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27.07.2021

Explosion und Brand in Entsorgungszentrum im Chempark Leverkusen

Nach einer Explosion mit anschließendem Brand am 27.07.2021 im Chempark Leverkusen ist noch immer unklar (Stand: 28.07.2021, 16 Uhr), ob dadurch möglicherweise toxische Stoffe in die Luft gelangt sind. Betroffen war das Tanklager des Entsorgungszentrums Bürrig der Firma Currenta. Die Straßen und Autobahnen in der Umgebung wurden weitläufig abgesperrt und Bürgerinnen und Bürger waren angehalten, in ihren Häusern zu bleiben und Fenster und Türen geschlossen zu halten. Das Feuer wurde von der städtischen und der Werksfeuerwehr im Laufe des Unfalltages gelöscht.

In einer Pressekonferenz [I] wurden weitere Details zum Vorfall bekanntgegeben: Die Gründe für die Explosion seien weiterhin unbekannt. Drei mit chlorierten Lösungsmitteln gefüllte Tanks seien in Brand geraten. Laut Aussagen von Lars Friedrich, dem Leiter des Chemparks, hatten diese ein Füllvermögen von 300 bis 400 Kubikmeter pro Tank. Wie voll sie gefüllt waren und wie viel davon verbrannt ist, ist noch unklar. Wahrscheinlich seien die Tanks zu jeweils 200 bis 300 Kubikmetern gefüllt gewesen. Eine genaue Analyse der Rauchwolke gibt es bisher nicht; das könne laut Friedrich auch einige Tage dauern. Bürgerinnen und Bürger wurden auf der Pressekonferenz angehalten, auch weiterhin im Haus zu bleiben und verdächtige Niederschläge zu melden, da diese chemische Stoffe binden könnten.

Bei dem Unfall wurde zwei Menschen getötet, 31 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zum Teil schwer verletzt, von denen sich einer noch in Lebensgefahr befindet. Fünf weitere Menschen werden vermisst [II, Stand 27.07.2021].

Übersicht

     

  • Prof. Dr. Daniel Dietrich, Leiter der Arbeitsgruppe Human- und Umwelttoxikologie, Fachbereich Biologie, Universität Konstanz
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  • Prof. Dr. Martin Wilks, Direktor, Schweizer Zentrum für angewandte Humantoxikologie, und Titularprofessor für Toxikologie, Universität Basel, Schweiz
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Statements

Prof. Dr. Daniel Dietrich

Leiter der Arbeitsgruppe Human- und Umwelttoxikologie, Fachbereich Biologie, Universität Konstanz

„Anhand der Bilder gehe ich davon aus, dass zunächst eine explosive Verpuffung (weiße Rauchwolke) stattgefunden hat. Durch den offensichtlichen Brand und aufgrund der Löscharbeiten – und somit später niedrigeren Temperaturen – wird die unvollständige Verbrennung der in dem Tanklager gelagerten Lösungsmittel, beziehungsweise chlorierten Verbindungen, zu Nebenprodukten geführt haben: voraussichtlich zu polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffverbindungen, wie Benz(a)pyrenen, aber auch geringsten Mengen an polychlorierte Aromaten, wie dibenzo-Furanen und Dioxinen. Das muss jedoch noch von Messungen bestätigt werden, die gerade durchgeführt werden. Beides sind toxische Stoffklassen und sie sollten nicht eingeatmet werden, deshalb ist es wichtig, die Fenster und Türen geschlossen zu halten und das Haus möglichst nicht zu verlassen. Wenn sich diese Stoffe an Oberflächen abgesetzt haben, sind sie für den Menschen nicht mehr so gefährlich, da sie kaum über die Haut aufgenommen werden. Kontaminierte Flächen müssen jedoch gereinigt werden, um spätere Exposition von Mitarbeitern und Bewohnern zu vermeiden.“

„Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Frage, ob der Brand mittlerweile vollständig gelöscht ist. Sollte er noch anhalten, besteht die Gefahr weiterer Explosionen von weiteren Tanklagern. Deshalb sollten die Menschen in der Umgebung nicht nur die Fenster, sondern auch Gardienen und Rollos schließen und sich nicht direkt vor den Fenstern aufhalten. Das kann die Verletzungsgefahr im Fall einer Explosion durch Glassplitter erheblich verringern.“

„Es ist bestürzend zu hören, dass es tödlich- und schwerstverletzte Mitarbeiter gegeben hat: meine Gedanken sind bei deren Familien!“

Prof. Dr. Martin Wilks

Direktor, Schweizer Zentrum für angewandte Humantoxikologie, und Titularprofessor für Toxikologie, Universität Basel, Schweiz

„Bei der heutigen Explosion und dem darauffolgenden Brand im Chempark bei Leverkusen war nach bisherigen Erkenntnissen wohl ein Lager mit mehreren Tanks betroffen, die zur Entsorgung von organischen Lösungsmitteln dienen. Über die genaue Zusammensetzung der Flüssigkeiten gab es zunächst keine näheren Angaben; in der Pressekonferenz des Leiters des Chemparks wurden aber zumindest auch chlorierte Lösungsmittel erwähnt.“

„In einer Explosion beziehungsweise bei einem Brand mit Chemikalien gibt es drei hauptsächliche toxikologische Gefahrenquellen. Da sind zunächst einmal die Erstickungsgase zu nennen, insbesondere Kohlenmonoxid, Kohlendioxid und Zyanid. Diese sind insbesondere in der unmittelbaren Umgebung und kurz nach Beginn des Brandes von Bedeutung, da sie eine hohe akute Toxizität haben. Deshalb tragen Feuerwehr und andere Ersthelfer in solchen Situationen immer Atemschutzgeräte. Diese Gase sind besonders in Innenräumen gefährlich, verflüchtigen sich aber relativ schnell in der Umgebungsluft.“

„Die zweite Gefahrenquelle sind die Reizgase in der Rauchwolke, die insbesondere akute Irritationen der Augen und oberen Atemwege verursachen, aber auch die Lunge betreffen und teils zu schwerer Atemnot führen können. Inorganische Reizgase bestehen hauptsächlich aus Halogenwasserstoffen sowie Schwefel-, Phosphor- und Stickoxiden, aber auch Ammoniak, Chlor und Phosgen. Organische Reizgase entstehen abhängig von der Zusammensetzung der Chemikalien; typische Beispiele sind Formaldehyd oder Acrolein.“

„Die dritte Gruppe der möglichen Gefahrenquellen ist schwerer zu definieren und hängt im Wesentlichen von der Zusammensetzung der Chemikalien sowie der Art und Temperatur des Feuers ab. Oft sind diese Stoffe nicht akut toxisch, stehen aber im Verdacht, zu chronischen Gesundheitsschäden zu führen. Dabei sind insbesondere die polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffe (PAK), Dioxine, Dibenzofurane, Isozyanate und der Feinstaub zu nennen. Sie können sich in der unmittelbaren Umgebung des Brandes sammeln, aber auch mit der Rauchwolke über weite Gebiete verteilen und Böden sowie Pflanzen kontaminieren.“

„Oberste Regel zur Vermeidung von Gesundheitsschäden ist, sich nicht dem Rauch auszusetzen, das heißt Innenräume aufzusuchen und Fenster und Türen geschlossen zu halten, bis die Wolke abgezogen ist. Die Behörden haben hierfür Notfallpläne, die den Einsatz von Feuerwehr, Polizei, Sanitäts- und Wetterdienst koordinieren, damit die betroffene Bevölkerung rechtzeitig gewarnt werden kann. Die Wettersituation spielt hierbei natürlich eine zentrale Rolle. So führt kräftiger Wind zu einer rascheren Verdünnung der Rauchwolke, während Regen zwar die weniger flüchtigen Bestandteile auswaschen kann, dadurch aber möglicherweise die Kontamination des Bodens vergrößern kann. Üblicherweise wird vom Verzehr von Obst und Gemüse in betroffenen Gebieten abgeraten, da sich die langlebigen organischen Stoffe nicht nur ablagern, sondern auch vom Boden in die Pflanze aufgenommen werden können.“

„Neben dem Umgang mit der akuten Bedrohungslage vor Ort ist deshalb die Überwachung der Umgebung, teils auch in weiterer Entfernung, wichtig. Dazu gehört insbesondere, die Zusammensetzung der Chemikalien herauszufinden, was sich bei einer Entsorgungsanlage als schwierig erweisen kann. Des Weiteren sollten Messungen zur Zusammensetzung der Rauchwolke stattfinden. Beide Überwachungsmaßnahmen sind vordringlich. Dann muss aber auch an die möglichen Folgen des Unglücks gedacht werden. Wo ist die Rauchwolke hingezogen? Welche Konzentrationen von gefährlichen Chemikalien können im Boden gemessen werden? Sind landwirtschaftliche Betriebe, Obstwiesen oder Gemüsegärten betroffen? Was ist mit Spielplätzen und Freizeiteinrichtungen? Müssen Gebiete gesperrt werden, um sie zu dekontaminieren? An dieser Stelle ist insbesondere eine ausführliche, transparente und anhaltende Kommunikation mit den Betroffenen und der Bevölkerung gefordert.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Prof. Dr. Martin Wilks: „Keine.“

Alle anderen: Keine Angaben erhalten.

Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden

[I] WDR aktuell (27.07.2021): Schwere Explosion in Leverkusen: Es gibt Verletzte und Vermisste. Youtube.

[II] Currenta (27.07.2021): Explosion fordert weiteres Todesopfer. Pressemitteilung.

Weitere Recherchequellen

Umweltbundesamt (31.07.2020): Informationssystem Chemikalien d. Bundes und d. Länder (ChemInfo).