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14.02.2019

Nicht-invasive Hirnstimulation – neue Möglichkeiten in Therapie und Forschung?

Von Depressionen über chronische Schmerzen und Bewegungsstörungen bis hin zu Schlaganfällen – mithilfe elektrischer und magnetischer Reize erhoffen sich Forscher neue Therapieansätze gegen eine ganze Reihe psychiatrischer und neurologischer Erkrankungen. Nicht-invasive Hirnstimulation (engl. non-invasive brain stimulation, NIBS) bietet neue nicht-pharmakologische Behandlungsmöglichkeiten, wo traditionelle Therapien an ihre Grenzen stoßen. Oder es zu riskant ist, Elektroden direkt im Gehirn zu platzieren, wie beispielsweise bei der Tiefenhirnstimulation.

Nervenzellen kommunizieren über elektrische Prozesse, daher lassen sich diese auch durch elektrische oder magnetische Impulse beeinflussen. Nicht-invasive Hirnstimulation nutzt diese Eigenschaft. Abhängig von Position, Stimulationsstärke und Dauer können bestimmte Gehirnbereiche aktiviert oder gehemmt werden. NIBS lässt sich bei gesunden Menschen anwenden, ist jedoch vor allem für Erkrankungen erforscht, bei denen bestimmte Hirnbereiche eingeschränkt sind. Zugrundeliegende Mechanismen und die Wirksamkeit der Hirnstimulation werden intensiv erforscht, um eine gezieltere Stimulation zu ermöglichen.

Welche nicht-invasiven Methoden gibt es? Wo wird NIBS klinisch bereits eingesetzt? Und wie wirkt sie überhaupt? Dieses Fact Sheet gibt einen Überblick über die verschiedenen Methoden, ihr Einsatzgebiet in Therapie und Forschung und liefert Hintergrundinformationen zu aktuell laufender Forschung und Entwicklung.

Das Fact Sheet können Sie hier herunterladen.

Übersicht

     

  • Nicht-invasive Hirnstimulation – Was ist das?
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  • Transkranielle Magnetstimulation – TMS
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  • Transkranielle Gleichstromstimulation – tDCS
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  • Vergleich tDCS und TMS
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  • Klinische Anwendung von tDCS und aktuelle Forschung
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  • Literaturstellen, die zitiert wurden
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Nicht-invasive Hirnstimulation – Was ist das?

Steckbrief [1] [2]

     

  • Nicht-invasive Hirnstimulation (engl.: non-invasive brain stimulation, NIBS) ermöglicht die Stimulation des menschlichen Gehirns mithilfe von elektrischen oder magnetischen Impulsen.
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  • Ist eine Form der Neuromodulation: Die Gehirnaktivität wird durch Modulation der Membranpotenziale beeinflusst, um kognitive, emotionale und Verhaltensveränderungen zu provozieren.
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  • Durch die Stimulation sollen die Aktivität, Konnektivität und Empfindlichkeit von Nervenzellen gesteigert oder gehemmt werden.
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  • Am häufigsten angewandte Verfahren sind die transkranielle Gleichstromstimulation (tDCS) und die transkranielle Magnetstimulation (TMS). Neue abgewandelte Verfahren werden noch untersucht sind aber vielversprechend; wie beispielsweise transorbitale Wechselstromstimulation (engl. Transorbital alternating current stimulation, tACS) [2].
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Anwendung [1] [2]

     

  • Forschung: ermöglicht in Kombination mit bildgebenden Verfahren kausale Zusammenhänge zwischen Hirnbereichen und Verhalten zu erforschen. Zum Beispiel die Frage, ob ein spezifischer Bereich für ein Verhalten verantwortlich ist.
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  • Hervorrufen von erwünschter kurzfristiger Unterbrechung der kognitiven Funktionen und von epileptischen Anfällen in der Elektrokrampftherapie bei Schwerst-Depressionen
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  • Diagnose: Messen der Aktivität und Funktionen bestimmter Hirnareale
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  • Klinischer Kontext: Soll Gehirnaktivitäten normalisieren und zum Beispiel die Symptome bei Depressionen verbessern. Einsatz bei verschiedenen neurologischen und psychiatrischen Störungen wird derzeit erforscht.
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Wirkmechanismus [1] [2] [3]

     

  • Elektrische und magnetische Stimulation beeinflussen die Signalverarbeitung der Nervenzelle. Dadurch werden das Membranpotenzial und die Erregungsleitung verändert.
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  • Stimulation: Erregbarkeit der Neurone wird erhöht. Werden Nervenzelle aktiviert, verringert sich der Ladungsunterschied, dadurch nimmt das Membranpotenzial zu und es wird wahrscheinlicher, dass ein Aktionspotenzial ausgelöst wird.
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  • Hemmung: Erregbarkeit der Neurone wird verringert. Die negative Elektrode vergrößert den Ladungsunterschied, dadurch nimmt das Membranpotenzial ab und die Zelle feuert seltener.
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  • tDCS: Schwache elektrische Stimulation erhöht oder verringert die Erregbarkeit des Neurons (Zu- oder Abnahme der Entladungsraten von Aktionspotenzialen).
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  • TMS: Magnetische Stimulation ist stark genug, um auch in ruhenden Neuronen ein Aktionspotenzial zu erzeugen.
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  • Zusätzlich wirken die Stimulationen auch auf tiefere Strukturen durch neuronale Projektionen und inter-hemisphärische Verbindungen.
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Forschungsausblick Nicht-invasive tiefe Hirnstimulation [4] [5]

     

  • In der klinischen Praxis bereits angewendete tiefe Hirnstimulation
    • engl. deep brain stimulation (DBS), eine invasive Methode, bei der zwei Elektroden angesteuert von einem Schrittmacher in das betroffenen Hirnareal implantiert werden.
    • Einsatz nur durch chirurgischen Eingriff, der aufwändig ist und in seltenen Fällen zu Komplikationen wie Infektionen oder Hirnblutungen führen kann.
    • Die DBS selbst gilt allgemein als nebenwirkungsarm und wird unter anderem bei Parkinson klinisch eingesetzt, etwa um Symptome der Schüttellähmung zu lindern.
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  • Bisher ist es mit NIBS vor allem möglich, vorwiegend oberflächliche Hirn Strukturen und größere Flächen zu stimulieren. Am Kopf gegenüberliegende Elektroden können auch tiefere Areale stimulieren.
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  • Eine wichtige Studie aus dem Jahr 2017 stellt erstmals nicht-invasives Verfahren zur gezielten, tiefen Hirnstimulation bei Mäusen vor [4]:
    • Zwei Elektroden erzeugen zwei elektrische Felder mit unterschiedlicher, aber generell hoher Frequenz.
    • Deren Frequenzen sind einzeln zu hoch, um Neuronen zu stimulieren, in der Überkreuzungszone der beiden Elektroden können Neuronen jedoch aktiviert werden.
    • Im Hippocampus, einer tief im Gehirn gelegenen Struktur für Lernen und Langzeiterinnerungen, entstand bei den Mäusen ein niederfrequentes Feld, das Neuronen im Hippocampus aktivierte und oberhalb gelegener Gebiete unbeeinflusst ließ.
    • Zu dieser neuen, nicht-invasiven tiefen Hirnstimulation fehlt bisher eine Replikation.
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  • Eine erste Studie an Menschen liefert erste eingeschränkte Hinweise, allerdings ist die Evaluation in tiefer gelegenen Hirnarealen nur mit bildgebenden Verfahren wie PET oder MRT möglich [5].
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  • Außerdem schwierig, lokale Intensität sowie räumliche Auflösung präzise abzustimmen.
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  • Individuelle anatomische Unterschiede erschweren Einsatz für therapeutische Zwecke.
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Transkranielle Magnetstimulation – TMS

Steckbrief [6]

     

  • Engl. transcranial magnetic stimulation, TMS.
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  • Erstmalig 1985 beschrieben.
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  • Beruht auf dem Prinzip der elektromagnetischen Induktion: Innerhalb von etwa 100 Mikrosekunden wird eine intensive Energie bei hoher Spannung induziert
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  • Magnetspule erzeugt ein magnetisches Feld.
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  • Dieses kann die Schädeldecke passieren und erzeugt dann in Hirnarealen wiederum ein elektrisches Feld
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  • Das erzeugte Feld hat eine magnetische Flussdichte von bis zu 3 Tesla.
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Arten der Stimulation [1] [2] [6]

     

  • Single Pulse TMS (sp-TMS): nach einzelnem magnetischen Impuls entsteht ein neuronales Aktionspotenzial. Dieser Mechanismus erklärt, wie sp-TMS über motorischen Hirnregionen zu einer Muskelkontraktion führen kann.
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  • Repetitive TMS (rTMS): Salve von Impulsen auf ein Hirngebiet induziert langfristigere Effekte.
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  • Unterscheidung zwischen ‚low-frequency‘ TMS (1 Impuls pro Sekunde) und ‚high-frequency‘ TMS (10 Impulse pro Sekunde).
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  • ‚Low-frequency‘ TMS macht Hirnareal weniger empfänglich für Reize (engl. long term depression), ‚high-frequency‘ TMS erhöht Empfänglichkeit (engl. long term potentiation)
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Nebenwirkungen und Sicherheit [6]

     

  • TMS generell wird als sicher und ohne schwerere Nebenwirkungen angesehen, sofern bei Behandlungen die Empfehlungen zu Intensität, Dauer, Frequenz und Zeitraum zwischen den Stimulationen eingehalten werden.
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  • Bisher keine kognitiven, neurologischen oder kardiovaskulären Nebenwirkungen festgestellt; sehr selten kann die Stimulation epileptische Anfälle hervorrufen.
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  • Kopfschmerzen: milder, kurzzeitiger Kopfschmerz können am Stimulationstag auftreten.
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Genehmigung und Sicherheit

     

  • Europa: Krankenkassen erstatten Kosten im Falle einer schweren depressiven Phase in nur wenigen europäischen Ländern, darunter Deutschland, Finnland und Serbien.
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  • Außereuropäische Länder: TMS als Erst- oder Zweitlinienbehandlung zugelassen bei Depressionen in USA, Kanada, Brasilien, Australien und Israel.
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  • USA: FDA-Zulassung für behandlungsresistente Depressionen und Zwangsstörungen; FDA reguliert in den USA medizinische Produkte.
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  • Für verschiedene Geräte gibt es eine TÜV/CE Zulassung.
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  • Einsatz in Forschung und Therapie: evidenzbasierte Leitlinien zur Anwendung [8].
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Transkranielle Gleichstromstimulation – tDCS

Steckbrief [1] [2] [7] [8]

     

  • Engl. transcranial direct current stimulation, tDCS
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  • Ein schwacher elektrischer Strom wirkt durch den Schädelknochen (transkranial) auf das Gehirn.
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  • Geringer Gleichstrom fließt zwischen zwei Elektroden, Anode und Kathode, die auf Kopfhaut angebracht werden.
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  • Erzeugen Strom im Gewebe; damit – abhängig von Position der Elektroden – Einfluss auf verschiedene Hirnareale mit unterschiedlichen Wirkungen auf Verhalten.
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  • Größe der stimulierten Hirnareale abhängig von Größe der Elektroden.
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  • Platzierung der Elektroden:
    • eine Elektrode über dem zu stimulierenden Bereich am Kopf
    • die andere, die Referenzelektrode, meist an gegenüberliegender Stelle, häufig an Hals oder Schulter.
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  • Lokalisierung des zu stimulierenden Gebiets häufig vorher mit bildgebenden Verfahren, wie funktionelle Magnetresonanztomographie (MRT) oder Positronen-Emissions-Tomographie (PET).
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  • Vorteile: leichte Handhabung und niedrige Kosten erlauben theoretisch den Gebrauch zu Hause, dieser wird derzeit intensiv erforscht.
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  • Aber: Häuslicher Gebrauch ist schwierig zu regulieren und zu kontrollieren, gesundheitliche, ethische und rechtliche Probleme bei möglichem Missbrauch und zu häufigem Gebrauch.
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Wirkmechanismus [1] [2] [7] [8]

     

  • Generelle Physik von Stromkreisen: In Metalldrähten wird Fluss von Elektronen durch negativ geladene Elektroden erzeugt; Fließrichtung von positiver Anode zur negativ geladenen Kathode.
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  • In biologischen Geweben, wie dem Kopf, wird Strom durch Fluss von positiv und negativ geladenen Ionen erzeugt. Positive Ionen fließen zur Kathode und negative Ionen zur Anode.
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  • Elektrische Stimulation verändert Erregbarkeit der Hirnrinde und Aktivität der Nervenzellen.
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  • Dabei wird kein Aktionspotenzial ausgelöst: Stimulation beeinflusst ausschließlich das Ruhepotenzial. Die spontane Erregbarkeit von Nervenzellen kann erhöht oder abgeschwächt werden.
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Arten der Stimulation [1] [3]

     

  • Abhängig von Position der Anode und Kathode können neuronale Erregbarkeit erhöht oder verringert und verschiedene Gehirnregionen moduliert werden.
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  • Anodale tDCs: auch exzitatorische Stimulation genannt, wirkt generell stimulierend auf Hirnareale.
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  • Elektrischer Strom strömt von Elektrode über gewünschtem Areal hinweg, erhöht Erregbarkeit der Hirnrinde und damit das Ruhepotenzial von Nervenzellen.
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  • Kathodale tDCS: auch inhibitorische Stimulation genannt, wirkt generell hemmend auf Hirnareale tDCS. Die Erregbarkeit der Neuronen wird verringert.
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  • Elektrizität strömt zur Elektrode über gewünschtem Areal hin, hemmt die Erregbarkeit der Hirnrinde und damit auch der Neuronen.
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  • Aber: Stimulationseffekte durch anodale und kathodale tDCS nicht immer eindeutig.
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  • Unter bestimmten Bedingungen auch entgegengesetzte Wirkungen möglich; abhängig von Elektrodenposition und weiteren Parametern der Stimulation.
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Wirkung und Effekte [9]

     

  • Abhängig von bestimmten Parametern lassen sich unterschiedliche Effekte bezogen auf Dauer und Wirkungsrichtung beobachten
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  • Verändert werden können Polarität, Intensität und Dauer der tDCS [1].
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  • Polarität: Stromrichtung bestimmt die Wirkung, hemmend oder aktivierend.
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  • Intensität: geringe Stromstärke von 1 bis 2 Milliampere. Im Vergleich: hundertfach geringer als herkömmliche Elektrokonvulsionstherapie (EKT).
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  • Dauer: etwa 10 und 20 Minuten pro Sitzung; bei Bedarf bis zu zwei Anwendungen täglich, abhängig von Intensität und Dauer [1].
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  • Position der Elektroden bestimmt, auf welche Gehirnbereiche Stimulation wirkt und welche Effekte erzielt werden können.
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  • Andauern der Effekte:
    • abhängig von Parametern können akute Nacheffekte einer Stimulation bis zu 90 Minuten anhalten;
    • abhängig von Stimulationsdauer und -zeitraum können Veränderungen in Gehirnbereichen über akute Anwendung hinaus bestehen bleiben – bei Depressionen beispielweise bis zu einigen Tagen und Wochen.
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  • Dabei ist es jedoch notwendig, dass Probanden eine tägliche Anwendung erhalten. Dieses Prozedere ermöglicht, dass tDCS Effekte erhöht und stabilisiert werden [7].
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  • Neuroplastizität: Induzierte physiologische Veränderungen führen zu lokalen und plastischen Veränderungen.
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Anwendung und Zulassung [8]

     

  • bisher nur durch Ärzte möglich.
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  • Prinzipiell ist es möglich, tDCS auch Zuhause anzuwenden – ein Vorteil gegenüber TMS.
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  • Stimulatoren als Elektrotherapiegeräte unterliegen Medizinproduktgesetz, Risiko-Klassifizierung IIb.
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  • Für verschiedene Gerät gibt es TÜV/CE-Zulassungen.
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  • Bisher nicht durch FDA (Food and Drug Administration) anerkannt und daher keine Regulierung für tDCS als therapeutisches Hilfsmittel.
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  • Kosten: Für eine Behandlungsdauer von etwa 45 Minuten, bei einer Stimulationsdauer von rund 20-30 Minuten werden die Kosten auf etwa 32 Euro (GKV) und 81 Euro (PKV) (in Anlehnung an GOÄ 828) geschätzt in Krankenhäusern. Niedergelassene Ärzte bieten das Verfahren gegen ein Entgelt von etwa 80-100 Euro pro Behandlung an.
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  • Wirkung der Behandlung nach circa fünf bis zehn Behandlungen (20 bis 30 Minuten) zu erwarten, daher mehrere Behandlungen nötig.
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  • Behandlung ist weniger aufwändig als rTMS, wodurch Folgebehandlungen kostengünstiger sind.
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  • Fallzahlen: Deutschlandweit wird von einer Gesamtzahl von wenigen Tausend Behandlungen ausgegangen (Stand 2015), eine weitere Steigerung ist laut Experten zu erwarten.
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  • Vorschlagsverfahren (Operations- und Prozedurenschlüssel, OPS) zur Evaluierung der tDCS in der Behandlung eingereicht: https://bit.ly/2TODriF
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Nebenwirkungen und Sicherheit [10]

     

  • Als sicher gelten Stimulationen
    • bei einer Stromstärke von 2 Milliampere
    • 20 Minuten pro Tag
    • mit 10 bis 15 Stimulationen in einem Zeitraum von zwei bis drei Wochen.
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  • Nebenwirkungen sind abhängig von Stärke des Gleichstroms, Größe der Elektroden und Dauer der Stimulation.
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  • Stromstärke liegt weit unterhalb der Grenzwerte, die Gehirn schaden können.
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  • Allgemein nur wenige, leichte Nebenwirkungen.
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  • Häufigste Nebenwirkungen: In einigen Fällen kommt es zu leichter Müdigkeit und leichtem Kribbeln während der Anwendung; in den meisten Fällen nicht als unangenehm wahrgenommen.
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  • Seltene Nebenwirkungen: Kopfschmerzen und Übelkeit nach der Anwendung, Krampfanfälle.
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  • Theoretisch sind Hautverbrennungen möglich, sind jedoch durch fachgerechte Anwendung und technische Kontrollmechanismen auszuschließen.
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Vergleich tDCS und TMS

     

  • tDCS nutzt physiologisch andere Prozesse, kann jedoch in vergleichbaren Situationen in Therapie und Forschung wie TMS eingesetzt werden.
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  • tDCS moduliert Erregbarkeit des neuronalen Netzwerkes; es werden keine Aktionspotenziale ausgelöst wie bei TMS [8].
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  • Prinzipiell ist es möglich, tDCS auch zu Hause zu bedienen – ein Vorteil gegenüber TMS.
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  • Gerät für tDCS kostengünstiger.
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Klinische Anwendung von tDCS und aktuelle Forschung

In einer aktuellen Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2017 bewertete eine Gruppe von Experten, die vom ‚European Chapter of the International Federation of Clinical Neurophysiology‘ beauftragt worden war, den therapeutischen Einsatz von tDCS [10].

     

  • Umfangreiche Analyse von Studien mit wiederholten Anwendungen und Kontrollgruppen.
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  • Einsatz bei Vielzahl Diagnosen erforscht: chronische Schmerzen, Parkinson, verschiedene Bewegungsstörungen, motorische Schlaganfälle, Aphasie nach Schlaganfall, Multiple Sklerose, Epilepsie, Bewusstseinsstörungen, Alzheimer, Tinnitus, Depression, Schizophrenie und Sucht.
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  • Studiendesign, Probandenzahl und Parameter sind uneinheitlich, generelle Aussagen daher nur schwer möglich.
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  • Umfangreiche Analyse von Studien mit wiederholten Anwendungen und Kontrollgruppen-Vergleich:­
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  • Einteilung der Studien in zwei Klassen:
    • Klasse 1 beinhalten 25 oder mehr Patienten mit aktiver Behandlung,
    • Klasse 2 beinhalten 10 – 24 Patienten
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  • Empfehlungen in drei Level eingestuft:
    • Level A – definitive Wirksamkeit
    • Level B – wahrscheinliche Wirksamkeit
    • Level C – mögliche Wirksamkeit
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  • Grundsätzlich: Keine Therapie als ‚definitiv wirksam‘ eingestuft, als ‚wahrscheinlich wirksam‘ jedoch das Verfahren in der Behandlung von Fibromyalgie, Depressionen und Sucht-Verhalten.
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Chronische Schmerzen

     

  • 62 klinische Studien eingeschlossen, von denen 17 weniger als 10 Patienten untersuchten.
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  • Unter chronischen Schmerzen finden sich neuropathischer Schmerz, Migräne, Rückenschmerzen und postoperative Schmerzen und Fibromyalgie.Das am häufigsten verwendete Protokoll: 20-minütige anodische Stimulation des primären Motorcortex an fünf aufeinanderfolgenden Tagen; signifikante Nacheffekte von zwei bis sechs Wochen, zum Beispiel berichteten 13 von 20 Patienten nach fünf Tagen eine Schmerzreduktion um über 30 Prozent.
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  • Übersicht klinischer Studien: https://clinicaltrials.gov/ct2/results?cond=tdcs+and+chronic+pain&term=&cntry=&state=&city=&dist=
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  • Level B Empfehlung nur für Fibromyalgie
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Parkinson

     

  • 72 Publikationen eingeschlossen, darunter 15 ursprüngliche klinische Studien mit insgesamt 225 Patienten.
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  • Untersuchte Symptome: motorische Kontrolle, Kinematik, Arbeitsgedächtnis, verbale Gewandtheit, exekutive und kognitive Funktionen, Gang und Motorleistung
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  • Randomisierte Crossover -Studie zeigte nach fünf Sitzungen anodischer tDCS des Motorcortex bei zehn Patienten Verbesserungen von motorischen Symptomen, wie Gang. Sie blieben auch nach einem Monat bestehen, zum Beispiel schnitten Patienten signifikant besser ab beim Stand Walk Sit Test (SWS, Anzahl und Dauer der Schritte) und die Parkinson Disease Rating Scale (MDS-UPDRS) verbesserte sich.
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  • Einfluss auf nicht-motorische Symptome noch zu untersuchen
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  • Übersicht aktuell laufender randomisierter klinischer Studien, darunter Studien mit mehr als 40 Probanden: https://clinicaltrials.gov/ct2/results?cond=tdcs+and+Parkinson&term=&cntry=&state=&city=&dist=
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  • Bisher keine Empfehlung
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Motorischer Schlaganfall

     

  • 68 klinische Studien mit über 1000 Patienten
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  • Der Einsatz von tDCS bei Schlaganfällen scheint hilfreich zu sein, vor allem in Kombination mit anderen Therapien; es lagen jedoch keine eindeutigen Ergebnisse vor, um eine Empfehlung auszusprechen.
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  • Ergebnisse zudem eingeschränkt auf bestimmte Hirnregionen und abhängig von anderen Parametern wie Schweregrad und Dauer der Therapie.
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  • Heterogene Effekte wegen der Diversität in Symptomen und Hirnarealen.
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  • Randomisiert-kontrollierte Studie bei 24 Schlaganfall Patienten: Verglichen wurde anodische tDCS mit Scheinbehandlung in Kombination mit motorischen Training an neun Tagen; Verbesserung der motorischen Leistungen in zwei von drei Tests; fMRI zeigte erhöhte Aktivität beim Bewegen der betroffenen Hand.
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  • Übersicht laufender klinischer Studien (>14), davon vier mit mehr als 90 Probanden: https://clinicaltrials.gov/ct2/results?cond=tdcs+and+motor+stroke&term=&cntry=&state=&city=&dist=
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  • Bisher keine Empfehlung
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Aphasie

     

  • erworbener Verlust der Sprache nach einer Läsion. Häufig verursacht durch links-hemisphärischen Schlaganfall.
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  • Fünf Studien eingeschlossen, die Kriterien der Meta-Analyse erfüllen
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  • tDCS-Ansatz: interhemisphärische Konkurrenz zwischen verbliebenen Sprachgebieten in beschädigter linker Hemisphäre und intakter rechter Hemisphäre wiederherstellen.
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  • Einige positive Resultate: anodische tDCS über Broca- und Wernicke-Region, kathodische über rechtem Broca.
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  • Patienten mit chronischer Aphasie (6 bis 84 Monate nach Schlaganfall) berichten über Verbesserung in Bildbeschreibung und Wortbenennung nach zehn Sitzungen.
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  • Übersicht aktueller klinischer Studien: https://clinicaltrials.gov/ct2/results?cond=tdcs+and+aphasia&term=&cntry=&state=&city=&dist=
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  • Bisher keine Empfehlung
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Multiple Sklerose

Epilepsie

Alzheimer

     

  • eingeschlossen wurden neun Studien an 189 Patienten
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  • nur eine Studie zeigt mögliche Verbesserung der Symptome bei 34 Patienten: Verbesserung um durchschnittlich zwei Punkte auf der Mini-mental state examination (MMSE) nach anodischer und kathodischer tDCS; hält bis zu zwei Monate nach der Intervention an, die anderen Studien zeigten jedoch keine Effekte.
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  • Übersicht laufender klinische Studien (> 10): https://clinicaltrials.gov/ct2/results?cond=tDCS+ALzheimer&term=&cntry=&state=&city=&dist=
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  • Bisher keine Empfehlung
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Tinnitus

     

  • Als wahrscheinlich unwirksam eingestuft aufgrund fehlender klinischer Effekte.
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Depressionen

     

  • Wirksamkeit und Effektivität von TMS in der Behandlung ist durch die FDA (Food and Drug Administration) und CE Kennzeichen (Conformité Européenne) anerkannt; Behandlung mit tDCS wird untersucht, ist jedoch noch nicht anerkannt.
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  • Übersichtsarbeit identifiziert 39 klinische Studien mit 988 Patienten.
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  • Übersichtsarbeit spricht Level B Empfehlung aus für antidepressive Wirksamkeit von anodischer tDCS bei zehn aufeinanderfolgenden, täglichen Sitzungen.
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  • Kombination mit Pharmakotherapie zeigt mögliche additive Interaktion zwischen tDCS und Medikation.
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  • Langfristige Wirksamkeit getestet bei elf Patienten nach zehntägiger Behandlung. Studie hatte jedoch eine hohe Drop-out Rate.
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  • Laufende klinische Studien zum Einsatz von tDCS in der Therapie (> 20): https://clinicaltrials.gov/ct2/results?cond=tdcs+and+depression&recrs=a&age_v=&gndr=&type=&rslt=&phase=1&phase=2&phase=5&Search=Apply
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  • Level B Empfehlung
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Schizophrenie

     

  • Übersichtsarbeit identifiziert sieben randomisierte klinische Studien mit mindestens zehn Patienten.
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  • Beispielstudie mit 20 Probanden: Patienten der Stimulationsgruppe gaben im Vergleich zur Kontrollgruppe nach zehnmaliger tDCS Reduktion der negativen Symptome außerdem Verbesserung der depressiven Symptome und kognitiver Verarbeitungsgeschwindigkeit an. MRT zeigte veränderte Konnektivität der Zielgebiete.
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  • tDCS wird aktuell zunehmend untersucht und eingesetzt bei Patienten mit Schizophrenie, derzeit über 40 klinische Studien, aktuelle Übersicht: clinicaltrials.gov/ct2/results
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  • Bisher keine Empfehlung
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Literaturstellen, die zitiert wurden

[1] Schmicker M et al. (2011): Nicht-invasive Hirnstimulation: Neuromodulation durch transkranielle elektrische Stimulation und deren Wirkung auf neuropsychologische Erkrankungen. Zeitschrift für Neuropsychologie, 22(4): 285-301. DOI: 10.1024/1016-264X/a000051.

[2] Polanía R (2018): Studying and modifying brain function with non-invasive brain stimulation. Nature Neuroscience, 21, 174–187. DOI:10.1038/s41593-017-0054-4.

[3] Siebner HR et al. (2007): Hirnstimulation—Physiologische Grundlagen. Das TMS-Buch, Springer, 27-45.

[4] Grossman N et al. (2017): Noninvasive deep brain stimulation via temporally interfering electric fields. Cell, 169(6), 1029-1041. DOI: 10.1016/j.cell.2017.05.024.

[5] Grossman N et al. (2018): Translating temporal interference brain stimulation to treat neurological and psychiatric conditions. JAMA neurology, 75(11), 1307-1308. DOI: 10.1001/jamaneurol.2018.2760.

[6] Lefaucheur JP et al. (2014): Evidence-based guidelines on the therapeutic use of repetitive transcranial magnetic stimulation (rTMS). Clin Neurophysiol, 125, 2150-206. DOI: 10.1016/j.clinph.2014.05.021.

[7] Nitsche MA et al. (2008): Transcranial direct current stimulation: State of the art 2008. Brain Stimulation. 1(3), 206–23. DOI: 10.1016/j.brs.2008.06.004.

[8] Lefaucheur JP et al. (2017): Evidence-based guidelines on the therapeutic use of transcranial direct current stimulation (tDCS). Clinical Neurophysiology, 128 (1), 56-92. DOI: 10.1016/j.clinph.2016.10.087.

[9] Paulus W (2011): Transcranial electrical stimulation methods. Neuropsychology Rehabilitation; 21: 602-17. DOI: 10.1080/09602011.2011.557292.

[10] Palm U et al. (2013): Neue Hirnstimulationsverfahren in der Psychiatrie. Nervenheilkunde, 32(11), 866-876. DOI: 10.1055/s-0038-1628557.