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08.11.2017

Transplantation gentherapierter Haut bei hautkrankem Jungen in Deutschland erfolgreich

Forschern aus Bochum und Modena (Italien) ist es gelungen, 80 Prozent der Epidermis eines hautkranken Patienten mit gentherapierten Hautstücken zu rekonstruieren. Die genetische Hautkrankheit Epidermolysis bullosa junctionalis (EB) zerstört die Haut der Betroffenen; sie leiden unter chronischen Schmerzen und sterben oft jung.

In der Vergangenheit wurden bereits zwei Patienten mit einer Gentherapie behandelt. Dabei wurden Hautzellen entnommen, die außerhalb des Körpers genetisch modifiziert wurden, um den ursächlichen Gendefekt der Krankheit zu korrigieren. Aus den gentechnisch veränderten Zellen konnten die Forscher im Labor Hautstücke züchten, die den Patienten anschließend transplantiert worden sind.

Bei dem nun in Bochum behandelten – dritten – Patienten gelang es auf diese Weise, 80 Prozent der Haut zu rekonstruieren: mit Abstand das größte, je mit einer Gentherapie ersetzte Hautareal. Diesmal entnahmen die Ärzte dem Patienten ein vier Quadratzentimeter (qcm) großes – noch unbeschädigtes – Hautstück, ersetzten mithilfe eines Retrovirus die defekte mit einer intakten Genvariante und ließen mehrere größere Hautstücke wachsen. Insgesamt transplantierten die Ärzte dem Patienten anschließend eine Fläche von 0,85 Quadratmeter (qm) genmodifzierter, im Labor gezüchteter Haut.

An dem Gentherapieversuch beteiligt war auch ein italienisches Biotechnologie-Unternehmen, das eine Studie zur Untersuchung einer ähnlichen Gentherapie bei einer anderen Form der Epidermolysis bullosa finanziert (siehe weitere Recherchequellen [a]). Die Ergebnisse wurden im Fachjournal „Nature“ publiziert (siehe *Primärquelle).

 

Übersicht

  • Prof. Dr. Heike Walles, Leiterin des Lehrstuhls für Tissue Engineering und Regenerative Medizin, Universitätsklinikum Würzburg
  • Prof. Dr. Leena Bruckner-Tuderman, Ärztliche Direktorin der Klinik für Dermatologie und Venerologie, Universitätsklinikum Freiburg
  • Prof. Dr. Toni Cathomen, Direktor des Instituts für Transfusionsmedizin und Gentherapie, Universitätsklinikum Freiburg

Statements

Prof. Dr. Heike Walles

Leiterin des Lehrstuhls für Tissue Engineering und Regenerative Medizin, Universitätsklinikum Würzburg

„Das in der Studie angewandte Konzept behebt den eigentlichen Defekt – also die Ursache der Erkrankung; zumindest geht man bisher davon aus, dass dieser Gendefekt die alleinige Ursache ist. Wachsen die transplantierten Hautplastiken stabil an, sollten damit diese Körperregionen des Patienten nicht mehr von der Krankheit betroffen sein. Die Langzeitdaten des in der Arbeit beschriebenen Patienten werden sehr interessant sein, um diese wissenschaftlich postulierten Effekte ‚in vivo’ zu validieren.“

„Aus meiner Sicht gibt es keine Hinweise darauf, dass die Hauttransplantate instabil sein könnten, da die Hautzellen in Kultur eine stabile Matrix synthetisieren und nach der Reparatur des genetischen Defektes auch in der Lage sein sollten, das der Basalmembran fehlende Laminin biologisch funktionsfähig zu synthetisieren. Aber generell ist diese Basalmembran für die Verankerung der Zellen wesentlich, nicht für die Stabilität der transplantierten Hautplastik.“

„Ich denke, dass alle publizierten Daten zu dieser Gentherapie den Einsatz, wie publiziert rechtfertigen.“

Auf die Frage, inwiefern sich das mögliche Risiko minimieren ließe, dass die gentherapierten Hautzellen entarten:
„Mir ist keine 100 Prozent sichere Methode bekannt. Auch wenn wir uns das immer wieder wünschen, besteht bei jeder Therapie ein Restrisiko, über das die Patienten bzw. die Eltern der Patienten ja auch aufgeklärt werden.“

„Die Arbeit entspricht aus meiner Sicht dem Stand der Technik und enthält auch die notwendige Risikobewertung.“

Auf die Frage, inwiefern die im Abstract postulierte Übertragbarkeit auf andere Gentherapien methodisch gestützt ist:
„Die theoretische Betrachtung erlaubt diesen Schluss – wie zu Beginn der Stellungnahme beschrieben, wird die Therapie zeigen, ob die wissenschaftliche Ursache – wie momentan angenommen – lediglich der bisher bekannte genetische Defekt ist.“

„Eine Übertragung ist auf monogenetische Erkrankungen möglich, dies ist nicht beschränkt auf Hauterkrankungen. Andere Therapien sind in der Entwicklung, siehe auch [1]. Die Strategie des aktuellen Therapieversuchs ist jedoch nicht auf Verbrennungsopfer übertragbar.“

Prof. Dr. Leena Bruckner-Tuderman

Ärztliche Direktorin der Klinik für Dermatologie und Venerologie, Universitätsklinikum Freiburg

„Der Name Epidermolysis bullosa (EB) umfasst eine Gruppe von erblichen Erkrankungen der Haut, die mit mechanisch induzierter Blasenbildung, vermehrter Fragilität der Haut und chronischen Wunden einhergehen. Bei den verschiedenen Formen der EB sind die Symptome unterschiedlich stark ausgeprägt, je nachdem welche genetische Ursache die Form hat. Heute sind Mutationen in 19 verschiedenen Genen als Ursache für EB bekannt. Bisher kann die EB nur symptomatisch behandelt werden, jedoch arbeiten weltweit viele Forscher an der Entwicklung wirksamer Therapien.“

„Die Studie von Hirsch et al. ist aus zwei Gründen wichtig:Erstens zeigt sie einen entscheidenden Fortschritt in der Stammzellbiologie der Haut. Neu und sehr wichtig ist der Nachweis der sogenannten Holoklon-Stammzellen als dauerhafte Quelle für Zellerneuerung in der Oberhaut. Die Arbeit beschreibt, wie Holoklon-Stammzellen identifiziert und angereichert werden können sowie die entsprechenden notwendigen Qualitätskontrollen. So konnte aus einem kleinen Stück Haut ein 0,85 Quadratmeter großes Oberhaut-Transplantat (Keratinozyten-Transplantat) hergestellt werden.Zweitens ist der Behandlungserfolg bei einem schwerkranken Kind, das Wunden auf 80 Prozent der Hautoberfläche hatte, eine herausragende ärztliche und pflegerische Leistung. Behandlung mit Keratinozyten-Transplantaten ist in der Verbrennungsmedizin zwar sehr gut etabliert, aber hier ist die Kombination der Genkorrektur mit Keratinozyten-Transplantaten aus Holoklon-Stammzellen und der erfolgreichen Abdeckung von großflächigen infizierten Wunden ein Durchbruch.“

„Die transplantierten Hautareale scheinen nach einer Beobachtungszeit von fast zwei Jahren mechanisch stabil zu sein, das heißt es entstehen keine neuen Blasen oder Wunden durch Reibung oder andere mechanische Belastung.“

„Ob langfristig eine völlig normale Haut mit dieser Behandlung erreicht werden kann, bleibt noch offen. Der Erfolg hängt sehr stark davon ab, wie gut der jeweilige Wundgrund ist. Zum Beispiel verursachen starke Infektionen eine gewisse Gewebestörung in Wunden; auf einer solchen Grundlage heilt ein Oberhauttransplantat weniger gut ab und es könnte zum Beispiel zu Sensibilitätsstörungen kommen. Ich vermute, dass die Sensibilität der Haut bei dem jetzt behandelten Kind je nach Körperstelle unterschiedlich sein könnte.“

„In der aktuellen Arbeit erfolgte die Genkorrektur mit einem retroviralen Vektor. Bei diesen Vektoren besteht prinzipiell die Sorge einer Hautkrebs-Entstehung durch Virusintegration in ungünstigen Erbgutabschnitten. Die Studie führte sehr sorgfältige Analysen durch und konnte keine Integration in bekannte Genomabschnitte beobachten, die die Entstehung von Krebs begünstigt. Dennoch ist wichtig, dass zukünftig bessere Vektoren entwickelt werden.“

„Einige Formen der EB haben ein spontan stark erhöhtes Krebsrisiko. Der Patient der vorliegenden Studie leidet an einer junktionalen EB mit relativ geringem natürlichem Hautkrebs-Risiko. Langfristig ist jedoch wichtig, dass er regelmäßig durch Hautfachärzte untersucht wird, um mögliche krebsverdächtige Stellen früh zu erkennen und zu entfernen, was dermatologisch kein Problem ist.“

„Die Autoren haben sehr große grundlagenwissenschaftliche Anstrengungen unternommen, mögliche Risikofaktoren der Gentherapie einzuschätzen und zu minimieren. Die Fallanalyse ist methodisch auf sehr hohem Niveau korrekt angelegt. Auch diese Aspekte sind ein Grund, warum die Arbeit in einer so reputierten wissenschaftlichen Zeitschrift wie ‚Nature’ erscheint.“

„Die Ergebnisse dieser Studie können prinzipiell auf einige andere Hautkrankheiten übertragen werden. Die Kombination der Genkorrektur und der Keratinozyten-Transplantaten aus Holoklon-Stammzellen bedingt aber, dass der Gendefekt in den Zellen der Oberhaut aktiv ist, was nur bei einem Teil der bekannten Erkrankungen der Fall ist. Bei Defekten in tieferen Hautabschnitten und anderen Zellarten müssen andere Therapiestrategien eingesetzt werden. Eine Kombination der Genkorrektur und der Stammzelltherapie hängt immer von der individuellen Konstellation des Patienten, seiner Erkrankung und seiner Stammzellqualität ab.“

„Abgesehen von genetischen Erkrankungen können hochqualitative Stammzell-basierte Oberhauttransplantate bei großflächigen Verbrennungen oder auch bei anderen chronischen Wunden eingesetzt werden, die eine erhebliche medizinische und sozioökonomische Herausforderung darstellen.“

Prof. Dr. Toni Cathomen

Direktor des Instituts für Transfusionsmedizin und Gentherapie,, Universitätsklinikum Freiburg

„Die eingesetzten Virusvektoren sind Genfähren der ersten Generation, die in mehreren Gentherapie-Studien in Blutstammzellen eingesetzt wurden. Da es bei einigen dieser Studien im vergangenen Jahrzehnt zu schwerwiegenden unerwünschten Ereignissen – bis hin zur Leukämie – kam, werden solche Genfähren heutzutage kaum noch eingesetzt. Allerdings ist diese Klasse der viralen Vektoren nicht generell gefährlich. Das in Europa zugelassene Gentherapeutikum ‚Strimvelis’ zur Behandlung eines schweren angeborenen Immundefekts beruht auf dieser Vektortechnologie. Wir müssen deshalb abwarten, um das längerfristige Risiko dieses Therapieansatzes beurteilen zu können. Die vorliegenden Daten deuten jedenfalls darauf hin, dass die gentherapeutisch behandelten Stammzellen der Haut keinen Wachstumsvorteil erlangt haben.“

„Um das Risiko einer Entartung der gentherapierten Hautzellen zu minimieren, könnten zukünftig Virusvektoren der zweiten Generation, wie etwa lentivirale Vektoren, eingesetzt werden. Alternativ könnte der Gendefekt mittels Genom-Editierung unter Zuhilfenahme von CRISPR/Cas-Genscheren korrigiert werden. Letzterer Ansatz hätte den Vorteil, dass keine viralen Sequenzen ins Erbgut der Stammzellen integriert werden müssen.“

Mögliche Interessenkonflikte

Alle: Keine Angaben erhalten.

Primärquelle

Hirsch T et al. (2017): Regeneration of the entire human epidermis using transgenic stem cells. Nature. DOI: 10.1038/nature24487.

Literaturstellen, die von den Experten zitiert wurden

[1] Website des Hemacure Consortium

Weitere Recherchequellen

[a] Laufende Studie der beteiligten italienischen Firma „Holostem Terapie Avanzate s.r.l.“: Clinical Trial to Assess Safety and Efficacy of Autologous Cultured Epidermal Grafts Containing Epidermal Stem Cells Genetically Modified in Patients With RDEB. (HOLOGENE7)