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02.11.2017

Krebsimmuntherapie kann schlechter wirken, wenn Antibiotika das Mikrobiom verändern

Können bestimmte Mikroben im menschlichen Darm die Wirksamkeit von Krebsimmuntherapien bei Tumorpatienten erhöhen? Zwei Publikationen in „Science“ (*siehe Primärquellen) beschreiben Experimente, die den Verdacht erhärten: Eine Antibiotika-Behandlung könnte bei bestimmten Krebspatienten die klinischen Vorteile bestimmter Krebsimmuntherapien verringern. Die Veröffentlichungen beschreiben, wie das menschliche Mikrobiom je nach bakterieller Zusammensetzung die Wirksamkeit von Krebsimmuntherapien verstärkte bzw. abschwächte. Fäkale Mikrobiom-Transplantation (FMT) aus Patienten, die auf eine Krebsimmuntherapie mit Checkpoint-Inhibitoren wie PD-1 ansprachen, konnten in Mäusen, die keimfrei aufgezogenen wurden oder mit Breitband-Antibiotika vorbehandelt wurden, das Wachstum menschlicher Tumorzellen bremsen.

Die eine, von Forschern in Frankreich verfasste Publikation beschreibt Effekte bei Patienten mit fortgeschrittenem nichtkleinzelligen Lungenkrebs (NSCLC) und Nierenkrebs; die andere, von Forschern in den USA verfasste Publikation beobachtete vergleichbare Effekte bei Hautkrebs-Patienten (Melanom). Dabei zeigte sich, dass Hautkrebs-Kranke, deren Tumoren auf eine Immunblockade mit anti-PD-1-Therapien reagierten, ein funktionell anderes Mikrobiom aufwiesen als Patienten, deren Tumoren unter der Immuntherapie weiterwucherten. Ähnliche Effekte wurden bereits vor zwei Jahren in Maus-Experimenten beobachtet, deren Ergebnisse ebenfalls in „Science“ publiziert wurden [1] [2]. Welche Mikroben und welche Immunzellen genau für die beobachteten Wirkungen verantwortlich sind, bleibt vorerst unklar [3].

 

Übersicht

  • Prof. Dr. Dirk Busch, Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie, Immunologie und Hygiene, Technische Universität München (TUM), München
  • PD Dr. Maria Vehreschild, Leiterin der Arbeitsgruppe Klinische Mikrobiomforschung, Uniklinik Köln

Statements

Prof. Dr. Dirk Busch

Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie, Immunologie und Hygiene, Technische Universität München (TUM), München:

„Die beiden Publikationen sind auf jeden Fall interessant. Sie weisen insbesondere auf klinische Möglichkeiten hin, wie man die Wirksamkeit von Krebsimmuntherapien (mit Checkpoint-Inhibitoren; Anm. d. Red.) zukünftig eventuell verbessern könnte. Bis zu konkreten klinischen Anwendungen bedarf es allerdings noch zahlreicher weiterer Studien – sowohl in präklinischen Modellen als auch in Patienten. Diese müssten insbesondere den Mechanismus genauer entschlüsseln, mit Hilfe dessen bestimmte Mikroben des Mikrobioms die Immunabwehr stimulieren. Dabei müssten auch mögliche Patienten- bzw. Tumor-spezifische Unterschiede für die Wirksamkeit der Mikroben untersucht werden.“

„Insgesamt erscheinen mir die hier vorgestellten Ergebnisse methodisch gut durchgeführt. Die Experimente in Mäusen sind sehr überzeugend und weisen klar darauf hin, dass die Zusammensetzung des intestinalen Mikrobioms (d. h. die Bakterienflora im Darm, Anm. d. Red.) das Ansprechen auf Checkpoint-Inhibitor-Therapien positiv beeinflussen kann. Inwieweit diese Zusammenhänge auch bei Tumor-Patienten das Ansprechen auf Checkpoint-Inhibitor-Therapie bestimmen, ist auch mit den in den Publikationen vorgestellten Ergebnissen nicht endgültig und zweifelsfrei zu beantworten. Noch sind die Patientengruppen zu klein und wahrscheinlich auch zu heterogen. So wird zum Beispiel in der Studie von Gopalakrishnan et al. eigens darauf aufmerksam gemacht, dass die Zahl der sequenzierten Tumoren in der Studie relativ gering ist und deshalb auch andere Faktoren –etwa die Mutationsrate der Tumorzellen – Einfluss auf das Ergebnis haben könnten.“

„In Zukunft wären mögliche klinische Anwendungen der Erkenntnisse:- Diagnostische (Mikrobiom-)Untersuchung vor dem Beginn einer Checkpoint-Inhibitor-Therapie (oder anderer Immuntherapien), um jene Patienten zu identifizieren, die besonders von einer Therapie profitieren sollten.- Bei Patienten, die kürzlich einer Breitspektrum-Antibiose (Therapie mit Breitband-Antibiotika; Anm. d. Red.) unterzogen wurden oder aus anderen Gründen eine ausgeprägte Dysbiose (gestörtes Gleichgewicht zwischen den Bakterienarten im Darm; Anm. d. Red.) des Mikrobioms im Darm aufweisen, sollte man ggf. mit dem Beginn einer Checkpoint-Inhibitor-Therapie warten, bis sich eine (gewisse) Normalisierung des Mikrobioms eingestellt hat. Womöglich könnte auch die Gabe von Probiotika, die die Mikrobiom-Zusammensetzung beeinflussen, zu einer erfolgreichen Begleittherapie werden.“

„Insgesamt sollte man wahrscheinlich mit dem Einsatz von Antibiotika vor oder während einer Checkpoint-Inhibitor-Therapie vorsichtiger sein und dabei – wenn klinisch möglich – darauf verzichten, (Breitspektrum)-Antibiotika zu geben , die ‚protektive’ Mikrobiom-Spezies verringern.“

„Möglicherweise wird in Zukunft die Mikrobiom-Diagnostik und ggf. begleitende Gabe von Probiotika mit gut definierten ‚protektiven’ Mikrobiom-Spezies zu einem wichtigen Bestandteil von Checkpoint-Inhibitor-Therapien (und vielleicht auch vielen anderen Immuntherapien).“

PDin Dr. Maria Vehreschild

Leiterin der Arbeitsgruppe Klinische Mikrobiomforschung, Uniklinik Köln:

„Die aktuellen Ergebnisse sind für mich persönlich nicht überraschend. Bereits 2015 wurden die Ergebnisse zweier Maus-Studien in ‚Science’ publiziert [1] [2], mit sehr ähnlichen Ergebnissen zu den neuen Studien am Menschen. An der Uniklinik Köln führen wir derzeit selbst eine ähnliche Studie durch, da wir ebenfalls einen Zusammenhang zwischen Mikrobiom und Wirksamkeit von Krebsimmuntherapien vermuten.“„Selbstverständlich gibt es weiterhin Lücken in der Beweisführung, denn letztendlich ist auch nach den neueren Veröffentlichungen lediglich klar, dass bestimmte Mikrobiom-Signaturen mit bestimmten T-Zell-Signaturen der Immunabwehr korrelieren. Wie genau diese Mikrobiota die T-Zellen der Immunabwehr beeinflussen, bleibt weiterhin ungeklärt.“

„Die in den Studien (nicht [1] [2], sondern die neu publizierten Studien/Primärquelle; Anm. d. Red.) beobachteten Effekte einer Fäkal-Mikrobiom-Transplantationen (FMT) von Menschen auf Mäuse legt nahe: Bei den Wirkungen auf Immuntherapien handelt es sich tatsächlich nicht um eine reine Assoziation, sondern dahinter besteht tatsächlich eine Ursache-Wirkung-Beziehung. Klar ist jedoch, dass die genauen Mechanismen dieser Zusammenhänge bisher nur unzureichend beschrieben wurden.“

„Vor allem Patienten mit soliden Tumoren erhalten im Vergleich zur Normalbevölkerung überdurchschnittlich viele Antibiotika. Sofern diese das Mikrobiom verändern, könnte es sich um klinisch und nicht nur theoretisch relevante Mechanismen handeln, die helfen könnten, eine mangelnde Wirksamkeit von Immuntherapien zu erklären.“

„Wenn ich wüsste, wie sich der entscheidende Zusammenhang zwischen der T-Zell-Immunität und dem Mikrobiom entschlüsseln ließe, dann hätte ich den entsprechenden Versuch längst unternommen. In der Tat würde die Auflösung dieses Rätsels einen höchst relevanten Durchbruch für viele Felder der Mikrobiom-Forschung darstellen.“

„Sicherlich sollte jede Antibiotika-Therapie auf der Basis rationaler Evidenz erfolgen. Das war auch schon vor diesen Publikationen klar. Die neuen Ergebnisse helfen, das Bewusstsein für die Nebenwirkungen von Antibiotika insbesondere im onkologischen Bereich noch einmal zu schärfen. Langfristig wäre es natürlich interessant, spezifische ‚Probiotika’ zu entwickeln, die den Effekt der Krebsimmuntherapien verstärken. Als wirksam identifizierte Mikroben-Präparationen müssten dann in einem nächsten Schritt in klinischen Studien bei Krebs-Patienten erprobt werden. Bis dahin ist es in der Forschung noch ein sehr langer Weg.“

„Viele aktuelle Ergebnisse aus der Erforschung des Mikrobioms sind sehr aufregend und oft auch unerwartet. Ärzte, aber auch Journalisten sollten sehr vorsichtig sein, bevor sie aus einzelnen Studien unmittelbar konkrete klinische Handlungsanleitungen ableiten. Denn dafür reicht aus meiner Sicht die Evidenz derzeit keinesfalls aus. Es schadet daher, die mögliche Relevanz dieser Ergebnisse überspitzt darzustellen, denn bei Patienten und Ärzten entstehen schnell eine zu hohe Erwartungshaltung und ggf. auch Unsicherheiten, denen Onkologen am Krankenbett ohne weitere klinische Studien nicht adäquat begegnen können.“

Mögliche Interessenkonflikte

Alle: Keine angegeben.

Primärquellen

Routy B et al. (2017): Gut microbiome influences efficacy of PD-1-based immunotherapy against epithelial tumors. Science. DOI: 10.1126/science.aan3706.

Gopalakrishnan C et al. (2017): Gut microbiome impacts response to anti-PD-1 immunotherapy in melanoma patients. Science. DOI: 10.1126/science.aan4236.

Literaturstellen, die von den Experten zitiert wurden

[1] Vétizou M et al. (2015) Anticancer immunotherapy by CTLA-4 blockade relies on the gut microbiota. Science; 350(6264): 1079-1084. DOI: 10.1126/science.aad132.

[2] Sivan A et al. (2015) Commensal Bifidobacterium promotes antitumor immunity and facilitates anti-PD-L1 efficacy. Science; 350(6264): 1084-1089. DOI: 10.1126/science.aac4255.

Weitere Recherchequellen

[3] Zitvogel L (2017): Anticancer effects of the microbiome and its products. Nature Review Microbiology; 15: 465-478. DOI:10.1038/nrmicro.2017.44.

[4] Science Media Center Germany (2017): Personalisierte Krebsimmuntherapie – ein zweischneidiges Schwert? Press Briefing. Stand: 11.09.2017.