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21.04.2023

Zustand des Klimas 2022

     

  • zwei Berichte zum Zustand des globalen und europäischen Klimas in 2022
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  • Rekordwerte bei Hitze, Dürre, Starkregen, Eisschmelze, zum Beispiel in den Alpen
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  • laut Forschenden könnten die kommenden Jahre global durch El-Niño-Bedingungen noch heißer werden
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Rekordhitze in Europa und China, die stärkste Gletscherschmelze jemals in den Alpen, fatale Dürren in Ostafrika und Fluten in Pakistan und ein weltweit durchschnittlicher Temperaturanstieg von 1,15 Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit: Zwei Berichte beleuchten in diesen Tagen den Zustand des Klimas im vergangenen Jahr 2022 und nennen dabei viele Rekordwerte für Dürren, Hitze, Starkregen und Eisschmelze auf allen Erdteilen. Am 21.04.2023 ist der „State of the Global Climate 2022“ von der Weltorganisation für Meteorologie erschienen (siehe Primärquelle). Zuvor ist bereits der regionale Bericht „State of the European Climate 2022“ von der EU-Institution Copernicus erschienen [I]. Diverse wissenschaftliche Institutionen haben an den Berichten mitgewirkt und die Daten zusammengetragen.

Das SMC hat Forschende gebeten, die wichtigsten Daten und Fakten aus den Berichten einzuordnen. Der Fokus liegt auf der erwarteten Entwicklung von Extremwetter in Europa – hier beträgt der aktuelle Temperaturanstieg bereits 2,2 Grad verglichen mit dem vorindustriellen Niveau – sowie auf den Auswirkungen und Anpassungsmöglichkeiten. Außerdem erläutern die Experten den Einfluss von La Niña und El Niño auf vergangene und kommende Hitzeereignisse.

Übersicht

     

  • Dr. Helge Goessling, Leiter der Arbeitsgruppe Nahtlose Meereisvorhersage, Sektion Klimadynamk, Fachbereich Klimawissenschaften, Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), Bremerhaven
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  • Dr. Karsten Haustein, Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Atmosphärische Strahlung, Institut für Meteorologie, Universität Leipzig
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  • Karsten Friedrich, Klimatologe, KU 21 Nationale Klimaüberwachung, Deutscher Wetterdienst (DWD), Offenbach
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  • Dr. Hans Schipper, Leiter des Süddeutschen Klimabüros, Institut für Meteorologie und Klimaforschung, Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Eggenstein-Leopoldshafen
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  • Prof. Dr. Andreas Fink, Professor für Meteorologie, Arbeitsgruppe Atmosphärische Dynamik, Department Troposphärenforschung, Institut für Meteorologie und Klimaforschung, Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Karlsruhe
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  • Prof. Dr.  Sonia I. Seneviratne, Professorin am Center für Klimasystem-Modellierung, Institut für Atmosphäre und Klima (IAC), Department Umweltsystemwissenschaften, Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETHZ), Schweiz
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Statements

Dr. Helge Goessling

Leiter der Arbeitsgruppe Nahtlose Meereisvorhersage, Sektion Klimadynamk, Fachbereich Klimawissenschaften, Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), Bremerhaven

Auf die Frage, welche der in den Berichten beschriebenen Entwicklungen besonders beunruhigend, schneller als erwartet oder zu wenig präsent in der öffentlichen Wahrnehmung ist:
„Die rasante Erwärmung Europas übersteigt unsere Erwartungen spürbar. Insbesondere die heißen, trockenen Sommer der vergangenen Jahre, einschließlich 2022, geben uns eine Vorahnung dessen, was Klimawandel auch hier in Europa konkret bedeuten kann. Wahrscheinlich haben natürliche Zufallsschwankungen – zum Beispiel durch Verlagerungen des Jetstreams – die zu erwartende Erwärmung zusätzlich beschleunigt. Kehren sich diese Schwankungen in den nächsten Jahren um, so können wir damit rechnen, dass Europa sich zunächst nicht mehr so stark erwärmt. Langfristig ist hingegen mit weiterer Erwärmung zu rechnen – wieviel, hängt davon ab, wie schnell wir die Treibhausgasemissionen runter bekommen.“

Auf die Frage, ob ohne den kühlenden Effekt von La Niña auf das globale Klima in 2023 und kommenden Jahren mit noch stärkeren Hitzeereignissen zu rechnen ist:
„Gemäß aktueller Vorhersagen ist es mit über 80 Prozent recht wahrscheinlich, dass sich im Laufe des Jahres El-Niño-Bedingungen einstellen. El Niño geht mit warmen Meeresoberflächentemperaturen in weiten Teilen des tropischen Pazifiks einher und hat so unmittelbar deutlichen Einfluss auf die global gemittelte Temperatur. Es könnte daher gut sein, dass 2023 oder 2024 neue globale Rekorde erreicht werden. Die Auswirkungen der El-Niño- und La-Niña-Schwankungen sind im Wesentlichen jedoch auf die Umgebung des Pazifiks und die Tropen beschränkt. Die Gletscher Europas und der Eisschild Grönlands sind von diesen Schwankungen also weniger betroffen. Große Teile Südostasiens, Indiens, Chinas, Australiens, sowie Nord- und Südamerikas können hingegen von El Niño betroffen sein, tendenziell auch durch stärkere Hitzewellen und verstärkte Schmelze, dort wo Gletscher vorhanden sind.“

Auf die Frage, ob der Temperaturanstieg von 2,2 Grad sowie das Ausmaß der Extremwetterereignisse in Europa im Rahmen der Vorhersagen von Klimamodellen liegen und welcher Temperaturanstieg in Europa bei einer durchschnittlichen globalen Erwärmung von 2 Grad zu erwarten ist:
„Klimamodelle legen nahe, dass Europa im Vergleich zum globalen Mittel mit etwa 50 Prozent mehr Erwärmung zu rechnen hat. Bei einer bis heute 1,2 Grad wärmeren Erde wären das folglich ungefähr 1,8 Grad statt der beobachteten 2,2 Grad. Bei der genannten Modell-Schätzung handelt es sich jedoch um ein Mittel über viele Simulationen. Betrachtet man einzelne Simulationen, kann man ähnliche Abweichungen in Richtung stärker-als-erwarteter oder schwächer-als-erwarteter Erwärmung in verschiedenen Regionen erkennen. Diese werden durch zufällige Schwankungen verursacht – vor allem verbunden mit der Lage des Jetstreams. Ähnliche Schwankungen in der Realität könnten die unerwartet schnelle Erwärmung Europas zumindest teilweise erklären. Dessen ungeachtet wird die Temperatur in Europa längerfristig weiter steigen, sofern die Treibhausgasemissionen nicht unerwartet schnell und drastisch gesenkt werden. Bei einer durchschnittlichen globalen Erwärmung von zwei Grad müssten wir in Europa mit etwa drei Grad Erwärmung rechnen, mit gewissen Unterschieden je nach Region und Jahreszeit. Das würde mit noch stärkeren sommerlichen Hitzewellen und Dürren einhergehen, besonders im Mittelmeerraum, aber auch in Mitteleuropa.“

Dr. Karsten Haustein

Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Atmosphärische Strahlung, Institut für Meteorologie, Universität Leipzig

Auf die Frage, welche der in den Berichten beschriebenen Entwicklungen besonders beunruhigend, schneller als erwartet oder zu wenig präsent in der öffentlichen Wahrnehmung ist:
„Aus europäischer Sicht sind sowohl die beschleunigte Gletscherschmelze als auch die immer intensiver werdenden Dürreperioden besorgniserregend. Beides hängt zum Teil damit zusammen, dass der kühlende Effekt ungefilterter Industrieabgase mittlerweile kaum mehr vorhanden ist. Dadurch sehen wir in Europa nun – quasi ungefiltert – das volle Ausmaß der menschengemachten Treibhausgasemissionen. Das gilt sowohl für die Temperaturen – die mittlerweile mehr als zwei Grad in Europa angestiegen sind – als auch für die klimawandelbedingten Auswirkungen auf kritische Ökosysteme, wie Gletscher oder Wälder. Dabei ist es nach wie vor erstaunlich, wie wenig präsent insbesondere der Temperaturanstieg in der öffentlichen Diskussion ist.“

„In diesem Zusammenhang bedarf es unbedingt einer verbesserten Kommunikation auf allen Ebenen – Bund, Länder, Kommunen –, um insbesondere Hitzetote während der Sommermonate zu vermeiden. Kurzfristig zählt dazu, dass Kommunen die Bevölkerung während sommerlicher Hitzeperioden sensibilisieren und warnen, während langfristig Asphaltflächen in baumbestandene Grünflächen umgewidmet werden sollten. Dabei spricht nichts gegen bauliche Verdichtung in urbanen Zentren, aber viel gegen ein ,Weiter-so‘ im Verkehrssektor. Klimaanpassung und Verkehrswende sind aus wissenschaftlicher Sicht synonym, ganz speziell in urbanen Räumen.“

Auf die Frage, ob ohne den kühlenden Effekt von La Niña auf das globale Klima in 2023 und kommenden Jahren mit noch stärkeren Hitzeereignissen zu rechnen ist:
„Momentan sieht es stark danach aus, als würde 2023 erstmals seit 2015/2016 wieder ein starker El Niño auftreten. Das bedeutet, dass 2023 theoretisch das wärmste Jahr werden kann. Die Wahrscheinlichkeit, dass 2024 mit Abstand neues wärmstes Jahr wird, ist jedoch um ein Vielfaches gestiegen. Das liegt daran, dass 2023 noch den Effekt der kühlenden starken Winter-La Niña spürt, während 2024 von El Niño dominiert werden wird. Sollte es zu keinem ernstzunehmenden tropischen Vulkanausbruch kommen (die ausgeworfenen Aerosole steigen in die Stratosphäre auf, wirken dort kühlend auf die Atmosphäre, da sie einfallendes Sonnenlicht streuen; Anm. d. Red.), ist es somit durchaus denkbar, dass 2024 nicht nur wärmstes Jahr wird, sondern auch die 1,5-Grad-Grenze zum ersten Mal auf Jahresbasis global überschreiten wird.“

„Da El Niño nur einen geringen Einfluss auf das Wetter in Europa hat, ist nicht davon auszugehen, dass sich Hitzeperioden oder Gletscherschmelze ausgerechnet in 2023 massiv häufen werden beziehungsweise beschleunigen, im Vergleich zu den vergangenen fünf bis zehn Jahren. Die anhaltende Dürre in Teilen Italiens und Frankreichs sowie auf der Iberischen Halbinsel ist hingegen durchaus besorgniserregend, da die Wasserversorgung in einigen Regionen stark von winterlichen Niederschlägen abhängt.“

Auf die Frage, ob der Temperaturanstieg von 2,2 Grad sowie das Ausmaß der Extremwetterereignisse in Europa im Rahmen der Vorhersagen von Klimamodellen liegen und welcher Temperaturanstieg in Europa bei einer durchschnittlichen globalen Erwärmung von zwei Grad zu erwarten ist:
„Der Temperaturanstieg von nunmehr etwas über zwei Grad in weiten Teilen Europas ist alles andere als überraschend, da er in Klimamodellen mit entsprechend realistischer Simulation der kühlenden Partikel durch Industrie- und Verkehrsemissionen – sprich, deren Rückgang durch Filteranlagen oder Katalysatoren – gut vorhergesagt worden ist. Als Faustregel kann man sich merken, dass der Temperaturanstieg über Landgebieten (Kontinenten) mindestens 1,5-mal so stark ausfällt wie im globalen Durchschnitt und mehr als doppelt so hoch wie über den Ozeanen. Sollten wir durchschnittlich zwei Grad global überschreiten, sind in Europa mindestens 3 bis 3,5 Grad Temperaturanstieg zu erwarten. In Jahren mit knappen Sommerniederschlägen, deren Anzahl zunehmen wird, sind durchaus vier Grad mehr im Mittel zu erwarten. Das heißt, wo es ,früher‘ angenehme Tagesmaxima von 22 bis 23 Grad gab, sind dann 26 bis 27 Grad normal. Extrem heiße Tage, die früher in Europa kaum über 35 Grad gingen, werden in einer durchschnittlich zwei Grad wärmeren Welt regelmäßig über 40 Grad heiß, wie vergangenen Juli in Südengland und Hamburg bereits passiert.“

„Die andere Seite der Medaille sind zunehmende Starkniederschläge. Pro Grad Celsius Erwärmung erhöhen sich die Regenmengen bei den intensivsten Niederschlagsereignisse um circa sieben Prozent. Unter der Maßgabe von mehr als drei Grad Erwärmung über Land hat jedes Extremniederschlagsereignis somit circa 20 Prozent mehr Intensität, was das Risiko für schwere Überschwemmungen wie 2021 im Ahrtal erheblich erhöht. Das Ironische dabei ist, dass solche Ereignisse auch in Jahren auftreten kann, die ansonsten durch anhaltende Dürre und Wassermangel geprägt sind.“

Auf die Frage nach der Bedeutung der Rekordverluste von Gletschern und Rückgang des Schneefalls in den Alpen für die dortige Trinkwasserversorgung:
„Je nach Emissionsszenario – das heißt, wie viele Treibhausgase wir in den kommenden Jahrzehnten noch in die Atmosphäre blasen – werden die europäischen Alpen spätestens 2100 weitgehend gletscherfrei sein. Eine drei Grad wärmere Welt wird kaum noch Gletschereis in 2100 übriglassen. Kinder, die heute geboren werden, haben somit eine realistische Chance, Gletscher wie den Aletschgletscher weitgehend eisfrei zu erleben. Mein Wunsch wäre, dass unseren Kindern dieses Schicksal erspart bleibt. Ich durfte selbst im vergangenen Sommer Zeuge der Rekordschmelze diverser Alpengletscher werden. Ein wahrlich dystopisches Gefühl, das dabei in einem aufsteigt. Trotz bereits fortgeschrittenem Rückzug sind die vorhandenen Gletscher von majestätischer Erscheinung.“

„Sollten wir die Gletscher verlieren, werden die Auswirkungen auf den Wasserhaushalt in der Tat massiv spürbar sein. Die Trinkwasserversorgung könnte zwar mit hohem technischem Aufwand durch fast 100-prozentige Wiederaufbereitung von Brauchwasser aufrechterhalten werden, allerdings bedarf es erheblicher finanzieller Ressourcen, um dies erfolgreich umzusetzen. Die vielfältige Biodiversität angrenzender Ökosysteme lässt sich hingegen nicht ersetzen.“

Karsten Friedrich

Klimatologe, KU 21 Nationale Klimaüberwachung, Deutscher Wetterdienst (DWD), Offenbach

„Die fortschreitenden hohen globalen Temperaturen sind besorgniserregend. Trotz einer nun schon drei Jahre andauernden La-Niña-Phase bewegen sich die globalen Mitteltemperaturen auf einem sehr hohen Niveau. Normalerweise stehen La-Niña-Phasen für etwas kühlere Jahre. Aktuell kündigt sich ein Zirkulationswechsel an und es geht Richtung El Niño. El-Niño-Jahre sind mit den global bisher wärmsten Jahren in Verbindung zu bringen. 1998 gab es ein starkes El-Niño-Ereignis und die globale Temperatur erreichte einen neuen Höchstwert. Während des El-Niño-Ereignisses zwischen 2014 und 2016 wurde im Jahr 2016 global die bisher höchste Temperatur beobachtet. Es ist zu vermuten, dass bei dem nächsten starken El-Niño-Ereignis dieser Rekordwert überschritten wird. Die Kohlenstoffdioxidkonzentration hat aktuell die bisherigen Höchstwerte aus dem Mai 2022 überschritten. Damit steigt die treibende Kraft beim Treibhauseffekt weiterhin und es gibt keinen Grund zur Annahme, dass die globale Erwärmung stagniert.“

„Die derzeitige Erwärmung bewegt sich im oberen Bereich der Klimaprojektionen. Derzeit liegen wir global bei einer Erwärmung von circa 1,1 Grad und in Deutschland bei circa 1,7 Grad (der Wert bezieht sich auf den linearen Trend seit 1881, die mittlere Temperatur der letzten fünf Jahre in Deutschland liegt dagegen 2,4 Grad über dem vorindustriellen Niveau; Anm. d. Red.) seit dem Beginn flächendeckender Beobachtungen um 1881. Ein Anstieg der Mitteltemperatur ist immer auch mit einem Anstieg extrem hoher Temperaturen verbunden. Damit werden Hitzewellen wie in den letzten Jahren wiederholt und stärker auftreten. Aber auch die Temperaturen in den Wintermonaten werden weiter steigen. Die letzten beiden zurückliegenden Winter waren sehr schneearm. Dies lag nicht nur an den ausbleibenden Niederschlägen, sondern auch an den milden Temperaturen. Somit lag die Schneefallgrenze oft extrem hoch. Hohe Jahresmitteltemperaturen, die vor 1990 zu den extrem warmen Jahren zählten, sind mittlerweile in Deutschland als normal anzusehen.“

„Im letzten Winter gab es bei den alpinen Gletschern einen Verlust von bis zu sechs Metern Eisdicke. Wenig Neuschnee im Winter, Saharastaub im Frühjahr und hohe Temperaturen im Sommerhalbjahr waren dafür verantwortlich. Viele große europäische Flüsse wie Po, Rhein und Rhone sind auf das Schmelzwasser der Alpen angewiesen. Die Wasserarmut des Pos hat in Norditalien eine extreme Dürre verursacht, in deren Folge die Landwirtschaft starke Einbußen verzeichnen musste. Aber auch die Schifffahrt auf dem Rhein war wieder beeinflusst. Die Wassernutzung für die Bevölkerung und die Landwirtschaft muss effektiver gestaltet werden. Wasser muss möglichst in der Landschaft zurückgehalten werden und sparsam Verwendung finden. Ein totaler Verlust der Alpengletscher ist nicht auszuschließen. Dies hängt aber von der mittelfristigen Klimaentwicklung ab und ein konkreter Zeitraum ist schwer vorherzusagen.“

Dr. Hans Schipper

Leiter des Süddeutschen Klimabüros, Institut für Meteorologie und Klimaforschung, Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Eggenstein-Leopoldshafen

„Auch wenn das Jahr 2022 oft als nicht besonders warm empfunden wird, sprechen die Zahlen in den Berichten eine deutliche Sprache. Die Auswirkungen des Klimawandels sind jedoch so schleichend, dass sie oft erst dann wahrgenommen werden, wenn sie bereits zum neuen Normalzustand geworden sind. Dies zeigt, dass wir uns bewusst sein müssen, dass die Veränderungen bereits stattgefunden haben und dass wir unseren Lebensstil anpassen müssen, um die Auswirkungen des Klimawandels zu minimieren. Auch und gerade in Europa, so der Bericht ‚European State of the Climate 2022‘, sind die Auswirkungen dramatisch und beispielsweise in Form von steigenden Temperaturen und veränderten Niederschlagsmustern zu spüren. Der Temperaturanstieg führt zu Veränderungen in ökologischen Systemen und kann auch Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit haben. Veränderte Niederschlagsmuster können zu Überschwemmungen oder Dürren führen und damit die landwirtschaftliche Produktion beeinträchtigen.“

„Der Temperaturanstieg war jedoch zu erwarten. Klimamodelle berechnen seit vielen Jahren einen Temperaturanstieg von mehreren Grad, je nachdem, welche Zukunftsszenarien für die Welt von morgen zugrunde gelegt werden. Dabei wird deutlich, dass bei einem ungebremsten Ausstoß von Treibhausgasen mit einer Erwärmung, wie wir sie heute beobachten, gerechnet werden musste. Zudem zeigen sich starke regionale Unterschiede. So erklärt sich, dass bei einer globalen Erwärmung von etwas mehr als einem Grad in Europa bereits eine Erwärmung von mehr als zwei Grad zu verzeichnen ist. Wenn man das weiterdenkt und sich eine Welt mit einer Erwärmung von zwei Grad vorstellt, dann kann man sagen, dass wir in Europa Temperaturen haben werden, die jenseits dessen liegen, was wir uns heute vorstellen können. Wenn wir dann noch die extremen Wetterereignisse on-top setzen, wird klar, dass wir sowohl unsere Anstrengungen zum Klimaschutz als auch unsere Anstrengungen zur Anpassung an den Klimawandel massiv verstärken und ausweiten müssen.“

„Berichte wie diese zeigen eindrücklich, wie sich die Welt unter dem Einfluss des Menschen verändert hat. Eine weitere Verschärfung der Situation erwartet die Wissenschaft aufgrund ihrer Klimamodelle für die Zukunft. Es liegt an uns, mit dieser Fülle an Informationen umzugehen und die Erde auch für künftige Generationen so lebenswert wie möglich zu erhalten.“

Prof. Dr. Andreas Fink

Professor für Meteorologie, Arbeitsgruppe Atmosphärische Dynamik, Department Troposphärenforschung, Institut für Meteorologie und Klimaforschung, Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Karlsruhe

„Das sich im Laufe dieses Jahres vermutlich aus den derzeitigen neutralen ENSO-Bedingungen (El Niño - Southern Oscillation) entwickelnde El-Niño-Ereignis erhöht zunächst einmal die Wahrscheinlichkeit,dass 2023 und 2024 in Bezug auf die globale Mitteltemperatur den bisherigen Rekordwert des Jahres 2016 einstellen beziehungsweise überbieten. In Bezug auf Hitzewellen und Gletscherschmelze sind dieAuswirkungen schwerer einzuschätzen. El Niño erzeugt je nach Jahreszeit typische Fernwirkungsmuster in der Temperatur und Niederschlag. Diese sind am robustesten in den Regionen, diean den tropischen und subtropischen Pazifik angrenzen. Hier liegen nennenswerte Vergletscherungen in den Anden und Rocky Mountains. Die Auswirkungen auf den Gletscherhaushalt können in den Anden aber je nach Breitenlage negativ, wegen des erhöhten Niederschlags, aber auch positiv sein. In Bezug auf Hitzewellen könnten diese beispielsweise in der Region Südostasien, Indonesien und Australien stärker ausfallen. Eine robuste Aussage für Europe lässt sich nicht machen.“

Prof. Dr. Sonia Seneviratne

Professorin am Center für Klimasystem-Modellierung, Institut für Atmosphäre und Klima (IAC), Department Umweltsystemwissenschaften, Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETHZ), Schweiz

„Der WMO-Bericht zeigt, dass das Jahr 2022 von sehr extremen Wetter- und Klimaereignissen gekennzeichnet wurde. Insbesondere die Sommertrockenheit in Europa und die Überflutung in Pakistan hatten erhebliche Folgen. Ausserdem zeigt der Bericht, dass sehr viele Regionen von Hitzewellen betroffen wurden, die zu Todesfällen führten. Der menschenverursachte Klimawandel hat diese Ereignisse wahrscheinlicher gemacht.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Dr. Helge Goessling: „Es liegen keine Interessenkonflikte vor.“

Prof. Dr. Andreas Fink: „Ich erkläre hiermit, dass keine Interessenkonflikte bestehen.“

Alle anderen: Keine Angaben erhalten.

Primärquelle

World Meteorological Organization (2023): State of the Global Climate.

Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden

[I] Copernicus Climate Change Service (2023): State of the European Climate.