Zum Hauptinhalt springen
13.09.2022

Die Hürden der COVID-19-Arznei Paxlovid im ambulanten Bereich

     

  • COVID-19-Medikament Paxlovid wird trotz guter Wirkung selten verschrieben
  •  

  • Fachleute beleuchten die Hürden und die Skepsis bei der Gabe der Arznei
  •  

  • Fact Sheet liefert Hintergründe zu Wirksamkeit, Behandlung und Rebound-Effekt
  •  

Das COVID-19-Medikament Paxlovid wird trotz seiner vielversprechenden Wirkung bei Risikopatientinnen und -patienten in Deutschland nur selten verschrieben. Die Bundesregierung bestellte Anfang des Jahres kurz nach der Zulassung eine Million Dosen, von denen 460.000 an den pharmazeutischen Großhandel ausgeliefert wurden. 280.000 Einheiten drohen bis Februar 2023 zu verfallen. Eine Verlängerung der Haltbarkeit soll geprüft werden.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach misst dem Virostatikum im Kampf gegen COVID-19 viel Bedeutung bei und setzt sich für einen einfacheren Abgabeprozess direkt durch die Hausärzte oder in Pflegeheimen ein. Dies könnte verhindern, dass das Medikament ungenutzt bleibt, obwohl es vorrätig ist.

Ein Hauptgrund für den zurückhaltenden Einsatz von Paxlovid ist möglicherweise ein hoher Aufwand durch eine individuelle ärztliche Abklärung der Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten oder Skepsis gegenüber dem sogenannten Rebound-Effekt. Dieser beschreibt das Wiederaufkehren von COVID-19-Symptomen und einem erneut positiven Testergebnis nach einer ursprünglichen Genesung. Knapp sechs Prozent der mit Paxlovid behandelten Patientinnen und Patienten sind von einem Rebound betroffen, darunter war jüngst unter anderem auch US-Präsident Joe Biden. Studien haben bereits gezeigt, dass es nach der Gabe von Paxlovid zu einem Rebound-Effekt kommen kann, allerdings gibt es auch Daten, die zeigen, dass ein Rebound nicht ausschließlich von dem Medikament ausgelöst wird.

Der „Corona-ExpertInnenrat“ der Bundesregierung schreibt antiviralen Therapien in der Behandlung von COVID-19 einen hohen Stellenwert zu. Um den Einsatz von Paxlovid zu verbessern, empfehlen die Forschenden eine optimierte Kommunikation zu den Möglichkeiten und Einschränkungen von Paxlovid sowie die Planung weiterer Studien, unter anderem zur Dosierungsanpassung. Zudem ist am Montag eine Aktualisierung der S3-Leitlinie zu „Empfehlungen zur stationären Therapie von Patienten mit COVID-19“ erschienen. Darin enthalten sind auch Hinweise zur Handhabung von Paxlovid.

Zusätzlich zu dieser Rapid Reaction haben wir in diesem Fact Sheet die Behandlungsmöglichkeiten von Paxlovid sowie die Ausmaße des Rebound-Effekts beleuchtet.

Übersicht

     

  • PD Dr. Torsten Feldt, Bereichsleiter Tropenmedizin, Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie und Infektiologie, Universitätsklinikum Düsseldorf
  •  

  • Prof. Dr. Stefan Kluge, Direktor der Klinik für Intensivmedizin, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE)
  •  

Statements

PD Dr. Torsten Feldt

Bereichsleiter Tropenmedizin, Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie und Infektiologie, Universitätsklinikum Düsseldorf

„Wir haben im Universitätsklinikum Düsseldorf aktuell nicht mehr die Zahl an schwer erkrankten Patientinnen und Patienten, die wir während der Deltawelle behandelt haben. Dies liegt vor allem daran, dass die ganz überwiegende Mehrheit der Bevölkerung geimpft und/oder genesen ist. Dazu kommt – verglichen mit zum Beispiel der Delta-Variante – eine niedrigere durchschnittliche Krankheitsschwere durch die Omikron-Varianten.“

„Dennoch kommen jeden Tag neue Patienten. Zwischen 20 und 30 Infizierte liegen derzeit bei uns auf den Normalstationen, etwa fünf bis zehn auf Intensivstationen. Diese Patienten haben – obwohl in meinen Augen oft eine Indikation für eine antivirale Therapie bestanden hätte – in aller Regel in der frühen Phase der Erkrankung kein Paxlovid erhalten. Wenn sie mit schweren Verläufen in die Klinik kommen, ist es dafür meist schon zu spät, man muss Paxlovid ja in den ersten fünf Tagen nach Symptombeginn einnehmen.“

„Die idealen Patienten für den Einsatz von Paxlovid sind erst seit kurzer Zeit symptomatisch und noch nicht schwer erkrankt, haben aber Risikofaktoren für einen schweren Verlauf. Das Risiko ist vor allem bei einem Alter ab 65 Jahren, bei relevanten Vorerkrankungen an wichtigen Organen wie Herz, Lunge oder Niere und bei geschwächtem Immunsystem erhöht. Je höher das Risiko ist und je früher die Therapie begonnen wird, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit für einen positiven Effekt der Therapie. Wichtig ist es, die Verträglichkeit bei bestimmten Vorerkrankungen und die möglichen Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten zu überprüfen.“

„Ich fürchte, dass das Risiko eines schweren COVID-19-Verlaufs inzwischen sowohl von Ärzten als auch von Patienten häufig unterschätzt wird. Im Vergleich zu früheren Infektionswellen hat das Risiko für Komplikationen aufgrund der weniger gefährlichen Varianten und der breiten Bevölkerungsimmunität tatsächlich erheblich abgenommen, aber es gibt eben immer noch zu viele davon. Auf der anderen Seite ist die Verschreibung von Paxlovid für die Hausärzte keine Routine. Es müssen bestimmte Vorgaben bei der Rezeptierung beachtet werden und die zahlreichen Wechselwirkungen von Paxlovid schrecken viele ab. Es sind hierzu zwar inzwischen Medikamentenlisten veröffentlicht und genaue Anweisungen, wie in welchem Fall zu verfahren ist. Trotzdem muss man sich als Hausarzt einarbeiten und lernen, mit den komplexen Wechselwirkungen umzugehen. In manchen Fällen muss man die Dosis eines Medikaments reduzieren, in anderen muss man es für einige Tage absetzen oder es durch ein anderes ersetzen. Manche Patienten dürfen Paxlovid auch gar nicht bekommen. Das ist gerade bei älteren Patienten mit vielen Dauermedikamenten aufwendig. Bei Nichtbeachtung können ernste Probleme auftreten. Es gibt inzwischen aber eine App, mit der man diese Fragen recht schnell und zuverlässig klären kann:https://covid19-druginteractions.org/checker

„Außerdem bieten die Infektiologischen Zentren Deutschlands eine Hotline für medizinisches Fachpersonal an. Wir hier in Düsseldorf machen dabei auch mit und versuchen damit, den frühen Einsatz der Therapie bei Risikopatienten zu fördern. Viele engagierte Ärzte, die bei uns anrufen, wollen die beste Lösung für ihre Patienten finden und sich über die aktuellen Therapiemöglichkeiten austauschen.“

„Paxlovid ist grundsätzlich gut verträglich und sicher, wenn die Vorgaben beachtet werden. Als Nebenwirkungen können vor allem Geschmacksstörungen, Durchfall und Erbrechen auftreten, die sich nach Absetzen der Therapie zurückbilden. Wenn die Indikation korrekt gestellt wird, überwiegt der Nutzen das Risiko deutlich. Damit ist die in Deutschland offenbar verbreitete Zurückhaltung bei der Verordnung von Paxlovid für mich nicht gerechtfertigt.“

Auf die Frage, ob die Verschreibungspraxis von Paxlovid vereinfacht, beziehungsweise beschleunigt werden sollte, zum Beispiel verstärkt über die Hausärzte oder in Pflegeeinrichtungen
„Ja, die Verordnung und Bereitstellung von Paxlovid für die Patienten muss noch einfacher werden. Dabei sind vor allem die Hausärzte, Pflegeeinrichtungen und auch Notaufnahmen und Notfallpraxen eine wichtige Rolle, die meist die erste Anlaufstelle sind. Hier muss die Indikation geprüft werden und eine Verfügbarkeit ohne wesentliche Hürden oder Verzögerungen sichergestellt werden. Das ist vor allem im Hinblick auf den erwarteten Anstieg der Fallzahlen im Winter und möglicherweise gefährlichere Varianten jetzt vordringlich.“

Prof. Dr. Stefan Kluge

Direktor der Klinik für Intensivmedizin, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE)

„Paxlovid spielt vor allem im ambulanten Bereich eine Rolle, da die Behandlung spätestens fünf Tage nach Symptombeginn beginnen sollte. Wenn die Patienten aufgrund einer COVID-19-Erkrankung in die Klinik kommen, ist es dafür meistens schon zu spät. Insgesamt kann man aber sagen, dass Paxlovid in Deutschland wesentlich weniger angewendet wurde als in anderen europäischen Ländern. Das gilt sowohl für die Arztpraxen als auch für die Klinik.“

„Es gibt Patienten, die schon in der Frühphase zu uns in die Klinik kommen, beispielsweise ältere Menschen mit Fieber. Je nach Risikoprofil geben wir dann auch Paxlovid. Im Krankenhaus gibt es die Besonderheit, dass wir sowieso alle Patienten, die aufgenommen werden, mittels PCR-Test testen. Unter den mehreren Tausend Patienten, die in Deutschland täglich wegen Operationen oder anderen Erkrankungen in eine Klinik kommen, gibt es natürlich auch viele Zufallsbefunde. Dann schauen wir ganz genau hin. Wenn jemand mit einem positiven Test zwar symptomlos ist, aber beispielsweise ungeimpft und ein hohes Risiko für einen schweren Verlauf hat, dann bieten wir diesen Patienten auch Paxlovid an. Das spielt allerdings eher eine Rolle auf Normalstationen, in einzelnen Fällen haben wir aber auch schon Paxlovid an Patienten auf Intensivstationen verabreicht.“

„Bislang war es so, dass wir nur Daten zu ungeimpften Personen, die mit Paxlovid behandelt wurden, hatten. Mittlerweile gibt es jedoch auch Studien, die zeigen, dass auch geimpfte Personen mit Risikofaktoren, insbesondere diejenigen über 65 Jahren, von einer Behandlung profitieren können. Für junge Menschen, die nicht zur Risikogruppe gehören und vollständig geimpft sind, macht eine Behandlung mit Paxlovid keinen Sinn.“

„Es gibt viele Gründe dafür, dass Paxlovid in Deutschland bisher so wenig eingesetzt wurde. Zum einen dauert es immer eine gewisse Zeit, bis das Wissen auch alle Ärzte in Praxen und Krankenhäusern erreicht. Das sehen wir bei allen medizinischen Innovationen. Es wird dann zwar in den Leitlinien empfohlen, die Umsetzung dauert aber. Zudem kommt bei COVID-19 noch hinzu, dass wir relativ schnell immer neue Informationen und Studien bekommen haben. Ähnlich wie bei den Impfempfehlungen kann das auch zu Verwirrung führen. Es gibt auch Ärzte und Patienten, die von Problemen berichteten an das Mittel zu kommen. Apotheken hatten es nicht vorrätig oder Ärzte konnten es nicht rezeptieren.“

„Zudem gibt es bei der Substanz viele Wechselwirkungen. Besonders ältere Menschen ab 65 Jahren, die am meisten von Paxlovid profitieren könnten, nehmen häufig noch andere Arzneimittel ein. Eine Überprüfung aller möglichen Wechselwirkungen und eine Abwägung, welche Medikamente abgesetzt werden können, kostet im Praxisalltag viel Zeit und könnte auch eine Erklärung dafür sein, warum es bisher noch nicht so viel eingesetzt wurde. Die Vergabe wurde zuletzt jedoch deutlich vereinfacht durch die Aktion des Bundesgesundheitsministeriums. Seit Kurzem dürfen die Arztpraxen auch einige Packungen selbst vorrätig haben.“

„Die Nebenwirkungen von Paxlovid sind überschaubar. Es können zwar Nebenwirkungen wie Durchfall oder Geschmacksstörungen auftreten, allgemein ist es aber gut verträglich.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Prof. Dr. Stefan Kluge: „Ich erhielt Forschungsunterstützung der Firmen Cytosorbents und Daiichi Sankyo. Ich erhielt Vortragshonorare der Firmen Biotest, Daiichi Sankyo, Fresenius Medical Care, Gilead, Mitsubishi Tanabe Pharma, MSD, Pfizer und Zoll. Ich erhielt Beraterhonorare von Fresenius, Gilead, MSD und Pfizer.“
Alle anderen: Keine Angaben erhalten.