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11.05.2021

Strategiewechsel bei COVID-19-Impfungen: Geänderte Impfschemata und die Abwägung von Nutzen und Risiken für jüngere Altersgruppen

Die Bedingungen für Impfungen gegen COVID-19 in Deutschland haben sich in den vergangenen Tagen tiefgreifend verändert. Geimpfte und Genesene genießen erste Freiheiten. Zudem kann nun jeder Erwachsene ab 18 Jahren nach ärztlicher Aufklärung eine Impfung mit Vaxzevria erhalten, dem Impfstoff vom Hersteller AstraZeneca, oder mit dem Impfstoff COVID-19-Vaccine Janssen des Herstellers Janssen Cilag, der Tochterfirma des US-Unternehmens Johnson & Johnson. Die Gesundheitsministerinnen und -minister hoben die Priorisierung von Risikogruppen für diese Vakzine auf. Ärztinnen und Ärzte können zudem den Abstand zwischen den zwei nötigen Impfdosen von Vaxzevria verringern, auf den Zeitraum von vier Wochen. Dieser kurze Impfabstand ist zwar von der europäischen Zulassung gedeckt, allerdings kann er sich nach bisherigen Studiendaten negativ auf die Wirksamkeit auswirken [I].

Die Ständige Impfkommission (STIKO) dagegen empfiehlt den Impfstoff Vaxzevria für über 60-Jährige, da erst ab diesem Alter der Nutzen durch den Schutz vor einer COVID-19-Erkrankung das Risiko für die seltenen, aber schwerwiegenden Nebenwirkungen der Thrombosen mit einem Mangel an Blutplättchen überwiegt [II]. Für den anderen in der EU zugelassenen Vektor-Impfstoff des Herstellers Janssen Cilag, liegt seit gestern auch eine STIKO-Empfehlung vor [VI]. Diese entspricht der für den Impfstoff Vaxzevria: Er wird auch für Personen ab 60 Jahre empfohlen. Auch bei diesem sind in den USA vereinzelt Fälle der seltenen Thrombosen aufgetreten. In Deutschland wurden dem Paul-Ehrlich-Institut (PEI) bis zum 30. April 2021 67 Fälle der mittlerweile TTS – Thrombose mit Thrombozytopenie Syndrom – genannten Nebenwirkung übermittelt. 14 Patientinnen und Patienten verstarben. Je nach Altersgruppe und Geschlecht ergibt sich eine Melderate von 0,2 bis 2,2 Fällen pro 100.000 verabreichten Impfungen [III, Auswertungen der Daten bis 11.04.2021].

Das Alter ist nachweislich einer der größten Risikofaktoren für einen schweren oder gar tödlichen COVID-19-Verlauf. Das gesundheitliche Risiko durch seltene Nebenwirkungen wiegt damit bei sinkenden Inzidenzen und damit geringeren Infektionswahrscheinlichkeiten zunehmend schwerer gegen den Vorteil einer schnelleren Immunisierung mit Vaxzevria – wenn Alternativen wie RNA-Impfstoffe verfügbar sind, bei denen bisher keine häufigeren TTS-Meldungen vorliegen. Das STIKO-Pendant JCVI im Vereinigten Königreich empfiehlt Vaxzevria seit vergangenem Freitag nur noch für Menschen ab dem Alter von 40 Jahren, anstatt wie zuvor für alle im Alter von 30 Jahren und älter [IV]. Der Grund dafür ist die stark gesunkene Inzidenz, die mittlerweile nur knapp über 20 Neuinfektionen pro Woche pro 100.000 Einwohnerinnen und Einwohner liegt. Das britische Winton Centre for Risk and Evidence Communication hat daher vergangene Woche eine aktualisierte Risikoeinschätzung für Menschen mit sehr niedrigem Infektionsrisiko durch SARS-CoV-2 vorgelegt [V]. 

Wie werden sich die neuen Regelungen zu Vaxzevria und dem Impfstoff von Janssen Cilag auf den Impffortschritt in Deutschland auswirken? Welche Aspekte sind für jüngere Menschen auf der individuellen wie der Ebene des Gemeinschaftsschutzes zu beachten? Wer soll sich impfen lassen, wer kann möglicherweise warten? Wie können vor allem junge Menschen das Risiko zwischen seltenen Nebenwirkungen und Schutz mit dem Nebeneffekt von zurückgewonnenen Freiheiten abwägen? Welche neuen Ergebnisse zur Alters- und Geschlechterverteilung der seltenen Nebenwirkungen gibt es? Gibt es neue Erkenntnisse über den Pathomechanismus hinter den Vektor-Impfstoffen? Wie stellt sich die Risikoabwägung beim Impfstoff von Janssen Cilag dar, bei dem ja nur eine Impfung notwendig ist? Israel und das Vereinigte Königreich planen zudem schon jetzt eine dritte Auffrischungsimpfung für den Herbst. Welche Erkenntnisse gibt es inzwischen zur Dauer des Impfschutzes, unter welchen Umständen macht eine Auffrischungsimpfung Sinn?

Diese Fragen – und Ihre – beantworteten die Experten in einem 50-minütigen Press Briefing.

Experten auf dem Podium

     

  • Prof. Dr. Christian Bogdan
    Direktor des Mikrobiologischen Instituts – Klinische Mikrobiologie, Immunologie und Hygiene, Universitätsklinikum Erlangen, und Mitglied der Ständigen Impfkommission
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  • Prof. Dr. Andreas Greinacher
    Leiter der Abteilung Transfusionsmedizin am Institut für Immunologie und Transfusionsmedizin, Universitätsmedizin Greifswald
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  • Prof. Dr. André Karch
    Stellvertretender Institutsdirektor Epidemiologie und Sozialmedizin und Leiter der Klinischen Epidemiologie, Universitätsklinikum Münster
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Video-Mitschnitt & Transkript

Ein Transkript finden Sie hier.

Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden

[I] Science Media Center (2021): Priorisierung und Impfabstände der AstraZeneca-Impfung. Rapid Reaction. Stand: 07.05.2021.

[II] Ständige Impfkommission (2021): Mitteilung der Ständigen Impfkommission am Robert Koch-Institut Beschluss der STIKO zur 4. Aktualisierung der COVID-19-Impfempfehlung und die dazugehörige wissenschaftliche Begründung. Epidemiologisches Bulletin; 16: 3-78. DOI: 10.25646/8277.2.

[III] Paul-Ehrlich-Institut (07.05.2021): Verdachtsfälle von Nebenwirkungen und Impfkomplikationen nach Impfung zum Schutz vor COVID-19. Sicherheitsbericht.

[IV] Public Health England (07.05.2021): JCVI advises on COVID-19 vaccine for people aged under 40. Press Release.

[V] Winton Centre for Risk and Evidence Communication (07.05.2021): Latest Data from the MHRA on blood clots associated with the Astra Zeneca COVID-19 Vaccine.

[VI] Ständige Impfkommission (10.05.2021): STIKO zu COVID-19-Impfstoff Janssen, STIKO zum Einsatz der COVID-19-Impfstoffe in der Schwangerschaft. Pressemitteilung.