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09.03.2023

Tiefseebergbau: Rohstoffquelle für die Energiewende oder unberechenbares Risiko?

Das weltweite Interesse am Abbau von Metallen in der Tiefsee nimmt zu – doch Regeln dafür fehlen bislang. Diese soll die Internationale Meeresbodenbehörde fertigstellen, die bis Ende März in Kingston, Jamaica, tagt. Die UN-Behörde arbeitet schon seit mehreren Jahren an einem Regelwerk. Aktuell drängen jedoch einige Unternehmen darauf, Bergbauvorhaben in der Tiefsee zu starten. Besonders die in Manganknollen enthaltenen Metalle könnten helfen, so argumentieren die Firmen, den steigenden Rohstoffbedarf für die Energiewende zu decken. Forschende warnen jedoch, dass der Tiefseebergbau große – und wenig erforschte – Risiken für die Ökosysteme am Meeresboden und die weitere Meeresumgebung birgt [I].

Die Zeit drängt: Im Sommer 2021 informierte die kanadische Metals Company gemeinsam mit dem Inselstaat Nauru die Internationale Meeresbodenbehörde, Tiefseebergbau im Zentralpazifik starten zu wollen. Damit lösten sie eine Zwei-Jahres-Klausel aus dem Seerechtsübereinkommen aus: Sollten binnen zwei Jahren – bis Juli 2023 – die Regeln für Tiefseebergbau nicht fertiggestellt sein, müssen Anträge basierend auf dem dann gültigen Rechtsrahmen geprüft und „vorläufig bestätigt“ werden [II]. Es wäre also möglich, dass Anträge von Firmen auch ohne entsprechendes Regelwerk genehmigt werden – die Auslegung der Zwei-Jahres-Klausel ist allerdings umstritten. Einige UN-Mitglieder, darunter auch Deutschland, fordern ein Moratorium, bis die Risiken des Tiefseebergbaus ausreichend verstanden sind. Forschenden zufolge könnte das noch Jahrzehnte dauern [I].

Manganknollen – oder präziser polymetallische Knollen – kommen in großen Mengen auf dem Boden einiger Meeresregionen in mehreren Kilometern Tiefe vor. Eine dieser Regionen ist die Clarion Clipperton Zone im Zentralpazifik, in der die Metals Company ihre Bergbauvorhaben plant. Neben Mangan, das vor allem in der Stahlproduktion zum Einsatz kommt, enthalten die Knollen Metalle, die für Batterien verwendet werden – vor allem Kupfer, Nickel und Kobalt. Eine Studie des Öko-Instituts kam kürzlich jedoch zu dem Schluss, dass die Tiefseerohstoffe nicht essenziell für die Energiewende sind [III].

Was ist über die Folgen des Tiefseebergbaus für die marinen Ökosysteme bekannt – und für die Fähigkeit der Ozeane, CO2 zu speichern? Welche Metalle könnten in welchen Mengen am Meeresboden gewonnen werden und wie wichtig sind diese für die Energiewende? Was spricht für ein Moratorium und was geschieht, wenn bis zum Ablauf der Zwei-Jahres-Frist im Juli kein Regelwerk steht?

Diese Fragen – und Ihre – beantworteten Expertinnen und Experten in einem 50-minütigen Press Briefing.

Expertin und Experten im virtuellen Press Briefing

     

  • Dr. Sabine Gollner
    Senior Scientist am Department Ocean Systems, Royal Netherlands Institute for Sea Research, Texel, Niederlande
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  • Dr. Matthias Haeckel
    Wissenschaftler im Forschungsbereich Marine Biogeochemie, Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel (GEOMAR), Kiel
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  • Dr. Andreas Manhart
    Senior Researcher im Forschungsbereich Produkte & Stoffströme, Öko-Institut, Freiburg
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Abschluss-Statements aus dem Press Briefing

Das SMC hat die Expertin und die Experten am Ende des Press Briefings gefragt, was aus wissenschaftlicher Sicht für oder gegen ein Moratorium zum Tiefseebergbau spricht.

Dr. Sabine Gollner

Senior Scientist am Department Ocean Systems, Royal Netherlands Institute for Sea Research, Texel, Niederlande

„Es ist aus meiner wissenschaftlichen Perspektive ganz wichtig zu sagen, dass die Entscheidungen wissenschaftsbasiert getroffen werden sollten. Ich werde mich nicht hinstellen und sagen, ich bin für oder gegen ein Moratorium. Wir wissen als wissenschaftliche Gemeinschaft, dass man mit der derzeitigen Datenlage den Tiefseebergbau nicht managen kann. Auf eine Art und Weise, die nicht schädlich wäre für die Umwelt. Die Entscheidung für oder gegen ein Moratorium liegt immer bei den Ländern, nicht bei den Wissenschaftlern. Wir liefern die Daten und die Daten zeigen: Jetzt wäre es zu früh. Wie lange dauert das? Das ist eine Frage, die uns sehr oft gestellt wird und die sehr schwierig zu beantworten ist. Man findet eine große Palette an Antworten. Das hängt auch damit zusammen, wie gut man das alles machen will. Wie robust muss die Regulierung, die Gesetzeslage sein und das Wissen von der Umwelt sein, um das gut managen zu können. Einige sagen, das ist ein sehr kleiner Anteil, wir wissen jetzt schon genug. Ich glaube, 99 Prozent der Wissenschaftler geben Bereiche zwischen sechs und 30 Jahren an, die es dauern wird, um das wirklich gut managen zu können. Es gibt eine große Bandbreite, aber ich glaube so gut wie alle sind sich einig, dass es jetzt nicht möglich ist.”

Dr. Matthias Haeckel

Wissenschaftler im Forschungsbereich Marine Biogeochemie, Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel (GEOMAR), Kiel

„Als zweiten Aspekt möchte ich anführen, dass das Moratorium nur Sinn macht, wenn die Grundlagenforschung, die wir zu den Umweltfolgen betreiben, auch fortgesetzt wird. In den vergangenen Jahrzehnten seit den 1970er Jahren hat sich gezeigt, dass immer dann, wenn das Industrieinteresse an diesen Rohstoffen nicht da war, es auch keine Umweltfolgenforschung gegeben hat, weil auch die Ministerien ihre Gelder referenziell danach verteilen, wo industrielles Interesse ist. Das gilt auch für andere Bereiche, zum Beispiel die CCS-Forschung. Die Intensität der Förderung durch die Regierung, die Forschungsministerien ist mehr oder weniger gekoppelt an industrielles Interesse. Deutschland hat sich dazu bekannt, dass die Umweltfolgenforschung weitergeführt und sogar intensiviert werden soll und sprechen dabei von einer vorsorglichen Pause. Dann mag ein Moratorium sinnvoll sein. Wir werden am Ende nach zehn oder 20 Jahren einige Fragen immer noch nicht beantworten können. Deswegen müssen solche Regularien grundsätzlich adaptiv sein, wie wir es in den europäischen Staaten und in der westlichen Welt eigentlich auch gewohnt sind. Das wollen aber einige Länder im Council nicht. Sie wollen fixe Regularien für die nächsten 30 Jahre und darum geht es meiner Meinung nach eher als um eine Pause. Wir werden einige von diesen großskaligen Problemen oder Fragen erst beantworten können, wenn es einen Abbau auf industrieller Skala gibt. So paradox wie das klingt, würde das aber am Ende diesem Vorsorgeprinzip, das in UNCLOS steht, widersprechen. Ich merke das auch immer bei den Diskussionen oder Fragen von Journalisten in Gesprächen. Das ist ein einmaliger Rahmen, der damals geschaffen worden ist, in dem das Vorsorgeprinzip steht und der Tiefseeboden als Erbe der Menschheit definiert worden ist.  Es geht nicht nur darum, zu sehen, dass die Rohstoffe und der Gewinn aus dem Rohstoffabbau das Erbe der Menschheit sind, das umverteilt worden ist, sondern auch das Ökosystem in der Tiefsee ist das Erbe der Menschheit und erhaltungsbedürftig.“

Dr. Andreas Manhart

Senior Researcher im Forschungsbereich Produkte & Stoffströme, Öko-Institut, Freiburg

„Es gibt die Diskussion, dass wir uns über die Bedenkenträger hinwegsetzen und die Rohstoffe fördern müssen, sonst bekommen wir die Energiewende, die Elektromobilitätswende nicht hin.  Da würden wir ganz klar zu Entspannung tendieren. Wir haben in den letzten Jahren gesehen, dass die Batterien der Elektroautos ohne Kobalt und Nickel gebaut werden können. Selbst Tesla ist aufgrund relativ hoher Rohstoffpreise in vielen Fahrzeugen auf Batterien umgestiegen, die weder Kobalt noch Nickel enthalten. Wir brauchen das Kobalt vom Meeresboden nicht, um weiterhin Elektroautos zu bauen. Es gibt uns eigentlich Zeit, in Ruhe darüber nachzudenken, was sind die Folgen des Abbaus wären und diese Entscheidung nicht zu überstürzen. Die Energiewende und die Verkehrswende sind durch ein weiteres Hinauszögern oder vielleicht auch durch ein komplettes Moratorium nicht gefährdet. Wir brauchen die Rohstoffe nicht sofort und müssen bei den Entscheidungen nichts überstürzen.“

Video-Mitschnitt & Transkript

Auf unserem YouTube-Kanal können Sie das Video auch in Sprecheransicht oder Galerieansicht sehen.

Das Transkript kann hier als pdf heruntergeladen werden.

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Dr. Matthias Haeckel: „Interessenkonflikte gibt es keine.“

Alle anderen: Keine Angaben erhalten.

Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden

[I] Amon DJ et al. (2022): Assessment of scientific gaps related to the effective environmental management of deep-seabed mining. Marine Policy. DOI: 10.1016/j.marpol.2022.105006.

[II] Europäische Union (1998): Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen.
Paragraph 15(c) der Anlage auf Seite 119 enthält die Zwei-Jahres-Klausel für die vorläufige Genehmigung von Tiefseebergbau-Vorhaben.

[III] Manhart A et al. (2023): The Rush for Metals in the Deep Sea. Considerations on Deep-Sea Mining. Öko-Institut.
Studie im Auftrag von Greenpeace.