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12.11.2020

Klimamodell sieht Temperaturanstieg um 3 Grad als fast unvermeidbar

Auch ein sofortiger Stopp der menschengemachten Treibhausgas-Emissionen würde angeblich den Temperaturanstieg bei fortschreitendem Klimawandel nicht oder nur kaum begrenzen. Berechnungen mit einem vereinfachten Klimamodell ergeben: Egal ob das Null-Emissions-Ziel (hypothetisch) bereits in diesem Jahr oder am Ende des Jahrhunderts erreicht würde, die globale mittlere Temperatur würde noch Jahrhunderte lang weiter klettern und im Jahr 2500 bei etwa plus drei Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit liegen. Lediglich der Anstieg des Meeresspiegels würde sich um etwa einen halben Meter unterscheiden. Die aktuelle Studie erschien am 12. November im Fachjournal „Scientific Reports“ (siehe Primärquelle). Die von uns befragten Experten äußerten sich zum Teil sehr kritisch und bringen dies in ihren Statements zum Ausdruck.

Ihre Ergebnisse haben die beiden Autoren mit einem vereinfachten Klimamodell gewonnen und schlussfolgern, dass der „Point-of-no-return“ bereits deutlich überschritten ist. Ihren Berechnungen zufolge hätte der Ausstieg aus den Treibhausgas-Emissionen zwischen 1960 und 1970 abgeschlossen sein müssen, um einen derart starken Temperaturanstieg zu vermeiden. Als Ursache für die noch Jahrhunderte andauernde Erwärmung sehen sie drei Faktoren: einen weiteren Rückgang der Albedo, weil das arktische Eis auch weiterhin schmilzt, mehr Wasserdampf – der für den Treibhauseffekt enorm wichtig ist – in der Atmosphäre aufgrund höherer Temperaturen und massive CO2- und Methan-Einträge in die Atmosphäre, weil Permafrostböden noch über Jahrhunderte weiter auftauen. Aufzuhalten sei diese Entwicklung nur dann, so die Autoren, wenn umgehend begonnen würde, CO2 aus der Atmosphäre abzuscheiden – in einer Größenordnung von 33 Gigatonnen pro Jahr. Zum Vergleich: 2019 wurden weltweit 36,7 Gigatonnen in die Atmosphäre emittiert.

Übersicht

     

  • Dr. Stefan Hagemann, Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Regionale Modellierung von Land und Atmosphäre, Bereich Systemanalyse und Modellierung, Institut für Küstenforschung, Helmholtz-Zentrum Geesthacht Zentrum für Material und Küstenforschung (HZG), Geesthacht
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  • Dr. Helge Goessling, Leiter der Arbeitsgruppe Nahtlose Meereisvorhersage, Sektion Klimadynamk, Fachbereich Klimawissenschaften, Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI), Bremerhaven
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  • Prof. Dr. Holger Kantz, Arbeitsgruppenleiter Nonlinear Dynamics and Time Series Analysis, Max-Planck-Institut für Physik komplexer Systeme, Dresden und Honorarprofessor für Statistische Physik, TU Dresden
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  • Dr. Hans Schipper, Leiter des Süddeutschen Klimabüros, Institut für Meteorologie und Klimaforschung, Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Eggenstein-Leopoldshafen
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Statements

Dr. Stefan Hagemann

Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Regionale Modellierung von Land und Atmosphäre, Bereich Systemanalyse und Modellierung, Institut für Küstenforschung, Helmholtz-Zentrum Geesthacht Zentrum für Material und Küstenforschung (HZG), Geesthacht

„Es sieht so aus, als ob das ESCIMO-Modell (das vereinfachte Klimamodell, mit dem in der Studie gearbeitet wurde; Anm. d. Red.) einen ‚Runaway'-Treibhauseffekt zeigt. Ein solcher Effekt ist üblicherweise mit einer sehr hohen Klimasensitivität verbunden. Meines Wissens ist eine derart hohe Klimasensitivität in aktuellen umfassenden Erdsystemmodellen, die an CMIP5 (Climate Model Intercomparison Projekt Phase 5; verwendet im 5. IPCC-Sachstandsbericht) und CMIP6 beteiligt waren, nicht zu beobachten. Im Zusammenhang mit CMIP5 wurden auch Fortsetzungsexperimente bis ins Jahr 2300 durchgeführt. Hierbei ist allerdings anzumerken, dass diese Erdsystemmodelle bisher in der Regel keine Freisetzung von CO2 oder Methan aus auftauendem Permafrost enthalten. Leider wurde der Punkt der Klimasensitivität von den Autoren nicht aufgegriffen und mit Literaturwerten anderer Modelle verglichen.“

„Die Autoren schreiben: ‚Dieser Zyklus scheint durch eine globale Erwärmung von nur + 0,5 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau ausgelöst zu werden.‘ Ein solcher bei + 0,5 Grad Erwärmung auftretender Effekt wurde bisher von keinem Erdsystemmodell gezeigt, auch nicht bei solchen mit einer hohen Klimasensitivität. Ich bin sicher, dass es im Klimasystem sogenannte Kipppunkte (Tipping Points) gibt, aber es gibt bisher keine Hinweise darauf, dass dieser Punkt bereits mit einer Erwärmung von 0,5 Grad erreicht wurde. Weder aus Erdsystemmodell-Studien, noch aus Beobachtungen der Vergangenheit, zum Beispiel Paläostudien.“

„Das Klimasystem ist sehr komplex, stark nichtlinear und regionale Unterschiede spielen teilweise eine große Rolle. Zum Beispiel die stark verschiedenen Klimate in den Tropen und der Arktis, mit unterschiedlichen Effekten eines Vegetationsanstiegs auf die Albedo in diesen Regionen. Diese räumlichen Unterschiede werden im ESCIMO-Modell auf globale Werte reduziert. Die Autoren sprechen hier von einem ‚reduced complexity earth system‘. Jedoch halte ich die Bezeichnung‚Earth system model of low complexity‘ – also ein Erdsystemmodell mit niedriger Komplexität – für zutreffender, die diese Autoren in ihrer originalen Modellveröffentlichung verwenden.“

„Das ESCIMO-Modell hat etwa 100 Parameter. Diese kann man sicherlich geeignet einstellen, um IPCC-Klimaentwicklungen einigermaßen gut nachzustellen, zumal es sich nur um globale Werte handelt. Um aber die komplexen, nicht-linearen Rückkopplungsprozesse umfassend und adäquat darstellen zu können, halte ich diese starken Vereinfachungen des Modells für ungeeignet. Nichtsdestotrotz sind Ergebnisse eines solchen Modells sehr gut geeignet, um Denkprozesse und Studien mit komplexen Erdsystemmodellen anzustoßen und zu motivieren. Und dieses ist ja auch die Absicht der Autoren, wie sie in ihrem finalen Statement bekräftigen.“

„Ferner gehen die Autoren auch selbst auf offensichtliche Schwächen ihres Modells ein. Das ESCIMO-Modell lässt 175 Milliarden Tonnen Kohlenstoff – also 175 Gigatonnen – aus dem Auftauen des Permafrost bis zum Jahr 2300 freiwerden, was deutlich mehr ist im Vergleich zu plus 66 bis minus 70 Gigatonnen bei anderen Modellen. Ferner merken die Autoren an, dass ESCIMO nicht ausreichend regionalisiert ist, um Zahlen für die Menge an Kohlenstoff zu generieren, die in der Vegetation absorbiert wird, die sich auf dem früher gefrorenen Boden bildet – bei anderen Modellen sind das 8 bis 244 Gigatonnen Kohlenstoff."

„Andere potenziell wichtige Prozesse, die ESCIMO nicht oder nur unzureichend erfassen kann, werden nicht speziell erwähnt. Hierzu zählen zum Beispiel das Ausbreiten von Wüsten – das führt zu einer regional höheren Albedo – oder die komplizierten Wolken-Wechselwirkungen mit dem Klima –zum Beispiel erhöht mehr Wasserdampf in der Atmosphäre nicht nur den Treibhausgaseffekt, es erhöht auch die Wolkenbedeckung und die damit verbundene planetare Albedo –, die selbst in den komplexen Erdsystemmodellen nur unzureichend enthalten sind.“

„Ein zentraler Punkt der Studie ist das Albedo-Verhalten an der Landoberfläche. Diese Albedo ist sehr heterogen und wird unter anderem bestimmt durch die Beschaffenheit des Bodens, der Bedeckung mit Vegetation und der Bedeckung mit Schnee. Auch wenn die positive Rückkopplung von sinkender Albedo durch Schnee- und Eisrückgang mit steigenden Temperaturen eine wichtige Rolle bei der Klimaerwärmung in den hohen Breiten spielt, so ist eine Reduzierung auf eine globale Größe doch eine sehr starke Vereinfachung. Der Effekt dieser Vereinfachung wird auch durch die von den Autoren durchgeführten Sensitivitäts-Experimente nicht erfasst.“

„Zusammenfassend liefert die Studie interessante Ergebnisse, die dazu anregen, diese mit physikalisch basierten, komplexen Erdsystemmodellen zu untersuchen. Diese Anregung ist ja auch von den Autoren beabsichtigt. Durch die Nutzung des stark-vereinfachenden ESCIMO-Modell, eines Modells mit niedriger Komplexität, sind dessen Ergebnisse aber in keinster Weise geeignet, um daraus irgendwelche Politik-relevanten Schlüsse zu ziehen.“

Dr. Helge Goessling

Leiter der Arbeitsgruppe Nahtlose Meereisvorhersage, Sektion Klimadynamk, Fachbereich Klimawissenschaften, Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI), Bremerhaven

„Ich habe erhebliche Zweifel an der methodischen Gründlichkeit dieser Studie. In den vergangenen Jahren haben sich einige Studien mit der Frage befasst, in welchem Ausmaß Kohlenstoff-Emissionen aus tauenden Permafrostböden die verbleibenden Kohlenstoff-Budgets reduzieren würden – die verbleibenden anthropogenen Kohlenstoffemissionen also, welche beispielsweise mit dem 1,5-Grad- oder dem 2-Grad-Ziel noch vereinbar wären [1] [2] [3] [4].“

„Diese genannten Studien kommen zu dem Schluss, dass Emissionen aus Permafrostböden sehr wohl die verleibenden Emissions-Budgets spürbar reduzieren könnten. Sie liefern jedoch keine Evidenz dafür, dass die Emissions-Budgets für die üblichen Temperaturziele bereits jetzt mehr als ausgeschöpft sein könnten. Leider werden diese Studien in dem vorliegenden Artikel nicht erwähnt, und somit fehlen auch Erklärungsansätze für die offensichtliche Diskrepanz.“

„In einigen Details erscheinen mir die Ergebnisse der aktuellen Studie sehr unplausibel. So fällt auf, dass die Methan-Konzentration nach dem Jahr 2200 immer weiter steigt (Abbildung 1b), während die CO2-Konzentration auf vorindustriellem Niveau bleibt (Abbildung 1d). Aus der einschlägigen Literatur geht jedoch hervor, dass auf diesen langen Zeitskalen die CO2-Konzentration ausschlaggebend ist, da Methan in der Atmosphäre nach relativ kurzer Zeit – nach etwa zwölf Jahren – durch Oxidation in CO2 umgewandelt wird, welches sehr viel länger in der Atmosphäre verbleibt. Im Gegensatz zu dieser ungewöhnlichen Konzentrationsentwicklung suggeriert hingegen Abbildung 2a, dass Methan im Vergleich zu CO2einen untergeordneten Beitrag zur Änderung des Treibhauseffekts leistet. Jedoch halte ich auch die Methodik, welche dieser Abbildung zugrunde liegt, für irreführend im vorliegenden Zusammenhang.“

„Auch die Ergebnisse und Interpretationen bezüglich der Feedbacks durch Wasserdampf und Oberflächenalbedo wecken Zweifel. Für das Wasserdampf-Feedback ist bekannt, dass es sich um eine sehr schnelle positive Rückkopplung handelt: Es dauert lediglich Tage bis Wochen, bis die atmosphärische Wasserdampf-Konzentration auf eine Änderung der Oberflächentemperatur reagiert. Insofern ist es auch schlüssig, dass die Wasserdampf-Konzentration (Abbildung 1f) dem Temperaturverlauf (Abbildung 1c) entspricht. Wie die Autoren jedoch zu dem Schluss kommen, dass das Wasserdampf-Feedback eine entscheidende Rolle dabei spielt, dass die Temperaturänderung in Szenario 1 um das Jahr 2150 von einer Abnahme wieder in eine Zunahme umschlägt, ist unklar.“

„Ähnliches gilt für das Albedo-Feedback, zumindest für den Anteil, der durch Meereis und Schnee in der Arktis bedingt ist. Auch diese sind nämlich in komplexeren Simulationen typischerweise relativ direkt an die Erdoberflächen-Temperatur gebunden. Daher ist es für mich ein überraschendes Ergebnis, dass die Oberflächenalbedo in Szenario 1 zwischen den Jahren 2080 bis 2150 in erheblichem Maße abnimmt, obwohl die Oberfläche im gleichen Zeitraum abkühlt. Dass eine solche Verdunklung durch Abschmelzen der Landeismassen bewirkt werden könnte, erscheint mir ebenfalls nicht plausibel. Solche Ungereimtheiten müssten durch eine eingehende Prüfung der sehr vereinfachten Modellformulierung beleuchtet werden.“

„Ich habe den Eindruck, dass bei dieser Studie der Peer-Review-Prozess nicht in ausreichendem Maße gegriffen hat. Die oben genannten Ungereimtheiten hätten einer genaueren Prüfung und Klarstellung bedurft. Insbesondere hätte die Arbeit besser in Bezug zu bestehenden Arbeiten gesetzt und Diskrepanzen erklärt werden müssen. Mein Fazit ist, dass ich anderen Studien zum Thema [1-4] eine deutlich solidere wissenschaftliche Grundlage zuspreche. Trotz verbleibender Unsicherheiten halte ich es daher nicht für wahrscheinlich, dass wir bereits einen Kipppunkt überschritten hätten, an dem Emissionen aus tauendem Permafrost allein eine Jahrhunderte fortlaufende zusätzliche Erwärmung verursachen würden. Wir sollten weiter darauf setzen, die menschgemachten Treibhausgasemissionen schnellstmöglich zu senken, um die globale Erwärmung in Grenzen zu halten.“

Prof. Dr. Holger Kantz

Arbeitsgruppenleiter Nonlinear Dynamics and Time Series Analysis, Max-Planck-Institut für Physik komplexer Systeme, Dresden und Honorarprofessor für Statistische Physik, TU Dresden

„Die beiden Autoren der aktuellen Studie haben in den vergangenen fünf Jahren ein eigenes vereinfachtes Klimamodell erstellt. Ich zitiere sie aus einer ihrer älteren Studien [5] aus 2016: ‚We have made a simple system dynamics model, ESCIMO, which runs on a desktop computer in seconds and is able to reproduce the main output from more complex climate models.' Das Modell ist nicht das Modell ESCiMo, an dem ein ganzes Konsortium von WissenschaftlerInnen arbeitet.“

„In diesem vereinfachten Modell schreitet der Klimawandel auch dann immer weiter fort, wenn die Menschheit ab sofort keine Treibhausgase mehr produziert, und zwar so weit, dass sämtliche Eismassen außerhalb Grönlands und der Antarktis abschmelzen würden und der Permafrostboden komplett auftaute.“

„Die als Begründung angeführten Mechanismen klingen aus physikalischer Sicht plausibel. Ob das Modell eine mögliche Realität beschreibt, hängt deshalb von Details ab, die aber essentiell sind.“

„Zur Methodik der Studie und der Belastbarkeit der Ergebnisse: Die numerische Simulation des Klimas mittels physikalischer Modelle ist nicht nur ein etabliertes Verfahren, sondern auch das einzige Verfahren, das wir haben, um etwas über das Klima der Zukunft zu lernen. Die Angemessenheit des Modells ist aber essentiell für die Sinnhaftigkeit der Simulationsergebnisse. Für besonders lange Zeiträume – wie in der aktuellen Studie bis 500 Jahre in die Zukunft – und um weitere Komponenten des Erdsystems jenseits von Atmosphäre und Ozeanen modellieren zu können, sind sogenannte Erdsystemmodelle mittlerer Komplexität EMICs [6] nützliche Modelle. Aber klar ist, dass ein halbwegs realistisches Modell nicht in Sekunden auf einem Desktopcomputer läuft, sondern auf einem Supercomputer eher einen Tag lang. Insofern ist es plausibel, dass dieses Modell zu stark vereinfacht. Auch die Tatsache, dass das Modell von nur zwei Personen entwickelt wurde bestätigt das – sonst arbeiten große Teams an solchen Modellen.“

„Im fünften Sachstandsbericht des Weltklimarates IPPC [7] gibt es Prognosen der globalen Durchschnittstemperatur bis zum Jahr 2300. In allen drei betrachteten Szenarien endet der Temperaturanstieg bis 2300, im optimistischsten Emissionsszenario geht die Temperatur bis auf den Wert im Jahr 2000 zurück. Das ist ein klarer Widerspruch zur vorliegenden Arbeit. Dieses Ergebnis des IPCC stellt den Mittelwert und die Streuung der Ergebnisse von zwölf verschiedenen Klimamodellen dar – im Zeitraum vor 2100 sogar mehr als 25 Modelle –, welche im Rahmen des CMIP5 (Coupled model intercomparison project phase 5) hohen Qualitätsstandards genügen und ist deshalb wesentlich belastbarer als die vorliegende Studie.“

„Ganz wichtig und schwer ist die Rolle von Wolken abzuschätzen. Wolken reflektieren einfallende Sonneneinstrahlung bereits in höheren Atmosphärenschichten und können deshalb Effekte der veränderten Erdoberflächenalbedo kompensieren. Das heißt, dieses Licht wird nicht im Erdsystem in Wärme umgewandelt. Ob Wolken vernachlässigt wurden, weiß ich aber nicht. Generell geht es aber um die Genauigkeit der Energiebilanz, also die Präzision, mit der Strahlungsabsorption und Strahlungsemission vom Modell widergegeben werden: Die Differenz zwischen beiden akkumuliert sich über fast 500 Jahre zu großen Energiemengen. Die Änderung der Erdalbedo liefert in dieser Studie eine Zunahme der absorbierten Strahlungsleistung um 1,7 Watt pro Quadratmeter, was man mit der mittleren Sonnenintensität von 1 Kilowatt pro Quadratmeter vergleichen muss, trotzdem ist diese Zunahme in dieser Studie ein wesentlicher Treiber. Wenn also dieser Wert in der Realität etwas kleiner wäre – zum Beispiel nur 1 Watt pro Quadratmeter, gäbe es eine völlig andere Entwicklung der globalen Temperatur. Es geht also hier um Details. Das ist vergleichbar mit der Reproduktionszahl R der aktuellen Pandemie: Ob R 0,9 oder 1,1 ist, macht langfristig einen riesigen Unterschied. So ist es auch in diesen Rückkopplungsschleifen des Erdsystems – kleine Parametervariationen können sehr große Auswirkungen haben.“

„Aufgrund der Diskrepanz zum Multimodell-Ergebnis des IPCC [7] und den Aussagen der Autoren zur Rechenzeit ihres Modells halte ich es für höchst wahrscheinlich, dass das hier verwendete Modell unzulänglich ist und deshalb die Zukunft nicht korrekt abbildet. Nichtsdestotrotz wird diese Studie sicherlich zu einer Überprüfung der komplexeren Modelle führen und ist deshalb nicht wertlos.“

Dr. Hans Schipper

Leiter des Süddeutschen Klimabüros, Institut für Meteorologie und Klimaforschung, Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Eggenstein-Leopoldshafen

„Die Studie zeigt auf beeindruckende Weise, dass Rückkopplungen im Klimasystem zu unerwarteten Effekten führen können. Zudem zeigt die Studie, dass von einem einmal eingeschlagenen Weg nur sehr schwierig wieder zurückzutreten ist. Die Botschaft ist daher klar: Wenn wir beim Klimaschutz nicht ernsthaft handeln, werden Szenarien in Gang gesetzt, die zu erheblichen Beeinträchtigungen unserer Gesellschaft führen.“

„Auch wenn Szenario 1 (in dem das Null-Emissions-Ziel im Jahr 2100 erreicht wird; Anm. d. Red.) einen dramatischen Anstieg zeigt, ist der Peak beim Temperaturanstieg in den nächsten Jahrzehnten bei Szenario 2 nicht vorhanden, was uns Zeit gibt neue Technologien zu entwickeln. Dazu gehört auch die Erforschung von Climate Engineering. Das könnte zukünftig eine entscheidende Rolle bei der Eindämmung der Folgen des Klimawandels spielen.“

„Die Studie zeigt, dass es wichtig ist, auch die klimatischen Entwicklungen über das Jahr 2100 hinaus zu betrachten, weil sie uns zeigen, wie wir aktuell handeln müssen. Obwohl das Modell ESCIMO bereits wichtige Effekte zu berücksichtigen scheint, sollte mit komplexeren Klimamodellen unter Berücksichtigung mehrerer Rückkopplungen – wie zum Beispiel mit der Landnutzung – die Folgen des Klimawandels genauer untersucht werden, um daraus letztendlich Handlungsempfehlungen auf der regionalen Ebene ableiten zu können.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Alle: Keine Angaben erhalten.

Primärquelle

Randers J et al. (2020): An earth system model shows self‐sustained melting of permafrost even if all man‐made GHG emissions stop in 2020. Scientific Reports, 10:18456, DOI: 10.1038/s41598-020-75481-z.

Literaturstellen, die von den Experten zitiert wurden

[1] MacDougall AH et al. (2015): Sensitivity of carbon budgets to permafrost carbon feedbacks and non-CO2 forcings. Environ. Res. Lett. 10, 125003 (2015). DOI: 10.1088/1748-9326/11/1/019501.

[2] Comyn-Platt E et al. (2018): Carbon budgets for 1.5 and 2 °C targets lowered by natural wetland and permafrost feedbacks. Nat. Geosci. 11, 568–573. DOI: 10.1038/s41561-018-0174-9.

[3] Gasser T et al. (2018): Path-dependent reductions in CO2 emission budgets caused by permafrost carbon release. Nat. Geosci. 11, 830–835 (2018). DOI: 10.1038/s41561-018-0227-0.

[4] Lowe JA et al. (2018): The impact of Earth system feedbacks on carbon budgets and climate response. Phil. Trans. R. Soc. A 376. DOI: 10.1098/rsta.2017.0263.

[5] Randers J (2016): Interactive comment on “A User-friendly Earth System Model of Low Complexity: The ESCIMO system dynamics model of global warming towards 2100” by J. Randers et al.". Earth Syst. Dynam. Discuss. DOI:10.5194/esd-2016-1.

[6] Wikipedia: Earth systems model of intermediate complexity.

[7] Collins M et al. (2013): Long-term Climate Change: Projections, Commitments and Irreversibility. In: Climate Change 2013: The Physical Science Basis. Contribution of Working Group I to the Fifth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change. S 1054, Abbildung 12.5.