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21.04.2022

Nutzen und Perspektive weiterer COVID-19-Booster

Die Impfkampagne gegen COVID-19 steht an einem bedeutenden Scheideweg. Ein großer Teil der Menschen ist vollständig geimpft, also zweifach plus einem Booster. Das Immungedächtnis der B- und T-Zellen, das für einen langanhaltenden Schutz vor schweren Krankheitsverläufen sorgt, ist Studien zufolge bereits nach zwei Dosen auf einem hohen Niveau [I], eine dritte Dosis verstärkt den Schutz noch einmal [II]. Bekannt ist aber auch, dass die sogenannte humorale Immunantwort – die Produktion von Antikörpern – je nach Virusvariante nach wenigen Monaten teils stark nachlässt. Um die Gesundheitssysteme nicht zu überlasten, war zuletzt deshalb immer wieder eine vierte Impfdosis beziehungsweise ein zweiter Booster im Gespräch. Daten aus Israel zeigen bei älteren Personen nach einer vierten Dosis eine abermalige Verstärkung des Immunschutzes [III]. Also: Je mehr Booster, desto besser?

So einfach ist diese Frage nicht zu beantworten. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach plädierte jüngst noch für einen zweiten Booster ab 60 Jahren. Gegenüber der Europäischen Union drang Lauterbach auf eine entsprechende EU-weite Empfehlung. Die Europäische Arzneimittelagentur Ema folgte seinem Vorschlag nicht und empfahl einen zweiten Booster lediglich für alle ab 80 Jahren [IV]. In Deutschland empfiehlt die Ständige Impfkommission einen zweiten Booster derzeit nur für über 70-Jährige und Menschen mit Vorerkrankungen [V]. Die USA haben die Altersgrenze bei 50 Jahren angesetzt. Insbesondere für jüngere Menschen stellt sich die Frage nach dem Nutzen einer vierten Impfdosis, wenn der Schutz gegen schwere Krankheitsverläufe doch nach drei Dosen bereits besteht – und das vermutlich langfristig.

Die abermalige Auffrischung mit einem weiteren Booster – oder auch mit dem in Kürze verfügbaren Omikron-Impfstoff – könnte für bereits vollständig geimpfte Personen womöglich keinen zusätzlichen Nutzen bringen. So zeigt eine aktuelle Studie an Affen, dass ein angepasster Omikron-Booster im Vergleich zum herkömmlichen Booster nicht zu höheren Antikörpertitern führt [VI]. Das mutmaßliche Phänomen dahinter ist als Antigenerbsünde bekannt: Dabei werden im Verlauf einer erneuten Infektion vor allem solche Antikörper gebildet, die an die Epitope des ursprünglichen Erregers binden. Der Effekt kann auch bei wiederholten Impfungen mit veränderten Impfstoffen auftreten, wodurch die Wirksamkeit gegen neue Varianten schwächer ausfallen könnte. Die Ema warnte im Januar bereits vor zu häufig hintereinander folgenden Boostern, die möglicherweise nicht mehr die gewünschte Immunantwort hervorrufen [VII].

Was können wir also von den angepassten Omikron-Impfstoffen erwarten? Für wen und für welche Altersgruppe sind sie geeignet? Wie sinnvoll ist ein zweiter Booster insbesondere für Jüngere? Mit welcher Immunantwort ist in solchen Fällen zu rechnen – und mit welcher nicht? Muss man sich nach drei Impfdosen überhaupt noch einmal gegen COVID-19 impfen lassen?

Anmerkung der Redaktion: In einer vorherigen Version des Textes stand, Lauterbach habe den zweiten Booster für alle ab 18 Jahren empfohlen. Das tat er beim ersten Booster. Den zweiten empfahl er ab 60. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.

Fachleute im virtuellen Press Briefing

     

  • Prof. Dr. Christine Falk
    Leiterin des Instituts für Transplantationsimmunologie, Medizinische Hochschule Hannover, und Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Immunologie sowie derzeit Mitglied des Corona-Expertenrats der Bundesregierung

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  • Prof. Dr. Christoph Neumann-Haefelin
    Leiter der Arbeitsgruppe Translationale Virusimmunologie an der Klinik für Innere Medizin II, Universitätsklinikum Freiburg

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  • Prof. Dr. Andreas Radbruch
    Wissenschaftlicher Direktor, Deutsches Rheuma-Forschungszentrum Berlin

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Video-Mitschnitt & Transkript

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Das Transkript können Sie hier als pdf herunterladen.

Literaturstellen, die vom SMC verwendet wurden

[I] Goel RR et al. (2021): mRNA vaccines induce durable immune memory to SARS-CoV-2 and variants of concern. Science. DOI: 10.1126/science.abm0829.

[II] Bar-On JM et al. (2021): Protection of BNT162b2 Vaccine Booster against Covid-19 in Israel. New England Journal of Medicine. DOI: 10.1056/NEJMoa2114255.

[III] Magen O et al. (2022): Fourth Dose of BNT162b2 mRNA Covid-19 Vaccine in a Nationwide Setting. New England Journal of Medicine. DOI: 10.1056/NEJMoa2201688.

[IV] European Medicines Agency (06.04.2022): ECDC and EMA issue advice on fourth doses of mRNA COVID-19 vaccines. Pressemitteilung.

[V] Robert Koch-Institut (17.02.2022): Wissenschaftliche Begründung der STIKO zur Empfehlung zur 2. COVID-19-Auffrischimpfung mit einem mRNA-Impfstoff für besonders gesundheitlich gefährdete bzw. exponierte Personengruppen. Epidemiologisches Bulletin.

[VI] Gagne M et al. (2022): mRNA-1273 or mRNA-Omicron boost in vaccinated macaques elicits similar B cell expansion, neutralizing antibodies and protection against Omicron. Cell. DOI: 10.1016/j.cell.2022.03.038.

[VII] European Medicines Agency (11.01.2022): Ema Press Briefing.