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22.01.2019

Sauerstoffmangel in Schwangerschaft und vermeidbare Folgen fürs Kind

Vitamin C verringert das Risiko für Bluthochdruck in Lämmchen nach einer komplizierten Schwangerschaft. Diese Ergebnisse aus dem Großtiermodell könnten Hinweise dafür liefern, wie beim Menschen negative Folgen von Schwangerschaftskomplikationen auf das Kind verhindert werden könnten.

Sauerstoffunterversorgung eines Ungeborenen, die sogenannte fetale Hypoxie, ist eine häufige Komplikation bei Schwangerschaften: Bei bis zu fünf Prozent der Schwangeren in Deutschland versorgt die Plazenta den Fetus nicht ausreichend. Solch ungünstige Bedingungen können beim Kind zu späteren Herz-Kreislauf-Erkrankungen führen. Um die Mechanismen und mögliche Therapien eines Sauerstoffmangels zu untersuchen, haben Forscher aus Cambridge das Schaf als Tiermodell herangezogen. Sie haben eine spezielle Druckkammer entwickelt, in der sie schwangere Schafe unter normalem und vermindertem Sauerstoffgehalt in der Luft gehalten haben.

Die Lämmchen mit verminderter Sauerstoffversorgung in der Schwangerschaft hatten ein geringeres Geburtsgewicht und später in ihrer Entwicklung häufiger Bluthochdruck. Bekamen die Muttertiere Vitamin C während der Schwangerschaft, verminderten sich diese Folgen. Die Forscher erklären diesen Effekt mit den antioxidativen Eigenschaften des Vitamins. Antioxidantien könnten also auch bei Schwangeren eine Möglichkeit sein, Herz-Kreislauf-Erkrankungen des Kindes durch Sauerstoffmangel vorzubeugen. Vitamin C käme dafür wegen eines nicht belegbaren Nutzens und Nebenwirkungen jedoch eher nicht in Frage [a], wie die Autoren selbst einschränken. Die Ergebnisse veröffentlichten die Wissenschaftler im Journal „PLOS Biology“ (siehe Primärquelle).

Übersicht

  • Prof. Dr. Huige Li, Professor und stellvertretender Direktor des Instituts für Pharmakologie, Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
  • Dr. Torsten Plösch, Universitätsdozent und Leiter der Forschungsgruppe Experimentelle Perinatologie, Universitätsfrauenklinik Groningen, Niederlande
  • Dr. Wolfgang Paulus, Oberarzt und Leiter der Beratungsstelle für Reproduktionstoxikologie, Universitätsfrauenklinik Ulm

Statements

Prof. Dr. Huige Li,

Professor und stellvertretender Direktor des Instituts für Pharmakologie, Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz

„Seit den ersten Beobachtungen durch die Arbeitsgruppe von Barker in den 1980er Jahren (Barker-Hypothese) [1] ist der Zusammenhang zwischen niedrigem Geburtsgewicht und einem erhöhten Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen im Erwachsenenalter in vielen Studien gezeigt worden. Ungünstige Bedingungen in der Schwangerschaft, wie zum Beispiel Präeklampsie (Erkrankung in der Schwangerschaft mit Bluthochdruck und Wasseransammlungen in Geweben, früher Schwangerschaftsvergiftung; Anm. d. Red.), maternale Adipositas (Fettleibigkeit der Mutter, Anm. d. Red.) oder Schwangerschaftsdiabetes, können zur Verminderung des utero-plazentaren Blutflusses und zur intrauterinen Wachstumsrestriktion (intrauterine growth restriction, IUGR) führen. Die Nachkommen haben ein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen im Erwachsenenalter [2]. Das Phänomen wird fetale Programmierung genannt. Epigenetische Mechanismen spielen hierbei eine wichtige Rolle [3].“

„In zahlreichen Studien wird oxidativer Stress als potenzieller Mechanismus postuliert. So wurde beispielweise in einem Meerschweinchen-Modell von IUGR gezeigt, dass eine maternale Behandlung mit dem Antioxidans N-Acetylcystein die epigenetischen Veränderungen und das intrauterine Wachstum normalisieren konnte [4]. Unsere eigene Arbeit mit einem Rattenmodell der genetischen Hypertonie hat gezeigt, dass eine maternale Therapie mit einer Substanz, welche antioxidative und NO-stimulierende (NO, Stickstoffmonoxid, ist an vielen Prozessen im Körper beteiligt, vor allem im Herz-Kreislauf-System; Anm. d. Red.) Wirkungen in sich vereint, zur persistierenden Blutdrucksenkung in den weiblichen Nachkommen führte [5]. Die pharmakologische Re-Programmierung beruht wesentlich auf epigenetischen Veränderungen in der perinatalen Phase, die zu einer dauerhaften Veränderung der Gen-Expression in den Nachkommen führt [5].“

„Die Arbeitsgruppe rund um Dino Giussani aus Cambridge hat in frühen Studien bereits zeigen können, dass maternale Behandlungen mit Vitamin C im Rattenmodell der fetalen Programmierung wirksam waren [6, 7]. Die bisherigen Studien haben jedoch einen offensichtlichen Nachteil: Anders als bei Menschen ist die Entwicklung des Herz-Kreislauf-Systems bei den Nagetieren mit der Geburt noch nicht abgeschlossen. Die Reifung dauert nach der Geburt noch zwei Wochen an [8]. Das macht es schwieriger, die Ergebnisse auf Menschen zu übertragen.“

„Deshalb ist die neue Studie ein Meilenstein auf dem Weg der Translation. Schaf und Mensch sind sich in der fetalen Entwicklung und Programmierung ähnlich. Der Erkenntnisgewinn dieser Studie ist daher größer als von zuvorigen und ihre Ergebnisse lassen sich eher auf den Menschen übertragen.“

„Dennoch ist eine direkte Übertragung der Ergebnisse nicht möglich. Neben den generellen Unterschieden zwischen Spezies bleibt noch zu klären, welches Antioxidans das vielversprechendste ist und in welcher Dosierung. Die klinischen Studien mit Vitamin C in IUGR und Präeklampsie waren bisher nicht erfolgreich [9, 10]. In der aktuellen Studie wird Vitamin C in viel höheren Dosen verwendet. Darüber hinaus muss man bedenken, dass es sich bei Tierexperimenten oft um einen relativ kurzen Beobachtungszeitraum handelt und man sich dabei oft auf nur wenige Organe und Systeme fokussiert. Das bedeutet, dass eventuelle Nebenwirkungen übersehen werden können. Ein aktuelles Beispiel ist die maternale Behandlung mit Sildenafil (Wirkstoff, der zu Gefäßerweiterung führt, Viagra; Anm. d. Red.). In Tiermodellen von IUGR sind mit Sildenafil ermutigende Ergebnisse erzielt worden, inklusive Maus [11] und Schaf [12]. Die klinische Studie STRIDER zur Behandlung der intrauterinen Wachstumsrestriktion musste jedoch 2018 vorzeitig abgebrochen werden, da überraschenderweise eine höhere Inzidenz persistierender pulmonalarterieller Hypertonie des Neugeborenen (erhöhter Blutdruck in den Lungenarterien; Anm. d. Red.) und eine höhere Gesamtanzahl neonataler Todesfälle bei der Behandlung mit Sildenafil beobachtet wurden [13].“

„Zusammengefasst bestätigt die neue Studie die beiden bekannten Befunde: Oxidativer Stress ist ein wichtiger Mediator der IUGR-programmierten Hypertonie und eine maternale Behandlung mit Antioxidantien kann eine programmierte Hypertonie verhindern. Da diese neue Studie in einer dem Menschen näheren Spezies als zuvor, dem Schaf, durchgeführt wurde, ist die Studie für die Translation von hoher Bedeutung. Die maternale Behandlung stellt eine hoffnungsvolle Präventionsmöglichkeit dar, kardiovaskuläre Erkrankungen bereits im Mutterleib zu bekämpfen oder vorzubeugen. Das gilt vor allem bei Hochrisikopatientinnen, bei den eine schwere IUGR diagnostiziert wird. Doch bis zur klinischen Anwendung gilt es, noch viele Hürden zu überwinden.“

Dr. Torsten Plösch,

Universitätsdozent und Leiter der Forschungsgruppe Experimentelle Perinatologie, Universitätsfrauenklinik Groningen, Niederlande

„Wir wissen seit vielen Jahren, dass eingeschränktes fetales Wachstum – zum Beispiel durch eine Unterernährung der Mutter in der Schwangerschaft – zu lebenslangen gesundheitlichen Folgen beim Kind führen kann. Gleiches gilt für eingeschränktes Wachstum durch eine Fehlfunktion der Plazenta, zum Beispiel im Zusammenhang mit Präeklampsie. Eine der wichtigsten Konsequenzen für das Kind ist ein erhöhtes Risiko für Bluthochdruck. Je nach Definition findet man in Deutschland bei etwa fünf Prozent aller Schwangeren eine solche Plazenta-Unterfunktion; es handelt sich also um eine relativ große Anzahl betroffener Kinder.“ 

„Als Folge der Plazenta-Unterfunktion beim Menschen wird der Fetus nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt, es kann zu einer Hypoxie (Sauerstoffmangel; Anm. d. Red.) kommen. Der Fetus reagiert darauf mit eingeschränktem Körperwachstum und Veränderungen in den Gefäßen. Dies dient dazu, das Gehirn weiterhin mit Sauerstoff und Nährstoffen zu versorgen.“

„Eine Folge der Hypoxie ist das Auftreten von oxidativem Stress, der allgemein als schädlich gilt. Hier wird oft mit Antioxidantien gegengesteuert, zum Beispiel mit Vitamin C oder Vitamin E. Es gibt viele klinische Studien aus den unterschiedlichsten Gebieten, zum Beispiel bei Organtransplantationen, Infarkten, Rauchen, oder eben während der Schwangerschaft. Als Wundermittel haben sich diese Antioxidantien dabei in der Regel nicht erwiesen. Eine große klinische Studie in einer Präeklampsie-Risikopopulation hat keinen Einfluss auf das Entwickeln einer Präeklampsie, aber sogar einen negativen Einfluss auf das Geburtsgewicht gezeigt.“

„Für das Verständnis der Prozesse, die als Folge der Plazenta-Unterfunktion auftreten, sind Tiermodelle sehr hilfreich. In diesem Schafmodell kann die Gruppe um Prof. Giussani spezifisch die Folgen der Hypoxie demonstrieren und eine Therapie mit Vitamin C testen. Das Modell hat dabei den Nachteil, dass es durch die Sauerstoffreduzierung selbstverständlich auch zu einer Hypoxie bei der Mutter kommt, was mit dem Menschen nicht vergleichbar ist. Da außerdem spezifisch nur ein Faktor, die Sauerstoffversorgung, untersucht wird, muss man auch eine mögliche Therapie vorsichtig beurteilen. Im Menschen sind in der Regel gleichzeitig auch Nährstoffmangel und Entzündungsprozesse beteiligt. Dies ist wichtig, da die Gefäßveränderungen im Fetus auch als Schutzmechanismus aufgefasst werden können, die im Falle einer Unterversorgung dem fetalen Gehirn Priorität geben, zu Lasten des Körperwachstums. Insofern müssen zukünftige Studien zeigen, ob eine gegen Hypoxie gerichtete Therapie sinnvoll ist, wenn die Plazenta-Unterfunktion als Ursache weiterhin bestehen bleibt.“

Dr. Wolfgang Paulus

Oberarzt und Leiter der Beratungsstelle für Reproduktionstoxikologie, Universitätsfrauenklinik Ulm

„Ein erhöhter Gefäßwiderstand in der Plazenta schränkt die Sauerstoffversorgung des Ungeborenen ein. Ein langfristiger Sauerstoffmangel im Mutterleib erhöht das Risiko für Bluthochdruck und Herz-Kreislauf-Erkrankungen im späteren Leben. In Industrieländern sind zwei bis fünf Prozent aller Kinder von einem reduzierten Wachstum aufgrund einer chronischen Unterversorgung betroffen. Wird eine Mangelversorgung vor der 20. Schwangerschaftswoche erkannt, kann die Situation durch die mütterliche Einnahme von niedrig dosierter Acetylsalicylsäure (150 mg) verbessert werden. Neuere Studienansätze erwarten auch einen positiven Einfluss des Nitro-Präparates PETN bei intrauteriner Mangelversorgung, um eine Prägung für einen späteren Bluthochdruck der Nachkommen zu verhindern.“

„Bei chronischer Mangelversorgung entstehen große Mengen von Sauerstoffradikalen, die den Organismus – insbesondere auch die Blutgefäße – durch oxidativen Stress schädigen. Diesen Vorgängen könnten Antioxidantien wie zum Beispiel Ascorbinsäure (Vitamin C) entgegenwirken.“

„Untersuchungen an Ratten zeigten bereits positive Effekte von Antioxidantien. Die Entwicklung der Nachkommen ähnelt von Schafen im Mutterleib viel mehr den Abläufen beim Menschen. Daher lassen Ergebnisse im Schafsmodell auch eher Rückschlüsse auf einen Einsatz beim Menschen zu. In der vorliegenden Studie wurde ein langfristiger Sauerstoffmangel simuliert, indem die Mutterschafe in entsprechenden Druckkammern mit niedrigem Sauerstoffgehalt untergebracht wurden. Verabreichte man den Muttertieren Vitamin C in hohen Dosen verbesserten sich die Ergebnisse bei Sauerstoffversorgung und Gewicht der Nachkommen. Zudem wiesen die Nachkommen nach der Geburt weniger Gefäßschäden und unauffälligere Blutdruckwerte auf. Allerdings führte Vitamin C in hohen Dosen bei normal versorgten Feten zu gegenteiligen Effekten.“

„Bisherige Studien zur Vorbeugung von Schwangerschaftshochdruck konnten bei wesentlich niedrigeren Dosen von Vitamin C keinen eindeutigen Nutzen zeigen. Die vorliegende Studie sollte jedoch zu weiteren Untersuchungen mit Antioxidantien wie Vitamin C bei Schwangeren ermutigen. Allerdings muss zuvor eine kindliche Mangelversorgung durch Ultraschalluntersuchungen gesichert sein. Die eingeschränkte Durchblutung kann insbesondere durch die Methode der Dopplersonographie nachgewiesen werden. Ansonsten sind auch Komplikationen durch hohe Dosen von Vitamin C für die Schwangerschaft vorstellbar. Um die Wirkung beim Menschen beurteilen zu können, sind erst einmal plazebokontrollierte klinische Studien bei Schwangerschaften mit eindeutig diagnostizierter Einschränkung der kindlichen Versorgung erforderlich. Tiermodelle können erste Hinweise geben, sind jedoch nur eingeschränkt auf den Menschen übertragbar.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Prof. Dr. Huige Li: „ich habe keine Interessenkonflikte.“

Dr. Torsten Plösch: „Ich habe keinen Interessenkonflikt.“

Alle andren: Keine angegeben.

Primärquelle

Brain KL et al. (2019): Intervention against hypertension in the next generation programmed by developmental hypoxia. PLOS Biology; 17 (1): e2006552. DOI: 10.1371/journal.pbio.2006552.

Literaturstellen, die von den Experten zitiert wurden

[1] Barker DJ et al. (1989): Weight in infancy and death from ischaemic heart disease. Lancet; 2 (8663): 577-580.

[2] Palinski W (2014): Effect of maternal cardiovascular conditions and risk factors on offspring cardiovascular disease. Circulation; 129 (20): 2066-2077. DOI: 10.1161/CIRCULATIONAHA.113.001805.

[3] Alexander BT et al. (2015): Fetal programming and cardiovascular pathology. Compr Physiol; 5 (2): 997-1025. DOI: 10.1002/cphy.c140036.

[4] Herrera EA et al. (2017): N-Acetylcysteine, a glutathione precursor, reverts vascular dysfunction and endothelial epigenetic programming in intrauterine growth restricted guinea pigs. J Physiol; 595 (4): 1077-1092. DOI: 10.1113/JP273396.

[5] Wu Z et al. (2015): Maternal treatment of spontaneously hypertensive rats with pentaerythritol tetranitrate reduces blood pressure in female offspring. Hypertension; 65 (1): 232-237. DOI: 

[6] Giussani DA et al. (2012): Developmental programming of cardiovascular dysfunction by prenatal hypoxia and oxidative stress. PLoS One; 7 (2): e31017. DOI: 10.1371/journal.pone.0031017.

[7] Kane AD et al. (2013): Vitamin C prevents intrauterine programming of in vivo cardiovascular dysfunction in the rat. Circ J; 77 (10): 2604-2611.

[8] Rueda-Clausen CF et al. (2011): The early origins of cardiovascular health and disease: who, when, and how. Semin Reprod Med; 29 (3): 197-210. DOI: 10.1055/s-0031-1275520.

[9] Poston L et al. (2006): Vitamin C and vitamin E in pregnant women at risk for pre-eclampsia (VIP trial): randomised placebo-controlled trial. Lancet; 367 (9517): 1145-1154. DOI: 10.1016/S0140-6736(06)68433-X. 

[10] Hovdenak N et al. (2012): Influence of mineral and vitamin supplements on pregnancy outcome. Eur J Obstet Gynecol Reprod Biol; 164 (2): 127-132. DOI: 10.1016/j.ejogrb.2012.06.020.

[11] Dilworth MR et al. (2013): Sildenafil citrate increases fetal weight in a mouse model of fetal growth restriction with a normal vascular phenotype. PLoS One; 8 (10): e77748. DOI: 10.1371/journal.pone.0077748.

[12] Oyston C et al. (2016): Maternal Administration of Sildenafil Citrate Alters Fetal and Placental Growth and Fetal-Placental Vascular Resistance in the Growth-Restricted Ovine Fetus. Hypertension; 68 (3): 760-767. DOI: 10.1161/HYPERTENSIONAHA.116.07662. 

[13] Hawkes N (2018): Trial of Viagra for fetal growth restriction is halted after baby deaths. BMJ; 362: k3247. DOI: 10.1136/bmj.k3247. 

Weitere Recherchequellen

[a] Rumbold A et al. (2015): Vitamin C supplementation in pregnancy. Cochrane Systematic Review. DOI: 10.1002/14651858.CD004072.pub3.