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22.03.2024

AWMF-Leitlinie zu Geschlechtsinkongruenz und -dysphorie im Kindes- und Jugendalter

     

  • erste S2k-Leitiline zur Behandlung von Geschlechtsdysphorie im Kindes- und Jugenalter erscheint dieses Jahr
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  • 27 Fachgesellschaften sowie zwei Patienten-Interessenorganisationen beteiligten sich an der Ausarbeitung der Leitlinie
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  • im Press Briefing begründeten die Autorinnen sowie ein Autor und eine unabhängige Expertin die Behandlungsempfehlungen 
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In diesem Frühjahr soll planmäßig erstmals eine S2k-Leitlinie zur Diagnostik und Behandlung von Geschlechtsinkongruenz und Geschlechtsdysphorie im Kindes- und Jugendalter erscheinen. Kinder und Jugendliche mit Geschlechtsinkongruenz (GI) können sich nicht mit dem Geschlecht identifizieren, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde. Entsteht daraus für das Kind ein anhaltender, krankheitswertiger psychischer Leidenszustand, so spricht man von Geschlechtsdysphorie (GD). 

Die neue Leitlinie, die neben Deutschland auch in Österreich und der Schweiz gültig sein wird, löst die 1999 erstmals erstellte und 2013 aktualisierte S1-Leitlinie ab. Letztlich basiert die Leitlinie auf den aktualisierten internationalen Klassifikationen von geschlechts-nonkonformen Identitäten. Diese Konzepte sehen vor, dass GI an sich keine psychische Krankheit ist. Allein das damit verbundene subjektive Leiden, die GD, wird als krankhaft betrachtet. Darüber hinaus soll die neue Leitlinie aktuelle Behandlungsstandards bündeln – basierend auf bestmöglicher Evidenz und breitestmöglichem Konsens 26 beteiligter Fachgesellschaften sowie zwei Vertretungsorganisationen von Behandlungssuchenden.  

Ein weiteres Ziel der Autorinnen und Autoren der Leitlinie bestand darin, nicht allein die weiterhin unsichere wissenschaftliche Evidenzlage und die Empfehlungen bereits bestehender internationaler Leitlinien [1] [2] [3] [4] zu bündeln, sondern darüber hinaus Fragestellungen zu identifizieren, die für die Diagnose und Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit GI und GD relevant sind, aber noch nicht in publizierten Leitlinien behandelt wurden. 

Zu einem besonders heiklen Punkt zählt der Einsatz von Hormonen als Pubertätsblocker bei Jugendlichen mit GD, bei denen die langfristige Sicherheit und Wirksamkeit wissenschaftlich kaum belegt ist. Aufgrund von Fällen, bei denen Personen eine zu frühe und schnelle Behandlung mit Pubertätsblockern und einer Hormonbehandlung später bereut haben, agieren einige Länder inzwischen bei der Behandlung von Jugendlichen vorsichtig, oder verwenden Pubertätsblocker nur noch im Rahmen klinischer Studien wie derzeit in Großbritannien. International diskutiert wird auch der seit einigen Jahren beobachtete Trend einer steigenden Anzahl von Jugendlichen mit GI und GD.  

Die Leitlinie befindet sich bis Ende April 2024 in der Kommentierungsphase durch die beteiligten Fachgesellschaften. Die eingebrachten Vorschläge und Kritikpunkte werden dann in die Leitlinie eingearbeitet bevor es zur endgültigen Veröffentlichung kommen wird.

In einem virtuellen Press Briefing stellten drei Autorinnen sowie ein Autor die Leitlinie vor. Eine unabhängige Expertin schätzte die Leitlinie ein, deren Stärken und Schwächen auf dem Panel diskutiert wurden.

Expertinnen und Experten im virtuellen Press Briefing

     

  • KD Dr. Dagmar Pauli, Stellvertretende Direktorin der Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, Psychiatrische Universitätsklinik Zürich und Autorin der Leitlinie
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  • Dr. Achim Wüsthof, Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin sowie für Pädiatrische Endokrinologie und Diabetologie am Endokrinologikum Hamburg und Autor der Leitlinie
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  • Prof. Dr. Claudia Wiesemann, Direktorin des Instituts für Ethik und Geschichte der Medizin, Universitätsmedizin Göttingen und Autorin der Leitlinie
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  • Sabine Maur, Psychologische Psychotherapeutin mit Zusatzqualifikation Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie sowie Vize-Präsidentin der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) und Autorin der Leitlinie
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  • Dr. Cecilia Dhejne, Facharzt für Psychiatrie und Sexual Medizine, ANOVA-Center for Andrology, Sexual Medicine, Transgender Medicine, Karolinska Universitätskrankenhaus, Stockholm, Schweden
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Videomitschnitt und Transkript

Das Transkript kann hier als pdf heruntergeladen werden.

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

KD Dr. Dagmar Pauli: „Ich habe keine Interessenkonflikte.“

Prof. Dr. Claudia Wiesemann: „Ich habe keine Interessenkonflikte.“

Sabine Maur: „Ich halte Seminare für psychotherapeutische Aus- und Fortbildungsinstitute zum Thema Geschlechtsdysphorie.“

Alle anderen: Keine Angaben erhalten.

Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden

[1] Adelson SL et al. (2012): Practice Parameter on Gay, Lesbian, or Bisexual Sexual Orientation, Gender Nonconformity, and Gender Discordance in Children and Adolescents. Journal of the American Academy of Child & Adolescent Psychiatry. DOI: 10.1016/j.jaac.2012.07.004.

[2] Coleman et al. (2012): Standards of Care, for the Health of Transsexual, Transgender, and Gender Nonconforming People, Version 7. International Journal of Transgenderism. DOI: 10.1080/15532739.2011.700873.

[3] Hembree WC et al. (2017): Endocrine treatment of gender-dysphoric/gender-incongruent persons: An endocrine society clinical practice guideline. The Journal of Clinical Endocrinology and Metabolism. DOI: 10.1210/jc.2017-01658.

[4] Coleman E et al. (2022): Standards of Care for the Health of Transgender and Gender Diverse People, Version 8. International Journal of Transgender Health. DOI: 10.1080/26895269.2022.2100644.