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06.07.2022

EU-Parlament stimmt für Aufnahme von Gas- und Atomkraft in die Taxonomie

     

  • EU-Parlament nimmt Vorschlag der Kommission zu Gas und Atomkraft in der Taxonomie an
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  • Gas- und Atomkraftwerke gelten ab 2023 in der EU unter bestimmten Bedingungen als „grün“
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  • Experten: Entscheidung untergräbt den Sinn der Taxonomie
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Das EU-Parlament hat heute für den umstrittenen Vorschlag der EU-Kommission gestimmt, Gas- und Atomkraft in die Taxonomie aufzunehmen [I]. Ab 2023 gelten somit Investitionen in diese Technologien unter bestimmten Bedingungen in der EU als „grün“. 278 Abgeordnete stimmten gegen den Vorschlag der Kommission. Um den Rechtsakt abzulehnen, wäre eine absolute Mehrheit von 353 Stimmen nötig gewesen.

Gas- und Atomkraft werden somit als „Übergangstätigkeiten“ in die Taxonomie aufgenommen – also als Tätigkeiten, die den Übergang zur Klimaneutralität beschleunigen [II]. Für Atomkraft gilt das aber nur dann, wenn die Anlagen hohen Sicherheitsstandards entsprechen und es ein Konzept für die Endlagerung des Atommülls spätestens ab 2050 gibt. Für Erdgas gilt die Bedingung, dass Anlagen Kohlekraftwerke ersetzen müssen und bis 2035 auf erneuerbare oder CO2-arme Gase – beispielsweise grünen Wasserstoff – umgestellt werden müssen.

Die EU-Taxonomie ist seit Beginn des Jahres 2022 in Kraft und definiert, welche Tätigkeiten unter welchen Bedingungen in der EU als nachhaltig gelten. Ziel der Taxonomie ist, Greenwashing zu verhindern und Investitionen in nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten zu stärken. Über die Regelungen für Atom- und Gaskraftwerke in der Taxonomie hat das Parlament heute separat in einem delegierten Rechtsakt abgestimmt. Nach heftigen Diskussionen in Politik und Medien und trotz scharfer Kritik von Umweltverbänden hat das Parlament den Rechtsakt angenommen.

Übersicht

     

  • Jan Peter Schemmel, Sprecher der Geschäftsführung, Öko-Institut e.V., Berlin
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  • Prof. Dr. Erik Gawel, Leiter des Departments Ökonomie, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ), Leipzig, und Direktor des Instituts für Infrastruktur- und Ressourcenmanagement der Universität Leipzig
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  • Prof. Dr. Helmut Haberl, Professor am Institut für Soziale Ökologie, Department für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Universität für Bodenkultur Wien (BOKU), Wien, Österreich
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Statements

Jan Peter Schemmel

Sprecher der Geschäftsführung, Öko-Institut e.V., Berlin

„Die Entscheidung des EU-Parlaments geht weit über die eigentliche Frage, ob Investitionen in Atom- und Gaskraftwerke als nachhaltig bezeichnet werden dürfen, hinaus. Mit der Entscheidung, Investitionen in Atom- und Gaskraftwerke künftig entsprechend der Taxonomie als nachhaltig bezeichnen zu dürfen, verliert die Taxonomie ihr Potenzial, sich als EU-weiter Gold Standard für nachhaltige Investments zu etablieren. Denn ein Nachhaltigkeitsstandard, in dem offensichtlich nicht-nachhaltige Technologien wie die Kernenergie und Erdgas als nachhaltig deklariert werden können, verliert seine Glaubwürdigkeit. Dabei gibt es angesichts des grenzüberschreitenden Finanzmarktes – inklusive für Geldanlagen – einen hohen Bedarf an einem einheitlichen und transparenten Standard, um ‚Greenwashing‘ zu vermeiden.“

„Atomkraft kann aufgrund der Gefahr schwerer Unfälle, der Gefahr der Weiterverbreitung von Kernwaffen und der Gefahren beim Umgang mit anfallenden hochradioaktiven Abfällen nicht als nachhaltig angesehen werden. Auch bringen Atomkraftwerke in einem auf Klimaneutralität und damit auf Erneuerbaren Energien ausgelegten Energiesystem aufgrund ihrer Kostenstruktur und ihrer Trägheit beim Hoch- und Runterfahren ihrer Leistung keinen Mehrwert. Und schließlich können zum Beispiel aus Sicherheitsgründen geplante, aber vor allem auch ungeplante, notwendige Abschaltungen – wie gegenwärtig in massivem Umfang in Frankreich der Fall – die Versorgungssicherheit bei der Atomenergienutzung in Frage stellen.“

„Mit der Deklarierung von Investitionen in Atomkraft als ‚nachhaltig‘ hilft die EU-Taxonomie, die Illusion von Atomkraft als Zukunftstechnologie am Leben zu halten. In Deutschland bedeutet dies Wasser auf die Mühlen der Diskussion um eine erneute Laufzeitverlängerung. Dennoch dürfte die Entscheidung für Deutschland keine direkten Folgen haben, da der Atomausstieg beschlossen und weit fortgeschritten in der Umsetzung ist.“

„Das Signal, das mit der Einbeziehung von Atomkraft in die Taxonomie von der EU in die Welt hinaus gesendet wird, ist angesichts der Risiken der Technologie – wie sie zuletzt auch im Ukraine-Krieg wieder deutlich geworden sind – allerdings fatal.“

„Mit der Deklarierung von Atomkraftwerken als ,nachhaltig‘ ist also die Glaubwürdigkeit der Taxonomie als Nachhaltigkeitsstandard stark beschädigt und es wird ein fatales Signal in die Welt gesendet wird. Trotzdem ist auf EU-Ebene nicht davon auszugehen, dass deswegen nun deutlich mehr Investitionen in Atomkraftwerke getätigt werden, als im Falle eines Ausschlusses von Atomkraft aus der Taxonomie: Zum einen ist die Frage, ob in Atomkraft investiert wird oder nicht vor allem eine Frage des etablierten und politisch für die Zukunft gewollten Energiesystems. Es ist weniger eine Frage etwas günstigerer Finanzierungskonditionen, die durch die Einbeziehung von Atomkraft in die Taxonomie entstehen können. Angesichts der weit höheren volkswirtschaftlichen Kosten jeder Kilowattstunde Atomenergie gegenüber Erneuerbaren Energien fallen die ökonomischen Effekte der Einbeziehung der Kernkraft in die Taxonomie nicht ins Gewicht. Zum anderen setzt die EU-Taxonomie verschiedene Bedingungen voraus, so beispielsweise, dass zum Zeitpunkt der Genehmigung eines neuen Atomkraftwerks oder einer Laufzeitverlängerung existierender Kraftwerke das entsprechende Land einen detaillierten Plan für die Inbetriebnahme eines Endlagers für hoch radioaktive Abfälle bis 2050 hat. Bei strenger Anwendung der Kriterien ist es wahrscheinlich, dass sie von den meisten EU-Ländern nicht erfüllt werden können.“

„Die Einbeziehung von Gas-Kraftwerken in der im delegierten Rechtsakt enthaltenen Form in die EU-Taxonomie stellt nicht sicher, dass Gaskraftwerke langfristig klimaneutral betrieben werden. Vielmehr können sie auch nach 2035 noch mit Energieträgern betrieben werden, die nur 70 Prozent Emissionseinsparung gegenüber fossilen Energieträgern darstellen. Dies gilt, wenn die Kraftwerke vor 2030 genehmigt wurden. Damit schafft die Taxonomie einen Anreiz, jetzt noch zügig Gaskraftwerke zu planen, damit sie vor 2030 genehmigt werden, ohne dabei sicherzustellen, dass diese Kraftwerke langfristig klimaneutral betrieben werden.“

„Während wir weiterhin in begrenztem Umfang Gaskraftwerke brauchen, gilt es sicherzustellen, dass diese von Beginn an so gebaut sind, dass sie mit klimaneutralen Energieträgern betrieben werden können sowie dass sie rechtzeitig und garantiert auf klimaneutralen Betrieb umgestellt werden. Auch darf es nicht zu Überinvestitionen in Gaskraftwerkspark und -infrastruktur kommen. Ohne Aufnahme in die Taxonomie würden Investitionen in beides voraussichtlich mit etwas höheren Kapitalkosten einhergehen und entsprechend Investoren disziplinieren, dass nur das wirklich Notwendige gebaut beziehungsweise darein investiert wird. Mit der Einbeziehung in die Taxonomie entfällt dieser Anreiz und es steigt die Gefahr von gestrandeten Vermögenswerten.“

Prof. Dr. Erik Gawel

Leiter des Departments Ökonomie, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ), Leipzig, und Direktor des Instituts für Infrastruktur- und Ressourcenmanagement der Universität Leipzig

„Das EU-Parlament ist der Empfehlung der Ausschüsse zur Ablehnung der Rechtssetzung der EU-Kommission nicht gefolgt. Theoretisch kann nun noch eine qualifizierte Mehrheit der Mitgliedstaaten oder der Europäische Gerichtshof die Klassifizierung der EU-Kommission von Atom- und Gaskraft als unter bestimmten Bedingungen nachhaltig stoppen. Beides ist nicht sehr wahrscheinlich.“

„Die sich damit abzeichnende Qualifizierung von bestimmten Investments auch in Atom- und Gaskraftwerke als nachhaltig ist eine gravierende Fehlentscheidung und ein völlig falsches Signal für die Nachhaltigkeitstransformation.“

„Die beiden Hauptziele der Taxonomie – Markttransparenz über nachhaltige Investments durch ein einheitliches Bewertungsraster herzustellen und so zugleich undurchsichtiges Greenwashing zu vereiteln – werden beide klar verfehlt. Mehr noch: Das Gegenteil wird erreicht. Wegen der offensichtlichen Probleme einer grünen Etikettierung nicht-zukunftsfähiger Energieerzeugungsformen wird die EU-Taxonomie für viele Investoren keine beziehungsweise nur noch teilweise Richtschnur sein können. Der Markt zerfällt so in diverse Nachhaltigkeits-Qualifikationssysteme. Die grüne Etikettierung von Gas- und Atomenergie vereitelt nicht etwa unstrukturiertes Greenwashing in einem intransparenten Markt – es betreibt sie sogar hochoffiziell.“

„Die Entscheidung diskreditiert daher sogar das gesamte Anliegen der Taxonomie – auch über Gas- und Kernkraft hinaus – und untergräbt dessen Glaubwürdigkeit sowie seinen wissenschaftlichen Anspruch. Das Vertrauen in den Ansatz der Taxonomie wurde beschädigt.“

„Da eine förmliche Etikettierung als ‚nachhaltig‘ keine Investments verbietet, ist auch sachlich nicht nachvollziehbar, warum problematische Übergangstechnologien unbedingt auch als ‚nachhaltig‘ ausgewiesen werden sollten.“

„Geradezu widersinnig ist das Argument der Kommission und der Befürworter, Auslauf- und Übergangstechnologien seien deshalb als ‚grün‘ zu behandeln, weil sie ‚notwendig‘ seien, um in ein Nachhaltigkeitszeitalter überzuwechseln. Zunächst einmal sieht der eigentliche Katalog aus vier Nachhaltigkeits-Kriterien (Art. 3 EU 2020/852) ein solches Argument des ‚notwendigen Übels‘ zu Recht gar nicht vor: Das vielleicht übergangsweise noch Unvermeidliche wird deswegen noch lange nicht zum Nachhaltigen. Und ‚notwendig‘ werden die problematischen Technologien vor allem deshalb, weil in den vergangenen Dekaden massiv versäumt wurde, die solare Wasserstoffwirtschaft der Zukunft frühzeitig voranzutreiben. Die deshalb nun angeblich noch ‚notwendigen‘ Auslauftechnologien mit erneuerbaren Energien gleichzustellen, verzögert abermals den tatsächlich dringend erforderlichen Umstieg. Die Fehler der Vergangenheit werden so durch die Taxonomie weitergeführt.“

„Erfreulicherweise hält sich der Schaden, den die Fehletikettierung anrichtet, in Grenzen. Die hohe Aufmerksamkeit, die der Vorgang zu Recht erhalten hat, wird dafür sorgen, dass die Taxonomie für nachhaltigkeitsorientierte Investoren keine oder nur eine eingeschränkte Rolle spielen wird. Die angestrebte Leitfunktion der Taxonomie wurde beschädigt. Dies wird die faktische Marktrelevanz der Taxonomie zu Recht stark reduzieren.“

„Explizit grüne Investments sollten der EU-Taxonomie in Bezug auf Atom- und Gaskraft nicht folgen. Investoren sollten darauf drängen, dies bei Finanzprodukten und institutionellen Anlegern klarzustellen.“

„Allerdings ist nicht auszuschließen, dass die Entscheidung vor allem im internationalen Bereich Finanzströme in problematische Übergangs- und Auslauftechnologien lenkt, die besser in erneuerbare Energien fließen sollten. Es kommt so zu Fehlallokationen auf dem Weg in wirklich nachhaltige Wirtschafts- und Lebensweisen.“

„Die Kommission räumt selbst ein, dass es mit der Nachhaltigkeit von Atom- und Gaskraft per se nicht weit her sein kann – denn sie stellt zahlreiche Bedingungen an das Nachhaltigkeits-Etikett. Mehr als der Versuch schadensbegrenzender Kosmetik ist darin aber nicht zu erkennen.“

„Besonders eklatant wird dies an der Endlager-Frage für Atommüll: Kernenergie wäre auch bei weltweit vollständig gesicherter Endlager-Entsorgung nicht ,nachhaltig‘. Bisher kann aber davon nicht ansatzweise die Rede sein. Dass niemand ein solches Endlager bei sich sehen möchte und seit Jahrzehnten keine Einigung über die sicheren Bedingungen der Lagerung herbeizuführen ist, spricht für die Nachhaltigkeit dieser Energieerzeugung bereits Bände. Die Kommission knüpft nun an das grüne Etikett die Forderung, dass die Regierungen ein ,Konzept‘ haben sollen, wie sie bis spätestens 2050 ein Endlager für hoch radioaktive Abfälle ,einrichten‘ wollen. Bis 2045 sollen Neubauten so genehmigt werden. Ein ,Konzept‘ steht erst einmal nur auf dem Papier und noch über 20 Jahre lang sollen Genehmigungen mit grünem Etikett für dann Jahrzehnte laufende Neubauten ausgesprochen werden dürfen. Eine wirksame Einschränkung stellt dies nicht dar – weder sachlich noch zeitlich. Stattdessen sehen wir ein faktisch unbeschränktes Go.“

Prof. Dr. Helmut Haberl

Professor am Institut für Soziale Ökologie, Department für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Universität für Bodenkultur Wien (BOKU), Wien, Österreich

„Die Entscheidung des EU-Parlaments ist eine vergebene Chance, im Rahmen der EU-Klima- und Nachhaltigkeitspolitik auf die Veränderungen der energiepolitischen Rahmenbedingungen durch den brutalen Überfall Russlands auf die Ukraine zu reagieren. Investitionen in Erdgas in den von der Taxonomie erfassten Bereichen – vor allem der Ersatz von Kohle und Öl in Kraftwerken und Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen – sind derzeit keine geostrategisch haltbare Option. Die Herausforderungen sind vielmehr im Moment und vermutlich für die nächsten Jahre folgende: Erstens, wie kann Europa so schnell wie möglich von Erdgas unabhängig werden – etwa durch Energiesparen oder Substitution von Erdgas durch erneuerbare Energien? Zweitens, wie kann Europa für die Deckung des restlichen und hoffentlich rasch kleiner werdenden Gasbedarfes so rasch wie möglich von Russland und seinen Alliierten unabhängig werden?“

„Der Einsatz von Erdgas als Brückentechnologie beim Übergang zur erneuerbaren Energie war schon vor dem Beginn des Ukrainekriegs problematisch. Investitionen in Gaskraftwerke hätten bestehende Abhängigkeiten verstärkt und verlängert. In der derzeitigen Lage sind solche Investitionen nicht nur klimapolitisch fragwürdig, sondern geostrategisch kontraproduktiv und angesichts der derzeitigen Preise und Versorgungsunsicherheiten sehr unwahrscheinlich. Die Aufnahme von Erdgas in die Taxonomie ist daher für eine adäquate Antwort Europas auf die gegenwärtige Lage – Ukraine- und Klimakrise gleichzeitig – strategisch bestenfalls nicht hilfreich, wenn nicht gar kontraproduktiv.“

„Die Aufnahme der Kernenergie in die Taxonomie kann in der gegenwärtigen Lage ebenfalls keinen sinnvollen Beitrag leisten, weil der Bau neuer Kernkraftwerke sehr teuer ist und lange dauert. Investitionen in Photovoltaik, Windenergie und andere erneuerbare Energieträger können viel rascher realisiert werden und bei gleichem Investitionsvolumen viel höhere energiepolitische Beiträge leisten. Dies zeigen die Beispiele der Kernkraftwerke Olkiluoto in Finnland, das mit 13 Jahren Verspätung ans Netz ging und zehn statt der ursprünglich budgetierten drei Milliarden Euro kostete. Ähnlich Block 3 des Kernkraftwerks Flamanville in Frankreich, dessen Inbetriebnahme mindestens elf Jahre verspätet sein wird – die aktuelle Prognose dafür ist 2023. Die Baukosten waren mit mindestens 12,4 Milliarden Euro in diesem Fall vier Mal höher als geplant. Abgesehen von diesen ökonomischen Überlegungen erscheint die Aufnahme der Kernenergie in eine Liste nachhaltiger Technologien aus Gründen des Risikos von Nuklearunfällen sowie der ungelösten Endlagerproblematik als nicht sachgerecht.“

Auf die Frage, welche konkreten Folgen es für Deutschland und die EU hat, dass ab 2023 Investitionen in Atom- und Gaskraftwerke unter bestimmten Bedingungen als „grün“ gelten:
„Die konkrete Bedeutung der heutigen Entscheidung für Österreich, Deutschland und die EU ist schwer abzuschätzen, wobei die Wirkungen in den Bereichen Erdgas und Kernenergie unterschiedlich sein dürften.“

„Beim Erdgas wird die Aufnahme in die Taxonomie ab Anfang 2023 wohl kurz- und mittelfristig geringe oder gar keine konkreten Wirkungen haben: Angesichts der geostrategischen Lage dürften derartige Investitionen ohnehin kaum auf der Tagesordnung stehen, unabhängig davon, ob sie als ‚grün‘ eingestuft und damit leichter finanzierbar sind oder nicht. Lediglich im Fall einer deutlichen Änderung der geostrategischen Lage erscheint mir eine größere Wirkung des Beschlusses denkbar, doch dürfte dies im Moment recht unwahrscheinlich sein.“

„Wahrscheinlicher erscheint mir, dass die Aufnahme der Kernenergie den energiepolitisch problematischen Pfad in die Kernenergie stabilisieren könnte. So könnte die Kernenergie mit den energie- und klimapolitisch erheblich attraktiveren – weil schnelleren, kostengünstigeren und risikoärmeren – Investitionen in Energieeinsparen und erneuerbare Energien in Konkurrenz treten. Durchaus denkbar ist, dass die Aufnahme in die Taxonomie in Ländern wie Frankreich oder Tschechien Beschlüsse für weitere Milliardeninvestitionen in neue Atomkraftwerke begünstigt, anstatt dass das Geld in energie- und klimapolitisch wesentlich sinnvollere Richtungen gelenkt wird. Die ohnehin enormen Pfadabhängigkeiten in Richtung einer nicht zukunftsfähigen Technologie würden damit verstärkt und verlängert und eine Wende zu sozial-ökologisch akzeptablen Energiesystemen verlangsamt.“

Auf die Frage, inwiefern die Bedingungen, die die Taxonomie an Atom- und Gaskraftwerke stellt, sinnvoll sind:
„Meiner Meinung nach gehen die Bedingungen aus heutiger Sicht an wichtigen Problemlagen vorbei, weil sie die neue geostrategische Lage seit dem russischen Überfall auf die Ukraine nicht adressieren. War Erdgas als Brückentechnologie schon davor problematisch, weil dieses Konzept neue Pfadabhängigkeiten geschaffen hätte, so hat sich diese Strategie aus meiner Sicht inzwischen aus geostrategischen Gründen in Europa erledigt. Bei der Kernenergie werden ebenfalls zentrale Fragen nicht adressiert. So ist etwa seit dem Ukrainekrieg klar, welche Risiken Nukleartechnologie im Kriegsfall für das Land mit sich bringt, in dem sie angesiedelt ist. Man denke nur an die höchst problematischen Vorgänge in Tschernobyl und Saporischschja im Zuge der Kampfhandlungen der letzten Monate.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Prof. Dr. Erik Gawel: „Es bestehen keinerlei ersichtlichen Interessenkonflikte.“

Alle anderen: Keine Angaben erhalten.

Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden

[I] Europäisches Parlament (06.07.2022): Taxonomy: MEPs do not object to inclusion of gas and nuclear activities.

[II] Europäische Kommission (02.02.2022): Fragen und Antworten zum ergänzenden delegierten Rechtsakt zur EU-Klimataxonomie für bestimmte Kernenergie- und Gastätigkeiten.