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17.01.2022

Klimaneutrale Schifffahrt ökonomisch und technisch machbar?

Um die Pariser Klimaziele zu erreichen, müssen auch in der Schifffahrt die bisher verfeuerten fossilen Kraftstoffe durch Treibstoffe ersetzt werden, die mit Strom aus Erneuerbaren Energien produziert werden. Bei einer Umstellung des internationalen Schiffsverkehrs auf klimaneutrale Treibstoffe könnten weiterhin mehr als 93 Prozent der aktuellen Transportleistung erbracht werden. Dabei müssten die Schiffe etwa drei Prozent weniger Ladung an Bord nehmen, um Platz für die neuen Treibstoffe und Motoren zu schaffen. Allein diese Umstellung würde den europäischen Stromverbrauch um vier bis acht Prozent steigern. Zudem müssten die Betreiber der Schiffe damit rechnen, dass die Betriebskosten für die Schiffe zwei- bis sechsmal höher sind als aktuell – eine enorme ökonomische Herausforderung. Zu diesem Ergebnis kommt ein Autorenteam der ETH Zürich. In ihrer Studie haben sie aus technischer und ökonomischer Perspektive untersucht, inwiefern Treibstoffe, die mit Erneuerbaren Energien produziert werden, die Emissionen der europäischen Schifffahrt verringern könnten. Die Studie ist am 17.01.2022 im Fachjournal ‚Nature Energy“ erschienen (siehe Primärquelle).

Die internationale Seeschifffahrt verursacht zwei bis drei Prozent der globalen Treibhausgasemissionen. Sie trägt damit mindestens so viel zum weltweiten Ausstoß bei, wie alle jährlichen Emissionen in Deutschland zusammen. Laut Schätzungen könnte der absolute Ausstoß der Schifffahrt bis Mitte des Jahrhunderts um bis zu 250 Prozent steigen. Es wird erwartet, dass der Warentransport aus dem Seeweg weiter stark zunehmen wird – wahrscheinlich auf das Dreifache im Vergleich zum Jahr 2015. Aktuell werden etwa 90 Prozent der international gehandelten Güter mit Schiffen transportiert.

Grundsätzlich galt die Schifffahrtsindustrie bisher als nur schwer zu dekarbonisieren [I]. Ebenso wie der grenzüberschreitende Flugverkehr werden diese Emissionen keinem Verursacherstaat zugeschrieben und daher nicht bei der Entwicklung der nationalen Klimaziele berücksichtigt. Somit entziehen sie sich möglichem politischen Druck aus der nationalen Politik. Es ist daher Aufgabe der UN-Schifffahrtsorganisation International Maritime Organization (IMO), Strategien zu entwickeln [II][III], wie auch dieser Sektor die Treibhausgasemissionen in den nächsten Jahren und Jahrzehnten nachhaltig verringern kann. Auf dem Weltklimagipfel COP26 im November 2021 wurde der Druck auf die IMO deutlich erhöht – die Organisation solle nachdrücklicher auf eine klimaneutrale Schifffahrt hinarbeiten.

Wie alle Sektoren muss auch die globale Schifffahrt in den nächsten Jahrzehnten ihre Treibhausgasemissionen massiv senken. Als klimaneutrale Kraftstoffe sind hier Wasserstoff, Ammoniak, synthetisches Methan, synthetisches Methanol und synthetischer Diesel die interessantesten Alternativen. Da die Schiffe in der Regel 25 bis 40 Jahren in Betrieb sind, muss bereits heute intensiv darüber nachgedacht werden, wie auch die Schiffe, die heute gebaut werden, Mitte des Jahrhunderts möglichst klimaneutral unterwegs sein können. Die Umrüstung auf die synthetischen Alternativen fossiler Kraftstoffe wäre auch kurzfristig möglich, da hier keine großen Umbauten an den Antriebsystemen erforderlich wären.

Für ihre Studie untersuchten die Autoren alle innereuropäischen Transportfahrten mit Massengutfrachtern und Öltankern. Diese sind für etwa 21 Prozent aller betrieblichen Treibhausgasemissionen der Schifffahrt verantwortlich. Die Wissenschaftler sehen ihre Ergebnisse auf andere Weltregionen und Schiffstypen übertragbar, sodass die Erkenntnisse auf den gesamten Sektor übertragbar seien.

Das Team modellierte die Nutzung eines klimaneutralen Antriebssystems und untersuchte, inwiefern die Schiffe noch immer die gleiche Ladung über die gleichen Entfernungen transportieren könnten. Es zeigte sich, dass vor allem bei langen Fahrten und bei Fahrten mit hoher Auslastung nur eine verringerte Transportleistung erbracht werden könnte. Ohne Anpassung könnten nur 79 Prozent der bisherigen Ladung transportiert werden. Würden nun drei Prozent der Ladung durch zusätzliche Energie ersetzt, ließe sich diese Transportleistung wieder auf 93 Prozent der bisherigen Menge steigern. Um dies auf 99 Prozent zu steigern, wäre ein Austausch von sechs Prozent notwendig.

Für eine Optimierung wäre entscheidend, so die Autoren, mit modularen Energiesystemen jede Fahrt so auszustatten, wie es für die Länge der Fahrt und die Auslastung angemessen ist. Bisher sind die Schiffe so konzipiert, dass sie ausreichend Treibstoff für die größtmögliche Distanz bei maximaler Auslastung laden können – aktuell werden sogar häufig auch Treibstoffe für anschließende Fahrten an Bord genommen. Container mit modularen Energiesystemen könnten dann je nach Fahrt zu- oder abgeladen werden. Zusätzlich ließe sich durch Ladestopps auf halber Strecke die transportierte Warenmenge enorm steigern. Die Gesamtbetriebskosten der auf Erneuerbare Treibstoffe umgerüsteten Schiffe würden zwei- bis sechsmal höher liegen als bei konventionellen Antrieben. Das zeigt, wie groß schon allein die ökonomischen Herausforderungen einer solchem Umrüstung auf klimaneutrale Treibstoffe sind. Von allen untersuchten klimaneutralen Treibstoffen zeigten sich in dieser Studie Ammoniak und Methanol als die ausgewogensten Kraftstoffe.

Übersicht

     

  • Dr. Jonathan Köhler, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Competence Center Nachhaltigkeit und Infrastruktursysteme, Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung, Karlsruhe
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  • Dr. Martin Cames, Leiter Bereich Energie & Klimaschutz, Öko-Institut, Berlin
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Statements

Dr. Jonathan Köhler

Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Competence Center Nachhaltigkeit und Infrastruktursysteme, Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung, Karlsruhe

„Die Studie ist größtenteils kompetent durchgeführt. Es gibt aber einige wichtige Schwachstellen. Die Autoren untersuchen das Gewicht der geladenen alternativen Kraftstoffe und nicht deren Volumen. Da die E-Fuels eine viel niedrigere volumetrische Energiedichte (beschreibt, wie viel Energie pro Volumen entnommen werden kann; wird in Kilowattstunden pro Liter angegeben; Anm d. Red.) als fossile Kraftstoffe haben, brauchen sie viel mehr Platz an Bord. Das ist ein wichtiges Problem für die Schiffsbau, wichtiger als das Gewicht. Die Daten in der aktuellen Studie entsprechen den typischen Werten in der wissenschaftlichen Literatur. Die Methodik der AIS-Daten (Automatisches Identifikationssytem, mit dem Routen der Schiffe verfolgt werden; Anm. d. Red.) ist sehr gut und die Verteilung der Fahrtlängen ist sehr interessant. Die Ergebnisse sind ähnlich denen in der wissenschaftlichen Literatur, insbesondere der vierten IMO-Treibhausgasstudie [1], in der ein großer Beitrag durch EAmmoniak prognostiziert wird.“

„Das große Aber: Die Studie hat zwei wichtige Möglichkeiten überhaupt nicht betrachtet. Erstens: Die Autoren nehmen implizit an, dass die Schiffe mit derselben Geschwindigkeit fahren wie heutzutage. Dabei kann die Geschwindigkeit um bis zu 50 Prozent verringert werden, was überall viel Energie sparen würde. Und zweitens: Sie berücksichtigen Wind-Antriebe nicht, die generell keine Treibhausgase verursachen und bei denen die Schiffe fast keinen zusätzlichen Kraftstoff brauchen – nur noch für kurzfristige Manöver, Notfälle und Hilfsaggregate. Das spart viele Betriebskosten, potenziell bis zu 30 Prozent, ein starker Kontrast zu den E-Fuels.“

„Bei diesen beiden, nicht berücksichtigten Alternativen fahren die Schiffe langsamer, haben aber das bessere Fahrten-Management, sodass die Wartezeit außerhalb der Häfen und zum Beispiel am Suez Kanal verringert. Auch das verringert den Unterschied in der Fahrtdauer. Die Kosten bleiben signifikant niedriger.“

Auf die Frage, inwiefern der bis zu 8 Prozent höhere Strombedarf in Europa allein für die Schifffahrt und die zwei- bis sechsmal höheren Betriebskosten eine Umstellung überhaupt realisierbar machen:
Beides ist sehr schwierig. Aber wenn die Pariser Klimaziele erreicht werden sollen, muss eine drastische Treibhausgas-Minderung – 80 Prozent Minderung oder mehr – von der Seeschifffahrt bis 2050 erreicht werden. Und dann sind solche Änderungen unvermeidbar. Das heißt, es muss starke Signale aus Politik geben – CO2-Preis, Unterstützung der neuen Technologien, wie damals bei den Wind-Turbinen durch das deutsche EEG, generell eine Unterstützung der Erneuerbaren Energien.“

Auf die Frage, wie groß der Druck auf die Schifffahrt ist, die Emissionen zu reduzieren, da diese Emissionen keinem Verursacherstaat zugeschrieben werden:
Gering – die Pariser Klimaziele werden bei weitem verfehlt.“

Auf die Frage, inwiefern die technische Umrüstung der Schiffe und Häfen so möglich ist, dass die Maßnahmen schnell klimawirksam werden und gleichzeitig für die Betreiber ökonomisch vertretbar sind:
Wie schon gesagt: Es braucht eine sehr stark unterstützende Politik und das weltweit.“

„Technisch gesehen sind die Antriebe noch in Entwicklung, insbesondere bei Brennstoffzellen sind die größten Anlagen im Moment um die drei Megawatt. Für Massengutfrachter braucht es ungefähr 20 bis 25 Megawatt, um die größten Schiffe zu betreiben – es sei denn, sie fahren langsamer. Auf der Seite der Häfen kann eine Bunkerlieferkette geschaffen werden, die die alternativen Kraftstoffe liefern, genau so schnell wie der Bau der neuen Schiffe, wenn die erneuerbaren Kraftstoffe hergestellt werden können. Das braucht aber einen sehr schnellen und massiven Ausbau der Erneuerbaren Energien.“

Auf die Frage, inwiefern Zeitverluste durch die in der Studie vorgeschlagenen Zwischenstopps den Umstieg für die Schiffsbetreiber unattraktiv machen könnten:
„Das ist nicht so schlimm. Die operationellen Kosten werden ein bisschen steigen, denn die Reisezeit wird länger. Wichtiger für Massengutfrachter ist aber, dass die Häfen wissen, wann das Schiff ankommt.“

Auf die Frage, inwiefern sich die Häfen so umzurüsten lassen, dass immer ausreichende Mengen aller genutzten Treibstoffe vorrätig wären:
Das ist technisch gut möglich. Es braucht viele Investitionen und mehr Platz, denn dies wird eine Zeit lang parallel zu fossilen Kraftstoffen verwendet werden.“

Auf die Frage, inwiefern die Antriebe der neuen Schiffe so konstruiert wären, dass sie auch verschiedene klimaneutrale Treibstoffe nutzen könnten:
Das gibt es schon mit den so genannten Dual Fuel HFO – fossile Schweröle (Heavy Fuel Oil) – oder Marine Gasöle (MGO) plus Flüssiggas (LNG). Es gibt sogar Triple Fuel Motoren. Das ist natürlich kompliziert und daher teurer als nur HFO oder MGO. Aber technisch gibt es das schon.“

Dr. Martin Cames

Leiter Bereich Energie & Klimaschutz, Öko-Institut, Berlin

„Die Studie geht über bisherige Studien [2][3][4] zur Frage post-fossiler Energieträger im Seeverkehr insbesondere hinsichtlich der Datenbasis hinaus, da sie nicht nur die Auswirkungen auf einzelne Schiffe als Beispiel für eine gesamte Schiffskategorie untersucht, sondern historische Daten einzelner Schiffskategorien auswertet. Grundlage der Analyse sind Daten aus dem Monitoring-System der EU, die seit 2018 erhoben werden. Die Auswahl der untersuchten Kraftstoffe – E-Wasserstoff, E-Ammoniak, E-Flüssiggas, E-Methanol, E-Diesel, E-Strom, aber zum Beispiel keine E-Diemethylether DME – und der Ausschluss von Biokraftstoffen wegen langfristig stark limitierter Verfügbarkeit ist adäquat.“

„Die Ergebnisse bestätigen bisherige Erkenntnisse und die Einschätzungen aus eigenen Analysen: Wasserstoff und Strom kommen für lange Distanzen im Zeitraum bis 2050 praktisch nicht in Frage, allenfalls in Nischen (Fähren, Küstenschifffahrt). Diesel – wegen der höchsten Betreiberkosten – und Flüssiggas LNG – wegen Methan-Leckagen – ebenfalls nicht. Die besten Aussichten haben Ammoniak und Methanol. Dabei ist Ammoniak kostengünstiger, weil es keine direkte CO2-Entnahme aus der Atmosphäre (Direct Air Capture, DAC) erfordert. Nachteilig gegenüber Methanol ist einerseits das Handling, denn Ammoniak ist toxisch, seine Energiedichte und dass es wohl erst ab 2025 Ammoniak-Motoren geben wird. Methanol ist zwar teurer in der Produktion, aber das Handling und seine Energiedichte sind günstiger und es gibt bereits etwa 20 Schiffe, die mit Methanol fahren. Maersk – die weltgrößte Containerrederei – hat fünf Schiffe mit Methanolantrieb geordert, die ab 2025 zum Einsatz kommen sollen.“

„Die Grenzen der Analyse zeigen sich in den folgenden Punkten: Es wäre wichtig, neben den Massengutfrachtern auch Containerschiffe in die Analyse einzubeziehen. Die Nichtberücksichtigung ist vermutlich der Verfügbarkeit entsprechender Daten geschuldet. Die Autoren weisen jedoch drauf hin, dass die Methodik auf weitere Regionen jenseits Europas und Schiffskategorien jenseits der Massengutfrachter ausgeweitet werden kann.“

„Zur Methodik: Die Tank-Infrastruktur auf dem Schiff und an Land für die einzelnen E-Fuels ist nicht austauschbar. Es wird implizit vorausgesetzt, dass jedes der E-Fuels überall verfügbar ist. Das Vorhalten von verschieden E-Fuels in allen Häfen kann die Kosten enorm in die Höhe treiben. Limitierte Verfügbarkeit der E-Fuels in Häfen kann die Flexibilität und Kosten ebenfalls in die Höhe treiben. Die Ausweitung auf die Interaktion mit der Tankinfrastruktur wäre eine weitere Option für eine Erweiterung der Analyse.“

„Zudem beschränkt sich die Arbeit aufs ‚Gewichtspenalty‘: Die Vernachlässigung der Volumeneinschränkungen ist für Massengutfrachter tolerabel, aber sofern die Analyse zum Beispiel auf Containerschiffe ausgeweitet würde, problematisch. Hierfür müsste die Methodik entsprechend weiterentwickelt werden.“

Auf die Frage, inwiefern der bis zu 8 Prozent höhere Strombedarf in Europa allein für die Schifffahrt und die zwei- bis sechsmal höheren Betriebskosten eine Umstellung überhaupt realisierbar machen:
„Die Dekarbonisierung erfordert eine umfassende Transformation in kurzer Zeit – innerhalb von 30 Jahren – nicht nur im Seeverkehr, sondern in der gesamten Ökonomie. Dabei ergeben sich nicht nur Konflikte, sondern auch Synergien mit anderen Sektoren – so wird die Elektrolyse auch für die Stahlindustrie und den Luftverkehr benötigt –, so dass ökonomische Effizienz durch Skaleneffekte stärker wirksam werden.“

„Wichtiger jedoch: Die Kosten des Seetransports sind marginale Anteile der Kosten von Produkten. In der Vergangenheit gab es starke Preisschwankungen, sowohl in den Preisen für Schiffskraftstoffe als auch in den Frachtraten, ohne dass der Welthandel dadurch zum Erliegen kam.“

„Entscheidend ist, dass alle Schiffe gleichermaßen von den entsprechenden Regulierungen betroffen sind, wie zum Beispiel beim Vorschlag der Kommission FuelEU Maritime im Rahmen des Fit for 55-Paketes. Dann können die Kosten auf die Kunden überwälzt werden. Dies führt dann sicherlich auch zu vermehrt lokaler Produktion – dafür gibt es auch etliche andere Gründe –, aber der internationale Handel wird dennoch ein wichtiger Bestandteil der globalen Güterversorgung bleiben.“

Auf die Frage, wie groß der Druck auf die Schifffahrt ist, die Emissionen zu reduzieren, da diese Emissionen keinem Verursacherstaat zugeschrieben werden:
„Bei der Internationalen Schifffahrtsorganisation (IMO) haben sich die Staaten 2018 geeinigt, bis 2050 die Emissionen mindestens um 50 Prozent gegenüber 2008 zu senken. Die EU-Staaten hatten damals eine Reduzierung um mindestens 70 Prozent gefordert, konnten sich damit aber nicht durchsetzen. Nachdem Erscheinen des 1,5-Grad-Berichts des Weltklimarats IPCC ist der Druck größer, die Emissionen drastischer zu senken. Inzwischen streben einige Staaten und Verbände CO2- oder Klimaneutralität im Seeverkehr bis 2050 an.“

„Es ist unwahrscheinlich, dass im Rahmen der IMO kurzfristig entsprechende Politiken vereinbart werden, da verschiedene Staaten solche Vereinbarungen immer wieder verzögern. Aber große Staaten oder Gruppen wie die EU können die Entwicklung schneller vorantreiben, indem sie einerseits die Umstellung auf E-Fuels fördern – zum Beispiel ähnlich wie in Deutschland durch das Erneuerbare Energien Gesetz – und indem sie Regelungen vorschreiben, die alle Schiffe erfüllen müssen, die europäische Häfen anlaufen (Quotenregelung).“

Auf die Frage, inwiefern die technische Umrüstung der Schiffe und Häfen so möglich ist, dass die Maßnahmen schnell klimawirksam werden und gleichzeitig für die Betreiber ökonomisch vertretbar sind:
Die ökonomische Vertretbarkeit wird eher durch die politische Rahmensetzung und Regulierung bestimmt als durch die Höhe der Kosten selbst. Wenn alle Wettbewerber gleichermaßen betroffen sind, ist die Überwälzung von Kosten kein Problem.

Die eigentliche Herausforderung ist eine andere: Derzeit entfallen 97 Prozent des Seeverkehrs auf erdölbasierte Kraftstoffe – plus 3 Prozent Flüssiggas LNG. Wenn sich dies zukünftig auf fünf E-Fuels verteilen würde, entstünden enormen Infrastrukturkosten aufgrund geringerer Skaleneffekte. Die Entscheidung, welche E-Fuels sich durchsetzen, sollte man nicht dem Markt überlassen, da der dafür zu lange braucht. Ähnlich wie bei der Entscheidung für batterieelektrische Antriebe im Straßenverkehr, müssen die Staaten anstreben, die Anzahl der E-Fuels möglichst bald auf ein, allenfalls zwei E-Fuels zu beschränken.“

Auf die Frage, inwiefern Zeitverluste durch die in der Studie vorgeschlagenen Zwischenstopps den Umstieg für die Schiffsbetreiber unattraktiv machen könnten:
Ja, das verursacht zusätzliche Kosten – es braucht mehr Zeit, kostet Hafengebühr und so weiter – und das wird in der Analyse ignoriert. Aber das halte ich für eine zulässige und sinnvolle Abstrahierung, da zum Beispiel die vermutlich nur geringfügig wachsenden Hafengebühren im Vergleich zu den stark steigenden Kraftstoffkosten zunehmend weniger ins Gewicht fallen werden. Und wenn alle Schiffe gleichermaßen betroffen sind, können die zusätzlichen Kosten auf die Kund:innen abgewälzt werden. Es kommt also auf die staatlichen Instrumente an, die müssen passen.“

Auf die Frage, inwiefern die Antriebe der neuen Schiffe so konstruiert wären, dass sie auch verschiedene klimaneutrale Treibstoffe nutzen könnten:
„Ja, es gibt Dual Fuel-Motoren und deren Anteil wird steigen, insbesondere in Transformationsphase. Insgesamt ist das eine komplizierte Frage, die hier nur angerissen werden kann. Ammoniak und Methanol brauchen ein Pilot-Fuel (Diesel), damit sie überhaupt in Motoren betrieben werden können. Manche Kraftstoffe kann man beimischen – Methanol bis zu einem gewissen Anteil in Diesel, Ammoniak nicht. Die Tanks, nicht nur in den Häfen, sondern auch auf den Schiffen, sind spezifisch, das heißt, Ammoniak, Methanol, Wasserstoff können nicht im selben Tank gelagert werden. Also die Nutzung unterschiedlicher E-Fuels auf demselben Schiff wird recht begrenzt sein.“

„Ich denke, praktikabler als der Wechsel der E-Fuels ist, dass nur so viel Kraftstoff gebunkert – also getankt – wird, wie für die jeweilige Reise benötigt wird, um die Zuladungskapazität nicht zu stark einzuschränken. Heute wird dort gebunkert, wo der Kraftstoff am günstigsten ist und Kraftstoff für mehrere Reisen mitgeführt. Dies ist nicht zwingend notwendig und bietet Potenzial für zusätzliche Flexibilität.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Dr. Martin Cames: „Keine. Ich habe eine Studie im Auftrag des Umweltbundesamtes UBA zur gleichen Fragestellung geleitet. Die Studie ist abgeschlossen und sollte in Kürze vom UBA veröffentlicht werden. Schwerpunkt unserer Studie ist weniger, welches das optimale E-Fuel der Zukunft ist, sondern, wie die Transformation dorthin durch politische Instrumente beschleunigt werden kann. Da es sich um einen öffentlichen Auftraggeber handelt, wir zu der Frage keine privaten Unternehmen beraten und das Öko-Institut eine gemeinnützige Forschungseinrichtung ist, habe ich keine Interessenkonflikte."

Alle anderen: Keine Angaben erhalten.

Primärquelle

Stolz B et al. (2022): Techno-economic analysis of renewable fuels for ships carrying bulk cargo in Europe. Nature Energy. DOI: 10.1038/s41560-021-00957-9.

Literaturstellen, die von den Experten zitiert wurden

[1] International Maritime Organization (2020): Fourth Greenhouse Gas Study 2020. Webseite der WMO.

[2] Lloyd's Register (2020): Techno-economic Assessment of Zero-Carbon Fuels.

[3] Horvath S et al. (2018): Techno-economic analysis of a decarbonized shipping sector: technology suggestions for a fleet in 2030 and 2040. Energy Conversion andManagement. DOI: 10.1016/j.enconman.2018.02.098.

[4] Korberg AD et al. (2021): Techno-economic assessment of advanced fuels and propulsion systems in future fossil-free ships. Renewable and Sustainable Energy Reviews. DOI: 10.1016/j.rser.2021.110861.

Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden

[I] Bouman EA et al. (2017): State-of-the-art technologies, measures, and potential for reducing GHG emissions from shipping – A review. Transportation Research Part D: Transport and Environment. DOI: doi.org/10.1016/j.trd.2017.03.022.

[II] International Maritime Organization: Initial IMO GHG Strategy. Webseite der IMO.

[III] International Maritime Organization (2018): Initial IMO Strategy on Reduction of GHG Emissions from Ships. Resolution aus der Webseite der IMO.

Weitere Recherchequellen

Internationale Energie Agentur (2021): International Shipping - Tracking Report.

Science Media Center (2020): Welche Rolle können synthetische Treibstoffe beim Klimaschutz spielen? Fact Sheet. Stand: 15.12.2020.

Wissenschaftlicher Dienst der Deutschen Bundestages (2018): Maßnahmen zur Minderung von Emissionen in der Schifffahrt Alternative Kraftstoffe und Antriebe.