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16.04.2024

EU will Umweltstandards für Landwirte im Eilverfahren aufweichen

     

  • EU-Parlament stimmt im Eilverfahren über Aufweichung der Umweltstandards der GAP ab 
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  • Bracheverpflichtung soll wegfallen und diverse Ausnahmen möglich werden 
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  • Forschende bemängeln Rückschritte der EU beim Green Deal und Missachtung wissenschaftlicher Empfehlungen
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Als Reaktion auf die Bauernproteste will die EU die Umweltstandards aufweichen, die Landwirtinnen und Landwirte einhalten müssen, um Subventionen zu erhalten. Die EU-Kommission hat im März eine entsprechende Anpassung der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) vorgeschlagen [I]. Der Vorschlag soll den Verwaltungsaufwand für Landwirtinnen und Landwirte verringern und wird im Eilverfahren behandelt. Stimmt das EU-Parlament in der Sitzungswoche vom 22. bis 25. April dafür, könnten die Lockerungen noch vor der Europawahl in Kraft treten.  

Zur Debatte stehen die sogenannten GLÖZ-Standards für den „guten landwirtschaftlichen und ökologischen Zustand von Flächen“ [II]. Nur wer sich an die neun Standards hält, qualifiziert sich für Agrarsubventionen der EU. Die Standards wurden im Zuge der GAP-Reform für die Förderperiode 2023 bis 2027 erweitert. Wegen des Ukraine-Kriegs galten für das Jahr 2023 bereits einige Ausnahmen. 

Laut dem Kommissionsvorschlag soll die Verpflichtung, vier Prozent des Ackerlandes brach liegen zu lassen, abgeschafft werden. Statt einem Fruchtwechsel soll auch eine Diversifizierung der Feldfrüchte möglich sein. EU-Staaten sollen die Möglichkeit erhalten, Ausnahmen von den Standards zu schaffen – etwa bei ungünstigen Wetterbedingungen – und die „sensible Periode“, während der Böden mit Vegetation bedeckt sein müssen, flexibel zu definieren. Kleinstbetriebe, die weniger als zehn Hektar bewirtschaften, sollen von den Standards komplett befreit werden. Ein separater Rechtsakt, über den das Parlament ebenfalls kommende Woche abstimmen wird, soll die Pflicht, Dauergrünland zu erhalten, flexibilisieren [III]. Umweltverbände kritisieren, die Kommission verabschiede sich „gänzlich von den Biodiversitätszielen des europäischen Green Deals“ [IV]

Der Sonderausschuss Landwirtschaft des EU-Rats hat den Kommissionsvorschlag bereits gebilligt [V]. Sollte das EU-Parlament den Vorschlag ohne Änderungswünsche annehmen, muss dieser nur noch förmlich vom EU-Rat angenommen werden. 

Übersicht

  • Dr. Norbert Röder, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Lebensverhältnisse in ländlichen Räumen, Johann Heinrich von Thünen-Institut, Bundesforschungsinstitut für Ländliche Räume, Wald und Fischerei, Braunschweig
  • Prof. Dr. Katrin Böhning-Gaese, Direktorin Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum, Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung (SGN), Frankfurt am Main, und Professorin am Institut für Ökologie, Evolution und Diversität, Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt am Main
  • Dr. Guy Pe'er, Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Arbeitsgruppe Biodiversität und Mensch, Deutsches Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig, und Department für Ökosystemleistungen, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ), Leipzig
  • Prof. Dr. Christoph Scherber, Leiter des Zentrums für Biodiversitätsmonitoring, Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels, Bonn
  • Prof. Dr. Christine Wieck, Professorin für Agrar- und Ernährungspolitik, Institut für Agrarpolitik und Landwirtschaftliche Marktlehre, Universität Hohenheim

Statements

Dr. Norbert Röder

Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Lebensverhältnisse in ländlichen Räumen, Johann Heinrich von Thünen-Institut, Bundesforschungsinstitut für Ländliche Räume, Wald und Fischerei, Braunschweig

Bürokratieabbau durch geplante Anpassungen

„Im Kern der Reform steht nicht der Bürokratieabbau, also der Abbau von Nachweis- oder Dokumentationspflichten. Stattdessen geht es darum, dass Landwirte für die Subventionen – beziehungsweise offiziell für die ,Einkommensgrundstützung für Nachhaltigkeit‘ (die flächenabhängige Basisprämie der ersten Säule der GAP [II]; Anm. d. Red.) – weniger Leistungen für die Gesellschaft erbringen müssen.“

„Aus ihrer inneren Logik heraus begrenzen die GLÖZ-Standards insbesondere die Betriebe, die am intensivsten wirtschaften. Somit profitieren vor allem Betriebe mit einer hohen Wertschöpfung je Hektar Fläche vom Abbau der Umweltstandards. Dies gilt insbesondere für die Lockerungen beim Erhalt des Dauergrünlandes und dem Wegfall der Verpflichtung zur Bereitstellung von Ackerbrachen.“

„In diesen Betrieben sind die EU-Subventionen meist ohnehin von nachrangiger ökonomischer Bedeutung. Am Ende des Tages muss die Gesellschaft entscheiden, ob die GAP primär ein bedingungsarmes Grundeinkommen für Flächenbewirtschafter sein soll oder mit öffentlichem Geld öffentliche Leistungen honoriert. Im letzten Fall ist der Aufwand der Betriebe für die Bereitstellung der Leistung definitionsgemäß kein Bürokratieaufwand. Letztendlich entscheidet jeder Landwirt, ob die Subventionen sich für ihn rechnen oder nicht.“

Auswirkungen auf die Biodiversität

„Besonders bedenklich sind Änderungen, die nicht oder schwer reversible Folgen haben können. Dies betrifft insbesondere den Erhalt des Dauergrünlandes, den Schutz von ökologisch sensiblem Dauergrünland und von Landschaftselementen (wie Hecken,Feuchtgebiete oder Baumreihen; Anm. d. Red.). Hier ist insbesondere die Aussetzung der Kontrolle von Kleinbetrieben bedenklich. Diese können auf von ihnen bewirtschafteten Flächen ökologisch sensibles Dauergrünland und Landschaftselemente in beliebigem Umfang zerstören, ohne dass dies für sie ökonomische Konsequenzen hat.“

„Im schlimmsten Fall kommt es zu Drehtür-Effekten und größere Betriebe verpachten kurzzeitig einschlägige Flächen zur ,agronomischen‘ Sanierung an Kleinbetriebe. Je nach Auslegung und Umsetzung der schwammigen Rechtstexte zum Dauergrünlanderhalt verliert die Regelung jegliche Lenkungswirkung. Dies kann unter anderem zu einer erheblichen Freisetzung von Treibhausgasen führen.“

„Wie gravierend sich diese Änderungen letztendlich auswirken, hängt auch von den Regelungen des Ordnungsrechts und dessen Vollzug ab. Rein formal verhindert das in Deutschland geltende Naturschutzrecht in den meisten Fällen die Möglichkeit, Dauergrünland umzuwandeln oder Landschaftselemente zu entfernen. Allerdings zeigen die Erfahrungen vor ,Scharfstellung‘ der entsprechenden Regelungen im Förderrecht der GAP, dass Verstöße nur sehr eingeschränkt geahndet worden sind. Anders verhält es sich mit der Abschaffung der Verpflichtung, Ackerbrachen bereitzustellen. Dies wird gerade in intensiv landwirtschaftlich genutzten Regionen erhebliche negative Auswirkungen auf die Biodiversität haben.“

Einbeziehung wissenschaftlicher Expertise

„Das Eilverfahren macht die Einbeziehung wissenschaftlicher Expertise unmöglich. Diese ist aber anscheinend nicht relevant, wenn man sich die fachlich haarsträubenden Begründungen der Reformvorschläge anschaut.“

Rückschritte beim Green Deal

„Hinsichtlich der verpflichtenden Umweltvorgaben, die alle Landwirte einzuhalten haben, stellt die geplante Reform einen Rückschritt um 15 bis 30 Jahre dar. Die 15 Jahre beziehen sich auf den Schutz des Dauergrünlandes und die 30 Jahre auf die Bereitstellung von Rückzugsflächen in durch den Ackerbau dominierten Landschaften. Lediglich zwischen 2008 und 2014 waren die Umweltauflagen für Ackerbauern vergleichbar niedrig.“

„Es ist zu erwarten, dass Landwirte insbesondere in intensiv genutzten Landschaften die Freiheitsgrade nutzen werden, die ihnen die Reform schafft, und es hier zu einem deutlichen Rückgang der Biodiversität kommen wird. Dies würde die Erfolge zunichtemachen, die gerade in Deutschland in den letzten Jahren erzielt werden konnten. Zwar sind die Agrarumweltprogramme (die durch die zweite Säule der GAP honoriert werden; Anm. d. Red.) in den letzten Jahrzehnten stark ausgebaut worden. Aber diese werden in den Intensivregionen von den Landwirten meist in geringem Umfang nachgefragt, sodass ihre Wirkung dort gering ist.“

Alternative Ansätze

„Der Bürokratieaufwand – im Sinne eines Dokumentations- und Verwaltungsaufwandes für die EU-Subventionen – ist in Deutschland nachrangig [1]. Unabhängig von der GAP müssen Landwirte eine Vielzahl von Daten und Informationen an die unterschiedlichsten Behörden und Institutionen melden beziehungsweise vorhalten. Hier würden eine konsequente Digitalisierung der Prozesse mit nutzerfreundlichen Schnittstellen, die gegenseitige Abstimmung der Anforderungen und ein automatischer Datenaustausch zwischen den Institutionen den Bürokratieaufwand für die Landwirte deutlich senken und Doppelarbeiten reduzieren. Würden Informationen zum Beispiel im Rahmen eines automatisierten Benchmarkings zurückgespielt, hätten auch die Betriebsleiter einen Vorteil von der Datenbereitstellung. Das Benchmarking kann die Betriebsleiter zum Beispiel dabei unterstützen, Schwachstellen zu identifizieren.“

„Bei den Agrarumweltmaßnahmen der zweiten Säule der GAP und den Ökoregelungen gibt es verschiedene Ansätze, den bürokratischen Aufwand zu vermindern, ohne die Umweltwirkung zu reduzieren. Hierzu gehören unter anderem die Anhebung der zulässigen Toleranzgrenzen bei Flächen- oder Lageabweichungen, die Förderbedingungen verständlicher aufzubereiten und leichter auffindbar zu machen, die Antragssoftware dahingehend zu optimieren, dass zum Beispiel Vorschläge für Maßnahmen unterbreitet werden oder kleinteilige Maßnahmen mit einem deutlich geringeren Aufwand beantragt werden können. Auch besteht die Möglichkeit, stärker Spezialisierungseffekte zu nutzen, in dem einzelne Verfahrensschritte an spezialisierte Dritte ausgelagert werden – zum Beispiel im Rahmen der Umsetzung von kooperativen Ansätzen – und so den bürokratischen Aufwand einzelne Betriebe abzusenken. Allerdings sind diese Maßnahmen nicht Gegenstand der Reformvorschläge und sind mit einem deutlich geringeren Budget hinterlegt als die ,Einkommensgrundstützung für Nachhaltigkeit‘ (die flächenabhängige Basisprämie der ersten Säule der GAP [II]; Anm. d. Red.).

Prof. Dr. Katrin Böhning-Gaese

Direktorin Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum, Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung (SGN), Frankfurt am Main, und Professorin am Institut für Ökologie, Evolution und Diversität, Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt am Main

Auswirkungen auf die Biodiversität

„Es ist aus wissenschaftlicher Perspektive schwer vorherzusagen, welche Entscheidung im Einzelnen welche Wirkung auf die Biodiversität entfalten wird. In der Summe werden geplante Verbesserungen der Umweltstandards der GAP zugunsten der Biodiversität wieder zurückgenommen. Damit haben wir ,Business as Usual‘. Alle Zukunftsszenarien zur Biodiversität sagen voraus, dass ein ,Weiter so‘ zu weiteren Verlusten der Artenvielfalt führen wird.“

Die geplanten Verbesserungen der GAP beruhen auf wissenschaftlicher Expertise und stellen ein Minimum dessen dar, wie die Biodiversität in der Agrarlandschaft erhalten werden kann. Damit ist aus wissenschaftlicher Expertise glasklar, dass ein Zurücknehmen der geplanten Verbesserungen in der Summe negative Folgen für die Biodiversität haben wird.“

Rückschritte beim Green Deal

„Die geplanten Entscheidungen der EU können für jede Wissenschaftlerin und jeden Wissenschaftler mit Expertise in diesem Bereich nur mit Entsetzen zur Kenntnis genommen werden. Hier werden viele positive Entwicklungen unter dem Green Deal zurückgenommen. Das ist ein großer Schritt rückwärts – mit potenziell dramatischen Folgen für die Ernährungssicherung und auf Kosten des Wohlergehens der Menschen.“

Dr. Guy Pe'er

Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Arbeitsgruppe Biodiversität und Mensch, Deutsches Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig, und Department für Ökosystemleistungen, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ), Leipzig

„Die Diskussion des EU-Parlaments, als Reaktion auf die Bauernproteste die Umweltstandards der GAP aufzuheben, ist kaum zu rechtfertigen – wie auch immer man es betrachtet.“ 

„Unter Kosten-Nutzen-Gesichtspunkten kann man zwar immer den Verwaltungsaufwand reduzieren, indem man Kontrollen abschafft. Aber genau so, wie dies bei den Baunormen oder der Straßenverkehrssicherheit keine denkbare Option wäre, sollte es auch in der Landwirtschaft nicht akzeptabel sein: Standards sind dazu da, um uns zu schützen. Wir sollten keine Produktionsmaßnahmen ohne Standards zulassen. Es würde die Menschen und die Umwelt beeinträchtigen – ohne einen Hinweis darauf, dass sich diese Maßnahmen positiv auf das Einkommen oder die Gesamterträge auswirken würden.“

„Stattdessen werden die Erträge stark von Umweltfaktoren wie Klimawandel, Schädlingen und Krankheiten beeinflusst. Da sich die landwirtschaftlichen Ökosysteme bereits in einem äußerst schlechten Zustand befinden und der Klimawandel und die Bodendegradation hinzukommen, geht die EU das Risiko ein, dass die landwirtschaftlichen Systeme zusammenbrechen. Das könnte, wie eine aktuelle Studie zeigt [2], zu Ertragsverlusten und sogar zu einer Gefährdung der Ernährungssicherheit führen. Dies widerspricht dem Vorsorgeprinzip der EU. “

„Zudem hat die EU-Kommission gerade einen Bericht veröffentlicht, aus dem hervorgeht, dass die EU-Agrar- und Ernährungshandelsbilanz 2023 mit einem Gesamtüberschuss von 70,1 Milliarden Euro ein Rekordniveau erreicht hat – nachdem die Bilanz für 2022 bereits gut war [3]. Das zeigt: Die Krise der Landwirtschaft liegt nicht an geringer Produktion. Wenn es ein Problem gibt, ist es, dass das Geld nicht in die richtigen Hände fließt. Die Landwirte sind aus verschiedenen Gründen auf die Straße gegangen: unfaire Einkommen, unfaire Preise und Arbeitsplatzverluste. Eine Reduzierung der Verwaltung oder die Abschaffung von Umweltschutzmaßnahmen wird keines dieser Probleme lösen.“

Alternative Ansätze

„Die Kommission und das Parlament lenken die Diskussion in die falsche Richtung. Wenn sie den LandwirtInnen Lösungen anbieten wollten, könnten sie eine umfassende GAP-Reform vorschlagen, um Ungleichheiten zu beseitigen und eine nachhaltige Landwirtschaft zu unterstützen. Sie könnten den legislativen Rahmen für nachhaltige Ernährungssysteme freigeben, den die Kommission im Herbst auf Eis gelegt hat. Das Parlament könnte den Rat drängen, das Renaturierungsgesetz als Sicherheitsmaßnahme zu genehmigen, um die Produktion in schwierigen Zeiten zu sichern. Und wenn sie wirklich den Verwaltungsaufwand verringern wollen, können sie Anträge für ganze Betriebe oder gemeinsame Anträge von Gruppen von Landwirten zulassen [4] oder den Verwaltungsaufwand für LandwirtInnen verringern, die sich um eine nachhaltige Beweidung bemühen [5].“  

Rückschritte beim Green Deal

„Die Kommission und das Parlament scheinen den Green Deal aufzugeben und noch vor den Wahlen eine wilde Deregulierungskampagne zu starten. Das mag einigen Parteien Stimmen bringen, aber es gibt keine klaren Beweise dafür, dass es den Landwirten wirklich nützt – sicherlich nicht denen, die versuchen, nachhaltig zu wirtschaften. Politische Entscheidungen auf der Basis von Desinformation zu treffen, während wiederholte Warnungen von WissenschaftlerInnen und gesellschaftlichen Gruppen ignoriert werden, ist außerordentlich unverantwortlich. Ich würde der Kommission empfehlen, auf die Wissenschaft und die BürgerInnen zu hören, den Green Deal wieder aufzunehmen, das Renaturierungsgesetz zu verabschieden und den Rahmen für nachhaltige Ernährungssysteme freizugeben.“

Prof. Dr. Christoph Scherber

Leiter des Zentrums für Biodiversitätsmonitoring, Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels, Bonn

Bürokratieabbau durch geplante Anpassungen

„Viele Landwirt:innen, mit denen ich im Rahmen unserer Forschungsprojekte sprechen konnte, haben mir gesagt, dass sie sich weniger Bürokratie wünschen. Es herrscht hier eine große Frustration vor: Es gibt durchaus viele Landwirt:innen, die etwas für die Natur tun möchten. Aber die Art und Weise, wie dies dokumentiert werden muss – und manchmal auch sanktioniert wird –, ist für sie oftmals frustrierend. Wenn der Blühstreifen nicht die richtige Breite hat oder nicht zum richtigen Stichtag gesät wurde, drohen Kürzungen.“

„Diese Prozesse im Bereich der Agrarumweltmaßnahmen müssen dringend vereinfacht werden, damit Landwirte, die etwas für die Natur tun möchten, für ihre Leistungen eine Aufwandsentschädigung erhalten und die Landwirt:innen, die sich engagieren wollen, nicht aus Frustration ganz aus ihrem Engagement für die Natur und Umwelt aussteigen.“

„Die geplanten Anpassungen der GLÖZ-Standards werden den Bürokratieaufwand keinesfalls verringern. Ich halte dies für ein vorgeschobenes Argument. Wenn es um den Schutz unserer Naturgüter geht, sollte Bürokratisierung nicht als vorgeschobene Hürde genutzt werden. Besser wäre es, wenn Landwirt:innen insgesamt weniger Berichtspflichten hätten und Prozesse insgesamt schneller und unbürokratischer vonstattengehen könnten. Der Schutz der Naturgüter ist letztlich eine Aufgabe, der sich die Landwirtschaft ohnehin verschrieben hat. Das sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein.“

Auswirkungen auf die Biodiversität

„Es ist eine Katastrophe, dass gerade jetzt die Umweltstandards in der Landwirtschaft aufgeweicht werden. Wir hatten schon 2008 den Wegfall der verpflichtenden Stilllegung von zehn Prozent der Agrarflächen, was zu einem dramatischen Rückgang von Vögeln der Agrarlandschaft geführt hat. Die Bestandszahlen von Kiebitz, Rebhuhn und Brachvogel befinden sich seitdem im Sinkflug. Dass nun Brachflächen komplett wegfallen sollen, ist ein Todesstoß für die Biodiversität in Europa. Wir können froh sein, dass in manchen Ländern wie Spanien, einigen osteuropäischen Ländern oder in Gebirgsgebieten noch ausreichend unproduktives oder nicht bewässertes Land existiert, was einen Rückzugsraum für viele Arten bietet, die in anderen Gegenden Europas bereits verschwunden sind.“

„Die angedachte Diversifizierung der Fruchtarten könnte zumindest einen Hoffnungsschimmer bieten, wenn sich dadurch zumindest die Vielfalt der angebauten Feldfrüchte erhöhen würde. Wir brauchen aber gerade eben das unproduktive, nicht bestellte Land als Rückzugsraum für die Biodiversität. Das alles ist nicht nur ,der Natur zuliebe‘ wichtig, sondern nutzt letztlich auch der Landwirtschaft. Unsere Studien zeigen deutlich, dass Maßnahmen zur Diversifizierung letztlich zu mehr Ertrag und Ertragsstabilität führen. Eine Studie, die wir kürzlich in ,Science‘ publiziert haben [6], zeigt hierfür eine Vielzahl an Möglichkeiten auf. So kann vor allem eine Diversifizierung der Nutztierhaltung, aber auch kombinierte Maßnahmen des Boden- und Wasserschutzes positive Effekte auf Biodiversität, Ertrag, Ernährungssicherheit und Wohlbefinden haben.“

Einbeziehung wissenschaftlicher Expertise

„Es liegt bereits genug wissenschaftliche Expertise vor – diese ist hier schlichtweg ignoriert worden. Dass der Brache-Anteil wesentlich als Rückzugsraum für Tiere und Pflanzen ist, ist bereits seit den 2000er Jahren bekannt.“

Rückschritte beim Green Deal

„Der EU Green Deal verdient seinen Namen zumindest aus Biodiversitätssicht nicht mehr. So wurde bereits die Sustainable Use Regulation für Pflanzenschutzmittel gekippt und das EU Renaturierungsgesetz steht ebenfalls vor dem Aus. Damit sind zentrale Elemente hin zu einer biodiversitätsfreundlicheren Landbewirtschaftung vom Tisch – nachkommende Generationen werden darüber nicht erfreut sein.“

Alternative Ansätze

„Die Digitalisierung kann hier Fluch und Segen zugleich sein – es gibt in einigen Bundesländern bereits Smartphone-Tools, die es Landwirt:innen ermöglichen, Maßnahmen zu dokumentieren. Hier sollte aber bei der Prüfung und auch bei der Festlegung von Maßnahmen-Zeitfenstern mehr Flexibilität ermöglicht werden. Wenn ein Blühstreifen einen halben Meter zu breit ist, dann sollte dieser selbstverständlich trotzdem als Agrarumweltmaßnahme angerechnet werden. Wir benötigen ein einfaches System, das ohne viel Zeitaufwand von Landwirt:innen und Behördenvertreter:innen bedient werden kann – so ähnlich wie die ,Steuererklärung auf einer Serviette‘.“

Prof. Dr. Christine Wieck

Professorin für Agrar- und Ernährungspolitik, Institut für Agrarpolitik und Landwirtschaftliche Marktlehre, Universität Hohenheim

Bürokratieabbau durch geplante Anpassungen

„Die geplanten Maßnahmen fokussieren auf den Ackerbau, jedoch gibt es auch in der Tierhaltung erhebliche Dokumentationspflichten, die mit dem Vorschlag nicht adressiert werden. Auch die Anforderungen und Dokumentationen rund um die Düngung – gerade in den ,roten Gebieten‘ – sind von den Vorschlägen nicht berührt. Daher wird vermutlich nur ein geringer Bürokratieabbau erreicht werden.“

„Betriebe, die weniger als zehn Hektar Fläche bewirtschaften, sollen nicht mehr kontrolliert werden. Zum Erhalt der Agrarsubventionen muss aber trotzdem weiter der Agrarantrag gestellt werden. Von daher ist auch hier fraglich, ob den Kosten des Verzichts auf die Kontrolle wirklich der Nutzen einer Reduktion von Bürokratie gegenübersteht.“

„Der Zusammenhang zwischen Bürokratie und Einkommen ist sehr indirekt, denn in der Regel ist ,die Bürokratie‘ nicht der große Kostentreiber. Die Einkommen in der Landwirtschaft entwickeln sich sehr volatil. Das kann eher durch globalisierte Märkte und die Stellung der Landwirtinnen und Landwirte in der Wertschöpfungskette erklärt werden als durch Bürokratie.“

„Mit dem Begriff ,Bürokratieabbau‘ wird oft eine Aufweichung von Anforderungen und Politikinhalten gemeint. Genau dies findet mit dem Vorschlag der Anpassung der GLÖZ-Standards sechs bis acht statt. Dies ist zwar auch ein Bürokratieabbau, aber vornehmlich eine Reduzierung der Anforderungen im Bereich des Umweltschutzes.“

„Das Aussetzen der Bracheverpflichtung (GLÖZ 8) hat voraussichtlich positive Effekte auf landwirtschaftliche Einkommen. Landwirtinnen und Landwirte können auf diesen Flächen gewinnbringende Kulturen anbauen oder relativ hohe Ausgleichszahlungen für freiwillige Brachen beantragen. Dies ist aber kein Bürokratieabbau, sondern eine Lockerung der Grundanforderungen. Dass Brachen einen wichtigen Beitrag zum Schutz der Insekten in Agrarlandschaften leisten, ist in der wissenschaftlichen Literatur hinlänglich dokumentiert. Ein weiterer Rückgang kann längerfristig auch negative Rückwirkungen auf Teile der Agrarproduktion haben.“

„An manchen Stellen ist eine Flexibilisierung der bestehenden Konditionalität jedoch sinnvoll. Die starren Regelungen zur Bodenbedeckung zu bestimmten Zeitpunkten (GLÖZ 6) haben sich teilweise als nicht praktikabel erwiesen und zu viel Unmut im landwirtschaftlichen Berufsstand geführt.“

Einbeziehung wissenschaftlicher Expertise

„Das Eilverfahren ist zu kritisieren. In mühevollen und langwierigen Verhandlungen wurde im Jahr 2021 ein aufeinander abgestimmtes Politikpaket aus erweiterter Konditionalität, Öko-Regelungen in der ersten Säule und Agrarumwelt- und Klimamaßnahmen in der zweiten Säule gefunden, das zu einem höheren Umweltambitionsniveau gegenüber der alten GAP-Förderperiode geführt hat [7]. Aus diesem Paket wurde das Element der Konditionalität herausgegriffen und in wenigen Monaten – ohne Evaluation oder Wirkungsanalysen – deutlich modifiziert. Dies ist zu bemängeln. Es ist unklar, ob das ursprüngliche Umweltambitionsniveau der GAP-Periode 2023 bis 2027 noch erreicht werden kann.“

„Diese Entscheidungen sind das Gegenteil einer verlässlichen und langfristig planbaren Politik. Sie passen auch nicht dazu, dass gerade auf EU-Ebene ein strategischer Dialog zur Ausgestaltung der zukünftigen Landwirtschaftspolitik stattfindet [8]. Auch, dass EU-weit circa 65 Prozent der Subventionsempfänger aus der Kontrolle herausgenommen werden, ist kritisch zu sehen – gerade angesichts dessen, dass mit der Umverteilungsunterstützung für kleinere Betriebe diese Komponente in der GAP 2023-2027 gestärkt wurde [9]. Eine Wirkungsanalyse und Gegenüberstellung der Kosten und Nutzen wäre hier wichtig gewesen.“

Alternative Ansätze für den Bürokratieabbau

„Die Vorschläge stellen einen Rückschritt in den fachlichen Anforderungen dar. Es sollte gut überlegt werden, wie dieser durch adäquate politische Anreize wieder aufgefangen werden kann. Gerade angesichts der großen Bedeutung von Ackerbrachen für den Biodiversitätsschutz sollte sichergestellt werden, dass räumlich verteilt und besonders in landwirtschaftlich intensiv genutzten Gebieten Ackerbrachen bereitgestellt werden.“

„Dies könnte durch eine Stärkung der Anreizkomponente und damit Honorierung von Agrarumwelt- und Klimamaßnahmen im Rahmen der verbliebenden Regelungen erfolgen, sodass eine stärkere Inanspruchnahme der Ökoregelungen erzielt würde. Denn im ersten Jahr der Umsetzung hatten sich ein Teil der Ökoregeln als nicht ausreichend attraktiv herausgestellt, wie die geringen Teilnahmeraten gezeigt haben [10].“

„Auch eine weitere Umschichtung von Geldern von der ersten in die zweite Säule wäre denkbar. Mit dem zusätzlichen Geld könnten dann Agrarumwelt- und Klimamaßnahmen in der zweiten Säule weiter ausgedehnt werden, um weiterhin die angestrebten Umweltambitionen der GAP-Periode 2023-2027 zu erzielen [11].“

„Ebenso sollte darüber nachgedacht werden, wie man die Planung von vielfältigen Strukturelementen und Biotopverbünden in der Landschaft überbetrieblich organisiert umsetzen und dabei Möglichkeiten der Digitalisierung deutlich konsequenter nutzen kann [12]. Dies geht nur im Dialog mit den Akteuren. Die Vorbereitung auf die nächste GAP sollte genutzt werden, um hier praxisreife Ansätze zu entwickeln.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Dr. Norbert Röder: „Es liegen keine Interessenkonflikte vor.“ 

Prof. Dr. Katrin Böhning-Gaese: „Ich habe keine Interessenkonflikte.“ 

Dr. Guy Pe'er: „Kein Interessenkonflikt.“ 

Alle anderen: Keine Angaben erhalten.

Literaturstellen, die von den Expertinnen und Experten zitiert wurden

[1] Möllers I et al. (2022): Hofarbeit statt Schreibtischzeit – Informationspflichten in der Landwirtschaft spürbar vereinfachen. Statistisches Bundesamt.

[2] Burian A et al. (2024): Biodiversity–production feedback effects lead to intensification traps in agricultural landscapes. Nature Ecology & Evolution. DOI: 10.1038/s41559-024-02349-0.

[3] Europäische Kommission (05.04.2024): EU agri-food trade achieved a record surplus in 2023.

[4] Pe’er G et al. (2022): How can the European Common Agricultural Policy help halt biodiversity loss? Recommendations by over 300 experts. Conservation Letters. DOI: 10.1111/conl.12901.

[5] Rouet-Leduc J et al. (2024): Exploring the motivation and challenges for land-users engaged in sustainable grazing in Europe. Land Use Policy. DOI: 10.1016/j.landusepol.2024.107146.

[6] Rasmussen JV et al. (2024): Joint environmental and social benefits from diversified agriculture. Science. DOI: 10.1126/science.adj1914.

[7] Grajewski R et al. (2023): Was bringt der nationale Strategieplan? Ländlicher Raum. Zeitschrift der Agrarsozialen Gesellschaft.

[8] Europäische Kommission: Strategischer Dialog zur Zukunft der EU-Landwirtschaft. Stand: 16.04.2024.

[9] Balmann A (2024): Landwirtschaft im nationalen Wettbewerb und die Rolle des Bodenmarktes. Wirtschaftsdienst. DOI: 10.2478/wd-2024-0045.

[10] Reiter K et al. (2024): Die Umsetzung der Grünen Architektur der Gemeinsamen Agrarpolitik in Deutschland: Bessere Förderbedingungen für die Biodiversität in der Agrarlandschaft? Naturschutz und Landschaftsplanung. DOI: 10.1399/NuL.2024.01.02.

[11] Wissenschaftlicher Beirat für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz (2019): Zur effektiven Gestaltung der Agrarumwelt- und Klimaschutzpolitik im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU. Berichte über Landwirtschaft.

[12] Berger T et al. (2024): Hybrid intelligence for reconciling biodiversity and productivity in agriculture. Nature Food. DOI: 10.1038/s43016-024-00963-6.

Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden

[I] Europäische Kommission (15.03.2024): Kommission schlägt gezielte Überprüfung der Gemeinsamen Agrarpolitik zur Unterstützung der Landwirtinnen und Landwirte vor.

[II] Bundesinformationszentrum Landwirtschaft (2024): GAP kompakt 2024.

[III] Europäisches Parliament (2024): Rules on the ratio for the good agricultural and environmental condition (GAEC) standard 1.

[IV] BUND (09.02.2024): Enormer Rückschritt auf Kosten der Biodiversität: EU-Kommission will Agrar-Umweltstandard faktisch abschaffen.
Gemeinsame Stellungnahme der Umweltorganisationen BUND, Greenpeace, NABU, WWF Deutschland und Deutscher Naturschutzring.

[V] Rat der Europäischen Union (26.03.2024): Unterstützung für Landwirte: Rat billigt gezielte Überprüfung der Gemeinsamen Agrarpolitik.