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15.05.2023

Intensive Landwirtschaft ist der größte Stressfaktor für Vögel

     

  • Anzahl an Vögeln in Europa seit 1980 laut Studie um ein Viertel gesunken
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  • Ausweitung intensiver Landwirtschaft schadet Vögeln am meisten, steigende Temperaturen schaden nur manchen Arten
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  • Forschende halten Ergebnisse für besorgniserregend; Effekte nicht neu, aber noch nie in dem Umfang nachgewiesen
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Die Anzahl an Vögeln in Europa ist in den letzten Jahrzehnten stark zurückgegangen. Der wichtigste Grund dafür ist die Ausweitung intensiver Landwirtschaft und damit der verstärkte Einsatz von Pestiziden und Düngemitteln. Dies ist das Kernergebnis einer Studie eines europäischen Forschungsteams, die am 15.05.2023 im Fachjournal „PNAS“ erschienen ist (siehe Primärquelle). Die Autorinnen und Autoren warnen, dass ohne eine schnelle Transformation der Landwirtschaft das „Schicksal der europäischen Vogelpopulationen“ auf dem Spiel stehe.

Einerseits betrachteten die Forschenden, wie sich 170 Vogelarten an 20.000 Standorten in 28 Ländern zwischen 1980 und 2016 entwickelten. Dafür nutzten sie Daten aus dem „Pan-European Common Bird Monitoring Scheme“ [I]. Andererseits untersuchten sie für jedes der 28 Länder vier potenzielle Stressfaktoren für Vögel: die Ausweitung von Landwirtschaft mit hohem Einsatz von Pestiziden und Düngemitteln, die Urbanisierung, die Änderung der Bewaldung und steigende Temperaturen. Daraus leiteten die Forschenden Zusammenhänge zwischen der Entwicklung dieser Stressfaktoren und der Vogelzahlen ab.

Insgesamt nahm die Anzahl an Vögeln im betrachteten Zeitraum um ein Viertel ab. Besonders betroffen waren Vögel, die in Agrarlandschaften leben – hier gab es einen Rückgang von über 50 Prozent. Der Analyse zufolge wirkte sich die Ausweitung intensiver Landwirtschaft mit Abstand am stärksten auf die Vogelzahlen aus. Zunehmende Urbanisierung hatte ebenfalls einen negativen, wenn auch geringeren, Effekt. Die Bewaldung nahm in fast in allen Ländern zu, was sich auf manche Vogelarten positiv, auf andere aber negativ auswirkte. Bemerkenswerterweise ging die Zahl der im Wald lebenden Vögel trotz größerer Waldflächen um fast ein Fünftel zurück. Die durch den Klimawandel steigenden Temperaturen schadeten besonders den Arten, die kalte Temperaturen bevorzugen, kamen aber anderen zugute.

Das SMC hat Forschende um eine Einschätzung der Studie gebeten und gefragt, welche Konsequenzen der Rückgang der Vögel für Menschen hat und wie sich die Land- und Forstwirtschaft in Europa ändern müsste, um dem Vogelsterben entgegenzuwirken. Wir schicken Ihnen die Statements am Montagmorgen zu.

Übersicht

     

  • Dr. Christian Hof, Juniorforschergruppenleiter Lehrstuhl für Terrestrische Ökologie, Department für Ökologie und Ökosystemmanagement, Technische Universität München (TUM)
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  • Dr. Jörg Hoffmann, Leiter der Arbeitsgruppe Nachhaltige Landwirtschaft und Biodiversität, Institut für Strategien und Folgenabschätzung, Julius Kühn-Institut (JKI), Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen, Kleinmachnow
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  • Dr. Guy Pe'er, Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Arbeitsgruppe Ökosystemleistungen, Deutsches Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig, und Department für Ökosystemleistungen, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ), Leipzig
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  • Prof. Dr. Katrin Böhning-Gaese, Direktorin Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum, Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung (SGN), Frankfurt am Main, und Professorin am Institut für Ökologie, Evolution und Diversität, Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt am Main
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  • Prof. Dr. Jan Christian Habel, Leiter des Fachbereich Umwelt & Biodiversität und Leiter der Arbeitsgruppe Zoologische Evolutionsbiologie, Paris Lodron Universität Salzburg
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Statements

Dr. Christian Hof

Juniorforschergruppenleiter Lehrstuhl für Terrestrische Ökologie, Department für Ökologie und Ökosystemmanagement, Technische Universität München (TUM)

„Dies ist eine sehr spannende Studie – auch wenn grundsätzlich schon bekannt ist, dass die Zahl der Vögel zurückgeht, die an Kulturland angepasst sind. Auch dass intensive Landwirtschaft einen massiven negativen Einfluss auf Agrarlandvögel hat, ist nicht neu, aber durch die Studie noch einmal sehr gut belegt. Die neue Errungenschaft der Studie ist der große Umfang, die Datenqualität und die explizite Verknüpfung der Vogeldaten mit der Intensität der Landwirtschaft und anderen Faktoren.“

„Für die Vogeldaten nutzt die Studie gut aufgearbeitete Monitoring-Daten aus den einzelnen Ländern. Der ,European Bird Census Council‘ koordiniert das Monitoring europaweit und liefert eine sehr gute Datenlage zu Trends bei Brutvögeln. Auch die Daten zu landwirtschaftlicher Nutzung, Urbanisierung, Bewaldung und Temperatur halte ich für solide. Das einzige Problem hierbei ist, dass die Autoren zu Recht benennen: Wir Ökologen haben keinen Zugriff auf flächenmäßig hochaufgelöste landwirtschaftliche Nutzungsdaten, obwohl diese in Deutschland und auch auf europäischer Ebene gesammelt werden. Das Argument ist dabei die fehlende Anonymisierbarkeit. Das ist höchst bedauerlich, denn man bräuchte feinere Daten als auf Länderbasis, um den Zusammenhang zwischen der Landwirtschaft und Vogeltrends räumlich explizit nachzuweisen, da es natürlich große regionale Unterschiede gibt. Deshalb ist es aber legitim, dass die Kollegen hier Daten auf Länderbasis verwenden, da es keine genaueren Daten gibt. Das ist die große Crux bei vielen Analysen.“

„Den Anteil landwirtschaftlich intensiv genutzter Fläche als Proxy für den Einsatz von Pestiziden und Düngemitteln zu nutzen, ist legitim. Denn was als intensiv genutzte Fläche gilt, hängt davon ab, wie viel Geld pro Hektor für Pestizide und Düngemittel ausgegeben wird. Genauere Daten direkt zum Pestizid- und Düngereinsatz wären natürlich erfreulicher, aber auch das ist aufgrund der begrenzten Verfügbarkeit der Daten nicht möglich.“

Auf die Frage, wie sich landwirtschaftliche Praktiken ändern müssten, um die negativen Effekte für Vögel zu verringern:
„Wir sollten weniger intensiv wirtschaften. Vor allem müssen wir von dem hohen Einsatz von Düngemitteln und Pestiziden wegkommen. Allerdings spielt nicht nur die Intensität der Landwirtschaft eine Rolle, sondern auch die Landschaftsstruktur. Hier wäre ein regionaler Vergleich spannend. Dabei könnte man Landschaftsstrukturen mit großen Monokulturen mit solchen vergleichen, die eine höhere Habitatqualität und -diversität aufweisen, weil es dort zum Beispiel einen Wechsel von Ackerland, Weideland, Hecken, Waldstücken und Gewässern gibt. Natürlich wäre es erfreulich, wenn wir mehr Richtung Ökolandbau gingen, weil das nicht nur für die Vögel besser wäre, sondern auch fürs Grundwasser und viele andere Faktoren. Allerdings ist Ökolandbau nicht per se automatisch besser, da wir mehr Fläche für die gleiche Menge an Ertrag brauchen. Aber eine weniger intensive Landwirtschaft ist aus vielen Gründen angezeigt.“

„Die Studie betrachtet zwar nicht explizit die Effekte von weniger intensiven Landwirtschaftsformen. Allerdings zeigen die Ergebnisse, dass in Ländern, in denen die intensive Landwirtschaft dominiert, die Vogelbestände besonders stark zurückgehen – vor allem in den westeuropäischen Industriestaaten. In Osteuropa sind die negativen Trends bei den Agrarlandvögeln nicht so eindeutig. Das hat höchstwahrscheinlich damit zu tun, dass hier die großflächige, intensive und monokulturelle Landwirtschaft weniger vorherrscht. Auch wegen der EU-Agrarförderung (die Vorteile für große Betriebe schafft; Anm. d. Red.) nimmt aber die Intensivierung der Landwirtschaft auch in osteuropäischen Ländern zu.“

„Große Betriebe bringen nicht per se eintönige Landschaften mit sich. Theoretisch kann es sein, dass große landwirtschaftliche Betriebe mit verschiedenen Produktionslinien – zum Beispiel Ackerbau, Viehzucht und Futtermittelanabau – auch diverse Landschaftsstrukturen fördern. In der Regel ist es aber so, dass sich große Betriebe negativ auf die Landschaftsstruktur auswirken, um effizient zu wirtschaften und entsprechende Agrarförderungen von der EU zu erhalten.“

Auf die Frage, welche Eigenschaften Vögel anpassungsfähiger an wärmere Temperaturen machen und warum:
„Hier wird ein Index verwendet, um die Arten als kälte- und wärmeangepasst zu klassifizieren. Arten, die in wärmeren Gebieten vorkommen, gelten als wärmeangepasst und Arten, die in kälteren Gebieten vorkommen, gelten als kälteangepasst. Da ist es nicht überraschend, und wurde auch in vielen andere Studien nachgewiesen, dass sich steigende Temperaturen positiver auf Arten auswirken, die in wärmeren Gebieten vorkommen und kälteangepasste Arten eher Nachteile davontragen. Auch in Konkurrenzsituationen kann das eine Rolle spielen, wenn wärmeangepasste Arten in bestimmte Gebiete einwandern, dort einen höheren Reproduktionserfolg haben und die kälteangepassten Arten dann zurückgedrängt werden. Das ist ein langwieriger Prozess, der aber in vielen Studien belegt ist: Die Temperaturpräferenz von Arten, die man aus dem Verbreitungsgebiet ableitet, ist ein guter Indikator dafür, wie gut sie mit dem Klimawandel zurechtkommen.“

„Auch wandernde Arten kommen weniger gut mit dem Klimawandel zurecht. Ein Beispiel: Langstreckenzieher – europäische Arten, die im südlichen Afrika überwintern – kriegen nicht mit, wenn die Bedingungen im Frühjahr in Europa schon gut genug sind, um zu brüten. Die genetische Fixierung auf das Wanderverhalten ist so stark, dass diese Arten ihr Programm standardmäßig abspulen. Sie können dann in Konkurrenz mit Standvögeln oder Kurzstreckenziehern, die in Europa überwintern, Nachteile erfahren. Vereinfacht gesagt sehen diese: Das Laub im Wald treibt aus, die Raupen sind da – ich kann brüten. Arten wie der Trauerschnäpper oder Halsbandschnäpper kommen dann womöglich zu spät aus Afrika zurück, wenn alle Nistplätze von konkurrierenden Arten bereits besetzt sind und die Raupen, die diese Arten für die Aufzucht ihrer Jungen bräuchten, schon durch sind.“

Auf die Frage, warum trotz steigender Bewaldung die Zahl der im Wald lebenden Vogelarten zurückgegangen ist und wie eine vogelfreundlichere Forstwirtschaft aussehen könnte:
„Das ist nicht aus der Studie abzuleiten, aber ich würde darauf spekulieren, dass es mit der Bewirtschaftung zu tun hat. Es kommt darauf an, was für Wälder wir neu anpflanzen. Wenn das eher schnellwachsende Monokulturen sind, die für eine schnelle Holzproduktion oder CO2-Speicherung dienen sollen, ist das nicht notwendigerweise ein vogelfreundlicher Wald.“

„Ein vogelfreundlicher Wald ist ein habitatreicher Mischwald mit offenen Stellen, mit stehendem und liegendem Totholz, mit Gewässern, mit feuchteren und trockeneren Stellen – ein vielgestaltiger Wald, in dem nicht eine Bewirtschaftungsart im Vordergrund steht. In solchen Wäldern gibt es eine hohe Vogeldiversität: Vielfalt bedingt Vielfalt. Gleichzeitig haben Mischwälder auch eine stärkere Anpassungsfähigkeit an den Klimawandel. Wir sehen ja, dass unsere Monokulturen beim Nadelholz wie der Fichte oder Kiefer am stärksten leiden, wenn der Klimawandel voll durchbricht.“

Auf die Frage, wie sich der Rückgang von Vögeln in Europa auf die Menschen auswirkt:
„Erstmal ist die Vogeldiversität ein Wert an sich. Außerdem haben Vögel eine Indikatorfunktion: Je mehr Vögel verschwinden, umso mehr sehen wir, dass wir mit der Landschaft etwas tun, dass insgesamt dem Ökosystem schadet.“

„Darüber hinaus erfüllen Vögel vielfältige Funktionen. Sie halten Ökosystem intakt, indem sie die Insekten im Wald und in der Landwirtschaft im Zaum halten. Sie spielen eine Rolle bei der Samenausbreitung von Bäumen, Sträuchern und anderen Pflanzen. Sie haben aber auch einen ästhetischen Wert. Es konnte in verschiedenen Studien des Senckenberg Instituts nachgewiesen werden, dass es Menschen in Gebieten mit mehr Vögeln besser geht [3]. Das heißt, Biodiversität und insbesondere Vogeldiversität tragen dazu bei, dass Menschen sich gesundheitlich wohlen fühlen.“

„Insofern ist es nicht zu unterschätzen, dass die Vogeldiversität in unseren Landschaften geringer wird. Wir sollten darüber nachdenken, ob wir weiter verfahren wie bisher – vor allem mit unserer Landwirtschaft –, wenn es den Vögeln dadurch immer schlechter geht.“

Dr. Jörg Hoffmann

Leiter der Arbeitsgruppe Nachhaltige Landwirtschaft und Biodiversität, Institut für Strategien und Folgenabschätzung, Julius Kühn-Institut (JKI), Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen, Kleinmachnow

„Die in der Studie verwendeten Methoden und die daraus abgeleiteten Ergebnisse sind weder überraschend, noch neu und auch nicht überzeugend. Sie sind in dieser Form eigentlich unzulässig.“

„Die im europäischen Vogelmonitoring eingesetzten Feldmethoden der Vogelerhebungen – Punkt-Stopp, Linienkartierung, Revierkartierung – variieren in den Ländern. Sie sind methodisch und zeitlich nicht harmonisiert, wenn der beobachtete Zeitausschnitt der Jahre, die Anzahl der Länder sowie die Erfassungsgebiete betrachtet werden. Das Vogelmonitoring sieht die Erfassung von revieranzeigenden Vogelarten vor, jedoch keine weiteren Daten aus den konkreten Erfassungsgebieten, wie Biotoptypen, landwirtschaftliche Anbaumethoden (konventionell-pestizidbasiert, ökologisch, kleinbäuerlich), Anbaukulturen, Pestizidanwendungen, Düngung, Kleinstrukturen. Um Ursache-Wirkungsbeziehungen hinreichend analysieren zu können, wären entsprechende Parametererhebungen und -analysen in den Erfassungsgebieten – zumindest in einem repräsentativen Umfang – innerhalb der einzelnen europäischen Länder und Jahre erforderlich. Dies ist nicht erfolgt. Verwendete Daten – zum Beispiel in Bezug auf Pestizide (Pestizidverkauf) und Dünger – sind in dieser Form nicht geeignet, um Ursache-Wirkungsanalysen durchführen zu können. Auch wären zum Beispiel in Bezug auf Klimaänderungen neben der Lufttemperatur im Besonderen die Niederschläge, deren jahreszeitliche Verteilung sowie Veränderungen im Landschaftswasserhaushalt zu beachten. Das wurde ganz unterlassen.“

Auf die Frage, wie sich landwirtschaftliche Praktiken ändern müssten, um die negativen Effekte für Vögel zu verringern und inwiefern die Studie nahelegt, dass extensive Landwirtschaft vogelfreundlicher ist:
„Die Studie liefert dazu keinen Neuheitswert und kaum Zugewinn. Es gibt viele Forschungsarbeiten und Dokumentation – die aber in dieser Studie so gut wie keine Beachtung finden –, in denen Methoden und Maßnahmen für nachhaltigere landwirtschaftliche Anbaumethoden ausführlich untersucht und dokumentiert sind sowie empfohlen wurden und teilweise auch praktiziert werden [2][3]. Hier wären unter anderem Methoden der ökologischen Landwirtschaft, differenzierte Nutzungsextensivierungen, aber auch (traditionell) kleinbäuerliche Flächenbewirtschaftungen zu nennen; weiterhin Verbesserungen der Flächenanteile der Kleinstrukturen in den landwirtschaftlichen Gebieten sowie schlaginterne ökologische Aufwertungen der Nutzflächen, unter anderem durch selbstbegrünte ein-, mehr- und langjährige Ackerbrachen sowie Pufferstreifen entlang von naturnahen Kleinstrukturen. Ohne Zweifel sind zudem deutliche Pestizidreduktionen für eine vogelfreundlichere Landwirtschaft zu nennen. In Feldstudien wurde diesbezüglich ersichtlich, dass sich in langjährig pestizidfreien Agrarlandschaften die Wildpflanzendiversität auf den Nutzflächen sowie parallel die Artenvielfalt und Abundanz der Insekten und parallel der Vögel verbesserten. Dies konnte zum Beispiel durch langjährig angelegte eigene Feldstudien belegt werden [4].“

Auf die Frage, inwiefern Vögel den Studienergebnissen zufolge anpassungsfähiger an wärmere Temperaturen sind:
„Diese Aussage erscheint recht fraglich. Vögel sind nicht generell anpassungsfähiger an wärmere Temperaturen. Wie oben angedeutet, muss Klimaerwärmung in der Beziehung von Temperatur, Niederschlag und Landschaftswasserhaushalt und deren komplexeren Veränderungen gesehen werden. Temperatur allein reicht nicht. Einige Arten sind lokal überhaupt nicht anpassungsfähig. Wenn zum Beispiel Kleingewässer als Kleinstrukturen in der Agrarlandschaft dauerhaft austrocknen, dann sind dort alle Wasservogelarten weg.“

Auf die Frage, inwiefern der Rückgang der im Wald lebenden Vogelarten trotz steigender Bewaldung erklärbar ist und wie eine vogelfreundlichere Forstwirtschaft aussehen könnte:
„Gehölzflächen und deren Veränderung sind nicht gleich Waldflächen und deren Veränderung. Überwiegende Teile der mit Gehölzen bestockten Gebiete sind keine Wälder, sondern wirtschaftlich mehr oder weniger intensiv genutzte Forste. Wesentliche Kriterien für avifaunisch artenreiche Wälder sind eine naturnahe Gehölzzusammensetzung sowie lichtungsreiche, floristisch diverse Vegetationsstrukturen – Moor-/Gras-/Kraut-, Strauch- und Baumschicht – und unterschiedliche Altersstadien der Baumarten. Eine ‚vogelfreundlichere‘ Waldbewirtschaftung sollte auch Lebensraum für große Pflanzenfresser einbeziehen, die Lichtungscharakter und diversere Architektur der Waldvegetation ermöglichen. Zu großen Pflanzenfressern würden zumindest in Teilen der Wälder Wisent, Wildpferd, Heckrind und weitere Arten zählen.“

Auf die Frage, wie sich der Rückgang von Vögeln in Europa auf die Menschen auswirkt:
„Vögel können weniger wahrgenommen werden, wenn deren Flächenpräsenz sinkt. Es gibt zum Beispiel bereits große Gebiete in Deutschland, in denen so verbreitete Arten wie Feldlerche und Kuckuck nicht mehr vorkommen. Aber in der Nettobilanz hat die Artenvielfalt der Vögel in Deutschland und vermutlich auch in anderen europäischen Ländern zugenommen. Das betrifft auch andere Artengruppen. Es kann daher auch etwas problematisch sein, wenn wie in der Studie dokumentiert, im europäischen Vogelmonitoring vor vielen Jahren ein fixes Artenset definiert wurde, obwohl doch die Artenzusammensetzung der Avifauna über längere Zeit veränderlich sein kann.“

„Aktuell scheint es so, dass die Vielfalt der heimischen Vögel und deren Rückgänge vom überwiegenden Teil der Bevölkerung kaum wahrgenommen werden. Das liegt unter anderem auch daran, dass zu wenig Artenkenntnisse bestehen.“

Dr. Guy Pe'er

Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Arbeitsgruppe Ökosystemleistungen, Deutsches Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig, und Department für Ökosystemleistungen, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ), Leipzig

„Der Verlust der biologischen Vielfalt ist rapide und schwerwiegend, aber es ist schwierig, die verschiedenen Treiber dieser Verluste gegeneinander abzuwägen. Dank der hervorragenden Leistung von 20.000 BürgerInnen, die fast 40 Jahre lang Beobachtungen in Europa gesammelt haben, und dank neuartiger statistischer Methoden ist diese Studie ein großer Fortschritt bei der Unterscheidung zwischen den verschiedenen anthropogenen Einflüssen. Sie beweist, dass die Landwirtschaft die wichtigste Treiber den Verlust der biologischen Vielfalt ist – und zwar in zweierlei Hinsicht: Zum einen durch die intensive (,high-input‘) Landwirtschaft und zum anderen durch die weitere Intensivierung. Die Ergebnisse zeigen auch, dass die Ausbreitung von Städten und Zersiedlung der Landschaft weiteres zentrale Problem darstellen.“

„Es ist nicht völlig überraschend, dass die nördlichen – an Kälte angepassten – Arten gehen mit dem Klimawandel zurück, während es weit weniger an Wärme angepasste Arten gibt, die vom Klimawandel profitieren, und weniger Gebiete, in denen Arten profitieren. Dies liegt vielleicht daran, dass sich extreme Wetterereignisse auf die meisten Arten negativ auswirken, während andere Belastungen, wie die Landwirtschaft, die mögliche Ausbreitung von Arten einschränken.“

„Was die meisten Menschen überraschen wird, ist der Rückgang der Waldvögel in vielen Ländern. Aber diese Ergebnisse bestätigen, wovor viele Ökologen schon gewarnt haben: Intensiv bewirtschaftete Plantagen breiten sich aus und werden als nachhaltige Energiequelle angepriesen, während Primärwälder – äußerst wertvolle Lebensräume – weiter verschwinden. Obwohl es in Europa heute mehr Bäume gibt als noch vor einigen Jahrzehnten, zeigen uns die Vögel ein beunruhigendes Bild vom Zustand der europäischen Wälder. Die Vögel erinnern uns also daran, dass wir zwischen Wäldern und Plantagen unterscheiden und Primärwälder dringend schützen müssen.“

„Diese Studie liefert wertvolle Erkenntnisse darüber, welche Ursachen sich auf welche Arten auswirken – genau das, was wir brauchen, um zu wissen, was zu tun ist. Sie zeigt vor allem, wie verheerend die fortschreitende Umwandlung ganzer Landschaften in homogene, intensiv bewirtschaftete Monokulturen ist, die für viele Arten – auch für den Menschen – wenig Raum lassen. Wahrscheinlich ist die Situation für nicht-fliegende Tiere wie Reptilien und Amphibien noch viel schlimmer – nur sind andere Gruppen nicht so gut untersucht.“

„Dies zeigt, wie wichtig es ist, Landschaftselemente wie Hecken oder Terrassen zu erhalten und wiederherzustellen, die Grünlandnutzung zu extensivieren, damit sie Nist- und Futterplätze für Arten bieten kann, und Landschaften mit mehr Bäumen als Unterschlupf, Nahrung und Nistplätzen zu schützen. Der Verzicht auf Pestizide ist für fast alle Arten von entscheidender Bedeutung, insbesondere für wirbellose Tiere und die, die sich von diesen ernähren. Dies kann erreicht werden, indem man sich auf Mosaiklandschaften mit kleinen Feldern und einer Vielfalt von Lebensräumen und Strukturen konzentriert.“

„Viele Vögel erbringen wichtige Ökosystemleistungen wie die Schädlingsbekämpfung, aber die Vorteile von Schutz und Renaturierung der Natur in landwirtschaftlichen Gebieten gehen weit über die Vögel hinaus. Ein vielfältigeres Land mit kleineren Feldern, mehr Strukturen und Lebensräumen für Vögel und andere Arten ist auch ein gesünderes Land, das von den Leistungen der Ökosysteme profitiert: Gesündere Böden und Gewässer, Bestäuber und Schädlingsbekämpfer. Vielfältige Betriebe können extremen Wetterereignissen oder Schädlingsbefall besser standhalten. Und eine extensive Landwirtschaft kann auch zur Diversifizierung des Einkommens beitragen. All dies erfordert jedoch eine andere Denkweise, um den Wert der Natur als Versicherung für unser eigenes Leben zu verstehen. Anders gesagt: Der rasche und starke Rückgang der Vögel ist ein deutliches Zeichen dafür, dass wir einen Sicherheitsgurt anlegen müssen, bevor wir alle zusammen abstürzen – und dieser Sicherheitsgurt ist der Schutz der verbliebenen Natur und die Wiederherstellung dessen, was erst kürzlich verloren ging.“

Prof. Dr. Katrin Böhning-Gaese

Direktorin Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum, Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung (SGN), Frankfurt am Main, und Professorin am Institut für Ökologie, Evolution und Diversität, Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt am Main

„Obwohl der Rückgang der Vögel in Europa schon länger bekannt ist, zeigt diese Studie das ganze Ausmaß und gibt zudem deutliche Hinweise darauf, was die Ursachen sind. Vor allem die Vögel der Agrarlandschaft, also der Äcker, Wiesen und Weiden, haben deutlich abgenommen – in den letzten 37 Jahren um 57 Prozent. Dieses Ausmaß des Rückgangs ist dramatisch und erschreckend. Die Studie hat eine sehr solide Datenbasis: Sie baut auf Bestandsentwicklungen von 170 Vogelarten von 20.000 Untersuchungsflächen in 28 europäischen Ländern auf. Bessere Daten sind weltweit kaum zu finden.“

Die Studie zeigt, dass große Flächen mit intensivem Einsatz von Pestiziden und Düngemitteln zu besonders negativen Bestandstrends führen. Dies ist ein klarer Hinweis darauf, dass die intensive landwirtschaftliche Nutzung, der intensive Gebrauch von Pestiziden und Düngemitteln der Hauptfaktor ist, der zum Rückgang der Vögel führt. Diese Studie, zusammen mit anderen Arbeiten zeigt, was getan werden muss, um die Vogelbestände wieder zu erhöhen. Zum einen muss die Fläche, die im Ökolandbau bewirtschaftet wird, ausgeweitet werden, idealerweise auf die 30 Prozent, die bereits im Koalitionsvertrag stehen. Im Ökolandbau gibt es im Durchschnitt eine etwa 30 Prozent höhere Biodiversität als im konventionellen Anbau. Zusätzlich kann die konventionelle Landwirtschaft biodiversitätsfreundlicher gestaltet werden: Dazu gehören weniger Pestizide und Düngemittel, mehr Brachflächen und Blühstreifen, und mehr Hecken, Gehölze und natürliche Bachläufe.“

Der Klimawandel hat laut der Studie insgesamt einen negativen Einfluss auf die Bestandstrends. Nichtsdestotrotz gibt es relative Gewinner und Verlierer. Gewinner sind Arten, die unter wärmeren Klimabedingungen leben, bei uns in Deutschland zum Beispiel mediterrane Arten. Verlierer sind Arten, die in einer kälteren Umwelt zu finden sind, bei uns sind das skandinavische Arten.“

„Auch in Wäldern lebende Vogelarten haben laut der Studie abgenommen, obwohl die Waldfläche eher zugenommen hat. Eine plausible Erklärung ist, dass zwar die Fläche zugenommen hat, aber die Qualität der Wälder schlechter geworden ist. Für gesunde Vogelpopulationen in Wäldern brauchen wir alte Wälder, mit alten Bäumen, vielen Stockwerken, Baumlücken und vor allem viel Totholz. Solche Wälder bieten viel mehr Nischen und Nahrung als Monokulturen.“

„Da Vögel wichtige Ökosystemfunktionen erfüllen, hat der dramatische Rückgang auch Folgen für Ökosysteme und damit für uns Menschen. Wir bekommen weniger natürliche Schädlingsbekämpfung, geringere Samenausbreitung und damit schlechtere natürliche Regeneration der Wälder. Was noch gefährlicher ist: Vögel sind Indikatoren für andere Arten. Der Rückgang der Vögel spiegelt wider, dass viele andere Arten zurückgehen, zum Beispiel Wildkräuter, Bestäuber, andere Insekten und womöglich sogar Bodenorganismen. Vielleicht am schmerzhaftesten ist, dass Vogeldiversität im Zusammenhang mit unserer psychischen Gesundheit und unserem Wohlbefinden steht. Der Rückgang der Vögel führt möglicherweise dazu, dass wir trauriger und unglücklicher werden.“

Prof. Dr. Jan Christian Habel

Leiter des Fachbereich Umwelt & Biodiversität und Leiter der Arbeitsgruppe Zoologische Evolutionsbiologie, Paris Lodron Universität Salzburg

„Es handelt sich um eine sehr aussagekräftige Studie, die auf Grundlage umfangreicher Daten klare Trends und Zusammenhänge zur Entwicklung der Vogelpopulationen in Europa zeigt und dabei nicht nur die Situation der Vogelfauna beschreibt, sondern auch den starken Rückgang von Wirbellosen, wie Insekten, und den Gesamtzustand der Landschaft widerspiegelt. Eine Stärke dieser Studie ist der umfangreiche Datensatz, der sich auf sehr viele unterschiedliche Standorte bezieht und einen großen Zeitraum repräsentiert. Einmalig an der Studie ist, dass Treiber identifiziert werden, die zum starken Rückgang der Vogelfauna führen. Hierbei unterscheiden die Autoren klar zwischen einigen wenigen Profiteuren unter den Waldvögeln und den zahlreichen Verlierern aus der Agrarlandschaft. Es zeigt sich, dass die Intensivierung der Landwirtschaft mit Pestizideinsatz und Stickstoffeinträgen die Lebensraumqualität reduziert, was sich direkt sowie indirekt – durch den starken und flächendeckenden Rückgang von Insekten als Nahrungsressource – auf die Vogelvielfalt auswirkt. Eine exzellente Studie, die den Leser wachrüttelt, und hoffentlich auch die Politik.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Dr. Christian Hof: „Interessenkonflikte sind nicht vorhanden.“

Prof. Dr. Katrin Böhning-Gaese: „Ich habe keine Interessenkonflikte.“

Alle anderen: Keine Angaben erhalten.

Primärquellen

Rigal S et al. (2023): Farmland practices are driving bird population decline across Europe. PNAS. DOI: 10.1073/pnas.2216573120.

Literaturstellen, die von den Experten zitiert wurden

[1] Methorst J et al. (2021): The importance of species diversity for human well-being in Europe. Ecological Economics. DOI: 10.1016/j.ecolecon.2020.106917.

[2] Bengtsson J et al. (2005): The effects of organic agriculture on biodiversity and abundance: a meta-analysis. Journal of Applied Ecology. DOI: 10.1111/j.1365-2664.2005.01005.x.

[3] Hoffmann J et al. (2012): Bewertung und Verbesserung der Biodiversität leistungsfähiger Nutzungssysteme in Ackerbaugebieten unter Nutzung von Indikatorvogelarten. Berichte aus dem Julius Kühn-Institut.

[4] Hoffmann J et al. (2023): Strukturelemente und Nutzungen räumlich identischer Ackerbaugebiete 1991-1993 und 2018-2021: Auswirkungen auf die Biodiversität. Berichte aus dem Julius Kühn-Institut.
Der Abschlussberich zu diesem Projekt ist noch nicht erschienen. Die Projektbeschreibung finden Sie hier.

Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden

[I] European Bird Census Council: Pan-European Common Bird Monitoring Scheme.
Europaweites Projekt zur Überwachung von häufig vorkommenden Vogelarten seit 2002. Das Projekt wird unter anderem von der EU finanziert wird.