebieten – wird eine bessere Beurteilung kleinräumlicher Klimate ermöglichen. Außerdem werden in Zukunft individuell getragene kleine, leichte, batteriegetriebene Messgeräte (,wearable‘) ein ,personalized monitoring‘ ermöglichen. Hier werden nicht-invasiv ermittelte Herz-Kreislaufdaten und Körpertemperaturen präventiv von besonderer Bedeutung sein und im Zusammenspiel mit klimatologischen Parametern gefährdete Personen frühzeitig vor zu großer Hitzebelastung warnen.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Prof. Dr. Andreas Matzarakis: „Ich habe keine Interessenkonflikte.“ 

Dr. Daniel Vecellio: „Ich habe keine Konflikte, die offengelegt werden müssen.“

Alle anderen: Keine Angaben erhalten.

Weiterführende Recherchequellen

Witt C et al. (2023): Urbane Hitze- und Luftbelastung – was muss der Kliniker wissen? Pneumo News. DOI: 10.1007/s15033-023-3476-6.

Literaturstellen, die von den Experten zitiert wurden

[1] Matzarakis A et al. (2022): Perception of heat stress in cities and measures for health protection. PLOS Climate. DOI: 10.1371/journal.pclm.0000104.

[2] Verein Deutscher Ingenieure VDI (2022): VDI 3787 Blatt 2: Methoden zur human-biometeorologischen Bewertung der thermischen Komponente des Klimas. Beuth Verlag.

[3] Staiger H et al. (2020): Accuracy of Mean Radiat Temperature Derived from Active and Passive Radiometry. Atmosphere. DOI: 10.3390/atmos11080805.

[4] Staiger H et al. (2019): Selection of Appropriate Thermal Indices for Applications in Human Biometeorological Studies. Atmosphere. DOI: 10.3390/atmos1000100018.

[5] Matzarakis A (2021): Curiosities about Thermal Indices Estimation and Application. Atmosphere. DOI: 10.3390/atmos12060721.

[6] Matzarakis A (2022): Communication Aspects about Heat in an Era of Global Warming – The Lessons Learnt by Germany and Beyond. Atmosphere. DOI: 10.3390/atmos13020226.

[7] Deutscher Wetterdienst: Hitzewarnsystem des Deutschen Wetterdienstes.

[8] Matzarakis A et al. (2020): The Heat Health Warning System in Germany—Application and Warnings for 2005 to 2019. Atmosphere. DOI: 10.3390/atmos11020170.

[9] Bund/Länder Ad-hoc Arbeitsgruppe Gesundheitliche Anpassung an die Folgen des Klimawandels (GAK) (2017): Handlungsempfehlungen für die Erstellung von Hitzeaktionsplänen zum Schutz der menschlichen Gesundheit. Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz. DOI: 10.1007/s00103-017-2554-5.

[10] Sherwood SC et al. (2010): An adaptability limit to climate change due to heat stress. Proceedings of the National Academy of Sciences. DOI: 10.1073/pnas.0913352107.

[11] Vecellio DJ et al. (2022): Evaluating the 35 °C wet-bulb temperature adaptability threshold for young, healthy adults (PSU HEAT). Journal of Applied Physiology. DOI: 10.1152/japplphysiol.00738.2021.

[12] HitzeService – kompetenter Hitzeschutz für Ihre Kommune. Abgerufen am 02.08.2023.

[13] Chersich MF et al. (2020): Associations between high temperatures in pregnancy and risk of preterm birth, low birth weight, and stillbirths: systematic review and meta-analysis. BMJ. DOI: 10.1136/bmj.m3811.

[14] Deindl P et al. (2020): From structural modalities in perinatal medicine to the frequency of preterm birth. Seminars in Immunopathology. DOI: 10.1007/s00281-020-00805-0.

[15] Schwingshackl C et al. (2021): Heat Stress Indicators in CMIP6: Estimating Future Trends and Exceedances of Impact-Relevant Thresholds. Earth's Future. DOI: 10.1029/2020EF001885.

[16] Toloo G et al. (2013): Evaluating the effectiveness of heat warning systems: systematic review of epidemiological evidence. International Journal of Public Health. DOI: 10.1007/s00038-013-0465-2.

[17] Haines A et al. (2019): The Imperative for Climate Action to Protect Health. The New England Journal of Medicine. DOI: 10.1056/NEJMra1807873.

[18] Leyk D et al. (2019): Health Risks and Interventions in Exertional Heat Stress. Deutsches Ärzteblatt. DOI: 10.3238/arztebl.2019.0537.

[19] Havenith G et al. (2015): Thermal Indices and Thermophysiological Modeling for Heat Stress. Comprehensive Physiology. DOI: 10.1002/cphy.c140051.

[20] McCormack MC et al. (2016): Respiratory Effects of Indoor Heat and the Interaction with Air Pollution in Chronic Obstructive Pulmonary Disease. Annals of the American Thoracic Society. DOI: 10.1513/AnnalsATS.201605-329OC.

[21] Mücke HG et al. (2020): Heat Extremes, Public Health Impacts, and Adaptation Policy in Germany. International Journal of Environmental Research and Public Health. DOI: 10.3390/ijerph17217862.

Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden

[I] Copernicus (08.08.2023): July 2023: Global air and ocean temperatures reach new record highs. Pressemitteilung.

[II] Bundesministerium für Gesundheit (28.07.2023): Lauterbach: Besser auf gesundheitliche Auswirkungen von Hitze vorbereiten.

[III] Brimicombe C et al. (2023): Wet Bulb Globe Temperature: Indicating Extreme Heat Risk on a Global Grid. Geohealth. DOI: 10.1029/2022GH000701.

[IV] Vecellio DJ (2022): Evaluating the 35°C wet-bulb temperature adaptability threshold for young, healthy subjects (PSU HEAT Project). Journal of Applied Physiology. DOI: 10.1152/japplphysiol.00738.2021.