Künstliche Intelligenz – was ist der Kern der Revolution?
Künstliche Intelligenz (kurz KI) ist der Hype des Jahres 2018. Tech-Unternehmen erzielen Milliardengewinne, Forschung verlagert sich von den Universitäten und Forschungszentren in die Zentralen von Alphabet Inc, Facebook oder Amazon, der Wettbewerb um Talente intensiviert sich. Daten sind der Rohstoff dieser Entwicklung – die allerdings vor allem in den USA und China systematisch gesammelt werden. Europa scheint den Anschluss zu verlieren.
Das ruft die Politik auf den Plan: Cédric Villani, charismatischer Mathematiker und Abgeordneter in der Nationalversammlung Frankreichs, präsentiert im Auftrage des Präsidenten einen Plan für eine „sinnvolle“ KI in Frankreich und Europa, das Oberhaus in London veröffentlicht kurz darauf eine Übersicht über Chancen und Herausforderungen der KI für Großbritannien. Forscher fordern unterdessen in einem offenen Brief ein „European Lab for Learning and Intelligent Systems, ELLIS“. Deutschland bietet zu diesem Zeitpunkt das „Weißbuch Arbeit 4.0“, es geht auf mögliche Folgen für Arbeiter und Angestellte ein. Ein umfassendes Konzept für den Umgang mit KI fehlt hierzulande bislang. Das will die deutsche Politik nun nachholen: Forschungs- und Bildungsministerin Anja Karliczek will mit Forschern und Vertretern der Wirtschaft bis zum Sommer 2018 erste konkrete Schritte abstimmen.
Doch was kann KI? Was nicht? Was sind die technischen Probleme, und worauf muss sich die Gesellschaft einstellen? Dazu soll dieses Fact Sheet einen knappen Einblick bieten. Vorweg noch ein Wort zum Begriff: Kern der derzeit boomenden KI ist das so genannte maschinelle Lernen. Da künstliche Intelligenz aber deutlich mehr ist als nur maschinelles Lernen, die heute diskutierten Fälle aber fast ausschließlich dem Bereich des maschinellen Lernens angehören, bleiben wir im Folgenden beim genaueren Begriff "maschinelles Lernen".
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Maschinelles Lernen ist eine Teildisziplin der Forschung an einer menschenähnlichen Künstlichen Intelligenz. Schließlich soll ein Computer, der wie ein Mensch denken kann, auch lernen können. Seit den neunziger Jahren setzen Forscher ihre Programme zunehmend auch kommerziell ein [1, S.21]. Wo immer es um große Datenmengen geht, die schnell durchsucht werden müssen, um neue oder bekannte Muster zu entdecken, setzen Programmierer heute auf maschinelles Lernen:
Per Definition ist maschinelles Lernen ein Programm, das sein Ergebnis selbstständig verbessert. Computerlernen hat dabei jedoch bisher wenig bis gar nichts mit menschlichem Lernen zu tun, eher schon mit Üben oder Training. Was vergleichbar ist, ist das häufige Wiederholen einer Aufgabe und die dabei auftretende schrittweise Verbesserung der Ergebnisse [6]. Kern sind dabei mathematische und statistische Regeln und Verfahren. Grundsätzlich funktionieren diese auch vollkommen ohne Computer, wie Donald Michi 1961 gezeigt hat: Er entwarf eine Streichholzschachtelmaschine (MENACE), die quasi „lernen“ kann, Tic-Tac-Toe zu spielen [4] [vgl. 5]. Sie ist ein gutes Beispiel, um das Prinzip maschinellen Lernens zu verstehen:
Programmierer und Forscher unterscheiden beim maschinellen Lernen heute im Wesentlichen drei Methoden, die sich zum Teil auch kombinieren lassen: supervised learning, unsupervised learning und reinforcement learning.
Donald Michi wählte als Struktur für seine Aufgabe eine ausgeklügelte Ansammlung von Schachteln, die er mit Perlen füllte. Strukturen, in denen sich das Lernen in Form eines Entwickelns statistischer Korrelationen vollzieht, verwenden Programmierer heute noch immer. Zu den wichtigsten Architekturen beim maschinellen Lernen, die teilweise kombiniert werden, zählen:
Die meisten Fragen können weder von Menschen noch von Maschinen perfekt gelöst werden. Dies liegt zum Beispiel daran, dass es nicht für alle Entscheidungen Regeln mit 100-prozentiger Treffergenauigkeit gibt. Nicht alle Programme erzielen zudem nach dem Training die gewünschte Qualität. Wichtige Messgrößen für die Qualität eines trainierten Programms sind Sensibilität und Spezifität. Die Sensibilität gibt an, wie oft das Programm beispielsweise Bilder von Tumoren wirklich als Tumor erkennt. Die Spezifität gibt an, wie viele Bilder, die keinen Tumor enthalten, korrekt vom Programm als „ohne Tumor“ bewertet werden. Die Parameter stammen aus der Medizin, wo sie als Indikatoren für die Qualität von diagnostischen Tests dienen. Probleme, die diese beiden sowie weitere Kenngrößen beeinträchtigen können, und an denen Forscher arbeiten, sind die folgenden:
Maschinelles Lernen benötigt eine gute Datenbasis, eine Struktur und einen mathematischen Prozess, der sich selbst verbessert. Die damit erzielten Ergebnisse sind beeindruckend und erlauben viele mögliche Anwendungen. Dennoch sind sie noch weit entfernt von einer künstlichen menschenähnlichen Intelligenz.
Maschinelles Lernen wurde bis jetzt vorwiegend von Unternehmen eingesetzt, die dem Umfeld des Internets oder der Logistik zuzurechnen sind – Amazon, Apple, Google, Facebook, Alibaba, Baidu oder Tencent. Analysten erwarten nun jedoch, dass auch andere Branchen auf maschinell angelernte Programme setzen werden – etwa Banken, Versicherungen. Experten erwarten, dass eine Reihe von Berufen durch Anwendungen von maschinell angelernten Geräten – seien es Chatbots, automatisch fahrende Busse, Bahnen oder Taxen, Roboter oder auch Bankangestellte – in den kommenden Jahrzehnten verschwinden könnten [24]. Veränderungen ergeben sich dann sowohl in Branchen und Berufsbildern, als auch im gesellschaftlichen Zusammenleben:
[1] Domingos P (2015): The Master Algorithm: How the Quest for the Ultimate Learning Machine Will Remake Our World.
[2] Banino A et al. (2018): Vector-based navigation using grid-like representations in artificial agents. Nature Letter, DOI:10.1038/s41586-018-0102-6.
[3] Rojas R (2017): Beantwortung der Fragen gem. Fragenkatalog für das Fachgespräch zum Thema „Künstliche Intelligenz“ des Ausschusses Digitale Agenda am 22.03. 2017. Deutscher Bundestag.
[4] Michi D (1961): Experiments on the mechanization of game-learning Part I. Characterization of the model and its parameters. The Computer Journal 6 (3), 232-236. DOI:10.1093/comjnl/6.3.232.
[5] Brooks, R (2017): Machine Learning Explained. (Blogeintrag in der Serie „Future of Robotics and Artificial Intelligence.
[6] Jordan M et al. (2015): Machine learning: Trends, perspectives, and prospects. Science 349 (6245), 255-260. DOI:10.1126/science.aaa8415.
[7] Prieto A et al. (2016): Neural Networks: An overview of early research, current frameworks and new challenges. Neurocomputing 214, 242-268. DOI:10.1016/j.neucom.2016.06.014.
[8] Silver D et al. (2017): Mastering the game of Go without human knowledge. Nature 550, 354-359. DOI:10.1038/nature24270.
[9] Bengio Y (2009): Learning Deep Architectures for AI. Foundations and Trends in Machine Learning 2 (1), 1-127. DOI:10.1561/2200000006.
[10] Pan Y (2016): Heading toward Artificial Intelligence 2.0. Engineering 2 (4), 409-413. DOI: 10.1016/J.ENG.2016.04.018.
[11] Schmidhuber J (2014): Deep learning in neural networks: An overview. Neural Networks 61, 85-117. DOI: doi.org/10.1016/j.neunet.2014.09.003.
[12] Aunkofer B (2017): maschinelles Lernen mit Entscheidungsbaumverfahren. Data Science Blog.
[13] Burgess M (2018): UK police are using AI to inform custodial decisions – but it could be discriminating against the poor. Wired.
[14] Liu W et al. (2016): A survey of deep neural network architectures and their applications. Neurocomputing 234, 11-26. DOI: 10.1016/j.neucom.2016.12.038.
[16] Jordan, M (2018): Artificial Intelligence – The Revolution Hasn’t Happened Yet. Medium. Vgl. Ders.(2018): Perspectives and Challenges. Presentation SysML 2018.
[17] Williams, E. (2018): Self-Driven: Uber and Tesla. Hackaday, 02.04.2018.
[18] Select Committee on Artificial Intelligence (2018): AI in the UK: ready, willing and able? Report of Session 2017-2019.
[19] Ducket, T (2018): AI for Long-Term Autonomy. IEEE RA Special Issue October 2018.
[20] Bach F et al. (2018), Initiative to establish a European Lab for Learning & Intelligent Systems. Open Letter, Online.
[21] Rodney, B (2018): The Origins of „Artificial Intelligence”. (Blogeintrag in der Serie „Future of Robotics and Artificial Intelligence.
[22] Armbruster, A (2018): „Viele europäische Ideen haben amerikanische Firmen umgesetzt“. Interview mit Wolfgang Wahlster, DFKI. FAZ, 25.04.1018.
[23] Armbruster, A (2018): „Google verfügt über tolle Daten, die wir nicht haben.“ FAZ, 02.05.2018.
[24] Löhr, J (2018): Digitalisierung zerstört 3,4 Millionen Stellen. FAZ, 02.02. 2018.
[25] Bundestag (2018): Bundestagsausschuss Digitale Agenda, Anhörung Künstliche Intelligenz, 22. März 2017.
[26] Brundage M et al. (2018): The Malicious Use of Artificial Intelligence: Forecasting, Prevention, and Mitigation.
[27] Villani, C (2018): For a meaningful artificial intelligence. Towards a Frech and European strategy.
[28] Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2017), Weißbuch Arbeiten 4.0.
[29] Sulleyman A (2017): AI is highly likely to destroy humans, Elon Musk warns. Independent.
[30] Upchurch, T (2018): To work for society, data scientists need a Hippocratic oath with teeth. Wired 08.04.2018
Eine visuelle Erklärung maschinellen Lernens anhand von Entscheidungsbäumen.
Menace: the pile of matchboxes which can learn. Video.