Zum Hauptinhalt springen
14.04.2023

Energieversorgung der Zukunft: Die Rolle der Back-up-Kraftwerke

     

  • mit Abschalten der letzten deutschen Atomkraftwerke geht Umbau der Stromversorgung in neue Phase
  •  

  • neben mehr Wind- und PV-Anlagen wird Vorsorge für Dunkelflauten wichtig sein
  •  

  • Experten: Mehr Gas- bzw. Wasserstoffkraftwerke sind dafür nötig, geschickte internationale Verzahnung, Batterien und flexibler Verbrauch können Zahl der Back-up-Kraftwerke reduzieren
  •  

Am 15. April werden die verbliebenen drei Atomkraftwerke in Deutschland abgeschaltet. Zuletzt hatten die Kraftwerke rund sechs Prozent der Stromerzeugung in Deutschland beigetragen. Parallel dazu hat die Bundesregierung seit etwa einem Jahr eine Reihe von neuen Ausbauzielen für erneuerbare Energien formuliert und Gesetze geschaffen, die deren Ausbau beschleunigen sollen. Damit sollen die Atom- und künftig auch die Kohlekraftwerks-Leistungen ersetzt werden. Zu Beginn dieses Jahres formulierte die Regierung nun zum ersten Mal auch Ausbauziele für sogenannte Back-up-Kraftwerke. Das sind Anlagen, die dann einspringen sollen, wenn Windkraft- und Photovoltaik-Anlagen nicht genug Strom erzeugen, um den Bedarf zu decken.

Dass solche Phasen sich über mehrere Tage erstrecken können und dabei die Leistung der Erneuerbaren stark abfallen kann – die sogenannte Dunkelflaute – zeigt zum Beispiel auch unser Data Report „Das erneuerbare Energiesystem – Entwicklung und Ausblick“ [I] anhand einer Modellierung der Stromerzeugung 2030 auf der Basis der Stromerzeugungsdaten der vergangenen Jahre. Dieses Problem wird in der Forschung auch seit längerem mit aufwendigen Modellen untersucht. Ziel ist dabei, herauszufinden, wie groß eine solche Dunkelflaute ausfallen kann und mit welchen Technologien die Stromversorgung während dieser Zeit gesichert werden kann.

Die von uns befragten Forscher aus unterschiedlichen Bereichen der Energieforschung weisen übereinstimmend auf drei Elemente hin:

Es muss genügend flexible Back-up-Kraftwerke geben. Sie werden nur gebraucht, wenn Windkraft- und PV-Anlagen zu wenig Strom erzeugen. Dafür kommen vor allem Gas- und begrenzt Kohlekraftwerke in Frage, Atomkraftwerke jedoch offenbar nicht.

Flexibilitäten, also vorübergehendem Aus- und nach kurzer Zeit wieder Einschalten von Verbrauchern, kommt eine wichtige Rolle zu. Auch das zeigt unser Daten-Report. Dafür müssen aber viele Voraussetzungen noch geschaffen werden.

Eine europaweite Planung der Energiewende kann die Zahl nur selten laufender Kraftwerke offenbar deutlich reduzieren. Dafür müssten die EU-Mitgliedsländer beginnen, ihre Energieversorgung gemeinsam zu planen.

Auch die Bundesregierung hat aus einem aktuellen Bericht der Bundesnetzagentur vergleichbare Handlungsempfehlungen abgeleitet [II].

Die Redaktion des SMC hat den Experten folgende Fragen gestellt:

Bis zu welcher Größenordnung müssen Back-up-Kapazitäten für das deutsche oder europäische Stromnetz für die Jahre 2030 / 2045 ausgelegt werden als Vorsorge für eine Dunkelflaute?

Welche Kraftwerkstypen oder auch andere Technologien eignen sich als Back-up bei einer Dunkelflaute und welche bestehenden konventionellen Kraftwerke sind für diese Aufgabe ungeeignet?

Wie viel Gaskraftwerke werden voraussichtlich als Back-up benötigt? Welche Rolle wird Wasserstoff spielen? Welche Rolle können überbaute Biogas-/Biomethan-Anlagen spielen?

Welche Rolle können Speicher wie Batterien, Redox-Flow-Anlagen oder große und kleine Wasserkraft als Back-up spielen?

Welche Rolle kann ein europaweiter Ausgleich von Wind- oder Solarstromerzeugung als Back-up für Flauten in einzelnen Regionen spielen?

Übersicht

     

  • Prof. Dr. Christian Rehtanz, Institutsleiter, Institut für Energiesysteme, Energieeffizienz und Energiewirtschaft (ie3), Technische Universität Dortmund

  •  

  • PD Dr. Patrick Jochem, Abteilungsleitung Energiesystemanalyse, Institut für Vernetzte Energiesysteme, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e. V. (DLR), Stuttgart

  •  

  • Dr. Jan Wohland, ETH Postdoctoral Fellow, Professur Klimaschutz & -​anpassung, Department Umweltsystemwissenschaften, Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETHZ), Schweiz

  •  

Statements

Die folgenden Statements sind bewusst mit Blick auf langfristige Verwendbarkeit eingeholt und können auch in Zukunft zu diesem Thema Hintergrundinformationen bieten und zitiert werden.

Prof. Dr. Christian Rehtanz

„Als grobes Zahlengerüst aus unterschiedlichen Untersuchungen kann abgeschätzt werden, dass bei einer Jahreshöchstlast von 100 Prozent – heute circa 80 Gigawatt (GW), in Zukunft deutlich mehr – maximal bis zu 10 bis 15 Prozent durch den europäischen Ausgleich von erneuerbaren Energien einschließlich Wasserkraft über die Netze gedeckt werden können. Die Höchstlastspitze kann durch Lastverschiebungen im Verlaufe des Tages um circa 10 bis 15 Prozent reduziert werden. Dieses bedingt aber dementsprechende Marktanreize und eine automatische digitale Umsetzung, die wir längst nicht haben. Die übrigen circa 70 bis 80 Prozent der Leistungsspitzen sind durch Back-up-Kraftwerke abzusichern. Ein Teil hiervon sind bislang Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen, die gleichzeitig Strom und Wärme erzeugen und zum Teil mit Biogas betrieben werden.“
 

PD Dr. Patrick Jochem

„In einer zu großen Teilen auf wetterabhängigen Erzeugungstechnologien basierenden Stromerzeugung ist die Dunkelflaute ein ernstzunehmendes Phänomen. Insbesondere in den Wintermonaten, in denen die vergleichsweise zuverlässige Stromerzeugung durch Sonnenenergie in geringeren Maßen zur Verfügung steht und zudem die Stromnachfrage höher ist, führen diese Phänomene bei steigenden Anteilen der fluktuierenden erneuerbaren Energieträger zu Herausforderungen bei der Stromversorgung. Diesen kann unter anderem durch sogenannte Back-up-Kapazitäten entgegengetreten werden.“ 

„Nach unseren Modellergebnissen basieren die zu installierenden Kapazitäten dieser Kraftwerke in der Regel auf Gasturbinen, die auch mit erneuerbar erzeugtem Methan oder Wasserstoff betrieben werden können (siehe unten). Die auszubauenden Kapazitäten sind jedoch stark von verschiedenen Annahmen – wie beispielsweise der Bereitschaft zur Flexibilisierung der Nachfrage, dem Stromaustausch mit den Nachbarländern sowie der Entwicklung weiterer Speicherkapazitäten – abhängig.“

„Die benötigte Back-up-Kapazität hängt auch in großem Maße vom Design des Energiemarktes ab und wie es diesem gelingt, weitere Marktakteure synergetisch zur erneuerbaren Energieerzeugung mit einzubinden. Hierbei scheint insbesondere die Flexibilisierung der Stromnachfrage ein großes Potenzial zu haben. Gerade auch in Kombinationen mit neuen Technologien, wie beispielsweise den Elektrofahrzeugen. Gelingt es, diese direkt in die Strommärkte zu integrieren – möglichst sogar mit einer Rückspeisefähigkeit, dem sogenannten Vehicle-2-Grid (V2G) – dann könnte Nachfrage-Flexibilisierung einen beträchtlichen Teil der Back-up-Kapazitäten ersetzen.“

„Hierfür wird es auch wichtig sein, das System auf allen Ebenen mit einer entsprechenden IT-Infrastruktur zu ergänzen, um alle Flexibilitäten der Nachfrage – von Industrie, sonstigem Gewerbe und Dienstleistungssektoren und privaten Haushalten – sowie des Angebots – konventionelle Erzeugung aber auch Speichertechnologien – effizient in das System zu integrieren.“ 

„Insofern ist die Frage schwierig zu beantworten. Da die Nachfrageflexibilisierung und Speichertechnologien nicht zwingend als Back-up-Kapazitäten definiert sind, können Gasturbinen insbesondere als Back-up-Kapazität interpretiert werden. (Dazu mehr im Folgenden).“

Dr. Jan Wohland

„Zukünftige CO2-arme Stromsysteme werden sich durch einen hohen Anteil von erneuerbarer Energie auszeichnen. Die Stromerzeugung von Windparks und Solarpaneelen hängt vom Wetter ab, was Chancen und Risiken mit sich bringt. Um bei jedem Wetter verlässlich genug Strom zur Verfügung zu stellen, gibt es verschiedene Strategien und wir werden zukünftig wahrscheinlich verschiedene Strategien miteinander kombinieren. Es gibt viele denkbare dekarbonisierte Stromsysteme, die unterschiedlich stark auf die einzelnen Strategien setzen. Als Beispiel: Eine Studie [1] hat über 400 verschiedene Kombinationen von Technologien untersucht, die es alle erlauben, den europäischen Energiesektor zu dekarbonisieren. Back-up-Kraftwerke sind dabei eine Option.“

Prof. Dr. Christian Rehtanz

„Zum Back-up eignen sich am besten diejenigen Kraftwerke, die schnell in Betrieb gehen und zügig hoch- und runtergeregelt werden können. Am besten sind hierzu Gaskraftwerke geeignet. Dementsprechend ertüchtigte Kohlekraftwerke funktionieren ebenfalls und theoretisch auch Kernkraftwerke, obwohl diese aus wirtschaftlichen Gründen für einen möglichst konstanten Betrieb ausgelegt sind.“

„Erst wenn wir Back-up-Kraftwerke, die kurzfristig mit Gas betrieben werden, errichten, dann können wir aus der Kohleverstromung aussteigen. Um dann aber Gasmangellagen zu entgehen, müssen neue Gaslieferquellen oder Wasserstoff erschlossen werden.“
 

PD Dr. Patrick Jochem

„In unseren Energieszenarien ist die Residuallast – also die Last, die nicht durch erneuerbare Energien gedeckt werden kann – in der Regel durch kleinere, kurzzeitige Abweichungen von wenigen Minuten bis Stunden gekennzeichnet. In manchen Fällen kommt es – insbesondere in den Wintermonaten – aber auch zu längeren Zeitperioden, in denen wenig Solarenergie zur Verfügung steht und gleichzeitig über einen gewissen Zeitraum auch kaum Wind weht. Insofern reicht für die meisten, kurzweiligen Fälle wohl eine Technologie aus, die kurzzeitig (und flexibel) Energie bereitstellen muss. Das können beispielsweise viele Arten von Speichern, wie Batterien, auch Nachfrageflexibilitäten oder Gasturbinen sein.“ 

„Für länger andauernde, ertragsschwache Situationen, sogenannte Dunkelflauten, werden jedoch Technologien benötigt, die auch über einen längeren Zeitraum Energie bereitstellen können. Da dies aber nur selten vorkommt, kommen diese Anlagen auf keine hohen Volllaststunden. Insofern erscheinen auch hier eher Gasturbinen, die mit einem erneuerbaren Gas oder Wasserstoff, welches oder welcher gute Speichercharakteristika über einen längeren Zeithorizont aufweist, betrieben werden.“ 

„Durch die geringen Volllaststunden und hohen Anforderungen an eine flexible Betriebsführung scheiden aus heutiger Sicht Kern- und Kohlekraftwerke als Back-up-Kapazitäten aus.“ 

„Ein weiteres Detail sollte jedoch bei diesen Überlegungen nicht vergessen werden: Sinkt durch fehlende Strommarktanreize die Betriebsdauer fossiler Kraftwerke, welche als Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen betrieben werden, könnte es dazu führen, dass ein Engpass bei der Wärmebereitstellung entsteht. Um diesem entgegenzuwirken, müssten flexible, gegebenenfalls strombasierte Systeme – beispielsweise Wärmepumpen – implementiert werden.“ 

„Ein weiterer Aspekt sind die sogenannten elektrotechnischen Systemdienstleistungen, welche die Stabilisierung des Spannungsbandes und der Frequenzhaltung übernehmen. Bisher geschieht dies in der Regel ‚automatisch‘ über die rotierenden Massen. Dies müsste künftig wohl über elektrotechnische Anlagen erfolgen.“

Dr. Jan Wohland

„Back-up-Kraftwerke können relativ schnell ihre Erzeugung anpassen und damit Spitzen im Stromverbrauch oder Dellen in der Wind- und Solarerzeugung ausgleichen. Konventionelle Kraftwerke unterscheiden sich darin, wie schnell sie Erzeugung anpassen können. Grob gesprochen können Gaskraftwerke sehr schnell reagieren, Kohlekraftwerke sind langsamer und Atomkraftwerke werden oft überhaupt nicht ihre Erzeugung anpassen, sondern konstant Strom erzeugen.“ 

„Je nach Dauer der ertragsschwachen Situation kommen also unterschiedliche Kraftwerke infrage, wobei Gaskraftwerke generell besser geeignet sind als Kohlekraftwerke, welche wiederum besser geeignet sind als Atomkraftwerke.“

„Wenn in den Back-up-Kraftwerken Gas oder Kohle als Energieträger verwendet wird, entsteht CO2. Diese CO2 Emissionen lassen sich durch den Einsatz von CCS (CO2-Abscheidung und Speicherung) zwar reduzieren, aber nicht komplett verhindern. Da unsere CO2 Emissionen insgesamt auf null reduziert werden müssen, um gefährlichen Klimawandel zu verhindern, müssen diese Emissionen kompensiert werden – zum Beispiel mittels Direct Air Capture, also der direkten Abscheidung von CO2 aus der Luft. Da dies aufwändig, teuer und energieintensiv ist, erscheint es ratsam, den Bedarf nach Back-up-Kraftwerken möglichst klein zu halten.“

Prof. Dr. Christian Rehtanz

„Grüner Wasserstoff wäre als Brennstoff äußerst wünschenswert, wenn die Kraftwerke zu dessen Verwendung vorbereitet würden. Die Bereitstellung des grünen Wasserstoffs in den benötigten Mengen und mit der notwendigen Versorgungssicherheit und erträglichen Kosten benötigt aber einen etablierten Weltmarkt. Hiervon sind wir heute technisch und wirtschaftlich noch weit entfernt. Lokale, sprich deutsche Überschüsse aus erneuerbaren Energien in Wasserstoff umzuwandeln, wird hierzu keinesfalls ausreichen. Die Verwendung von Biomasse beziehungsweise Biogas trägt zur Lösung bei, aber nicht mehr als heute, ohne mit der Nahrungsmittelproduktion in Konflikt zu geraten.“
 

PD Dr. Patrick Jochem

„Wie bereits erläutert, hängt das von vielen Annahmen ab. Es gibt Szenarien, bei denen 40 Gigawatt ausreichend sind. Diese Szenarien zeichnen sich insbesondere durch eine hohe nachfrageseitige Flexibilität und hohe Verfügbarkeit von Speichern sowie von flexibler nachhaltiger Stromerzeugung, wie beispielsweise Geothermie und Biogaskraftwerken aus. In anderen Szenarien werden weiterhin Back-up-Kapazitäten von bis zu 90 Gigawatt benötigt. Einige hiervon weisen dann jedoch sehr geringe Volllaststunden auf. Hierdurch zeigt sich die Notwendigkeit der Nachfrageflexibilisierung.“

„Wasserstoff könnte nach 2040, wenn wir verstärkt auch saisonale Speicher benötigen, eine größere Rolle in der Energiewirtschaft spielen. In anderen Sektoren, etwa der Industrie, ist von einer Zunahme der Wasserstoffnachfrage auszugehen, sodass infrastrukturelle Synergien eine zunehmende Verwendung begünstigen könnten. Ein Großteil des Wasserstoffs wird in unseren Szenarien in der Regel importiert werden.“ 

„Regulatorisch wird an Gaskraftwerke bereits die Anforderung einer H2-Readiness gestellt. In Verbindung mit den sektoralen Emissionsminderungszielen des Klimaschutzgesetzes ergibt sich dadurch ein treibender Faktor für den Wasserstoffeinsatz im Stromsektor.“ 

„Die weiteren Potenziale von Biogas und Biomethan scheinen aus heutiger Sicht eher überschaubar zu sein und sie werden nach unseren Szenarien aus technoökonomischen Aspekten keine signifikante Rolle im zukünftigen Energiesystem spielen, auch wenn die genutzten Potenziale durchaus wichtig sind und auch in anderen Sektoren außerhalb des Stromsystems Defossilisierungsbeiträge leisten können. Aus heutiger Sicht wird es vielmehr auf synthetisches Gas hinauslaufen, welches aus dem Ausland kostengünstiger nach Deutschland importiert werden kann und im Wesentlichen wasserstoffbasiert ist.“

Prof. Dr. Christian Rehtanz

„Die volatilen erneuerbaren Energien benötigen daran anpassbare flexible Lasten, Speicher und Erzeuger. Lastflexibilität – einschließlich Speichern jedweder Art – wirken nur im Stundenbereich ausgleichend. Elektrolyse oder Wärmepumpen wandeln überschüssige Energie, wirken aber nicht gegen Mangel. Daher werden Back-up-Kraftwerke für die Versorgungssicherheit bei sogenannten Dunkelflauten über mehrere Tage bis hin zu einzelnen Wochen zwingend benötigt.“
 

PD Dr. Patrick Jochem

„Für ein stabiles Stromsystem, wie wir es heute gewohnt sind, spielen diese Technologien neben den Gasturbinen eine große Rolle. Während die inländischen Kapazitäten von Wasserkraft zwar bereits weitgehend ausgeschöpft sind, kann diese Technologie im Ausland dennoch eine erhebliche Hilfestellung zur Stabilisierung des deutschen und europäischen Stromsystems liefern.“ 

„Die heute bekannten Lithium-Ionen-Batterien, die aus ökonomischer Sicht derzeit den Batteriemarkt dominieren, fallen als Langzeit- und Saisonalspeicher aus, da sie sich aus ökonomischen Gründen durch nahezu tägliche Zyklen refinanzieren müssen. Die heute bekannten Batterien – und auch deren aus heutiger Sicht erwarteten Fortentwicklungen – können sich daher wirtschaftlich nur im kurzfristigen Speichermarkt durchsetzen.“ 

„Redox-Flow-Anlagen sind von ihren technoökonomischen Parametern zwischen den Gasturbinen (in Kombination mit Elektrolyseuren) und den Batterien anzusiedeln. Das heißt, hier ist die Unsicherheit hinsichtlich deren Markterfolg extrem groß: Nur kleine Änderungen in den Annahmen können zu starken Verdrängungseffekten in Richtung der herkömmlichen Batterien oder eben auch in Richtung der Gasturbinen führen.“ 

„Eine weitere Möglichkeit wären Brennstoffzellen, welche insbesondere mit den Gasturbinen im Wettstreit stehen und ebenfalls auf den vergleichsweise kostengünstig speicherbaren Wasserstoff – zum Beispiel im Netz selber oder auch in Kavernen – zurückgreifen und diesen sogar deutlich effizienter nutzen können. Auch hier können Änderungen der Kostenstrukturen in den kommenden Jahren die Marktanteile zwischen Gasturbinen und Brennstoffzellen noch erheblich beeinflussen.“

Dr. Jan Wohland

„Da gibt es zahlreiche Optionen. Batterien ermöglichen die kurzfristige Speicherung von Energie über Stunden oder Tage, und können damit den Bedarf nach Back-up-Energie ebenfalls reduzieren. Pumpspeicherkraftwerke verhalten sich ähnlich, haben jedoch den Vorteil, dass sie Energie auch über längere Zeit speichern können, um etwa saisonale Schwankungen auszugleichen. Die zunehmende Kopplung von anderen Sektoren – zum Beispiel Elektromobilität oder grüner Wasserstoff in der Industrie – bieten zudem Möglichkeiten, auch den Verbrauch von Strom zu beeinflussen und Verbrauchsspitzen zu verschieben.“  

PD Dr. Patrick Jochem

„In unseren Ergebnissen sehen wir bisher auf europäischer Ebene einen guten natürlichen Ausgleichsmechanismus. Erleben wir im Norden eine Flaute, sind die Windturbinen im Süden oft gut ausgelastet. Bewölkung in einer Region ist oft mit Sonne in einer anderen verbunden. Insbesondere spielen hierbei auch Offshore-Windanlagen eine große Rolle, da sie in der Regel höhere Volllaststunden haben und damit auch eine entsprechend höhere Verfügbarkeit.“ 

„Nach unseren Analysen ist die Vernetztheit des europäischen Stromsystems eine unheimlich wichtige Basis für den Betrieb eines CO2-neutralen und stabilen Stromsystems. Auch wenn das Netz bereits recht gut ausgebaut ist und auch überzeugende Ausbaupläne vorliegen, weisen insbesondere die Interkonnektoren zwischen den Ländern noch Verstärkungspotenzial auf.“

Dr. Jan Wohland

„Wir können erneuerbare Erzeugung und Stromverbrauch auch durch strategischen Zubau von Erneuerbaren besser in Einklang bringen, und damit den Bedarf nach Back-up-Energie reduzieren. Strategischer Zubau basiert auf der Idee, Windparks und Solarpaneele dort zu installieren, wo ihre Erzeugung möglichst komplementär ist, und dadurch Schwankungen klein zu halten (zum Beispiel [2] [3]). Ertragsarme Phasen an einem Standort werden dann durch gleichzeitige gute Erträge an anderen Standorten kompensiert.“

„Diese Strategie funktioniert auf vielen zeitlichen Skalen. Beispielsweise produzieren Solarpaneele in Spanien noch Strom, wenn in Deutschland die Sonne schon untergegangen ist und Solarpaneele in Griechenland produzieren bereits, wenn es in Deutschland noch dunkel ist.“

„Neben diesem einfachen Beispiel des Tagesganges gibt es sehr ähnliche Effekte über mehrere Tage, weil durchziehende Wettersysteme verschiedene Teile von Europa unterschiedlich beeinflussen. Eine Flaute in der Nordsee kann dann beispielsweise von starken Winden in Griechenland kompensiert werden. Ähnlich ist es auch möglich, die starken saisonalen Zyklen von Wind und Solarenergie optimal zu kombinieren, um dem saisonalen Zyklus des Strombedarfes möglichst nahe zu folgen.“

„Vor allem die Windenergie schwankt auch über mehrere Jahrzehnte. Jedoch gleichen sich die Effekte in verschiedenen Teilen des Kontinents aus, sofern Windparks strategisch platziert werden [4] [5]. Die Konzentration von Windparks beispielsweise in der Nordsee stellt deswegen ein deutlich größeres Risiko dar als großflächigere räumliche Verteilungen in verschiedenen Ländern. Für strategischen Zubau in Kombination mit viel Windenergie sind sowohl ein Ausbau des Stromnetzes als auch internationale Koordination notwendig.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Alle: Keine Angaben erhalten.

Literaturstellen, die von den Experten zitiert wurden

[1] Pickering B et al. (2022): Diversity of options to eliminate fossil fuels and reach carbon neutrality across the entire European energy system. Joule. DOI: 10.1016/j.joule.2022.05.009.
[2] Grams CM et al. (2017): Balancing Europe’s wind-power output through spatial deployment informed by weather regimes. Nature Climate Change. DOI: 10.1038/nclimate3338.
[3] Mühlemann D et al.(2022): Meteorologically‐Informed Spatial Planning of European PV Deployment to Reduce Multiday Generation Variability. Earth’s Future. DOI: 10.1029/2022EF002673.
[4] Wohland J et al. (2019): Significant multidecadal variability in German wind energy generation. Wind Energy Science. DOI: 10.5194/wes-4-515-2019.
[5] Wohland J et al. (2021): Mitigating a century of European renewable variability with transmission and informed siting. Environmental Research Letters. DOI: 10.1088/1748-9326/abff89.

Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden

[I] Science Media Center (2023): Die Energiewende: Entwicklung und Ausblick. Data Report. Stand: 04.04.2023.

[II] Bundesregierung (2023): Handlungsempfehlungen der Bundesregierung zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit mit Elektrizität. Drucksache 20/5555.